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von Jürgen Boeckh |
Mehr als zu anderen Zeiten des Jahres haben viele Menschen zu Weihnachten ein Bild Jesu vor Augen: das Kind in der Krippe, das Kind auf dem Schoß der Mutter Maria. Es kann wohl nicht anders sein: Wenn wir an ihn denken, wenn wir ihn anrufen, sehen wir ihn vor uns. Und was ein jeder von uns vor seinem inneren Auge erstehen läßt, das haben Maler und Bildhauer uns immer wieder leibhaft vor Augen gestellt. Albrecht Haushofer hat vor 44 Jahren hinter Gefängnismauern seine „Moabiter Sonette” niedergeschrieben. Eins dieser Sonette beginnt mit den Worten: „In tausend Bildern hab ich Ihn gesehen, als Weltenrichter, zornig und erhaben, als Dorngekrönten, als Madonnenknaben ...” Immer wieder hat es allerdings auch Bilderfeinde und Bilderstürmer gegeben. Der erste große Bilderstreit hat vor mehr als 1000 Jahren die Kirche erschüttert. Die Bilderfeinde meinten, die Ikonenverehrung sei zu sehr dem Irdischen, Sichtbar-Materiellen verhaftet. Gegen diesen Vorwurf hat der Kirchenlehrer Johannes, der um 675 in dem unter der Herrschaft des Kalifen stehenden Damaskus geboren worden war, die heiligen Bilder verteidigt. Im christlichen Altertum bestand bei vielen die Tendenz, die Materie und damit alles Leibliche grundsätzlich abzuwerten. Demgegenüber erklärt Johannes die Materie als von Gott geschaffen und darum nicht minder-wertig. Und er wehrt gleichzeitig den Gedanken ab, daß die Materie als solche angebetet wird: „Ich bete nicht die Materie an, sondern ich bete den Schöpfer an, der um meinetwillen selbst Materie wurde.” Hinter seinen Ausführungen steht die zentrale Aussage des Evangelisten Johannes: Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns,Wenn der Damaszener sagt: „In alter Zeit wurde Gott, der keinen Körper und keine Gestalt besitzt, bildlich überhaupt nicht dargestellt”, dann denkt er dabei an das Volk Israel. Darin unterschied sich Israel von den Völkern, daß es den Ewigen nicht im Bild darstellte. Aber mit der Geburt Jesu aus der Mutter (mater!) Maria ist etwas anders geworden für diejenigen, die glauben, daß in ihm der ewige λóγος (Johannes 1, 14: „das Wort”) leibhafte Gestalt gewonnen hat. „Der Sohn”, so sagt es der Apostel Paulus im Brief an die Kolosser, „ist das Bild des unsichtbaren Gottes” (l, 15), die Ikone Gottes! Aus dem griechischen Wort für Bild, εíκων, ist unser Wort Ikone geworden. In der „Fleischwerdung”, der „Bildwerdung” Gottes liegt der Ursprung der heiligen Bilder. Stehe ich vor einer Christus-Ikone, so sieht ER mich an mit den Augen des Sohnes, und ich erkenne in ihm und durch ihn den Ewigen, Unsichtbaren. „Wer mich sieht, der sieht den Vater!” sagt der Herr zu Philippus (Johannes 14, 9). Denn es bleibt bestehen, was am Anfang des Evangeliums gesagt wird: „Niemand hat Gott je gesehen. Der Einzige, der Gott ist und am Herzen des Vaters ruht, er hat Kunde gebracht.” (1, 18 EÜ) „Niemand hat Gott je gesehen”, das bedeutet, mit seinen leiblichen Augen gesehen. In Vers 14 steht ein anderes Wort für „sehen”. Hermann Menge wird dem gerecht, wenn er übersetzt: „Wir haben seine Herrlichkeit geschaut.” Der Mensch, der dem Menschen Jesus gegenüberstand, konnte nicht - mit seinen leiblichen Augen -sehen, daß Jesus „der Einzige, der Gott ist” war. Insofern ist unsere Situation nicht soviel anders als die der Zeitgenossen Jesu. Mit diesen haben wir gemeinsam, daß wir Gott in Jesus nicht unmittelbar sehen können. Von ihnen unterscheidet uns, daß wir auch den Menschen Jesus nicht sehen. Aber seine Herrlichkeit, „die Herrlichkeit des einzigen Sohnes vom Vater” können wir „im Bilde” schauen. Im Blick auf Brot und Wein des Heiligen Mahles sagt der hl. Augustinus: Aliud videtur, aliud intellegitur - das eine ist das, was wir mit unseren leiblichen Augen sehen, nämlich die Gestalten von Brot und Wein, das andere ist das, was wir darin erkennen; intellegere hat hier bei Augustinus noch seine ursprüngliche Bedeutung: intus legere, das heißt: im Inneren des Herzens lesen! Im alten Rom sagte man: id animo contemplare, quod oculis non potes - das betrachte in deinem Herzen, was du mit den Augen nicht sehen kannst! In dem Satz Augustins ist die contemplatio animi die innere Seite des äußeren Sehens: überall da, wo Gottes Geist in einer Gleichnishandlung wie dem Heiligen Mahl, wo er leibhaft in Symbol und Bild die Materie geheiligt hat. Johannes von Damaskus nennt das Kreuzesholz, den Kalvarienberg, Golgatha, das heilige Grab, Kreuz, Patene und Kelch - aber vor allem Leib und Blut unseres Herren, die in Brot und Wein gegenwärtig sind. Er setzt voraus, daß die geheiligten Orte und Dinge als Träger des Geistes erkannt werden und begründet damit dann schließlich die Verehrung der heiligen Bilder, „die durch die Gnade des göttlichen Pneumas beschattet sind”. Als ich den hier angeführten Text des Johannes von Damaskus las, mußte ich an einen entsprechenden Text eines universalen Theologen unserer Tage, Paul Tillich, denken. In seiner Systematischen Theologie, Stuttgart 1955 (Bd. I, S. 189 ff.) setzt er sich kritisch auseinander mit einer „Theologie des Wortes”, die „als eine Theologie des gesprochenen Wortes dargeboten” wird. „Wenn Jesus als der Christus der Logos genannt wird, meint Logos eine Offenbarungswirklichkeit und nicht Offenbarungsworte. Wenn die Logoslehre ernst genommen wird, verhindert sie die Entwicklung einer Theologie des gesprochenen und geschriebenen Wortes, die dem Protestantismus zum Verhängnis geworden ist.” Der Ausdruck „Wort Gottes” hat nach Tillich sechs verschiedene Bedeutungen: „Wort” ist vor allem „das Prinzip der göttlichen Selbstoffenbarung im Grunde des Seins selbst”, es ist „Medium der Schöpfung”, „Manifestation des göttlichen Lebens in der Geschichte der Offenbarung”, „Manifestation des göttlichen Lebens in der letztgültigen Offenbarung ... Name für Jesus als den Christus”. Nur eine partielle Identifikation mit dem Wort Gottes gesteht Tillich der Bibel und der Verkündigung der Kirche in Predigt und Leben zu. „Wenn die Bibel das Wort Gottes genannt wird, ist die theologische Verwirrung beinahe unvermeidlich.” Sowohl im Wort als auch im Bild, hier wie dort in verschiedener Dichte, können wir Jesus, der DAS WORT GOTTES und DAS BILD GOTTES zugleich ist, begegnen. Hören und Sehen, Predigt und Betrachtung gehören zusammen. Dies schließt nicht aus, daß für die einen das Ohr, für die anderen das Auge als Organ geistlicher Erkenntnis wichtiger ist. Innerhalb der ganzen Christenheit lag und liegt in verschiedenen Zeiten nacheinander oder nebeneinander in den Teilkirchen oft einseitig der Schwerpunkt auf dem einen oder dem anderen. So hat man auch eine Kirche des Hörens und eine Kirche des Schauens gegenübergestellt. Aber die allumfassende Kirche ist eine Kirche des Hörens und des Schauens zugleich. Quatember 1988, S. 186-189 |
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