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Von der Frucht des Schweigens in der Einsamkeit
von Gerhard Steege

Wer die besondere Art der Süße, die die Stille der Zelle gibt, erfährt, flieht Menschen nicht, weil er sie verachtete, sondern um der Frucht willen, die aus dem Schweigen kommt.

Weg und Wort der Väter, Spruch 87

LeerDie Vätersprüche, die in diesem Heft zur Sprache kommen, haben einen gemeinsamen Schwerpunkt: Sie sprechen von der geschenkten oder aber mißlungenen Gotteserfahrung in Einsamkeit und Schweigen. Die Mönchszelle ist Ort und Symbol dafür.

LeerWer sich aus der Gemeinschaft von Menschen zurückzieht, kann ganz verschiedene Beweggründe dafür haben. Der Enttäuschte oder der Kontaktschwache zieht sich zurück und wird vielleicht zum Einzelgänger in der Maske der Überlegenheit; er macht dann wohl aus seiner Enttäuschung eine menschenverachtende Ideologie, die ihm zum Überleben hilft. Oder, wo er äußerlich eine Gemeinschaft nicht verlassen kann, zieht er sich womöglich in sich selbst zurück und läßt seine bisherigen Kontakte eintrocknen. Solche Art der Weltflucht hat psychosoziale Ursachen und ist mit geistlichen Beweggründen allenfalls oberflächlich verwandt.

LeerWer dagegen heute Einkehrtage sucht, weiß oder ahnt wenigstens, daß solch Rückzug aus der Geschäftigkeit des Alltags („Retraite”) etwas schenken kann, was wir im durchschnittlichen Berufs- und Familienleben schwer erhalten können: die Stille, die die Beziehung zu Gott vertieft. Ein solcher Rückzug aus der Welt wird, wie der Spruch sagt, gesucht „um der Frucht willen, die aus dem Schweigen kommt”. Als besonders wohltuend erlebt wird es von vielen allein schon, Abstand zu bekommen, aus allem heraus zu sein. Man braucht sich eine Zeitlang nicht mit dem Vielen zu beschäftigen, mit dem, was wichtiger oder weniger wichtig ist, sondern kann sich ausrichten auf das „eine, das not ist” (Lukas 10,42). Das ist der Anfang der merkwürdigen „Süße”, von der der Spruch sagt, eine Erfahrung, die in der Wiederholung dichter und intensiver wird und worin es vermutlich kein Ende geben wird. Aber die „Mönchszelle”, die Erfahrung des Zu-sich-selber- und zugleich Zu-Gott-kommens, ist kein Weg, auf dem wir ununterbrochen mehr „Süße” schmecken.
Antonius sprach: Die Mönchszelle ist der babylonische Feuerofen, in dem die drei Jünglinge den Sohn Gottes fanden, und sie ist gleichermaßen die Wolke, aus der Gott mit Mose sprach.

Weg und Wort der Väter, Spruch 84

LeerDie Mönchszelle: Einkehrtage, Einsamkeit und Schweigen vor Gott, können zum Schmelztiegel für das eigene Herz werden, in einer Glut, die brennt und umschmilzt, die Unnötiges, Gottfremdes wegbrennt. Und in diesem Prozeß der Läuterung wird Gott erfahren, Gott, dem so sehr an uns liegt, daß er an uns arbeiten will, um uns zu befreien: aus der Gefangenschaft der Trostlosigkeit zum Lobpreis Gottes, der stärkt und Kräfte verleiht; aus der Gefangenschaft dessen, der sich bewußt oder unbewußt ständig absichern muß, zur Freiheit dessen, der den Sprung in das unabgesicherte Gottvertrauen wagt; aus der Gefangenschaft, die das Ergebnis eines Vertrauens auf das Vorhandene, das bloß Einleuchtende und Machbare ist, zu der Freiheit, die sich einstellt, wenn man den Mut hat, den Anzeichen für die Wirklichkeit der Liebe, die je und dann darin aufscheint, zu folgen.

LeerWorin wir uns mit unserer Lebens- und Denkweise eingerichtet, häuslich niedergelassen haben, das wird im babylonischen Feuerofen der Mönchszelle, der Einsamkeit, der Retraite, weggebrannt, umgeschmolzen, damit wir „den Sohn Gottes finden”. Oft suchen wir aber die Mönchszelle, den babylonischen Feuerofen, ebensowenig freiwillig auf wie seinerzeit die drei jungen Männer im Buche Daniel (3,13 ff.), sondern wir werden hineingestoßen: in Gestalt lebensbedrohlicher Krankheit, oder einer tiefen Lebenskrise, oder einer starken Erschütterung. Sie kann auch, wie es heißt, „die Wolke (werden), aus der Gott mit Mose sprach”; sie kann zu einem der Gipfelpunkte unseres Lebens werden, in der wir Worte des Lebens vernehmen, Worte, die unserem weiteren Leben die Richtung weisen.

LeerWie unterschiedlich sich Erfahrungen der Mönchszelle, des Symbols für Retraite, Auf-sich-selber-geworfen-Sein, Leid, Erschütterung, auswirken, schildert ein dritter Spruch:
Einer fragte Vater Poimen: „Was soll ich tun? Denn ich versinke in Traurigkeit, wenn ich in meiner Zelle sitze.” Der alte Mann sprach zu ihm: „Denke von keinem Menschen wegwerfend, verletze und verurteile auch niemand in Gedanken. Laß überhaupt keinen schlechten Gedanken bei dir wohnen. Dann wird Gott dir Ruhe geben, und dein Tag wird ohne Wirrnis sein.”

Weg und Wort der Väter, Spruch 92

LeerWir könnten meinen, der gefragte Vater Poimen sollte dem Mönch eher gesagt haben: „Das Leben in der Mönchszelle ist wohl doch nichts für dich. Gib es auf und geh lieber in deinen üblichen Alltag zurück.” Aber nein, der Frager wird nicht zurückgewiesen, vielmehr stellt sich Poimen auf ihn ein, um ihm im Rahmen seiner Möglichkeiten gerecht zu werden. Natürlich sieht der alte Mann, daß der Mönch schon bei den ersten Schritten in dies Mönchsleben ins Stolpern gekommen ist, aber er gibt ihm in diese Situation hinein solche Aufgaben, die ihm helfen, wieder einen festen Gang zu finden: nämlich keine schlechten Gedanken bei sich Wurzel schlagen zu lassen, besonders nicht herabsetzende über andere Menschen. Dann wird die Seele geordnet, statt in friedloser Traurigkeit zu versinken. Auch wenn nicht jeder an solcher Stelle in einen Sumpf düsterer Traurigkeit gerät: Diese Antwort zu beherzigen dürfte sich jeder angelegen sein lassen, sei er Anfänger oder fortgeschritten auf dem Wege.

Quatember 1988, S. 217-219

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-04-12
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