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Kirchenmusikalische Erneuerungsbewegung
von Gerhard Kappner

LeerAm 20. und 21. Oktober 1988 trafen sich die Mitglieder des Arbeitskreises „Kirchenmusikalische Erneuerungsbewegung” zu ihrer ersten Arbeitstagung in der Evangelischen Akademie. Es ging um die Erstellung der Dokumentation, die Walter Blankenburg bei seinem Tod im Entwurf hinterlassen hat. Er wurde durch die umfangreiche Dokumentation über die Jugendmusikbewegung angeregt, in der die kirchenmusikalische Erneuerungsbewegung nicht ausreichend berücksichtigt ist, und die Darstellung der geschichtlichen Entwicklung mit dem Jahr 1933 endet. Darum erschien die Fortführung der Arbeit dringend geboten, zumal inzwischen eine neue Generation herangewachsen ist, die das Recht hat, eine ungeschminkte Darstellung der geschichtlichen Vorgänge seit 1933 von der alten Generation zu erhalten.

LeerIn seinem Entwurf für die im Auftrag des „Verbandes evangelischer Kirchenchöre” begonnene Dokumentation hat Walter Blankenburg geraten, vorerst Unterlagen zu sammeln und Erlebnisberichte aus dieser Zeit schriftlich oder auf Tonband festzuhalten. Der in Kassel lebende und aus der Singbewegung kommende Pfarrer Hans Mrozek nahm sich dieser Arbeit an und begab sich auf die Suche nach geeigneten Mitarbeitern. Doch zeigte sich bereits im Anfangsstadium, daß damit nur ein Bruchteil der zu bearbeitenden Aufgaben erfüllt werden könnte und eine schwerpunktmäßig Begrenzung der Arbeit unumgänglich sein würde.

LeerDie Gespräche des Arbeitskreises ergeben, daß Singbewegung und kirchenmusikalische Erneuerungsbewegung zu unterscheiden, aber auch in ihrer Zusammengehörigkeit zu sehen seien. „Die besten Kräfte der Singbewegung sind in die kirchenmusikalische Erneuerungsbewegung eingegangen” (W. Blankenburg). Die zeitlichen Grenzen lassen sich nur in Umrissen aufzeigen. Das Jahr 1925 setzt mit der Uraufführung der a cappella-Messe op. l von Kurt Thomas und dem Beginn der Orgelbewegung die ersten Zäsuren. Zu den letzten Zäsuren gehört die Loccumer Tagung „Ende der Singbewegung?” im Jahr 1957.

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LeerFür die Systematik der kirchenmusikalischen Erneuerungsbewegung ergeben sich in diesem Zeitraum vier Schwerpunkte, von denen der kirchenmusikalische Schwerpunkt im einzelnen entfaltet werden sollte. In der Theologie hatten dialektische Theologie und Lutherrenaissance eine neue Lage geschaffen: Das Wort Gottes trat an die Stelle des religiösen Erlebnisses. Die liturgische Erneuerungsbewegung entdeckte im Gottesdienst die Mitte des kirchlichen Lebens. Der Kirchenmusiker avancierte vom „niederen Kirchenbediensteten” zum legitimen Träger eines kultischen Amtes. In der Musik setzte sich der radikale Umbruch durch, den Ernst Pepping als „Stilwende der Musik” bezeichnet hat: die Abkehr von der klassisch-romantischen Entwicklungs- und Ausdruckskunst und die Hinwendung zu einem „an Bach orientierten neuen Klassizismus moderner (doch alles andere als atonaler) Klanglichkeit” (F. Hamel).

LeerInfolge dieser Entwicklung erhielt die evangelische Kirchenmusik wieder ihren ursprünglichen Auftrag, das Wort Gottes „in Schwung zu bringen” und ihren liturgischen Ort, so daß Epistel- und Evangelienmotetten, deutsche Messen und Kirchenliedbearbeitungen entstehen konnten. Oskar Söhngen hat in seinen Schriften auf das Kairos-Moment aufmerksam gemacht, daß die Erneuerung der Kirchenmusik zur rechten Zeit auch die rechten Menschen fand. Kurt Thomas, Hugo Distler, Ernst Pepping, Johann Nepomuk David, Günter Raphael sind die führenden Männer der ersten Stunde. Es ist vor allem die Generation der um 1900 Geborenen, die meist durch die Schule von Karl Straube und Arnold Mendelssohn gegangen ist. Sie führt zuerst eine neue Blüte der Chormusik herauf, sie läßt während des Kirchenkampfes ein neues Lied der Kirche entstehen, sie tritt im zweiten Weltkrieg mit einer neuen Orgelmusik vor die Öffentlichkeit und führt nach dem Krieg eine Widergeburt des Sololiedes herauf. Dabei leistete die Wiederentdeckung der alten Musik entscheidende Dienste, die über Bach hinaus zu Schütz, Praetorius und Lechner vorstieß.

LeerDer Arbeitskreis beschloß unter dem Vorsitz von Akademiedirektor Klaus Röhring, daß die Befragung von Zeitzeugen vordringlich sei, da die zu Befragenden bzw. ihre Angehörigen, Freunde usw. bereits in einem hohen Alter sind. Die Befragung soll im Sinne der „oral history” erfolgen, da durch persönliches Erzählen wichtige Hinweise zu erwarten sind. Darüber hinaus sollen die wichtigsten Persönlichkeiten in einer Dokumentation erfaßt werden, die Angaben über Biographie, Bibliographie, schriftliche Dokumente und Tondokumente enthält. Dabei können aus Werkverzeichnissen, Zeitschriften, Bibliotheken und Archiven zusätzliche Materialien gewonnen werden. Der Aufbau einer Datei mit dem Ziel eines Dokumentationszentrums, die Vermittlung von Dissertationen mit Promotionsstipendien durch Kirchen, Stiftungen und Verlage und die Vergabe von Arbeitsaufträgen über begrenzte Themen an Studenten gehören zu den weiteren Planungsschritten. Das nächste Arbeitstreffen in Hofgeismar ist für die Zeit vom 5. bis 7. April 1989 vorgesehen. Danach ist ein Fachsymposion geplant, das bestimmte inhaltliche Fragen aufarbeitet, wozu Referenten und Beauftragte der Landeskirchen eingeladen werden sollen.

Quatember 1989, S. 37-38

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-04-23
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