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„Gottes verborgenes Wesen anzubeten”
Zum Gespräch mit der Orthodoxie über die Dreieinigkeit Gottes
von Hans Mayr

LeerWährend die ökumenische Öffnung der Römisch-Katholischen Kirche zu stagnieren scheint, erfreut sich das evangelisch-orthodoxe Miteinander wachsender Lebendigkeit. Vor allem durch die Erfahrung gemeinsamer Anbetung wird aus dem Dialog der Liebe immer mehr ein Dialog der Wahrheit - sowohl im Ökumenischen Rat der Kirchen, dem Evangelische wie Orthodoxe gleichermaßen angehören, als auch in direkten zwischenkirchlichen Gesprächen.

I.

LeerDie Theologen der Reformation, Melanchthon u. a., hatten Kontakt mit Konstantinopel aufgenommen. Sie wollten ja, gegen Rom, auf die Ursprünge des Glaubens zurückgehen, und diese sahen sie in der Orthodoxie bewahrt. Die Übereinstimmung der ersten 500 Jahre schien tragfähige Basis für die Gemeinschaft der Kirche. Aber das Unternehmen scheiterte. Es fehlte die gemeinsame Sprache, z. B. fand Melanchthon für das reformatorische Zentralwort „Rechtfertigung” kein vorhandenes griechisches Wort, er mußte eines erfinden! Man verstand sich nicht. Der Briefwechsel wurde zum Schlagabtausch der Argumente. Auch hatte der Patriarch andere Sorgen: Das Überleben seiner Kirche unter türkischer Herrschaft zu sichern. So bat er schließlich: Schreibt uns hinfort nicht mehr - außer um der Liebe willen.

LeerAuf diesem Hintergrund begann man in unserem Jahrhundert neu mit dem Dialog der Liebe. In der Liturgie erfuhr man: Wir rühmen denselben Gott, wir beten denselben Gott an. Darum ist nun auch das Gespräch über den Glauben, das theologische „Lehrgespräch”, neu möglich und sinnvoll.

LeerDen Gott, den wir anbeten, ist der dreieinige Gott. Den dreifaltigen Gott bekennen wir, wenn wir das apostolische Taufbekenntnis oder das große Bekenntnis von Nicäa-Konstantinopel (325/381) in der Eucharistie betend singen. Der trinitarische Glaube unterscheidet uns von Judentum und Islam, mit denen wir sonst viel Gemeinsames haben. Die Fülle dieses Glaubens bewahrt uns innerhalb der Christenheit vor mancherlei Verkürzungen. Wer allein von der „Vorsehung” des Vaters spricht, findet keine Antwort auf die Frage, wie er das Böse zulassen kann. Wer nur vom Herrn Jesus spricht, kann kaum verhindern, daß er zum bloßen Vorbild wird. Wer bloß vom Heiligen Geist schwärmt, muß die Gemeinschaft der Kirche verlieren. In seinem Bemühen, dem gemeinsamen Glauben der Christenheit Ausdruck zu verleihen, hat der Ökumenische Rat das Bekenntnis von Nicäa-Konstantinopel als Grundlage gewählt. Dessen bekannter Aufbau in drei Glaubensartikeln ist keine bloße Äußerlichkeit. Nur so kann der ganze Reichtum der biblischen Botschaft angemessen in notwendigerweise kurze Worte gefaßt werden.

Linie

LeerDer erste Artikel ist kurz, in ihm sah man sich in Übereinstimmung mit den Gläubigen des Alten Bundes. Der zweite ist allein weit umfangreicher als die anderen zusammen: Er nennt das Neue und andere in der religiösen Umwelt der Spätantike. Der dritte hat sich erst zuletzt ausgebildet.

LeerDas Nicaenum, wie es abgekürzt genannt wird, ist durch und durch von biblischer Sprache getränkt - wie übrigens die ganze Liturgie der orthodoxen Kirche. Die Teilnehmer der Kirchberger Fastenwochen im Januar 1989 haben sich einmal die Zeit genommen, 14 Tage lang, das Bekenntnis auf seine biblische Grundlegung abzuhorchen. Erstaunliche Erkenntnis: Alle seine Worte sind der Bibel entnommen, salopp ausgedrückt: Fast eine Collage von Bibelstellen. Aber viel mehr: Nicht einzelne Bibelsprüche aneinander geklebt, sondern das biblische Gesamtzeugnis komprimiert.

LeerWenn man bloß nach trinitarischen Formeln sucht, scheint das Neue Testament fast nichts herzugeben, nur z. B. Matthäus 28,19 und 2. Korinther 13,13. Sind aber einmal die Augen geöffnet, so gibt es fast kein Kapitel des Neuen Testaments, in dem man nicht vom Vater, vom Sohn und Geist zugleich geredet hört.

LeerNatürlich kommt man dem Geheimnis Gottes nicht bei mit dem rationalen Argument, schon das kleine Einmaleins lehre, daß drei nicht gleich eins sei. Die Orthodoxie lehrt uns, zunächst auf das Verhältnis der drei göttlichen Personen unter sich zu achten, auf das „innertrinitarische Miteinander”. Der Sohn ist „aus dem Vater geboren”, der Geist „geht aus dem Vater hervor”, sagt das Nicaenum. Der Vater selbst ist ohne Ursprung. Würde der Geist aus dem Vater „und dem Sohn” hervorgehen (wie die Römische Kirche z. Z. Karls des Großen ins Bekenntnis einfügte), wäre der Geist dem Sohn untergeordnet, was die Schrift nirgends bezeugt. So hat die Forderung der Orthodoxen, das „Filioque” wieder zu streichen, ihr volles Recht.

LeerWenn dann vom Verhältnis des Dreieinigen Gottes zu uns Menschen gesprochen wird, dann wird die gegenseitige Verbindung von Sohn und Geist hervorgehoben. Der Sohn hat Fleisch angenommen und ist Mensch geworden „durch den Heiligen Geist”, und der Heilige Geist wird mit dem Sohn zugleich „angebetet und verherrlicht”. Es gibt keinen gegenwärtigen Herrn ohne den Tröster, es gibt keinen „freischwebenden” Geist ohne die Bindung an das geoffenbarte Wort Gottes.

LeerWer meint, dies sei theologische Griffelspitzerei, der lese nur die Evangelien, von der Taufe Jesu, den der Geist dann in die Wüste führt bis zum Osterbericht, wo Jesus die Jünger anbläst: Nehmet hin den Heiligen Geist.

LeerGewiß: Es wird noch manches theologische Gespräch geben, bis eine gemeinsame Erklärung veröffentlicht werden kann. Aber das gemeinsame Gebet dieses Bekenntnisses, das nicht definiert, sondern ein Geheimnis rühmt, macht dies möglich. Und spannend ist es schon, daß ausgerechnet die Orthodoxie uns ein neues Lesen der Bibel lehrt.

II.

LeerDies kann vielleicht noch deutlicher werden an einem anderen Beispiel. Über Pfingsten 1988 trafen sich Vertreter der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Rumänisch-Orthodoxen Kirche zu ihrem 5. Theologischen Dialog in Kirchberg. In diesem Gespräch zweier Partner ging es um ein Thema, das zunächst wie eine Spezialfrage wirkt: Rechtfertigung und Theosis. Diese zwei Begriffe scheinen einen vollkommenen Widerspruch auszudrücken und werden auch gemeinhin so verstanden: Rechtfertigung heißt, daß der Sünder, allein aus Gnade, gerechtgesprochen wird, angenommen trotz seiner Sündhaftigkeit, allein weil Christus für ihn gestorben ist. Theosis heißt Verherrlichung oder Vergottung. Daß der Mensch sein will wie Gott - das war doch der freventliche Übermut, der zum Sündenfall führte! So haben wir Evangelischen es doch gelernt. Die Orthodoxen aber schlagen z. B. Römer 8,30 auf: „Die Er gerecht gemacht hat, die hat Er auch verherrlicht” und 2. Petrus 1,4: „Ihr sollt Anteil bekommen an der göttlichen Natur.”

LeerBald zeigte sich, daß beide mit verschiedenen Begriffen Antwort auf dieselbe Frage geben wollen: Wie wird der Mensch, der sich getrennt hat von Gott, wieder zurückgeführt in die Gemeinschaft mit Gott, zum ewigen Heil? Kein Orthodoxer will behaupten, die Vergottung hebe den Unterschied zwischen Schöpfer und Geschöpf auf. Wir werden bei Gott sein, nicht an seine Stelle treten. Kein Orthodoxer behauptet, der Mensch gehe diesen Weg aus eigener Kraft. Aber: Was Christus für uns getan hat, das wirkt der Heilige Geist in uns. Seine „Energie” wird uns gegeben in den heiligen Mysterien, bei der Taufe, in der Eucharistie. Und kein Evangelischer will behaupten, Rechtfertigung heiße bloß: Du bist gerechtgesprochen und bleibst ein Sünder. Sondern: Zur Rechtfertigung gehört die Heiligung durch den Heiligen Geist. Nur vom Werk Christi für uns oder nur vom Wirken des Geistes in uns zu sprechen, würde in die Irre führen. Zusammen aber, das lehren wir uns gegenseitig, ist das Werk des dreieinigen Gottes vor uns, für uns und in uns wirksam. Viele aufschlußreiche Einzelbeobachtungen wären zu berichten: Die Rechtfertigungstheologie im Westen gehört in den Zusammenhang der Bußfeier, die Theosis-Verheißung aber hat ihren ursprünglichen liturgischen Ort in der Osternachtfeier!

LeerDas Kirchberger Schlußdokument wurde auf dem Altar unterzeichnet, an dem zuvor die evangelische Eucharistie und die göttliche Liturgie des heiligen Johannes Chrysostomus gefeiert worden war. Die Bitte um den Heiligen Geist war in diesen Pfingsttagen in den evangelischen und orthodoxen Stundengebeten immer wieder aufgeklungen.

Leer„Wir haben im Verlauf des Dialogs immer besser gelernt, uns in der Sprache des Gebets zu verstehen”, heißt es in diesem Kommuniqué.

LeerNicht nur, daß wir in den Pfingstliedern des Evangelischen Kirchengesangbuches ein Wirken des Geistes bekennen, so stark, wie wir es uns im dogmatischen Lehrbuch kaum getrauen. Sondern vielmehr: Wer mit anderen Christen immer wieder von neuem singt: Ehre sei dem Vater und dem Sohne und dem Heiligen Geist, der kann nicht anders, als diesem auch wirklich zu vertrauen: Er glaubt, was er betet. Und betet, was er glaubt.

Quatember 1989, S. 66-69

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-04-23
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