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von Hans-Dietrich Paus |
Den Berichten über die Schlüsselübergabe der Johannis-Kirche in Kirchberg und über die Gedanken zur Zukunft der Stadtkirchen will ich einen weiteren Bericht anfügen. Im Johannis-Brief der Evangelischen Jahresbriefe, Jahrgang 1939, habe ich den Aufsatz von Horst Schumann über den niedersächsischen Bischof Bernward von Hildesheim und sein künstlerisches Vermächtnis gefunden und darin die Beschreibung der Michaelis-Kirche in Hildesheim. Wie eine Burg erhebt sie sich heute inmitten der Stadt, will irdischen und himmlischen Gottesdienst verbinden. Wer diese Kirche kennt (oder sie durch einen Besuch kennenlernt), der wird das spüren, was Hans Mayr in bezug auf die Johannis-Kirche in Kirchberg meint, wenn er vom „Himmel auf Erden” spricht, den die künstlerische Ausgestaltung vielleicht allzu problemlos erscheinen läßt. Und er wird sich den Fragen stellen, die Waldemar Wucher aufgeworfen hat, welche Aufgabe nämlich auch diese Kirche (und mit ihr andere, ähnliche) in der Stadt heute zu übernehmen hat. Wer auf einer Reise an Hildesheim vorbeikommt, sollte sich die Zeit für St. Michael nehmen. Aus dem Aufsatz von Horst Schumann ist der 1. Teil abgedruckt, der zweite ist der Domtür und dem Domschatz gewidmet. Die erste große Blüte deutscher Kunst liegt in der Zeit der Sachsenkaiser. Diese Zeit, in der sich nach dem Sterben der antiken Welt die erste geschlossene deutsche christliche Kultur herausbildet, war ein Höhepunkt deutscher Macht (Otto der Große!), aber zugleich auch ein Höhepunkt kirchlichen Lebens im Sinne einer lebendigen, formenden und gestaltenden Christusfrömmigkeit und eben darum auch eine der ganz großen Zeiten deutscher Kunst. Es ist der „Romanische Stil”, der eigentlich „Germanisch-christlicher Stil” heißen sollte, in dem beides, deutsche, besonders niedersächsische Eigenart, und christliche Frömmigkeit, sich zutiefst miteinander verschmelzen. Die erste große deutsche Kunst ist betont und ausschließlich christliche Kunst und legt Zeugnis davon ab, mit welcher Freudigkeit das Christentum innerlich aufgenommen war. Sie ist voll einer naiven Selbstverständlichkeit des Christseins, die erquickend ist, zugleich aber voll tiefer christlicher Weisheit, die uns Heutigen weit überlegen scheint. Bernward hat von 960 bis 1022 gelebt. Er stammte von einem adeligen Sachsengeschlechte ab, wurde an der Domschule in Hildesheim erzogen und kam im Jahre 987 an den Hof der Kaiserin Theophano als Erzieher des damals 7jährigen Ottos III. An den Hof der Ottonen - das hieß an die Stätte der Begegnung deutscher und byzantinischer Welt. Das hieß eintauchen in die Tradition Italiens und Ostroms, wo das Erbe der antiken Welt noch lebendig war - und doch zugleich Hineingestelltsein in das Ringen um eine werdende deutsche Kultur. Und einer der Gestalter deutscher Kultur sollte Bernward werden, dessen formender Kraft nur wenige gleichkommen. Er blieb Ottos III. Lehrer und Freund bis an dessen frühes Ende. Im Jahre 993 wurde er Bischof von Hildesheim. In 30jährigem Episkopat hat er als geschickter Staatsmann und Wirtschaftspolitiker seine Diözese auf eine erstaunliche Höhe geführt bis hin zu weitsichtiger Fürsorge für Handel und Gewerbe. Uns interessiert hier sein Schaffen auf dem Gebiete der Kunst. Thangmar, der Lehrer und spätere Biograph Bernwards, berichtet, daß schon der Schüler Bernward sich mit Schreiben, Malerei und anderen Künsten beschäftigt habe und daß er bei der Bearbeitung der Metalle, der Fassung edler Steine besondere Geschicklichkeit bewiesen habe. Es kann kein Zweifel daran sein, daß Bernward als Bischof nicht nur Kunstmäzen, sondern selbst ausübender Künstler gewesen ist - wenn es auch kaum möglich sein dürfte, die genaue Grenze seiner eigenhändigen Arbeit zu ziehen. Die Tatsache ist uns wichtig genug bei einem Manne in der Stellung eines Herzogs und Bischofs zugleich. Das Bedürfnis und die Kraft, leibhaftig zu gestalten, läßt an Rudolf Kochs Wort denken: „Das Tun mit den Händen ist die würdigste Beschäftigung für den Menschen.” Das größte Geschenk Bernwards an die deutsche Kunst ist seine Lieblingsschöpfung, die Michaelskirche (erbaut 1001-1022), in der er sich bei Lebzeiten die Gruft bereitete. Bernward hat mit ihr die klassische romanische Kirche geschaffen. Fest steht der romanische Bau mit gewaltigen Mauern auf der Erde, wie eine Burg, in der das Geheimnis Gottes gehütet wird. Aber trotz seiner Wucht ist er uns menschlich nah -die Maße stehen in einem harmonischen Verhältnis zu unserem Körper. Der Bau ruht ausgewogen in sich und reißt uns nicht wie die Gotik in eine Bewegung hinein: Die Michaeliskirche ist in ihren Maßen ganz auf die Drei- und Neunzahl aufgebaut. Das schenkt ihr die vollendet schönen Raumverhältnisse, hat aber zugleich tiefen symbolischen Sinn. Es ist das geheimnisvolle Walten des Dreifaltigen Gottes ausgedrückt, und das schützende Walten der himmlischen Heerscharen und ihres obersten Erzengels Michael. In ihrer ursprünglichen Gestalt hatte St. Michael 2 Chöre und war eben dadurch ruhig und ausgewogen - der Blick wird nicht nach einer Seite hin gerissen wie bei der Gotik. Der jetzt allein noch vorhandene Westchor, Michael und seinen Heeren geweiht, lag im Rücken der Gemeinde. Sie schaute nach Osten, ins Licht. So war das geheime Wissen ausgedrückt: Wer auf Christus ausgerichtet ist, hat die Engel im Rücken; wer ins Christuslicht schaut, dem können die Mächte der Finsternis nichts anhaben. Es ist nicht möglich, die Schönheit und beglückende Harmonie des Westbaues mit seinen Engelchören dem zu beschreiben, der diesen Raum nicht durchschreitend und schauend in sich aufgenommen hat. Hier sei nur auf das in einem tieferen Sinne „Aufregende” hingewiesen, daß Bernward um den Michaelsaltar herum 4 Emporen baut mit insgesamt 9 Altären, entsprechend den von der Kirche gezählten 9 Engelchören, Emporen, die in kühnen Bogenstellungen auf 9 Säulen sich aufbauen, ein überwältigend schönes Bild - aber das ist das Aufregende, daß er das nicht aus Freude am künstlerischen Schaffen tut, sondern daß er diese Emporen ausschließlich zu dem Zwecke baut, die himmlischen Heerscharen teilnehmen zu lassen am Gottesdienst. Welch große Schau: Irdischer und himmlischer Gottesdienst sind keine getrennten Welten. Es gibt ein Hinüber und Herüber zwischen dieser und jener Welt, seit Christus Mensch wurde - man rechnet einfach damit. Auf den Chorschranken sind gewaltige Gestalten heiliger Menschen angebracht, aus denen, ähnlich wie auf Katakombenbildern, etwas herausleuchtet von der Würde, im Dienste Gottes zu stehen. Sie sind wie ein Bekenntnis dazu, daß der Christenglaube aufrechte Vollmenschen formt. Und wenn jeder einzelne Baukörper bis ins kleinste liebevoll durchgeformt ist und seinen selbständigen Wert in sich hat, und alles doch zu einem Ganzen zusammenklingt, so mag der Deuter Recht haben, der dazu sagt: Auch hierin liege ein tiefer Sinn; es drücke sich aus, wie nicht die Masse und nicht das Individuum das christliche Ideal sei, sondern jene Gemeinschaft, die aus einzelnen ganz durchgeformten Vollmenschen besteht - die Kirche. Quatember 1989, S. 98-100 Siehe dazu Leserbrief von Alice Klatt - Widerstand des Geistes |
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