Symbol   Quatember

Startseite
Inhalt
Inhalt 1989
Autoren
Themen
Stichworte

Wegzehrung und Eucharistie
von Walter Lotz †

Besinnungen zu den wesentlichen Schritten einer Eucharistiefeier:
Ich will hineingehen zum Altare Gottes
Es sei stille vor ihm alle Welt
Die Frucht der Lippen, das Lobopfer des Glaubens
Erhebet die Herzen
Gedächtnis und Wandlung
Das Brot des Lebens und der Kelch des Heils
Einswerden und Sendung

Linie

LeerUnterwegs auf dem Weg zum Ziel ist uns eine Wegzehrung gegeben. Aus alter Zeit stammt die Weisung an das Volk des Exodus aus Ägypten, alljährlich das Passahmahl zu wiederholen, zur Erinnerung, zur Mahnung, zum Trost: "Also sollt ihr's aber essen. um eure Lenden sollt ihr gegürtet sein und eure Schuhe an euren Füßen haben und Stäbe in euren Händen, und sollt's essen, als die hinwegeilen; denn es ist des Herrn Passah. " (2. Mose 12,11) Nach dreitausend Jahren wirkt diese Weisung noch nach. Wenn in nordhessischen Bauerngemeinden die Abendmahlsgäste wie Reisende um den Altar gehen, die Männer den Hut unterm Arm, die Frauen das Reisetuch über den linken Arm geschlagen: "Als die hinwegeilen sollt ihr's essen! " Etwas von der erinnernden und stärkenden Wegzehrung Israels hat sich mit dem christlichen Abendmahl verbunden. Daraus erklärt sich für viele die Seltenheit der Feier und daß man es vor allem als Sterbesakrament begehrt.

LeerAber das ist ja nicht alles. In neuer Zeit hat diese einseitige Einschätzung einer anderen Sicht Platz gemacht. Zu Sterbenden wird der Pfarrer immer seltener wegen des Abendmahls gerufen. Dafür sind die Feiern für die Lebenden in der Gemeinde immer häufiger geworden. Und das entspricht einem anderen, stärkeren Strang der alten Überlieferung. Das letzte Abendmahl Jesu war danach nicht eigentlich eine Passahmahlzeit. Vielmehr starb er am Kreuz um die Stunde, in der die Lämmer für das Passahmahl geschlachtet wurden. Am Abend vorher aber hielt er mit seinen Jüngern, wie schon so oft, die "Chaburah", das Brudermahl, für das es eine alte Liturgie gab mit dem Wechselgesang "die Herzen in die Höhe", der im Dreimahlheilig mündete. Und von diesem wöchentlich zu wiederholenden Mahl sagte er: "Solches tut zu meinem Gedächtnis! " So war es ganz natürlich, daß das Mahl des Herrn von Anfang an nicht einmal im Jahr, sondern einmal in der Woche begangen wurde. Jede Woche wurde begonnen mit dem Mahl des Herrn, der lobpreisenden Feier der Gegenwart des Auferstandenen, die man als "Eucharistie", als Lob- und Dankfeier bezeichnete. Der Passahmahlgedanke wird damit nicht ausgeschieden. Die häufig gefeierte Eucharistie ist immer auch ein Stück Wegzehrung auf dem Weg aus der Gefangenschaft in die Freiheit. Es ist uns nur alles noch viel näher gerückt. Wir gewinnen die Freiheit des wahren Lebens, indem wir hier und jetzt unser Vergehen annehmen und es bejahen, daß unser Leben ein Ziel hat und wir davonmüssen. So ist es ein Stück ernüchtertes Zusichselbstkommen, wenn die Christenheit heute die häufige Feier der Eucharistie neu zum Programm erhoben hat.

LeerIm folgenden sollen die wesentlichen Schritte einer Eucharistiefeier in einigen Besinnungen bedacht werden.

Linie

Ich will hineingehen zum Altare Gottes

LeerWenn die Zeit trostlos dahinschleicht, sollte man meinen, es sei naheliegend und leicht, sich dahin zu begeben, wo Freude und Wonne ist. Aber es bedarf immer wieder eines besonderen Entschlusses, sich aufzumachen und zu sagen: "Ich will hineingehen zum Altare Gottes, zu dem Gott, der meine Freude und Wonne ist." (Ps 43,4) Der Altare Gottes stand im Allerheiligsten des Tempels. Vom Vorhof führte ein langer Weg dahin. Aber nur einmal im Jahr durfte der Hohepriester durch den Vorhang hineingehen. Das ist anders geworden seit Jesus am Kreuz starb. In jeder Stunde zerriß der Vorhang im Tempel von oben an bis unten aus. Nun steht der Weg offen, nicht mehr nur für den Hohepriester. Ich darf hineingehen zum Altar Gottes, zu dem Gott, der meine Freude und Wonne ist. Ich muß nur wollen, was ich darf. Es muß auch nicht im hohen Dom sein, wo der Altar von Weihrauchwolken umhüllt ist und Orgel, Chor und Orchester die Freude und Wonne reflektieren, die Gott einem jeden zugedacht hat. Jeder Tisch kann solch ein Altar sein, wenn Brot und Wein darauf stehen und der Diener Gottes tut, was Christus zu tun geboten hat.

LeerIch will hineingehen zum Altare Gottes und Gott die Ehre geben, die ihm gebührt. Ich will zurücklassen, was aufhält und beschwert. Ich will mich aus dem Vielfältigen hinwenden zu dem einen, das not tut. Ich will hineingehen, um dann wieder hinausgeschickt zu werden, Gottes Auftrag und Senden setzen voraus, daß ich nicht meine eigenen Ideen verwirkliche. Ich will mich senden lassen, seine Gebote zu erfüllen. Sein erstes Gebot aber lautet: Solches tut zu meinem Gedächtnis. Darum will ich hineingehen zum Altare Gottes, zu dem Gott, der meine Freude und Wonne ist. Unter dem Zeichen des Kreuzes gehe ich hinein. In diesem Zeichen ist der Vorhang zerrissen. Der Weg ist frei zum Allerheiligsten. Freude und Wonne sind nicht auf der Straße aufzulesen. Sie warten im Inneren auf mich. Aber der Weg zum Innersten ist frei. Ich brauche ihn mir nicht zu verdienen oder zu erkämpfen. Es gibt keine Vorbedingungen. Ich darf kommen, wie ich bin. Ich darf alles zurücklassen, was mir doch nicht wirklich Freude und Wonne gibt. Ich will hineingehen zum Altare Gottes, zu dem Gott, der meine Freude und Wonne ist.

Linie

Es sei stille vor ihm alle Welt

Leer"Der Herr ist in seinem heiligen Tempel. Es sei stille vor ihm alle Welt! " (Hab 2,20) Wenn ich das Hineingehen, den "Introitus", vollzogen habe, wenn ich das "Kyrie" und das "Ehre sei Gott in der Höhe" gerufen habe, dann ist es an der Zeit, daß ich ganz still werde. Nur in der Stille kann die Stimme des Herrn vernommen werden. So vernahm der Prophet auf dem Berg nicht im Erdbeben und nicht im Grollen des Donners und nicht im Heulen des Sturmwinds die Stimme des Herrn, sondern in einem feinen, stillen Sausen. Es dauert eine Weile, bis man ganz still wird. Die eigenen Stimmen und die fremden Stimmen müssen erst ganz zur Ruhe kommen. Die Zeit darf einem nicht zu lang werden. Das Ewige ist stille, laut die Vergänglichkeit. Nur an einer stillen Stelle legt Gott seinen Anker an. Wenn ich hineingehe zum Altare Gottes, will ich keine Parolen der Welt hören. Es sei stille vor ihm alle Welt. Gottes Liebe spricht sich aus im Wort. Das Wort der Bibel enthält Gottes Wort, sofern es Gottes Liebe enthält. Aber dies Wort der Liebe ist eingebettet in Schweigen. Es ist kein Schweigen des Todes, sondern ein Schweigen Gottes, in dem seine Liebe noch stärker redet als in Worten. Sein Schweigen wartet auf mein Schweigen, damit er sich im Innersten zu erkennen geben kann. Propheten, Evangelisten und Apostel leihen ihm ihre Stimme. Aber in diesen Worten sein Wort zu vernehmen, dazu bedarf es der tiefen Stille. Der Herr ist in seinem heiligen Tempel. Es sei stille vor ihm alle Welt. Ich will schweigen und meinen Mund nicht auftun. Ich will auf nichts anderes hören. Laß mich allein auf deine Stimme lauschen. "Rede, Herr, dein Knecht hört". (1 Sam 3,9)

Linie

Die Frucht der Lippen, das Lobopfer des Glaubens

LeerEs mag manchem wie ein Werk der Theologen erscheinen, wie eine schwere Last, die auferlegt wird: das mußt du glauben. Aber wer sollte uns solche Lasten auferlegen, mit den Werken solcher Mühsal uns den Weg versperren, den er selbst uns erschlossen hat? Der Vorhang ist zerrissen. Der Weg ins Innerste ist frei. Niemand kann uns hindern, hineinzugehen zum Altare Gottes, zu dem Gott, der meines Herzens Freude und Wonne ist. Vor ihm muß alle Welt schweigen, damit wir seine Stimme im Schweigen vernehmen. Seine Stimme lockt unsere Antwort hervor. Sein Wort legt uns Worte auf die Lippen, die eine Frucht seiner Worte sind. Das Opfer seiner Liebe weckt unsern Dank. Wir bringen unser Gotteslob dar wie ein Dankopfer. Nie können wir ihm wahrhaft würdig und angemessen danken. Unser Lob ist nur ein schwaches Echo. Es kommt uns von selbst auf die Lippen, wie eine Frucht der Lippen, die seinen Namen bekennen und preisen. (Hebr 13,15)

LeerWir versuchen, unsere eigenen Worte einzubringen in das Lobopfer unseres Glaubens. Aber es fehlen uns die rechten Worte. Wir gebrauchen die Worte der Väter aus alten Zeiten. Psalmen, Hymnen und Bekenntnisse, die wir kaum verstehen, hinter deren Sätzen wir das Eigentliche ahnen, die uns zu eigenem Bekennen ermutigen. Wir stehen auf den Schultern der Väter. Auch wenn wir anders reden wollen und müssen, können wir es doch nicht besser tun. Es bleibt immer unangemessen. Es kann nie zur Bürde eines Gesetzes werden. Unser Singen, Rühmen und Loben bleibt eine Frucht der Lippen, die das Lobopfer des Glaubens darbringen dürfen, weil er mit seinem Opfer alles für uns getan hat, uns von der Last des Müssens befreit hat. "Gib ewigliche Freiheit zu preisen deinen Namen durch Jesum Christum. Amen."

Linie

Erhebet die Herzen

LeerDer dreifache Wechselgesang aus der vorchristlichen Chaburah-Liturgie der in das "Heilig, heilig, heilig" mündet, erhebt die Feier der Eucharistie in eine besondere Dimension. "Erhebet die Herzen - wir erheben sie zum Herrn" - da werden Raum und Zeit ganz dicht, das Mysterium ist Gegenwart, wir gehen hinein ins Allerheiligste, wir sind in Jerusalem und begegnen dem Herrn mit unserem Hosianna. "Hochgelobt, der da kommt im Namen des Herrn. Hosanna in der Höhe."

LeerDas vierte Stück in den Kompositionen der Messe - Kyrie, Gloria, Credo, Sanctus - zeigt diesen Übergang in eine andere Dimension. Mit dem Propheten Jesaja sind wir im Tempel von Jerusalem und hören das Lobgetön der Engel mit dem dreifachen Heilig. Wir stimmen ein und rufen dem Herrn aller Mächte und Gewalten zu: Erfüllt sind Himmel und Erde von deiner Herrlichkeit. Aber dann treten wir mit dem Hosianna ein in das Innerste des Tempels: Hosanna sei, der da kommt im Namen des Herrn! Hosanna in der Höhe! So rufen die Kinder beim Einzug Jesu in Jerusalem. Und wenn die kunstvollen Bauten der Kirchen und die herrliche Gestalt der Altäre und die überschwengliche Gewalt der Töne es nicht mehr vermögen, so vermögen es noch immer die Herzen der Kinder: das Lobopfer einer Liturgie darzubringen, die uns hinübergeleitet in die andere Dimension des Mysteriums, in die sakramentale Gegenwart des Höchsten, vor der wir uns neigen: Herr, ich bin nicht wert, daß du eingehst unter mein Dach, aber sprich nur ein Wort, so wird meine Seele gesund.

Linie

Gedächtnis und Wandlung

LeerDas Lebendige beim Mahl des Herrn beruht nicht auf dem was wir tun. Wenn wir gehorsam tun, was der Herr uns zu tun geboten hat, so ist das Entscheidende dann doch, was der Heilige Geist tut, den wir herabrufen. Er bringt Bewegung und Leben in das Ganze, Sonst bliebe es ein bloß äußerlicher, geistiger Vorgang: daß wir uns erinnern. So aber wird das Gedächtnis zum "Memorial", zu einer konkreten Vergegenwärtigung des einmaligen Geschehens von Golgatha. Nicht daß wir es wiederholen könnten oder dürften oder sollten. Aber wir tun das Unsere, daß es aus der Vergangenheit in die Gegenwart geholt wird, indem wir den Heiligen Geist bitten, daß er es auch jetzt wieder in unsere Gegenwart holt, wie wir ihm entgegenwarten als ein offenes Gefäß, das sich von ihm erfüllen lassen will.

LeerSo führt das Gedächtnis zur Wandlung: wir werden gewandelt, indem wir erfüllt werden. Und wie wir neu erschaffen werden durch seine Liebe, so wird auch die ganze Welt neu erschaffen durch seine Liebe. Verwandlung der Welt durch den Heiligen Geist - das ist der große Horizont, in den uns die Feier der Eucharistie stellt. Da wirkt das Innerste des Mysteriums in das Äußerste der Welt hinaus und bewirkt, was wir nicht bewirken können. Unsere Ohnmacht bleibt nicht leeres Gefäß, sondern wird erfüllt von dem Feuer seiner göttlichen Liebe durch den Heiligen Geist.

Linie

Das Brot des Lebens und der Kelch des Heils

LeerWenn man das Weizenkorn aufhebt und konserviert, so bleibt es allein und unverändert. Wenn man es aber der Erde anvertraut, so wird es verwandelt. Es keimt und wächst zum Halm. Und nach der Blüte reift die Frucht dreißigfältig, sechzigfältig, hundertfältig (Mt 13,8). Die Halme werden gemäht und gedroschen, die Körner gemahlen, das Mehl im Teig durchsäuert und gebacken und das Brot gebrochen zur Nahrung. Ein wunderbarer Gang der Wandlung und Opferung! Das Brot, von dem wir leben, wird uns zum Zeichen des Lebens. Er selbst, Christus, wird uns zum Brot des Lebens.

LeerUnd der Kelch steht auf dem Altar, der Fuß ruht fest auf dem Tisch, der Kelch öffnet sich nach oben; wie unser Glaube, der bereit ist zu empfangen, was wir uns nicht selbst geben können.

LeerDer Weinstock wurzelt im Erdreich und wächst auf zum Licht. Sein knorriger Stamm leitet das Wasser aus der Tiefe in die Höhe und unter den Strahlen der Sonne wird es in den Trauben in süßen Saft verwandelt; und dieser, gekeltert und vergoren, wird gereinigt und verwandelt in den Wein voller Kraft und Feuer. Im Opfergang des Weines seht wiederum ein Zeichen vor uns. Wartet auf uns ein Kelch der Leiden oder ein Kelch des Heils und der Freude? In Christus wird beides eins. Leiden wird in Herrlichkeit verwandelt.

Linie

Einswerden und Sendung

LeerVon der Sendung hat die Feier der Eucharistie den Namen "Messe" erhalten. Auf diese Sendung läuft alles zu. Wir gehen hinein zum Altare Gottes, um uns von neuem senden zu lassen. Was die Kirche tut und was wir mit der Kirche tun, dient nicht zum Aufrechterhalten des Lebens der Kirche. Die Kirche ist für die Welt da. Der Welt dient das Sakrament. Das Allerinnerste dient dem Alleräußersten. Dieser Spannungsbogen steht wie ein Regenbogen über der Kirche in dieser Welt. Alles wird unter diesem Zeichen des Friedens und der Einheit beschlossen. Über der Sintflut steht der siebenfarbene Bogen des Friedens, die Eröffnung eines neuen Lebens für die ganze Welt.

LeerWir können diesen Bogen nicht erstellen. Aber wir können hineingehen zum Altare Gottes; wir können stille werden, um zu hören; wir können das Lobopfer unseres Glaubens darbringen mit Brot und Wein und unsere Herzen erheben in die andere Dimension, in der Gottes Heiliger Geist uns bewegt und verwandelt. Wenn wir Eins werden mit dem Herrn des Lebens - er in uns und wir in ihm dann wird ganz von selbst von dieser Kommunion die Kraft der Einswerdung in unser Leben mit uns gehen und in diese zerrissene Welt hineinwirken. Das hat er in seiner Vorsorge uns als Testament hinterlassen: die Einladung, zu kommen und die Zusage, uns zu senden.

Quatember 1989, S. 210-215

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-11-21
Haftungsausschluss
TOP