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Der Christus-Rosenkranz
von Rudolf Ehrat

LeerSchon in den Sechziger Jahren hat es in der Michaelsbruderschaft Bemühungen gegeben um die Wiedergewinnung einer meditativen Gebetsweise. Es war vorab Paul Rohleder, der Hausvater von Kloster Kirchberg, der versuchte, mit für solches Beten hilfreichen Elementen eine Gebetsform anzubieten, die auch von evangelischen Christen aufgenommen werden könnte. So schenkte er uns sein "Kranzgebet", das er im Untertitel bezeichnete als "eine Anleitung zu biblischer Gebetsandacht für den einzelnen und für die Gemeinde". Es sollte eine Hilfe sein zum verweilenden, betenden Betrachten ausgewählter biblischer Inhalte, etwa der Seligpreisungen oder der johanneischen lch-bin-Worte Jesu. Paul Rohleder hat des öftern mit uns das Kranzgebet gebetet. Wer sich in diese Übung hineingab, empfand ein starkes Geborgensein dank diesem einen, in sich geschlossenen, begrenzten Gedankenkreis, der durch das biblische Thema gegeben war.

LeerDoch, obwohl gewisse Gebetsrufe sich mehrmals wiederholten, blieb das Kranzgebet noch zu sehr dem Gedanklichen verhaftet. Es mangelte ihm dieses ganz Einfache, das unserem Herzschlag oder auch unserem Atem eigen ist: Wir atmen in unablässiger rhythmischer Wiederholung, und unser Herz schlägt unablässig gleich. Nicht das Vielerlei und nicht der sichtende und planende Verstand führen uns in den Raum meditativen Betens, sondern das ganz Einfache und stets sich Wiederholende. Wir mußten immer deutlicher gerade diese Qualität des liebenden Verweilens dem marianischen Rosenkranzbeten unserer katholischen Mitchristen zuerkennen, Wie die Liebe immerzu das gleiche sagt und sich doch nie wiederholt, erschien mir dieses katholische Beten, das ich besonders eindrücklich und mit immer größerem Staunen vor vielen Jahren bei einer sechsundachtzigjährigen Walliser Bäuerin miterlebte, die jeden Nachmittag für ihre an Krebs erkrankte Tochter alle drei Geheimnisreihen des Rosenkranzes betete. Aber wir Evangelischen, wir konnten dieses marianische Gebet nicht einfach übernehmen.

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LeerFür Menschen, die nicht in dieser Übung aufgewachsen und durch sie geprägt worden sind, ist dieses katholische Gebet nicht zugänglich wegen der das ganze Gebet bestimmenden Einkleidung der Betrachtung des Heilandslebens in die stets sich wiederholende Anrede an Maria. Abgesehen von der theologischen Frage, ob es sinnvoll und möglich ist, Maria als von Gott begnadeten Menschen, aber eben doch als Menschen, nicht nur verehrend zu grüßen, sondern immer wieder betend anzurufen, erscheint es doch, auch wenn man das noch vermöchte, nicht angemessen, in einer Gebetsfolge sich zehnmal an Maria zu wenden, während man jeweils nur einmal nach Jesu Weisung zum Vater im Himmel betet. Dieses unangemessene Verhältnis verschließt denen den Zugang zu dieser Gebetsart, für die die Mitte ihres Glaubens und Vertrauens Jesus Christus ist. Zwar vermag ein Hans Urs von Balthasar in seinem Büchlein ''Der dreifache Kranz'' dieses Hindernis mit tiefen und sehr schönen, weisen Gedanken zu überwinden; doch bleibt eben beim Beten, bei dem, was der Mund sagt und singt, die Diskrepanz bestehen, da ja in die Stunde des verweilenden Betens nicht all diese hohen Reflexionen mit hineingenommen werden können noch sollen.

LeerEs verhält sich bei diesem meditativen Beten ganz gleich wie beim Singen, wie wir es in vorzüglicher Weise in Taizé erleben und lernen dürfen. Frère Roger sagt davon: "'Nichts trägt ein persönliches inneres Leben, selbst auch in den Wüstenzonen, so stark wie ein weit ausladendes gemeinsames Gebet, meditativ und jedem Alter zugänglich. Ein Gebet, das seinen Höhepunkt in Gesängen findet, die kein Ende nehmen und in dir weiterklingen, wenn du wieder allein bist."

LeerUnd welches ist nun dieser Gesang, diese Melodie beim Rosenkranzgebet, die weiterklingt in mir, auch wenn ich vom Gebet aufstehe und die Alltagsgeschäfte mich wieder einfangen? Diese Melodie, die tief in mich eindringt und in mich hineinsinkt, das ist der Rahmenvers - im marianischen Rosenkranz eben der 10malige Anruf und Bittruf an Maria.

LeerUnd so haben wir denn, Herbert Golzen, Walter Stökl und ich, an eben diesem Punkt angesetzt, wie wir doch nicht lassen wollten vom Versuch, ein Kranz-Gebet zu schaffen, das wir in biblischer Treue und ökumenischer Offenheit allen Christen anbieten könnten. Ja, wir wollten ganz beim seit Jahrhunderten erprobten und bewährten Aufbau des Rosenkranzes bleiben, sogar beim Namen Rosenkranz, der alle in den Jahrhunderten mit frommer Andacht gefüllten Räume erschließt und auch gleich deutlich erkennen läßt, daß es hierbei um ein verweilendes, wiederholendes Beten geht. Aber der eine Name, den wollten wir voranstellen: Christus-Rosenkranz sollte das Gebet heißen, und die 150mal wiederkehrende Melodie sollte nun deutlich auf seinen Namen gestimmt sein. Und so saßen wir denn gar oft zusammen in Herben Goltzens Stube in Weißensee bei Füssen, und wir erwogen hin und her, schon fast jedes Wort dieses Rahmenverses, der nun lautet:
GEPRIESEN SEI DER HERR DER ALLMÄCHTIGE UND BARMHERZIGE GOTTES UND MARIEN SOHN

(es folgt der Geheimnis-Satz und darauf der Abschluß-Rahmenvers:)

WIR BETEN DICH AN HERR JESU CHRISTE UND BENEDEIEN DICH.
IN DEINEM HEILIGEN KREUZ HAST DU DIE WELT ERLÖST.
LeerWir haben uns dabei nicht gescheut, uns beim Eingangsvers für eine sehr verbundene, beziehungs- und bedeutungsreiche Formulierung zu entscheiden, die sowohl auf das Geheimnis der Trinität wie der Inkarnation hinweist. Und daß wir das wenigstens noch aus Weihnachtsliedern bekannte, klangschöne 'Benedeien' beibehalten durften, war uns gewiß, sowohl des Wortrhythmus wegen wie auch wegen seiner Nähe zum hebräischen beracha und dem griechischen eulogein. Und sehr bedeutsam wurde uns, daß wir in der vierten Zeile das ''denn durch dein heiliges Kreuz'' ersetzten mit dem einfachen ''in deinem heiligen Kreuz''. Wir versuchten damit wegzukommen von kausalem Denken, hin zu einem fortwirkenden Geschehen.

LeerNicht minder wichtig waren uns bei unseren Beratungen und dann bei allem betenden Üben der einmal gefundenen Formulierungen die Geheimnissätze. Geheimnissätze heißen jene zwischen die beiden Rahmenverse eingeschobenen Sätze, die ein Ereignis des Heilsmysteriums in Christus nennen. Nachdem wir im einleitenden Rahmenvers Christus lobpreisend bei seinem Namen gerufen haben, nennen wir in dem Betrachtungssatz, was ER für uns ist und für uns tut:
"DER BEI UNS SEIN WILL BIS ANS ENDE DER WELT"
"DER DA THRONT ZUR RECHTEN DES VATERS""
"DER SEINE KIRCHE LEITET DURCH DEN HEILIGEN GEIST"
"DER UNSERN HUNGER STILLT MIT DEM BROT DES LEBENS"
"DER UNS RUFEN WIRD ZUM HIMMLISCHEN FREUDENMAHL"
LeerJedes dieser "Bilder" seiner helfenden, heilenden, erlösenden Liebe steht so lange vor unserem inneren Blick, wie die zehnfache Wiederholung des Betrachtungsgebetes dauert. Wir legen im Christus-Rosenkranz acht solcher Geheimnisreihen vor, acht sogenannte 'Gesätze'. Vier dieser Reihen folgen der Botschaft, wie sie uns im Laufe des Kirchenjahres erreichen will und nennen in der Überschrift das jeweilig zur Betrachtung angedeutete Geheimnis:
"DIE MENSCHWERDUNG DES HERRN"
"DER LEIDENDE HERR"
"DER AUFERSTANDENE HERR"
"DER ERHÖHTE HERR".
LeerDie vier weiteren Geheimnisreihen stellen uns hinein in "die eine heilige Kirche - die Gemeinschaft der Heiligen" und tragen die folgenden Überschriften:
"DER HERR DER KIRCHE" (oben ausgeführt)
"DER DIENST DER ENGEL"
"DIE MUTTER DES HERRN"
"DIE WOLKE DER ZEUGEN".
LeerNatürlich könnten zahlreiche weitere Reihen von Betrachtungspunkten zusammengestellt werden. Romano Guardini hat so für das ganze Kirchenjahr aus den Evangelien und Episteln eine Fülle solcher Reihen von je fünf Betrachtungspunkten vorgeschlagen. Wir meinen jedoch, daß wir nicht zu viele wechselnde Inhalte suchen sollten. Das Rosenkranz-Gebet hat nicht das Ziel, viele biblische oder dogmatische Inhalte einzuprägen. Seine hilfreiche Kraft erweist sich darin, daß uns wenige, grundlegende Wirklichkeiten Seines Wirkens und unseres Heils gegenwärtig werden, daß wir uns in Seine Gegenwart hineinbergen. Wir halten es deshalb auch für hilfreich, wenn im Gebetsvollzug der Geheimnissatz nur vom Vorbeter gesprochen wird, hinein in die Stille der mitbetenden Gemeinschaft. Damit ist es auch nur für den Vorbeter nötig, die schriftliche Vorlage bei sich zu haben, denn alle anderen Stücke sind allermeist 'par coeur' bekannt.

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LeerDie Vorlage zum Christus-Rosenkranz liegt übrigens gedruckt vor. Walter Egli hat uns die Gebetsordnung auf einem Faltblatt und die acht Gesätze auf einem Einlegeblatt sehr schön geschrieben und als Hilfe die fünf Rosenbäume mit den 10 Knospen als Hintergrund dazugezeichnet. Und eine weitere Hilfe, aber auch wieder nur für den oder die zwei Vorbeter gedacht: natürlich die Perlenschnur. Sie dient der gesammelten Ausführung des Gebetes selbst. Die Gebetsschnur hilft mit ihren großen und kleinen Perlen, die Abfolge und die Zahl der einzelnen Gebete abzumessen. Die Finger, die nacheinander die Perlen abtasten, nehmen dem Bewußtsein die ablenkende Mühe ab, die Gebete zählen zu müssen.

LeerDas meditative, verweilende Beten will gelernt sein. Es gelingt demjenigen leichter, sich in diese Gebetsübung einzulassen, der in meditativer Stille gelernt hat, loszulassen und vom zweckgerichteten, diskursiven Denken loszukommen. Hier soll nicht reflektiert werden; hier sind wir eingeladen, uns vor Gott ganz zu lassen und IHM in seinen Wundern Liebes, dauernd wiederholend, zu sagen. Damit ist es auch völlig klar, daß es hier niemals um eine Pensumerfüllung geht, niemals mit der Quantität der Gebete gerechnet wird, sondern nur das eine wirklich werden will: der Lobpreis, die Anbetung. Daß solches laut werden möge in unseren Karnmern und evangelischen Kirchen, dafür steht uns das Angebot des Christus-Rosenkranzes.

LeerUnd weil ein Sich-Hineinfinden in das verweilende, meditative Beten uns Evangelischen leichter fällt in der Gemeinschaft, künden wir auch eine Einübungswoche in das Beten des Christus-Rosenkranzes an, für die Zeit vom 25. bis 30. September 1990 in Kloster Kirchberg.

LeerBei all den Bemühungen um das Kranzgebet dachte ich immer wieder besonders an zwei neutestamentliche Stellen: jene eine, wo uns erzählt wird von dem einen Freund, der dem anderen willfährt "um seines unverschämten Geilens willen" (Lukas 1 1,8), und dann an jene demütig-zuversichtliche Aussage des Apostels, wo er im Römerbrief schreibt: "Wir wissen nicht, was wir beten sollen ...; aber der Geist selbst tritt für uns ein mit unaussprechlichem Seufzen" (Römer 8,26). So ausgespannt vor Gott im andringenden Flehen und in ganz auf IHN selbst angewiesener Schwachheit - so ist unsere Lage als Betende, auch als Betende mit dem Christus-Rosenkranz.

© Rudolf Ehrat
Quatember 1990, S. 86 - 90

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-11-21
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