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Alex Johnson - ein Leben im Spannungsfeld
von Ove Hestvold
Aus dem Norwegischen übersetzt von Hildegart Mumm

LeerDer norwegische Bischof Alexander Lange (Alex) Johnson (1910-1989) gehörte einem Geschlecht an, das durch Generationen zentralen Einfluß innerhalb der norwegischen Kirche und Mission ausübte. - 1934 studierte er, als theologischer Stipendiat, in Marburg unter Rudolf Bultmann. Während dieser Zeit lernte er den Nationalsozialismus aus nächster Nähe kennen. Bultmann benutzte ihn als Kurier zu Martin Niemöller in Berlin.

LeerAlex Johnson, der sich während der deutschen Okkupation als ein sehr aktiver Widerstandsmann beteiligte, wurde der Vertreter der Kirche Norwegens im Koordinationskomitee, das sich später zur Leitung der heimlichen Heimatfront entwickelte.

LeerIn seiner Biographie »Alex Johnson, Ein Leben im Spannungsfeld« beschreibt der Verfasser Ove Hestvold im Kapitel »Mit dem Leben in den Händen«, seinen Kriegseinsatz, seinen Kontakt mit der deutschen Untergrundbewegung, u.a. mit Mitgliedern der Michaelsbruderschaft, und was diese Begegnung für ihn bedeutete. Im hier übersetzten Teil dieses Kapitels wird eben dieses behandelt:

LeerAlex Johnsons Hauptanliegen war die ganze Zeit über das »Koordinationskomitee«: Er leitete seit Januar 1942 die Organisierung des Widerstandes in allen Gesellschaftsgruppen (Ärzte, Juristen, Ingenieure, Lehrer, Studienräte, Pfarrer, Industrielle, Landwirte, Beamte). Um die Jahreswende 1944/45 änderte er den Namen um in »Leitung der Heimatfront«, da er allmählich als eine heimliche »Heimatregierung« fungierte. Eine spezielle Prägung dieser Arbeit sollte seine Beziehung zum Ordo Crucis mit einbringen. Odd Godal, einer der späteren Leiter des Ordo Crucis, und seine Frau Randi, Tochter des Richters Johan Bojer, hatten 1934 in Wien den Dr. theol. Herbert Krimm, damals Vikar an der Wiener Evangelischen Stadtkirche, kennen gelernt, welcher der dem Ordo Crucis ziemlich ähnlichen Michaelsbruderschaft angehörte. Damit war der Kontakt geschlossen mit einer Gruppe, die später, während des Krieges, in hohem Grad »das andere Deutschland« repräsentierte. Mehrere der Michaelsbrüder standen den Männern des 20. Juli sehr nahe.

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LeerEs war verständlich, daß die Kontakte der Michaelsbrüder zu der einen Gruppe der Männer des 20. Juli gingen, nämlich der um Helmuth James Graf v.Moltke aus dem Kreisauer Kreis, indem auch Dietrich Bonhoeffer daheim war, die andere war die Gruppe um Goerdeler.

LeerGraf v. Moltke war christlicher Sozialist und eine ungewöhnliche Persönlichkeit. Das kam nicht zuletzt zum Ausdruck in dem Gerichtsverfahren gegen ihn und in dem letzten Brief aus dem Gefängnis in Plötzensee an seine Gattin, Freya Gräfin Moltke, bevor er hingerichtet wurde.

LeerMoltke und Bonhoeffer hatten Beziehungen zur Abwehr, deren Chef Canaris war. Beide besuchten Norwegen und bekamen Kontakt mit den Leuten des Koordinationskomitees. Ordo Crucis hat nach dem Krieg den näheren Kontakt zur Michaelsbruderschaft weiter gepflegt, auch auf dem Hintergrund des gemeinsamen Kampfes gegen Hitler, den sie teilweise auch zusammen in Norwegen ausgefochten hatten. Außer Herbert Krimm, der später Professor in Heidelberg war und damals als Soldat in Norwegen diente, kamen auch die Michaelsbrüder Theodor Steltzer und Friedrich Schauer, Steltzer vom 1. August 1940 an. Er nahm Kontakt zu den Brüdern des Ordo Crucis auf, aber auf geheimen Wegen auch zu Bischof Berggrav, der den Kontakt weiter vermittelte zu Jens Chr. Hauge und Arvid Brodersen. Hauge war Jurist, Chef von »Milorg«, dem Verband von über ganz Norwegen verstreuten Untergrundgruppen bewaffneter Widerstandskämpfer, der bei Kriegsschluß rund 40.000 Mann umfaßte, und Brodersen, in Deutschland ausgebildeter Soziologe, hatte besondere Verantwortung für den Kontakt mit »dem anderen Deutschland«.

LeerSteltzers wichtige Rolle im norwegischen Widerstandskampf während der vier Jahre, die er hier war, ist ausführlich beschrieben in Arvid Brodersens Buch: »Zwischen den Fronten«, das auch ein feines Bild von Steltzers Persönlichkeit gibt. Dank dem energischen Einsatz von Brodersen gegenüber Himmler, vermittelt durch Himmlers Masseur Kersten, wurde Steltzer vor dem Tod am Galgen, nach dem Attentat des 20. Juli, gerettet.

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LeerFür Alex Johnson bedeutete der Kontakt mit Steltzer, Schauer, Fritjof Hammersen, Bonhoeffer, Moltke und anderen etwas ganz Wesentliches für sein Erleben des Widerstandskampfes. Die Gewißheit, daß es auch ein »anderes Deutschland« gab, daß sie dort Bundesgenossen hatten, die ihr Leben aufs Spiel setzten gegen die Tyrannei, bedeutet eine christliche und menschliche Gemeinschaft hinter der Gewalt der abgründigen Bosheit der Gestapo und SS.

LeerEs bedeutete so viel für ihn und andere im Koordinationskomitee, daß sie untereinander gerne und oft darüber redeten, daß in Wirklichkeit Bürgerkrieg in Deutschland sei, selbst wenn deutlich wurde, daß der aktive deutsche Widerstand gegen Hitler nur auf einige wenige begrenzt war. Die Engländer, mit Churchill an der Spitze, schlossen Augen und Ohren vor allem Reden über »das andere Deutschland« - die Untergrundbewegung dort - und waren nicht interessiert an jeglichem Kontakt.

LeerAber in Norwegen bekamen Alex Johnson und andere Glieder der Heimatfront Anteil an dem, was geschah. Während seines dritten Besuchs in Norwegen, am 16. März 1943, erzählte Moltke zum erstenmal jemandem im Ausland etwas über das Geschehen an der Universität in München durch »Die Weiße Rose«, durch das Geschwisterpaar Hans und Sophie Scholl. »Die Weiße Rose« verbreitete Flugblätter nicht nur in München, sondern auch in Frankfurt, Salzburg, Linz, Wien, Augsburg und Stuttgart. Und am 15. Juli 1944, fünf Tage vor dem Attentat gegen Hitler, informierte Steltzer ausführlich über das, was geschehen sollte.

LeerMoltke konnte die norwegischen Widerstandsfront auch aufmuntern und beeinflussen. Während seines vierten und letzten Besuches, 3. bis 5. Oktober 1943, sah er, wie Müdigkeit und Mutlosigkeit am Widerstandswillen vor einem neuen Kriegswinter zu zehren begannen. Moltke tröstete seine norwegischen Freunde damit, daß wir es doch trotz allem viel leichter hätten, die wir gesammelt unter unserer Leitung gegen die Fremdgewalt stünden, als die paar in Deutschland, die die innere Freiheit und Stärke hätten, sich aufzulehnen.

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LeerBrodersen erzählt von den Grenzen der Information im gegenseitigen Kontakt zwischen der Heimatfront und den Leuten des deutschen Widerstands in Norwegen. Für die Deutschen galt es, das Leben von Norwegern zu retten oder auch für den norwegischen Widerstandskampf vorzubereiten, aber doch nicht als militärische Spione aufzutreten. Ab und zu waren die Grenzen fließend. Steltzer schätzte die deutschen Truppen auf 340.000 Mann, ehe Rendulic mit seiner Armee von Finnland kam, und gab die Zahl der Kriegsgefangenen in Norwegen mit 100.000 Mann an. Was diese Gefangenen betraf, so gab er auch ausführliche Berichte über die einzelnen Lager. Diese beiden Zahlen waren für die militärischen Führer der Alliierten überraschend hoch, aber korrekt.

LeerAber als Alex Johnson auf Druck aus England hin Steltzer fragte, wohin in Deutschland das »Schwere Wasser« (H2O2) gebracht werden sollte - es galt Peenemünde anzupeilen -, antwortete Steltzer ruhig: »Hier ist die Grenze.« Das »Schwerwasser« wurde mit zwei Sauerstoffatomen (H2O2) in Rjukan (Norwegen) von Norsk Hydro produziert und war in der Anfangsphase für die Herstellung der Atombombe notwendig.

LeerSchauer, der ihn z.B. darüber aufklären konnte, daß ein Sender in Homansbyen, einem Stadtteil von Oslo, erkannt worden sei und anderswohin versetzt werden müßte, war auf der anderen Seite erschrocken, als er, als Flüchtling in Schweden, in einer Zeitung las, daß Alex Johnson mit in der Leitung der Heimatfront gewesen sei. Der Direktor des Nordischen Ökumenischen Instituts, Harry Johansson, erzählt, Schauer sei leichenblaß geworden und hätte gesagt: »Gott sei Dank, daß ich das nicht wußte«, im Gedanken daran, wieviele Auskünfte er Alex Johnson gegeben hatte, was er sonst aber unterlassen hätte.

LeerIn ihrem Kampf gibt es für Alex Johnson und die anderen Mitglieder im Koordinationskomitee zwei dunkle Kapitel. Das eine gilt der Verhaftung der Juden am 26. Oktober 1942. Es ist schwierig, sich von den Gedanken zu lösen, sie hätten doch wissen müssen, was mit diesen geschehen sollte. Das andere galt dem »Gesetz über allgemeinen nationalen Arbeitseinsatz vom 22. Februar 1943«, dem sogenannten »Arbeitsdienst«. Das Koordinationskomitee sammelte sich zu spät zum Widerstand dagegen. Aber wenn dieser Vorwurf auch wie eine offene Frage da liegt, ist es leicht, hinterher alles besser zu wissen, was viele jetzt in den achtziger Jahren versuchten.

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LeerEs ist aber nicht leicht nachzuweisen, daß jemand gegen besseres Wissen gehandelt hätte. Wie Arvid Brodersen aufzeigt, wurde die Judenaktion durchgeführt als eine scheinbar »norwegische« Aktion, in der die Gestapo unter der Decke der norwegischen nationalsozialistischen Partei handelte. In Norwegen wußte man nichts von den Schreckensmeldungen, die zum Vatikan, nach London und Washington gekommen waren und die im übrigen niemand dort glaubte. Torolf Elster, Verfasser und Chefideologe der Norwegischen Arbeiterpartei (später Chef des Norwegischen Rundfunks), der in Stockholm den »Handschlag« herausgab, schrieb am 21. November 1942, daß es sich um eine Übersiedlung zu Zwangsarbeit handle, entweder in Nord-Norwegen oder in Polen. Wenn die Frage dennoch in Alex Johnson brennt, dann, weil er »Mein Kampf« gelesen hatte und wußte und sich daran erinnerte, was Hitler mit unerwünschten Rassen, Gruppen und Einzelindividuen tun wollte. Aber er hatte es sich doch nicht träumen lassen, daß Hitler es auch wirklich ausführen würde.

LeerGraf Moltke hatte während seines September-Besuchs in Oslo im gleichen Herbst vor der Aktion gewarnt, von der er wußte, daß sie kommen würde, aber ohne zu wissen, wie und wozu. Er wußte noch nicht, was mit den Juden geschah. Einen Monat später wußte er um Massenmord und Gaskammern und war in Dänemark dabei, als die Deutschen - ein Jahr später - gegen die dänischen Juden vorgehen wollten. Nach der geglückten Rettungsaktion konnte er ausrufen: »Hitler wollte 6.000 haben und bekam nicht einmal 200!«

LeerDie ungeschickte Handhabung des Koordinationskomitees gegen die Zwangsaushebung zum Arbeitsdienst hatte zum Glück nicht die gleichen schicksalsschweren Folgen. Aber als die Parole von der Leitung der Heimatfront endlich kam, war es so spät, daß viele schon zum Arbeitsdienst eingezogen waren, besonders aus den Landgemeinden.

LeerIm Alter bekommt man einen Überblick über die Lebenslandschaft, in der einiges sich über anderes heraushebt. Bei denen, die ihren Platz im Widerstandskampf gefunden hatten, blieben die Kriegsjahre als ein eigenes Kapitel bestehen, nicht zu vergleichen mit irgend etwas anderem früher oder später. Solch ein Einsatz, der alles an Willen, Gaben und Kräften erforderte, noch dazu in einer Gemeinschaft, die nur ein solcher Kampf geben kann, ragt wie ein hoher Berg im Leben heraus. In Norwegen wurden wir von vielem verschont, so daß die positiven Erlebnisse in der Erinnerung dominieren dürfen.

Quatember 1992, S. 17-21

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-08-15
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