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In der Sackgasse - oder auf holprigem Weg?
von Sigisbert Kraft

Leer»Meinen Sie, Sie haben verstanden, wer Jesus Christus ist, und wissen nicht, wer Sie selbst sind? Woher wollen Sie denn wissen, daß Sie Jesus Christus verstanden haben? Wer ist denn derjenige, der etwas versteht? Finden Sie das erst einmal heraus. Das ist die Grundlage von allem. Weil wir uns darüber nicht im klaren sind, gibt es immer noch all diese engstirnigen religiösen Leute, die ihre sinnlosen religiösen Kriege führen - Moslems gegen Juden, Protestanten gegen Katholiken, und so weiter. Sie wissen nicht, wer sie sind, denn wenn sie es wüßten, gäbe es keine Kriege.
So wie ein kleines Mädchen einen kleinen Jungen fragte: >Bist du Presbyterianer?< Darauf antwortete der Junge: >Nein, wir haben eine andere Konfrontation!< «
Anthony de Mello SJ.


Ein Wort für die Welt?

LeerVor einem Jahr, vom 7. bis 20. Februar 1991, trat im australischen Canberra »im Zeichen des Heiligen Geistes« die 7. Vollversammlung des Weltrats der Kirchen zusammen. Wie bereits im Jahr zuvor, bei der Weltversammlung für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung in Seoul (5.-12. März 1990), erwarteten viele ein Wort der Kirchen, das die Welt nicht überhören könne. Inhaltlich war die Erwartung mit dem »Konziliaren Prozeß« verbunden, aber vor allem galt die ökumenische Stimme als Autorität. Von Christen, die mit einem Munde reden, erhofften viele das Orientierungszeichen der Stadt auf dem Berg, des Lichtes auf dem Leuchter (Matthäus 5,14.15). Und heute? Auch prophetische Stimmen, die das Wort der Kirchen einforderten, sind nicht mehr vernehmbar Die Bemerkung eines Journalisten, nach Canberra sei der Kurswert der Ökumene rapide abgesunken, ist kaum zu widerlegen. Zu Pfingsten 1989, bei der Europäischen Ökumenischen Versammlung in Basel, konnte man an Hölderlins Zeile »So viel Anfang war nie« denken. Es war der erste große ökumenische Anlaß, den alle Kirchen - einschließlich der römisch-katholischen - in gemeinsamer Verantwortung trugen. Die Übereinstimmung war über alles Erwarten groß; auch im gemeinsamen Glaubenszeugnis. Den Weg des Schiffes mit dem Aachener Friedenskreuz von den Niederlanden bis Basel säumten Tausende, die sich fröhlich feiernd und betend als das eine Volk Gottes erfuhren. Wer wartet heute noch auf ein Schiff, das sich Ökumene nennt? Wer liest und bedenkt, erwägt und bespricht die Texte von Königstein und Stuttgart, von Magdeburg und Dresden, von Basel, Seoul und Canberra? Viele Synoden des vergangenen Jahres, auch unsere Bistumssynode, fanden kaum Zeit, sich mit den Ergebnissen der Vollversammlung des Ökumenischen Rates zu beschäftigen. Nun steht die Konferenz Europäischer Kirchen im September in Prag bevor. Wer weiß davon, von Insidern abgesehen?.

Neue Vorbehalte, neue Spannungen

LeerDie Freiheit der Kirchen in den Ländern des Ostblocks war zu Pfingsten 1989 in Basel noch ein Traum. Aber sie führte vielerorts zu ökumenischen Vorbehalten und Spannungen. Man sagt dort, nur regimetreue Kreise hätten bisher in diesen Ländern die Ökumene vertreten und zu internationalen Konferenzen ausreisen können. Führende Kirchenvertreter seien den kommunistischen Machthabern und ihren Geheimdiensten verbunden gewesen, und nicht wenige von ihnen bis zur Stunde in Amt und Würden. Exilkirchen im Westen, vor allem der Russen und der Rumänen, betonen nach wir vor ihre Distanz zur Heimatkirche.

LeerIn Rußland entstanden erhebliche Schwierigkeiten, weil die mit Rom unierten Ostkirchen gleiche Freiheit wie die Orthodoxen beanspruchen. Das geschieht da und dort mit Gewalt und Gegengewalt. Auch die von der Sowjetregierung verbotene autokephale ukrainisch-orthodoxe Kirche pocht auf ihre Rechte und hat ihren Patriarchen und ihre Bischöfe aus dem Exil zurückgeholt. Evangelische Kirchen beklagen die großen Schwierigkeiten, die bei der Rückerstattung ihres vom Staat beschlagnahmten Eigentums entstehen. In Polen belastet die politische Einflußnahme der römisch-katholischen Kirche nach der Wende das zwischenkirchliche Verhältnis. Mit dem unseligen Bürgerkrieg im zerbrochenen Jugoslawien sind auch die konfessionellen Gegensätze vermengt. So ist das Vertrauen zwischen den Konfessionen in Ost- und Südosteuropa geschwächt. Der Vizesekretär des Päpstlichen Rates für die Einheit der Christen, Prälat Eleuterio Fortino, äußerte dieser Tage, er glaube nicht, »daß es in naher Zukunft möglich sein wird, auf ökumenischer Basis Arbeitsplattformen, etwa für die Neuevangelisierung, erreichen zu können«, obgleich das Arbeitsfeld »immens« sei.

LeerIn Deutschland stieg seit dem Sommer des Vorjahrs die Zahl der Kirchenaustritte sprunghaft an. Dazu kommen nicht wenige, die sich den Weg zur Behörde sparen und einfach beim nächsten Wohnungswechsel die Spalte mit der Konfessionsangabe leer lassen. Vielerorts wird das Bild des Kirchenalltags, da und dort auch des normalen Sonntags, vom Gläubigermangel bestimmt. Die Gottesdienstbesucherzahlen sind vielfach rückläufig. Die kirchengewohnte Generation der Älteren reduziert sich durch Krankheit und Todesfälle.

LeerBedenklicher stimmt freilich, daß die Kirchenaustrittswelle die Kirchenleitungen nicht alarmiert und veranlaßt hat, runde Tische einzurichten, an denen gemeinsam Wege der Neuevangelisierung beraten werden. Denn die wenigsten verlassen die Kirchen konfessionsbezogen, und die Entfremdeten können auch nicht nur konfessionsbezogen wieder erreicht werden. Müßten wir in unseren Kirchen nicht, ähnlich wie in der Not der NS- und DDR-Zeiten, auch aus dieser Notlage den Ruf zur Einheit, zum Tun, das uns eint, hören? Schon vor Jahren hieß es: Alles gemeinsam tun, was man nicht getrennt tun muß!

LeerWas hindert uns daran?

LeerIst es nicht die Angst der Kirchen, unsere eigene eingeschlossen, die Angst um die konfessionelle Besitzstandwahrung, die Angst vor der Minderung der eigenen Reputation, die Angst, daß bei Dialogen die eigene Sprache und Gewohnheit in Frage gestellt werden, die Angst, nicht genügend modern oder genügend konservativ zu sein? Vor allem ist es die im Grunde unverständliche Angst davor, sich auf das Wort des lebendigen Gottes einzulassen und dadurch unsere eigenen großen Worte, die alten wie die neuen, in Frage stellen zu lassen.


Europa

LeerÜber Mission und Evangelisierung in Europa berieten sich vom 13. -17. November 1991 im Jakobus-Wallfahrtsort Santiago de Compostela Vertreter der Konferenz Europäischer Kirchen (KEK) und der Europäischen Römisch-Katholischen Bischofskonferenzen. Der kurz darauf plötzlich verstorbene evangelische Bischof Hans-Gernot Jung aus Kassel hatte dabei noch engagiert mitgetan. Bei der wenige Tage später in Rom zusammengetretenen Bischofssynode zur gleichen Thematik wurde von diesem Treffen und von der Zusammenarbeit mit den in der KEK verbundenen nicht-römisch-katholischen Kirchen überhaupt nicht mehr offiziell gesprochen. Aus anderen Kirchen (nicht aus der Utrechter Union) waren »brüderliche Delegierte« eingeladen. Aber die russisch-orthodoxe und mehrere andere orthodoxe Kirchen lehnten die Einladung von vorneherein ab. Der Vertreter des Ökumenischen Patriarchats von Konstantinopel, Metropolit Spyridon, sparte nicht mit herben Vorwürfen gegenüber den vatikanischen Gastgebern. Die römisch-katholische Kirche habe den Weg des 2. Vatikanischen Konzils verlassen, in ihren Ortskirchen in Osteuropa werde Gewalt geübt, orthodoxe Christen würden abgeworben.

LeerMan muß sich daran erinnern, daß Patriarch Alexej von Moskau noch immer den Vorsitz der KEK innehat und der Versammlung in Basel zusammen mit Kardinal Martini von Mailand vorgestanden hat. Der neue Ökumenische Patriarch, Bartholomaios I. von Konstantinopel, waren Canberra Copräsident des Weisungsausschusses und wurde in den Zentral- und Exekutivausschuß des Ökumenischen Rates gewählt.

LeerBeide Männer sind demnach alles andere als ökumenisch reserviert.

LeerIn der Wochenzeitung »Christ in der Gegenwart« (1991/52, S. 428) spricht der erfahrene Ökumeniker Manfred Plate im Zusammenhang mit der römischen Bischofssynode von der »Ökumene auf holprigem Weg« und stellt fest: »Manche Äußerungen des Kardinalstaatssekretärs Sodano - der leider kein Casaroli ist, wie auch der jetzige Leiter des Einheitssekretariats Cassidy kein Willebrands ist - befremdeten und zeigten, daß un-ökumenisch fühlende Männer nach wie vor eine große Gefahr für die Zukunft darstellen. Von einer gemeinsamen Neuevangelisierung kann jedenfalls zur Stunde keine Rede sein.«

LeerDie Frage ist nur, ob es - von einzelnen »monokonfessionellen« Gegenden abgesehen - ohne Gemeinsamkeit überhaupt möglich ist, das Evangelium von neuem unter die Menschen zu bringen, denen die gute Nachricht fremd geworden ist. Anders als den in ihren Kirchen Verwurzelten, die sich an die vorhandenen Konfessionsverschiedenheiten gewöhnt haben, erblicken Außenstehende in der Uneinigkeit der Christen ein massives Gegenargument gegen die Glaubwürdigkeit des Evangeliums.

LeerNicht minder wichtig ist freilich die Frage, wie nahe die Politik und die Äußerungen der Kirchen selbst dem Evangelium sind.


A douche of cold water

LeerSo überschreibt Bischof Hugh Montefiore in der anglikanischen Wochenzeitung Church Times (vom 13. Dezember 1991) seinen Kommentar zur vatikanischen Antwort auf die Arbeit der ersten Anglikanisch/Römisch-Katholischen Internationalen Dialogkommission (ARCIC I). Im September 1981 hatte dieses - unter den zahlreichen Dialogkommissionen herausragende - Gremium die Arbeitsergebnisse nach Rom und nach Canterbury geschickt. Nach mehr als einem Jahrzehnt kam nun zum 5. Dezember 1991 die Antwort als »Frucht einer engen Zusammenarbeit zwischen der Glaubenskongregation und dem Päpstlichen Rat zur Förderung der christlichen Einheit«, dem früheren Einheitssekretariat. Nach einer einleitenden dankbaren Würdigung bereits erzielter Annäherungen wird festgestellt, in wesentlichen Bereichen könne von einer Übereinstimmung noch nicht gesprochen werden. Als Maßstab für eine solche Übereinstimmung, die zur Einheit führt, wird der »Glaube der katholischen Kirche« genannt. Er wird von den vatikanischen Instanzen freilich anders interpretiert, als dies bei der Arbeit von ARCIC geschah. Dort wollte man Schritt um Schritt zur Übereinstimmung finden, offen für die Erkenntnis, wo der gemeinsame katholische Glaube nach innen und außen deutlicher und unmißverständlicher zum Ausdruck gebracht werden müsse als in der gewohnten Weise. Es wurde für selbstverständlich erachtet, daß die beteiligten Kirchen verschiedene Erfahrungen einbringen und daß nicht jede davon auch für die anderen als verbindlich gelten müsse. Wie bei anderen ökumenischen Dialogen galt ein besonderes Augenmerk den neueren historischen, bibeltheologischen und liturgiewissenschaftlichen Forschungsergebnissen. Sie haben dazu beigetragen, verengte Blickrichtungen zu weiten, Vorbehalte und Voreingenommenheiten zu korrigieren und das gemeinsame Erbe deutlicher darzustellen.

LeerNun rechnet freilich der Vatikan auch Entwicklungen zum unaufgebbaren und im Blick auf die Einheit unverzichtbaren katholischen Lehrbestand, die mit solchen gesicherten Forschungsergebnissen nicht oder nur zum Teil vereinbar sind. Einige Beispiele seien zitiert und in diesem Zusammenhang nur kurz kommentiert:

LeerEs müsse von den Anglikanern anerkannt werden, so heißt es u.a., daß in der Eucharistiefeier das Opfer Christi gegenwärtig gesetzt wird mit all seinen Wirkungen, wonach der Sühnecharakter des eucharistischen Opfers bekräftigt wird, der auch den Toten zugewandt werden kann ... Das Gebet für die Toten ist in allen Eucharistiegebeten zu finden, und der Sühnecharakter der Messe als des Opfers Christi, die für die Lebenden und die Toten dargebracht werden kann, einschließlich eines individuellen Toten, ist Teil des katholischen Glaubens...

und

Leerdaß nur ein gültig geweihter Priester derjenige sein kann, der in der Person Christi das Sakrament der Eucharistie zustandebringt. Er rezitiert nicht nur den Einsetzungsbericht des Letzten Abendmahls, wobei er die Konsekrationsworte ausspricht und den Vater bittet, den Heiligen Geist zu senden, damit dieser durch diese (Einsetzungsworte) die Verwandlung der Gaben bewirkt, sondern er bringt dabei sakramental das Erlösungsopfer Christi dar ...

Leerdaß es Christus selbst war, der das Sakrament der Weihe als den Ritus einsetzte, der das Priesteramt des Neuen Bundes überträgt ...


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LeerSelbstverständlich gehört das Gedächtnis der Verstorbenen seit alters in die Fürbitte des christlichen Gottesdienstes. Die alten Eucharistiegebete enthalten jedoch keine Fürbittstrophen für Lebende und Tote. Erst in einem späteren Stadium enthält auch das Eucharistiegebet ein Totengedächtnis. Die römisch-katholische Lehre von der Darbringung des eucharistischen Opfers für die Toten ist selbst im Römischen Meßkanon nicht ausgedrückt.

LeerSehen wir von der exegetisch offenen Frage ab, wer in den apostolischen Gemeinden der Eucharistie vorstand, so gehen römisch-katholische Autoren und Delegierte in anderen offiziellen ökumenischen Dialogen der römisch-katholischen Kirche (z.B. mit den Lutheranern) von einer geschichtlichen Entwicklung aus, die im zweiten Jahrhundert zur Ausbildung des dreifachen Amtes Bischof - Priester - Diakon führt. Wenngleich dies, wie der Kanon der neutestamentlichen Schriften, zu den Grundentscheidungen der Alten Kirche zählt, so ist die Einsetzung des Weihesakramentes, gar als Ritus, durch den historischen Jesus nicht aus der Schrift zu begründen.

LeerHinzu kommt, daß »Darbringung« (prosphora) in den alten Eucharistiegebeten auf die Gaben von Brot und Wein bezogen wird, über die die umwandelnde Kraft des Heiligen Geistes herabgerufen wird. Der Gedanke, daß die Kirche bzw. der Priester Christus dem Vater opfert, ist der Alten Kirche fremd. Wenn die römisch-katholische Kirche in ihrem zweiten Hochgebet das Eucharistiegebet des Hippolyt (+ 235) durch die Umstellung der Epiklese vor den Einsetzungsbericht und eine der römisch-katholischen Denkweise angepaßte Darbringungsstrophe verändert, so ist hier das Gesetz des Betens und des Glaubens der Alten Kirche verlassen.

LeerDer Angelpunkt der vatikanischen Antwort auf ARCIC jedoch ist die im Jahre 1870 zum Glaubenssatz erhobene Lehre vom allgemeinen obersten Rechtsprechungsprimat und der Unfehlbarkeit des Papstes in Glaubens- und Sittenlehren. So heißt es:

LeerAnglikaner akzeptieren nicht, daß notwendigerweise mit dem Amt des Bischofs von Rom der garantierte Besitz einer solchen Gabe des göttlichen Beistands in Lehrurteilen verbunden ist, aufgrund deren seine formalen Entscheidungen, vorgängig zu ihrer Rezeption durch die Gläubigen, als vollkommen gesichert erkannt werden können ...

LeerDie katholische Kirche glaubt, daß die Konzilien oder der Papst, selbst wenn er allein handelt, innerhalb des Gesamten aller von Gott geoffenbarten Wahrheit lehren können, wenn nötig in einer definitiven Art und Weise ...

LeerEs ist die Lehre des Zweiten Vatikanischen Konzils, daß einer Kirche außerhalb der Gemeinschaft mit dem Römischen Papst mehr als nur die sichtbare Manifestation der Einheit mit der Kirche Christi fehlt, die in der katholischen Kirche subsistiert ...

Leer... der Bischof von Rom ererbt den Primat von Petrus, der ihn unmittelbar und direkt von Christus empfing.


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LeerAuf die anglikanischen Einwände, die römischen Mariendogmen (unbefleckte Empfängis 1854; leibliche Aufnahme in den Himmel 1950) seien nicht genügend durch die Schrift bekräftigt, verweist der Vatikan lediglich darauf, dies sei durch die Tatsache gedeckt, daß durch die Lehrautorität auch die marianischen Lehren als für alle Gläubigen bindende Dogmen verkündet wurden.

LeerWir können in diesem Zusammenhang nur an die Argumente erinnern, die Döllinger und seine Freunde nach 1870 gegen die Papstdogmen vorgebracht haben, und mit großen Bedauern feststellen, daß auch die neuere inner-römisch katholische und ökumenische theologische Neubesinnung auf den Petrusdienst offensichtlich für die vatikanischen Instanzen ohne Belang ist.

LeerGanz allgemein ist zu fragen, ob aus dieser Sicht die alte, ungeteilte Kirche einen erheblichen Mangel an Katholizität aufweise, weil ihr die hier dargestellten Lehren fremd gewesen seien. So können wir uns der Hoffnung von Ulrich Ruh (in der Herderkorrespondenz 1992, l, S. 5) nur anschließen, »auf der Grundlage der vom Vatikanum II herausgestellten >Hierarchie der Wahrheiten< und unter Berücksichtigung dessen, was in der Dogmenhermeneutik der letzten Jahrzehnte an Einsichten in die Begrenztheit auch des verbindlich definierten Domas erarbeitet worden ist, eine Relecture sowohl des Tridentinums wie des Ersten Vatikanums und der beiden Mariendogmen von 1854 und 1950 in Angriff zu nehmen, nicht einfach um ökumenischer Konsense willen, sondern um der Konsistenz und Glaubwürdigkeit des eigenen Glaubensverständnisses willen«.


Was sollen und müssen wir tun?

LeerWir dürfen nicht resignieren und sagen: Die Ökumene ist am Ende. Es hat alles keinen Sinn. Bleiben wir in unserem eigenen Kirchenhaus! Mit einer solchen Haltung würden wir die Zustände, die wir beklagen, auch noch bei uns selbst herstellen und festigen. Wir müssen wissen: Die Einheit ist kein Fernziel. Sie ist vorgegeben. Sie kann deshalb von niemandem und durch nichts in Frage gestellt, als Möglichkeit bestritten werden. Es gilt, diese bestehende »Einheit aus dem Geiste bereitwillig durch das Band des Friedens zu wahren: Ein Leib und ein Geist, wie ihr auch berufen wurdet zu einer Hoffnung durch den Ruf an euch - ein Herr, ein Glaube, eine Taufe; ein Gott und Vater aller, der da ist über allen und durch alle und in allen« (Epheser 4,3-6). »In Langmut, ertragend einander in Liebe« steht unmittelbar vor diesen Sätzen.

LeerDie orthodoxen Teilnehmer bei der Vollversammlung in Canberra, und mit ihnen Delegierte aus anderen Kirchen, haben die »Basisformel« der Ökumene von neuem angemahnt, die sich versteht als »Gemeinschaft von Kirchen, dir den Herrn Jesus gemäß der Heiligen Schrift als Gott und Heiland bekennen und darum gemeinsam zu erfüllen suchen, wozu sie berufen sind, zur Ehre Gottes, des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes«.

LeerDas »Jahr mit der Bibel«, zu dem die Kirchen im deutschsprachigen Bereich 1997 gemeinsam aufgerufen haben, bedeutet hier eine große Chance. Wir müssen miteinander von neuem hören, »was der Geist den Gemeinden sagt« (Offenbarung 2.7). Wir müssen deutlicher erkennen, wie Jesus Gemeinde gewollt hat, wie es mit der Kirche angefangen hat. Es genügt nicht, wenn wir uns nur aus einem vagen Gefühl heraus gegen unzumutbare Entwicklungen stellen. Das gemeinsame Hören auf die biblische Zusage »So spricht der Herr« und auf das Zeugnis der Glaubenserfahrung der frühen Gemeinden hilft uns, bestehende nachbiblische Gräben zu überwinden und eine Sprache zu finden, in der wir unseren gemeinsamen Glauben ausdrücken und »Rechenschaft geben« können »von der Hoffnung, die in uns ist« (Petrus 3,15).

LeerWir werden dann auch ohne Aufregung, eben mit Langmut, jenen verwirrenden Stimmen begegnen können, die in weitverbreiteten Medien längst widerlegte Thesen neu aufwärmen und versuchen, das Bild von Jesus nachzubessern: Er darf nicht mehr als Zeichen des Widerspruchs verstanden, soll stattdessen »nüchtern, logisch einfach und nicht theologisch kompliziert« (Franz Alt) dem Denken und Fühlen der kritischen Zeitgenossen angepaßt werden. Die Kreuzigung habe Jesus einfach »überlebt«. In dieses Schema passen weder Kindheitsgeschichten, in denen die Osterbotschaft eingetragen ist, noch die Stiftung der Eucharistie der Kirche beim Abschiedsmahl Jesu. Auch wer anerkennt, daß Eugen Drewermann wichtige Diskussionen angestoßen hat, muß vor allem seiner These deutlich widersprechen, daß das Abendmahl, die Eucharistie, nicht auf Jesus zurückzuführen sei. Sie ist auf der Grundlage der bibeltheologischen und liturgiegeschichtlichen Forschung ebensowenig zu halten wie andererseits die oben referierten vatikanischen Thesen über die Eucharistie.

LeerAndere Stimmen wollen die Einzigartigkeit Jesu nicht gelten lassen. Gewiß, er steht in der Reihe der vielen Propheten und Boten, durch die »Gott viele Male und auf vielerlei Weise« (Hebräer 1,1) spricht. Aber er ist der Eine und Einzige, durch und in dem der lebendige Gott sein endgültiges Wort gesagt und den Kosmos aus dem Tod befreit hat. Es gab und gibt Stimmen, die das relativieren und einschränken wollen, weil Jesus ein Jude, ein Mann, einer mit weißer Hautfarbe gewesen sei, weil er kein einziges eigenes Schriftstück hinterlassen habe und es deshalb nur indirekte Botschaft über ihn gebe.

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LeerSelbstverständlich muß das Evangelium jeder Zeit und jeder Kultur neu verkündet werden. Die Inkulturation gehört zur Mission der Kirche. Aber »die Unterscheidung des Christlichen« (Romano Guardini) ist dabei zu bewahren. Sonst wird nicht mehr das Evangelium den Völkern verkündigt.

LeerWer die christliche Botschaft weitergeben will und sie zugleich derart verflacht, daß er die Einzigartigkeit Jesu in Frage stellt, der versucht, den lebendigen Gott, »den Ratschluß seines Willens« (Epheser 1,11) in die Rahmenbedingungen eigener Denkmuster einzugrenzen. Wenn Gott selbst eingeengt wird, woher soll uns dann Hilfe in unseren Ängsten kommen?

LeerDeshalb noch einmal: Ergreifen wir die Chance des »Jahres mit der Bibel«! Suchen wir in unseren Wohnbereichen ökumenische Gesprächskreise zu bilden. Dabei sollen aber nicht nur unsere Lieblingstexte oder Auswahlsätze im Vordergrund stehen, die unserer Selbstbestätigung dienen oder durch welche unsere eigenen Gefühle in die Bibel hineingelesen werden. Versuchen wir zu hören, uns anreden zu lassen und dabei zu entdecken, daß wir miteinander das von Gott gerufene Volk, die »Ekklesia« sind, in dem es weder die Abgrenzung durch verschiedene Konfessionsmauem noch die Einteilung in In- und Ausländer geben darf. Bringen wir dabei auch wieder die gemeinsamen Aussagen ins Gespräch!

LeerEs ist bedenklich still geworden um den Konziliaren Prozeß, um die überlebenswichtigen Forderungen nach Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung. Dabei handelt es sich nicht um eine Aufgabe, die wir Christen tun oder lassen können, sondern um die Sorge für Gottes gute Schöpfung, um die Weitergabe der Gerechtigkeit, die uns in Christus geschenkt ist, und des Friedens, den er »am Kreuz durch sein Blut gestiftet hat« (Kolosser 1,20).

Leer»Diese Welt ist Gottes unendlich geliebte. Nicht Gott ist absurd. Wir leben absurd, wenn wir sein Gericht und seine Gnade in den Wind schlagen und die Zeit nicht auskaufen« (Präses Peter Baier).

LeerHängen nicht die Müdigkeit der Ökumene und die Stagnation des Konziliaren Prozesses miteinander zusammen? Werden wir nicht in der geistlich begründeten Mühe um Frieden in Gerechtigkeit und um die Bewahrung der Schöpfung die Ökumenemüdigkeit überwinden? Der Weg nach Basel war dafür das beste Beispiel.

LeerSchließlich: Die ökumenischen Barrieren werden nicht nur irgendwo »oben« aufgetürmt oder beseitigt. Die Christen in den Gemeinden müssen ihre Ökumenemüdigkeit hinter sich lassen. »Der Glaube fängt in den Füßen an« (Erzbischof Robert Runcie). Ich sage nicht zum ersten Mal: Wenn auch nur drei Prozent der Christen aller Kirchen in Stadt und Land sich von neuem auf den ökumenischen Weg begeben, dann entsteht wieder ökumenische Bewegung in des Wortes wahrstem Sinne. So einfach ist das!

LeerBischof Mark Santer von Birmingham, der anglikanische Copräsident von ARCIC erklärte im Dezember 1991: »Die vielfach respektierte Art und Weise, den Ökumenismus herabzusetzen, besteht darin, daß man sagt, man dürfe die Wahrheit nicht der Einheit opfern. Tatsächlich aber gehört die Einheit wesentlich zur Wahrheit des Evangeliums.«

Quatember 1992, S. 68-77
© Bischof em. Dr. Sigisbert Kraft

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-08-15
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