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Martyria, Leiturgia, Diakonia
von Jürgen Boeckh

Leer»Christus ist ein Begriff, auf das 'Wort Gottes' kommt es an!«; Ich war bestürzt, als ich diese apodiktische Zensur in einem Gespräch mit einem evangelischen und einem katholischen Christen hörte. Der evangelisch-lutherische Christ, der das behauptete, meinte das schriftlich fixierte Bibelwort im Gegensatz zur »Tradition« der katholischen Kirche. Was ist oder was bedeutet »Wort Gottes«? Paul Tillich, der deutsch-amerikanische Theologe, zählt im ganzen sechs verschiedene Bedeutungen auf, die »Gottes Wort« haben kann. »'Wort' ist vor allem anderen das Prinzip der göttlichen Selbstoffenbarung im Grunde des Seins selbst«, der »Logos«, von dem der Prolog des Johannes Evangeliums spricht. »Wort« ist dann das Medium der Schöpfung: »Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde.« Sodann ist es »Manifestation des göttlichen Lebens in der Geschichte der Offenbarung« und, weiter, die »Manifestation des göttlichen Lebens in der letztgültigen Offenbarung. Das 'Wort' ist ein Name für Jesus als den Christus.«

Leer»Christus ist nur ein Begriff, auf das 'Wort Gottes' kommt es an«, hatte mein Gesprächspartner gesagt. Damals wußte ich noch nichts von Paul Tillich. Aber ich empfand in gleicher Weise, was dieser bedeutende Theologe fünf Jahre zuvor geschrieben hatte: »Der Begriff 'Wort' wird auf das Dokument der letztgültigen Offenbarung und ihre besondere Vorbereitung, nämlich die Bibel, angewandt. Aber wenn die Bibel das Wort Gottes genannt wird, ist die theologische Verwirrung beinahe unvermeidlich.« Schließlich heißt es bei Tillich: »Die Verkündigung der Kirche in ihrer Predigt und Lehre wird das Wort genannt.« (1)

LeerDie Lehre der Kirche ist eine wichtige Sache, aber nicht die Hauptsache. Schlimm ist es, wenn Lutheraner im Pathos der von ihnen offenbar gepachteten Wahrheit sagen konnten (oder noch können): »Gottes Wort und Luthers Lehr' vergehen nun und nimmer mehr.« Nicht Martin Luther selbst, seine Epigonen waren es, die die Lehre eines Menschen über alles stellten. »In keiner anderen Kirche der Welt«, so heißt es bei Wilhelm Stählin, »spielt die lehrhafte und 'bekenntnismäßige' Ausprägung des Evangeliums eine so bevorzugte und isolierte Rolle ... wie in der lutherischen Kirche.« (2)

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LeerDies mußte zuvor gesagt werden, wenn wir nun in unserer Zeitschrift über die Lehre der Kirche nachdenken wollen. Welcher Kirche, mögen manche fragen: Gibt es nicht eine wahre und eine falsche Lehre und eine Irrlehre? Das ist das Problem! Der Philosoph Gabriel Marcel hat »Problem« und »Mysterium« gegenübergestellt. (3) Beides hat sein Recht. Wir dürfen die Probleme dieser Welt, zu der auch die Kirche gehört, nicht vernachlässigen und müssen gleichzeitig für das Mysterium offenbleiben. Die Lehre der Kirche ist nicht im Himmel angesiedelt, darum ist sie nach Zeit und Ort verschieden geprägt.

LeerGegenüber der einseitigen doctrina und der Bezeichnung »Gottes Wort« für die Bibel sind die Berneuchener von der Dreiheit Martyria-Leiturgia-Diakonia ausgegangen. Die Formel »Wort und Sakrament« ist mißverständlich und bezieht nicht das ganze kirchliche Handeln ein. Zeugnis, Gottesdienst und Nächstenliebe gehören zusammen! Martyria bedeutet hier nicht »nur« Martyrium, also das Blut-Zeugnis, obwohl es dies auch gibt. Zeugnis kann jeder Christ von seinem Glauben geben, nicht nur der »verordnete Diener der Kirche«. Dennoch hat das mündliche Zeugnis in der Predigt eine besondere Bedeutung. Auch die Lehre gehört zur Martyria. Die römisch-katholische Kirche weiß sich, wenn auch in anderer Weise als das Luthertum und das reformierte Christentum, an die Lehre gebunden. Diakonia, die Nächstenliebe, ist nicht etwas Zweitrangiges! Im deutschen Protestantismus ist - besonders in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts - eine Spaltung zu bemerken: Der Dienst am Menschen wird überbetont, aber das mündliche Zeugnis für Jesus Christus und der Gottesdienst sind in Mißkredit geraten. Leiturgia ist in der katholischen und besonders in der orthodoxen Christenheit eine Selbstverständlichkeit. In der protestantischen Kirche ist das Bewußtsein für das Heilige, für Gottesdienst und Gebet, zum großen Teil entschwunden.

LeerDie Dreiheit Martyria-Leiturgia-Diakonia hat der erste »Hausvater« des Berneuchener Hauses, Oskar Plank, geprägt. »Die Sache aber ist älter«, sagt Hans-Christoph Schmidt-Lauber. »Schon auf der ersten Berneuchener Konferenz 1923 ging es um die Wahrheitsfrage, den Kultus und die praktischen Aufgaben, also um Verkündigung, Gottesdienst und dienende Liebe ... Wir können Vorläufer der Formel noch früher und öfter finden, so zum Beispiel in dem Aufruf, mit dem Wilhelm Löhe 1844 seine Drei Bucher von der Kirche beschließt:

'Laßt uns einig sein:
Einerlei Wort und Lehre,
Einerlei Praxis der Lehrer,
Einerlei Lobgesang sei unter uns.'« (4)
LeerAugustinus, der »Vater der abendländischen Christenheit«, ist einer der vier großen Kirchenlehrer der Alten Kirche. In ihm ist noch zusammengefaßt, was im XVI. Jahrhundert auseinanderfiel. Mit Augustin eröffnen wir (von unserem nächsten Heft an) die Reihe der Lehrer der Kirche, ohne auf die zeitliche Reihenfolge zu achten. Männer und Frauen, bekannte und auch weniger bekannte sollen zu Wort kommen. Zu den Lehrern (und Lehrerinnen, von denen es noch nicht viele gibt) zählen wir auch Ketzer und Heilige. Darum erübrigt sich die Frage, die uns gestellt wurde, ob der eine oder andere »evangelisch« oder »katholisch« sei. Wie gut, daß heute sogar in den Kirchen die Grenzen - halbwegs - offen sind. Offen bedeutet in unserem Fall nicht, daß wir verschweigen, was noch der Klärung bedarf.

Anmerkungen:
1: Paul Tillich: Systematische Theologie. Bd. I. Evangelisches Verlagswerk, Stuttgart, 1955, S. 189-191. Übersetzung aus dem Amerikanischen von Renate Albrecht u.a., 1951.
2: Wilhelm Stählin: Was ist lutherisch? In: Symbolon. Evangelisches Verlagswerk, Stuttgart, 1958, S. 251.
3: Gabriel Marcel: Philosophie der Hoffnung. List-Buch. 84. Paul List Veriag, München, 1957. Übersetzung aus dem Französischen von Wolfgang Ruttenauer.
4: Hans-Christoph Schmidt-Lauber: Martyria-Leiturgia-Diakonia. In: QUATEMBER /45. Jg., 1981, S. 161/162.

Jürgen Boeckh
Quatember 1993, S. 3-5

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-08-19
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