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Christ ist erstanden
Die Anfänge des deutschen Osterliedes
von Gerhard Kappner

LeerMit dem Beginn des Mittelalters treten die germanischen Völker nördlich der Alpen in die Geschichte ein. Sie übernehmen den Gregorianischen Choral, aber sie müssen sich ihn erst aneignen, so daß sich textliche Erweiterungen und musikalische Neuschöpfungen von selbst ergeben. Es handelt sich um einstimmige Neuschöpfungen, die einen höchst bedeutsamen Platz im musikalischen Schaffen des Mittelalters einnehmen: Sequenzen, Tropen, Hymnen, Cantiones, Conductus, liturgische Spiele, von denen die Sequenzen und Tropen durch ihre enge Bindung an die Liturgie mit einigem Recht zur Nachgregorianik des Mittelalters gerechnet werden dürfen.

LeerSequenz und Tropus wurzeln in der melismatischen Form des Gregorianischen Gesanges, in der das Mittelalter die günstigste Gelegenheit zu textlichen Erläuterungen sah. Man konnte die Melismen in ihre einzelnen Töne auflösen, indem man ihnen einen silbenmäßig entsprechenden Text unterlegte. Während die neugedichteten Texte bei den Sequenzen angehängt sind, sind sie bei den Tropen eingefügt. Daher der Name für die Sequenzen: sequentiae cum prosa, d.h. Tonfolgen mit Text. Solche Texte werden mit Vorliebe den Melismen der Schlußsilbe des Halleluja unterlegt, das in der römischen Messe auf das Graduale folgt. Halleluja heißt: »Gelobt sei Gott.«

LeerDie unterlegten Texte durchlaufen verschiedene Stadien. Sie sind zuerst in freier Prosa gehalten, entwickeln sich dann zu gereimten Dichtungen und münden schließlich in liedartige Gebilde. Wir können nur Vermutungen über die Gründe anstellen, die zu dieser Entwicklung geführt haben. Der Mönch Notker von St. Gallen berichtet im 9. Jahrhundert im Vorwort zu seiner Sequenzensammlung, daß er als Knabe Mühe gehabt habe, die langen textlosen Melodien seinem Gedächtnis einzuprägen. Er versuchte, die »überlangen Melodien« durch Worte »festzubinden«, damit sie nicht »dem schwankenden Herzlein entfliehen« möchten. Dann aber sei ein Flüchtling aus dem von den Normannen verwüsteten Kloster Jumieges in der Normandie nach Sankt Gallen gekommen. In seinem Antiphonar habe Notker textierte Sequenzen gesehen, deren Beispiel ihn zu eigenen Versuchen angeregt habe.

LeerDie Ostersequenz »Victimae paschali laudes« ist für die Anfänge des deutschen Osterliedes von grundlegender Bedeutung geworden. Sie wurde in der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts von dem Historiker und Dichter Wipo von Burgund verfaßt, der unter den Kaisern Konrad II. und Heinrich III. als Hofkaplan gewirkt hat. Sie begreift das österliche Ereignis als ein Ringen zwischen Leben und Tod, das von Maria Magdalena bezeugt ist. Die deutsche Übertragung in dem katholischen Gebet- und Gesangbuch »Gotteslob« lautet:
»Singt das Lob dem Osterlamme, bringt es ihm dar, ihr Christen.
Das Lamm erlöst' die Schafe: Christus, der ohne Schuld war,
versöhnte die Sünder mit dem Vater.
Tod und Leben, die kämpften unbegreiflichen Zweikampf;
des Lebens Fürst, der starb, herrscht nun lebend.
Maria Magdalena, sag uns, was du gesehen.
Das Grab des Herrn sah ich offen
und Christus von Gottes Glanz umflossen,
sah Engel in dem Grabe, die Binden und das Linnen.
Er lebt, der Herr, meine Hoffnung,
er geht euch voran nach Galiläa.
Laßt uns glauben, was Maria den Jüngern verkündet.
Sie sah den Herren, den Auferstandnen.
Ja, der Herr ist auferstanden, ist wahrhaft erstanden.
Du Sieger, König, Herr, hab Erbarmen. Amen. Halleluja.«
LeerWort und Ton sind aus einem Guß. Die auf lebendigen Wechsel angelegten freien rhythmischen Strophen haben schon früh bei den Osterspielen südlich der Donau ihren Platz gefunden. Nach dem Spiel durfte das Volk die deutsche Osterleise »Christ ist erstanden« anstimmen, die sich melodisch an die lateinische Sequenz anlehnt. In manchen Osterspielen sind die deutschen Strophen von »Christ ist erstanden« zwischen die lateinischen Strophen von »Victimae paschali laudes« eingeschoben. So ist es auch heute im »Gotteslob« vorgesehen.

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LeerDie Osterleise »Christ ist erstanden« gehört zu den ältesten Gesängen in der deutschen Sprache. Vom Kyrie eleison der Allerheiligenlitanei aus hat sich im frühen Mittelalter ein geistlicher Volksgesang entwickelt. Nach dem eingedeutschten Refrain Kyrieleis wurden die Liedstrophen in Deutschland als Leisen bezeichnet. Gerhoh von Reichersberg schreibt im Jahre 1148: »Die ganze Welt jubelt das Lob des Heilands auch in Liedern in der Volkssprache; am meisten ist dies bei den Deutschen der Fall, deren Sprache zu wohlklingenden Liedern geeignet ist.«

LeerIn dieser Zeit dürfte die erste Strophe von »Christ ist erstanden« bereits in Bayern und Österreich verbreitet gewesen sein, das uns im Klugschen Gesangbuch in Wittenberg 15 29 zum ersten Mal in seiner dreistrophigen Form begegnet. Luther sagt in seinen Tischreden: »Alle Lieder singt man sich mit der Zeit müde, aber das Christ ist erstanden muß man alle Jahre wieder singen.«

LeerLuther setzt die mittelalterliche Erbfolge fort, wenn er in seinem Osterlied »Christ lag in Todesbanden« die Sequenz und die Leise mit dem reformatorischen Verständnis der Osterbotschaft erfüllt, das von dem Apostel Paulus geprägt ist. »Im Papsttum hat man feine Lieder gesungen. . . Christ ist erstanden von der Marter alle usw. Das ist von Herzen wohl gesungen; aber da sind keine Prediger gewesen, die uns hätten sagen können, was es sei.« Das ist es, worum es Luther geht: zu sagen, was Christi Tod und Auferstehung für uns sind. Daher der Zusatz: »Der Lobgesang 'Christ ist erstanden' gebessert.«

LeerDas sieht im einzelnen so aus, daß Luther der Sequenz das Bild vom Ringen zwischen Tod und Leben und das Bild vom Osterlamm entnimmt. Die Passion Christi wird im Osterlied entfaltet. Die Leise stellt das Thema »Christ ist erstanden«, das in den einzelnen Strophen seine theologische Auslegung erfährt. Jede Strophe wird mit dem alten Hallelujaruf beschlossen, den Luther die »perpetua vox ecclesiae«, die nie verstummende Stimme der Kirche genannt hat. Ähnlich ist die theologische Ausdeutung in »Jesus Christus, unser Heiland«, nur daß hier das Kyrie eleison, das jede Strophe beschließt, mehr an die Form der Leise erinnert.

LeerDie Form von »Christ lag in Todesbanden« zeigt Luthers Meisterschaft: Er dichtet sieben Strophen, jede Strophe hat sieben Zeilen, jede Zeile hat sieben Silben. Die Frage ist müßig, ob Luther das Lied bewußt oder unbewußt so aufgebaut hat. Auf jeden Fall sollte man aus theologischen und aus künstlerischen Gründen die fünfte Strophe nicht weglassen, wie das gelegentlich geschieht.

LeerDie Weise ist mit der Sequenz des Wipo und mit der deutschen Leise verwandt. Sie bedient sich der dorischen Kirchentonart, die Alfred Stier als »Ostertonart« bezeichnet hat: »Dieses Fest redet von dem 'wunderlichen Krieg, da Tod und Leben rungen'. Der Sieg des im Tode geopferten Lebens, dieses unausschöpfbare Geheimnis, wird in den dorischen Ostermelodien Klang.«

Quatember 1993, S. 15-18

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-02-07
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