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von Norbert Müller |
Vor etwa sieben Jahren erschien als letzter in einer Reihe von Arbeitsberichten einer gemeinsamen Kommission römisch-katholischer und evangelisch-lutherischer Theologen ein Heft mit dem hoffnungsvoll formulierten Titel »Einheit vor uns«. Daß die Möglichkeit einer Einigung, ja Vereinigung der geteilten Kirchen in greifbare Nähe gerückt war, sollte den Lesern nicht suggeriert, sondern es sollte ganz sachlich dokumentiert werden. Gerade aus der Sicht der Systematischen Theologie beider Konfessionen darf diese Erwartungshaltung auch heute im Rückblick nicht einfach als wirklichkeitsfremd betrachtet werden: Waren doch kurz zuvor, 1983, die große »Ökumenische Dogmatik« von Edmund Schlink und die berühmte Denkschrift von Heinrich Fries und Karl Rahner »Einigung der Kirchen - reale Möglichkeit« veröffentlicht worden. Kritische Fragen freilich müssen aufgenommen und weitergeführt werden, wie sie schon damals wohl am nachdrücklichsten Eilert Herms in seiner polemischen Schrift »Einheit der Christen in der Gemeinschaft der Kirchen« aufgeworfen hat: Was verstehen wir eigentlich genau unter »Einheit«, wenn wir sie der Kirche in Aussicht stellen, zusprechen oder abverlangen? Durch welche der drei hiermit angedeuteten Beziehungen ist das Verhältnis von »Kirche« und »Einheit« sachgerecht gekennzeichnet: Ist Einheit Auftrag, Besitz oder Hoffnung der Kirche? Inzwischen haben uns freilich kirchliche und politische Ereignisse noch zusätzliche und widersprüchliche Erfahrungen über die historische Funktion von Einheitsideen vermittelt. In dem Ringen des »konziliaren Prozesses« um »Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung« sind mit einer wohl nie zuvor erreichten Intensität Arbeitsaufgaben über alle Konfessionsgrenzen hinweg christlichen Gemeinden und der Öffentlichkeit nahegebracht worden. Dabei hat sich eine Einheit der Erwartungen und Verantwortungen abgezeichnet, die sogar noch über die Grenzen der christlichen Kirchen hinausreichte. Es muß allerdings nüchtern festgestellt werden: Dieser konziliare Prozeß ist nicht (noch nicht oder vielleicht schon: nicht mehr?) jenes »eine große ökumenische Konzil der heiligen Kirche Jesu Christi aus aller Welt«, das Dietrich Bonhoeffer im Jahre 1934 vorschwebte. Wiederum muß aber auch beachtet werden, daß im zeitgenössischen Bewußtsein dem Gedanken der Einheit keineswegs jene unangefochten günstige Wertung zuerkannt wird, die unserer Themenwahl unausgesprochen letztlich zugrunde liegt. Ein Teil der Europäer mußte eine Zwangssituation unerwünschter politisch-ideologischer Einheitlichkeiten durchleben; die politische Partei, die im Osten Deutschlands dafür verantwortlich war, hat nicht zufällig nach erfolgter Wende das Wort »Einheit« aus ihrem Namen verbannt. Nach der Auflösung politischer Zwangsgebilde überwiegen gegenwärtig in Teilen Osteuropas die Kräfte der Trennung so sehr die der Einigung, daß weite Gebiete in Blut und Chaos zu versinken drohen. Natürlich könnte im Blick auf unser Thema dazu gesagt werden, gerade hier werde eben der Unterschied kirchlicher und staatlich-politischer Einheitsideen evident; wahrer kirchlicher Einheit fehle jener Zwangscharakter, der jeder - vielleicht zudem gewaltsam herbeigeführten - staatlichen ihre so riskante Labilität, ja innere Sprengkraft verleiht. Jedoch muß erkannt werden, daß die Grenzen, an denen jetzt nationale Feindseligkeiten aufbrechen, oft, vielleicht sogar immer auch oder ausschließlich Konfessionsgrenzen sind oder waren, so daß die Frage nach der kirchlichen Einheit gar nicht anders gestellt werden kann und darf als so, daß dabei zugleich die Mitverantwortung für Einigkeit und Streit unter Menschen überhaupt ins Auge gefaßt wird. Wenn der Einheitsgedanke in der politischen Welt einer Entwertung verfällt, so kann das daher für eine kirchlich-theologische Besinnung über Einheit nicht gleichgültig sein. Weder Wert noch Wirklichkeitsbeziehung kirchlicher Einheit sind demnach für uns heute so unumstritten, daß wir davon wie von Selbstverständlichkeiten ausgehen können. Was der Einheitsgedanke bedeutet, muß von den Ursprüngen her neu erschlossen werden. Zur gesamtkirchlichen Überlieferung gehört die Zusammenfassung der vier Kirchenprädikate Einheit, Heiligkeit, Katholizität und Apostolizität. Sie ist in dem Glaubensbekenntnis niedergelegt, das nach ostkirchlicher wie westlicher Gottesdienstordnung in der Mitte der sonntäglichen Meßliturgie steht und wegen der altkirchlichen ökumenischen Konzilien von Nizäa (325) und Konstantinopel (381), deren Lehrentscheidungen es wiedergibt, die etwas schwerfällige Bezeichnung »Nizäno-Konstantinopolitanum« erhalten hat. Der Tradition, in der dieses Bekenntnis steht, darf also zunächst unsere Anfrage gelten. Es ist die Frage nach dem Sitz des Einheitsgedankens im Leben der christlichen Gemeinde: Wie kommt das Credo in den Gottesdienst, wie kommt die »Einheit« ins Credo? I Aussagen bekenntnishaften Charakters, bekenntnisähnliche Formeln und schließlich ausgearbeitete trinitarische Bekenntnisse finden sich bekanntlich schon im Neuen Testament und dann in der kirchlichen Überlieferung von den ersten Jahrhunderten an. Daß Christsein etwas mit Bekennen zu tun hat, hat das Antlitz des Christentums unverlierbar geprägt. Feste Formen mit einer historisch nachweisbaren liturgischen und zugleich kirchenrechtlichen Bedeutung gewinnen aber das Bekennen und das Bekenntnis dann eindeutig erst im 4. Jahrhundert, dem Jahrhundert Konstantins und der trinitarischen Streitigkeiten, über die eben auf jenen Konzilien von Nizäa und Konstantinopel verhandelt wurde: Das Bekennen sollte nicht mehr nur den Glauben vom Unglauben unterscheiden, sondern die Zusage an die Wahrheit mit der Absage an den Irrtum verbinden. An zwei ganz verschiedenen Brennpunkten des kirchlichen Geschehens kommt das Bekenntnis daher zur Geltung und zur Sprache: als Lehraussage der großen Konzilien und als Lehr- und Lernstoff bei der katechetischen Hinführung der Taufbewerber zum feierlichen Empfang des Sakraments (zunächst also noch nicht in der Meßliturgie). Dabei wird die Beziehung zwischen Katechumenenunterweisung und Konzil nicht einseitig so gesehen werden dürfen, daß ein Konzil diktieren konnte, welcher Text fortan den Täuflingen zu vermitteln war. Es gab lokale und regionale Traditionen, die sich zum Teil über Jahrhunderte hin hielten. Als Taufbekenntnis der abendländischen Kirche blieb das »Apostolikum« bis heute in Geltung, obwohl es das Prädikat »wesenseins mit dem Vater« (griechisch »homoousios«), um das in Nizäa gestritten worden war, nicht enthält. Die Konzilien haben bei der Formulierung ihrer Bekenntnistexte vielmehr aus der liturgischen und katechetischen Tradition der Gesamtkirche geschöpft, wie sie sich in den jeweils vorliegenden lokalen Überlieferungen ausgeformt hatte, ihnen aber das angestrebte theologische Profil aufgeprägt und dadurch dann längerfristig auf die kirchliche Praxis zurückgewirkt. So wurden dann Taufunterricht und Tauffeier der Ort im Leben der Gemeinde, an dem die den Konzilien geschenkten oder auf ihnen erstrittenen theologischen Einsichten jedem einzelnen Christen nahegebracht und eingeprägt werden konnten. Ein anschauliches Bild von dem geistigen und geistlichen Weg, auf dem die Taufbewerber zur Taufe hin- und die Neugetauften in das gottesdienstliche Leben eingeführt wurden, vermitteln die Katechesen des Bischofs Kyrill von Jerusalem etwa aus der Mitte des 4. Jahrhunderts: Neunzehn Ansprachen an Täuflinge und fünf an die Neugetauften (diese letzten, die »mystagogischen Katechesen«, sind kürzlich in einer schönen griechisch-deutschen Neuausgabe in der Reihe »Fontes Christiani« erschienen) begleiten die Gemeindeglieder durch die Wochen der vorösterlichen Fastenzeit, die Kar- und die Osterwoche und führen sie in die Grundelemente christlicher Lebenshaltung und Glaubenserkenntnis und in die dem Außenstehenden verschlossenen Geheimnisse des Sakramentsvollzuges ein. In ihrem umfangreichsten Kernstück übermittelten diese katechetischen Predigten den Täuflingen zum ersten Mal den vollständigen Text des Taufsymbols und brachten seine fundamentalen Aussagen durch wirklichkeitsbezogene Auslegung den Hörern innerlich nahe. Wenn das Taufsymbol des 4. Jahrhunderts in den folgenden ein- bis zweihundert Jahren, zunächst in unmittelbarem liturgischen Zusammenhang mit dem jährlichen Tauftermin, fester Bestandteil auch des Gemeindegottesdienstes wurde, eingefügt an jener zentralen Stelle der Meßfeier, an der der Wortteil der gesamten Handlung in den Sakramentsteil übergeht, und wenn dabei das »Ich« des persönlichen Einzelbekenntnisses festgehalten wird, obwohl das Symbol jetzt als gemeinsames Wort der Gemeinde gesprochen oder in ihrem Namen gesungen wurde, dann kann das kaum anders verstanden werden als im Sinne einer Rückerinnerung an die Taufe, einer Erneuerung der dort übernommenen Verpflichtung. Trinitarische Formeln im Zusammenhang mit dem Taufritus sind schon früh - so bei Justin dem Märtyrer im 2. Jahrhundert - sicher bezeugt. Aber der dritte Artikel, das Bekenntnis zum Heiligen Geist, ist zunächst meist sehr knapp formuliert; der Bezug auf die Kirche kann hier ganz fehlen. Noch das Bekenntnis des Konzils von Nizäa, 325, schließt lakonisch mit den Worten »Und an den Heiligen Geist«. Die literarisch wohl älteste Bezeugung eines Bekenntnisses zur Kirche in diesem Artikel, in dem diese zugleich die eine genannt wird, findet sich in eben jenem Jerusalemer Taufsymbol, das in den Katechesen des Bischofs Kyrill Wort für Wort erläutert wird und sich so aus ihnen rekonstruieren läßt. Dieser Text ist für uns deshalb besonders interessant, weil er in seinem dritten Artikel gerade in der Verwendung des Prädikats der Einheit noch konsequenter ausformuliert ist als unser Nizäno-Konstantinopolitanum. Und gerade das kann ja für unser Verständnis hilfreich werden. Denn während wir bisher danach fragen mußten, welchen Ort und welche Bedeutung die ausformulierten Bekenntnisse zur Zeit ihrer Entstehung im christlichen Leben einnahmen, muß es uns im folgenden darauf ankommen, zu erschließen, welches Gewicht diesem einzelnen elementaren Bestandteil des Gesamttextes, eben dem Kirchenprädikat der Einheit, zukommt. II Es darf uns nicht beirren, daß die uns bekannten und von uns gebrauchten kirchlichen Bekenntnisformeln nie in jeder Hinsicht »alles« sagen. Sie alle wollen erinnern und hinweisen; die ganze Fülle christlicher Glaubenserkenntnis kann jede nur andeuten, nicht umfassen. Unser Apostolikum verzichtet, wie wir schon erwähnten, auf die Aussage, daß Christus »wesenseins« mit Gott ist; auch das Jerusalemer Bekenntnis des Kyrill hat diese Formulierung nicht aufgenommen. Das Nizäno-Konstantinopolitanum, das diese Aussage bewahrt hat, bleibt in der einen Hinsicht, auf die es uns hier ankommt, hinter Kyrills Bekenntnis noch zurück. Es ist ein Zeichen des Reichtums und der Freiheit, daß die Kirche so verschiedene Ausformungen in ihrer Überlieferung bewahrt; sie haben ihr Recht nebeneinander, solange nicht Widersprüche zu einer Entscheidung zwingen. Es ist die Frage der E i n h e i t , in der der Text von Jerusalem konsequenter ausformuliert ist als andere. Das Kirchenprädikat der Einheit steht hier nicht isoliert im dritten Artikel; es ist strukturell und inhaltlich auf die vorhergehenden Aussagen bezogen. Der Jerusalemer Text hat nach dem Bekenntnis zu dem einen Gott im ersten, zu dem einen Herrn Jesus Christus im zweiten Artikel im dritten die Formulierung: »Und an den einen Heiligen Geist, den Beistand, der gesprochen hat in den Propheten, und an die eine Taufe der Umkehr zur Vergebung der Sünden, und an die eine heilige katholische Kirche und an Fleisches Auferstehung und an ewiges Leben.« Wir finden hier also zwei Triaden von Aussagen, in denen Bekenntnisse zur Einheit abgelegt werden. Die erste und umgreifende Trias ergibt sich durch das trinitarische Bekenntnis zu dem einen Gott - es ist hervorzuheben, daß durch dieses »an einen Gott« das Wort »eins« zur ersten inhaltlichen Aussage des Bekenntnisses wird -, zu dem einen Herrn und zu dem einen Geist. Die zweite Trias, die sich mit der ersten überschneidet, ist auf die Kirche hin orientiert: An das Bekenntnis zu dem einen Heiligen Geist schließt sich das zur einen Taufe und das zur einen Kirche an. Wir werden angesichts dieser Dichte ganz gewiß nicht von einer Inflation der Einheitsaussagen sprechen wollen, aber doch über den Sinn solcher Fülle nachdenken müssen. Wenn wir uns ihrem Verständnis annähern wollen, müssen wir beachten, daß jede für sich ihre spezielle Bedeutung hat und daß wir alle zusammen auch von der im vierten Jahrhundert politisch, theologisch und geistesgeschichtlich gegebenen Situation her betrachten müssen. Die Einheit Gottes war gegenüber dem antiken Polytheismus, der damals noch eine religiöse, auch eine politische Macht darstellte, und im Gegensatz zu allen Formen eines philosophischen oder religiösen Dualismus hervorzuheben, mit dem sich, besonders in der Gestalt des Manichäismus und der gnostischen Weltanschauungen, die Kirche mehr als zwei Jahrhunderte lang auseinandergesetzt hatte. Daß Jesus Christus der eine Herr sei, war keine triviale Feststellung in einer sprachlichen und religiösen Umwelt, in der christologische Hoheitstitel wie »kyrios« (Herr) und »soter« (Retter) keineswegs dem Gebrauch der christlichen Gemeinde vorbehalten, sondern z.B. auch im staatlichen Zeremoniell gebräuchlich waren. Das Bekenntnis zu dem einen Geist kann an die neutestamentliche Mahnung zur Scheidung der Geister erinnern; vor allem aber wird mit ihm die personale Einheit des Geistes angesichts der Vielfalt seiner Gaben und Wirkungen betont. So lassen sich für jede der fünf Einheitsaussagen dieses Symbols spezielle und sachbezogene Begründungen angeben. Aber das kann noch nicht befriedigen. Die gesamte Struktur des Bekenntnisses ist von den Zustimmungen zum Einheitsgedanken so unübersehbar geprägt, daß die Frage nach einer die Einzelaussagen übergreifenden gemeinsamen Motivation dringlich geboten erscheint. Dabei dürfte es sachgemäß sein, die erste und die letzte Einheit, die der Bekenntnistext aussagt, besonders hervorzuheben und aufeinander zu beziehen: die E i n h e i t G o t t e s und die E i n h e i t d e r K i r c h e . Der Text des Symbols, soll er nicht nur als Aneinanderreihung einzelner Sätze verstanden werden, legt es zwingend nahe, die letzte nicht nur mit der ersten zusammenzusehen, sondern aus ihr abzuleiten: Dem einen Gott ist die eine Kirche in einem wesentlichen Sinn zugeordnet. Wie die religiöse Situation (nicht nur angesichts des noch lebendigen Polytheismus, sondern im Hinblick auf die trinitarischen Streitigkeiten) das betonte Bekenntnis zur Einzigkeit Gottes forderte, so verlangte die Lage der Kirche (angesichts lokaler, aber auch grenzübergreifender Abspaltungen) den Glauben an ihre wesensmäßige Unteilbarkeit. Wenn wir zum Verstehen dessen vordringen wollen, was damit gesagt ist, wird freilich an dieser Stelle eine Entscheidung von uns gefordert. Eine historisch-soziologische Erklärung für den in diesen Aussagen bekundeten Einheitswillen liegt auf der Hand: Der kirchliche Einheitsgedanke im 4. Jahrhundert, im Zeitalter Konstantins und der sich stabilisierenden Reichskirche, in dem zum letzten Mal die Vision eines die ganze bekannte und bewohnte Erde, die Ökumene umfassenden Imperiums realisierbar schien, mußte Ausfluß einer sich neu formierenden p o l i t i s c h e n T h e o l o g i e sein, für die himmlisch und irdische, kirchliche und staatliche Monarchie zusammenfielen und sich die christliche Kirche »für die Mitarbeit an der politischen Einigung des Reiches« (Alfred Adam) gewinnen ließ. Viele entscheidende kirchenpolitische Vorgänge des 4. Jahrhunderts sind tatsächlich durch das Zusammentreffen einer kritischen reichs- und einer prekären dogmengeschichtlichen Situation zu erklären. Tatsächlich: So kam, was die äußeren Abläufe betrifft, die »Einheit« ins Credo. Dennoch können wir uns mit dieser Erklärung allein nicht zufriedengeben. Denn sie läßt die Frage offen, wie der Einheitsgedanke so schnell und widerstandslos zum strukturbildenden Element im Bekenntnistext werden konnte. Sollte es sich dabei wirklich nur um einen Prozeß opportunistischer Anpassung an sich verändernde Machtverhältnisse gehandelt haben? Erst damit sind wir zur eigentlichen Kernfrage unseres Themas vorgedrungen: Welche Rolle spielt der Einheitsgedanke in der Ökonomie des christlich- t h e o l o g i s c h e n Denkens? III Denn es waren ja keineswegs zuerst die Verwandlungen auf der politischen Szene, die die christliche Theologie im 4. Jahrhundert veranlaßten, sich mit dem Einheitsgedanken auseinanderzusetzen. Geistesgeschichtliche Entwicklungen, in die sich das Christentum einbezogen sah, bildeten einen viel tiefer und nachhaltiger wirksamen Impuls. Im 3. und um die Wende zum 4. Jahrhundert wurde die spätantike geistige Welt von den Anstrengungen belebt, die von einer Erneuerung p l a t o n i s c h e r P h i l o s o p h i e ausgingen, besonders wirkungsreich formuliert durch Plotin und weitergetragen durch seinen Schüler und Herausgeber Porphyrios. Christliche Denker, die sich in der Nachfolge der Apologeten um eine den Zeitgenossen zugängliche Formulierung christlicher Glaubenserkenntnis bemühten, konnten bei Plotin Anregung finden, wie sich ja, vor Plotin, schon Origenes mit platonischem Denken beschäftigt hatte. Es finden sich Formulierungen bei Plotin, die ganz unmittelbar aus dem Herzen einer der christlichen verwandten Gottesbeziehung zu kommen scheinen: »Was hat denn eigentlich die Seele ihres Vaters Gott vergessen lassen...« beginnt eine Schrift Plotins, in der die Grundlinien seiner Lehre vom Sein dargestellt sind. An anderer Stelle sagt er: »Wenn man ohne die echte Tugend von Gott redet, so ist das leerer Name.« Auch für die Christen war die Verbindung von Lebenshaltung und Gottesbeziehung eines der unterscheidenden Merkmale in der spätantiken Umwelt. Und der platonisch-neuplatonische Grundsatz: »Auch folgen wir wohl, wenn wir darüber, was die Seele ist, unsere Prüfung anstellen, dem Gebot des Gottes, welcher gebietet, uns selbst zu erkennen«, ist dem paulinischen Gebot der Selbstprüfung nicht fern. Freilich betrat die neuplatonische Philosophie nicht als Verbündete, sondern als Konkurrentin des Christentums das Feld der geistigen Auseinandersetzung. Die christliche Theologie konnte sich diese Denkweise nicht einfach aneignen; im Gegenteil, Plotins Schüler Porphyrios hat eine besonders scharfe Kampfschrift gegen die Christen verfaßt, und die Abkehr Kaiser Julians (361-363) vom Christentum fand doch wohl im Neuplatonismus ihren geistigen Rückhalt. Die christliche Theologie hat sich dennoch den Denkformen des Neuplatonismus nicht grundsätzlich verschlossen, sondern in der produktiven Auseinandersetzung mit ihnen neue Aussagemöglichkeiten gerade für die subtilsten eigenen Problemlösungen gewonnen. Das trifft nicht nur für die Ausdrücke »physis« (Natur) und »hypostasis« (individuelle Wirklichkeit) als Bezeichnung letzter Wesenheiten zu - sie hat den Nachgeborenen manches Kopfzerbrechen bereitet -, sondern vor allem für jenen Begriff, dessen unwiderstehlicher Dynamik sich die christliche Theologie, einmal von ihr berührt, nicht mehr entziehen konnte: für Plotins metaphysischen Grundbegriff des E i n e n . Mit der gleichen Eindringlichkeit wie Plotin, aber in ganz anderer Weise zugleich auf die Weltwirklichkeit hin orientiert von der Einheit Gottes zu sprechen, das war also eine der Aufgaben der Theologie im 4. Jahrhundert. Ein Ergebnis dieser Bemühung liegt in unserem Bekenntnis vor: Nicht eine metaphysische Idee tritt uns in ihm entgegen, sondern es stellt uns dem Gott gegenüber, der aus der Isolierung seiner Einheit heraustritt, Geschichte bewirkt und diese Geschichte zugleich strukturiert, indem er in ihr Abbilder seiner eigenen Einheit sehen läßt und uns durch sie an ihr teilhaben läßt. Wenn man in der christlichen Dogmatik von den »vestigia trinitatis«, den Spuren der Dreieinigkeit gesprochen hat, die der Schöpfer seinem Schöpfungswerk aufgeprägt hat, so könnte in unserem Zusammenhang von »vestigia unitatis« die Rede sein: Im Erlösungshandeln zeigen sich immer wieder die Spuren der göttlichen Einheit. Das Zahlwort »eins« - es kommt im griechischen Text des Bekenntnisses in allen drei Genusformen »heis, mia, hen« (der, die, das eine) vor - ist nun nicht länger ein Begriff nur aus der Welt des Zählens, der Quantitäten und Mengen. Das Prädikat der Einheit verleiht dem christlichen Gottesbild und Offenbarungsverständnis eine eigene Qualität. In ihm ist mehr ausgesagt als das, was sich durch die Unterscheidung von »mono-« und »polytheistischen« Gottesvorstellungen festhalten läßt, soweit dabei das Wesen der Gottheit lediglich unter dem Gesichtspunkt der Abzählbarkeit betrachtet wird. Das Einheitsprädikat in seinem durch die Berührung mit platonischem Denken vertieften Sinn spricht Gott als höchstes Sein, als einzige und letzte Wirklichkeit an, die als solche zwar nicht unmittelbar erfahrbar ist, aber ihren Manifestationen in der geschichtlichen Welt - im menschgewordenen Gottessohn, im Geschenk des göttlichen Geistes, in der Gabe der Taufe und in der Sammlung der Kirche - den Stempel dieser Einzigkeit aufdrückt. So läßt sich dieses durch Einheitsprädikate strukturierte Glaubensbekenntnis als eine weiterführende Antwort der christlichen Theologie auf das deuten, was ihr an Anregungen und Herausforderung im Neuplatonismus entgegentrat: Nur als die e i n e kann die Kirche den Anspruch erheben, Manifestation der e i n e n letzten göttlichen Wirklichkeit zu sein. Trotzdem darf das Bedenken, die Theologie habe sich im 4. Jahrhundert unter fremdem Einfluß von der ihr ursprünglich anvertrauten Gotteserkenntnis entfernt, nicht leichtgenommen werden. Ihm aber dürfen wir die Erwägung entgegenstellen, daß die Begegnung mit den geistigen Impulsen des Neuplatonismus im christlichen Denken gerade auch Einsichten entbunden haben könnte, die in seinem Grundanliegen, seinen Elementen und seiner Überlieferung schon angelegt waren und nur noch einer letzten begrifflichen Klärung bedurften. Und dafür sind nun freilich Zeugnisse überreichlich anzuführen. Von dem Bekenntnis Israels 5. Mose 6,4 (in der Übersetzung Martin Bubers: »Höre Jissrael: ER unser Gott, ER Einer!«), auf das der Evangelist Markus (12,29) ausdrücklich zurückverweist, läßt sich ein Bogen zu der Formel des Epheserbriefs (4,4-6) schlagen: » E i n Leib und e i n Geist, wie ihr auch berufen seid zu einer Hoffnung eurer Berufung; e i n Herr, e i n Glaube, e i n e Taufe; e i n Gott und Vater aller, der da ist über allen und durch alle und in allen«, die schon als Vorstufe der späteren kirchlichen Bekenntnisse gelten darf. Für das Kirchenverständnis speziell kann an Paulusworte wie das von der Einheit des Leibes Christi (1. Korinther 12,12f.) erinnert werden: »Durch den einen Geist wurden wir in der Taufe alle in einen einzigen Leib aufgenommen«, und vor allem an das johanneische »Alle sollen eins sein« (17,21; vgl. Vers 11 u. 22), das ja zu einem Leitwort der ökumenischen Bewegung geworden ist. Politik und Philosophie mögen das Ihre dazu beigetragen haben, im christlichen Bewußtsein die Sensibilität für den Einheitsgedanken zu erhöhen und seine begriffliche Ausformung voranzutreiben; ein Fremdkörper war er aber nicht. Und in den kirchlichen Bekenntnissen des 4. Jahrhunderts kommt die Einheitsidee tiefer und wesentlicher als in jeder politischen Doktrin, konkreter und differenzierter als in der mystischen Philosophie Plotins zum Ausdruck, ohne daß dabei das überkommene biblische Erbe verfälscht wurde. IV Der Schritt vom vierten in unser ausgehendes zwanzigstes Jahrhundert, den wir nun vollziehen müssen, fällt leichter, als man annehmen könnte, weil wir durch unser Nizäno-Konstantinopolitanisches Credo, das für uns wie für den größten Teil der Christenheit über alle Kirchenspaltungen hinweg bis heute Gültigkeit besitzt, in unmittelbarer Kontinuität mit der Entstehungszeit jener altkirchlichen Bekenntnisformeln verbunden sind. Das gilt auch für die Kirchen der Reformation. In den Bekenntnistexten der Reformatoren wurde der Gedanke der Einheit der Kirche nicht nur nicht in Frage gestellt, sondern überall ausdrücklich vorausgesetzt. Zur Frage wurden den Reformatoren allerdings die Merkmale bestehender Einheit und die Instrumente, mit denen diese Einheit zu bewahren oder notfalls wiederherzustellen ist. Eigentlich ist das das geheime Thema der lutherischen Confessio Augustana und speziell ihrer Lehre von der Kirche, ja des evangelischen Nachdenkens über das Wesen der Kirche überhaupt. Die in Artikel VII des Augsburger Bekenntnisses genannten Hauptmerkmale der Kirche (»... welche ist die Versammlung aller Glaubigen, bei welchen das Evangelium rein gepredigt und die heiligen Sakrament lauts des Evangelii gereicht werden«) werden ausdrücklich als die entscheidenden, ja einzig relevanten Bedingungen kirchlicher Einheit benannt: »Dann dies ist gnug zu wahrer Einigkeit der christlichen Kirchen, daß da einträchtiglich nach reinem Verstand das Evangelium gepredigt und die Sakrament dem gottlichen Wort gemäß gereicht werden.« Und wenn Luther (in seiner Schrift »Wider Hans Worst«, 1541) für die reformatorischen Gemeinden in Anspruch nimmt, nicht »ein neue Kirchen angericht« zu haben, sondern »bey der rechten alten Kirchen blieben« zu sein, läßt er erkennen, wie schwer er den Vorwurf nimmt, er habe die Einheit der Kirche angetastet: Nach seiner Überzeugung konnte sich christliche Existenz nur innerhalb der einen alten Kirche verwirklichen. Wenn das aber so ist - und die Bekenntnistexte, von denen wir ausgingen und die wir zu verstehen suchten, legen das nahe -, dann ist in der anfangs erwähnten Formulierung »Einheit vor uns« die ökumenische Situation, in der wir uns heute finden und in der wir die Verantwortung für die Einigkeit der Kirche ernst nehmen, nicht ganz korrekt beschrieben. Denn wenn es so ist, dann ist die Einheit nicht »vor«, freilich erst recht nicht nur »hinter« uns (in einer romantisch verklärten Vergangenheit), sondern sie ist unausweichlich immer schon bei uns; genauer vielleicht noch: Wir sind mit unserem Christsein immer schon in ihr. Der Gedanke, die Einheit sei durch institutionelle Vereinheitlichung herzustellen, geht dann am Wesen der Sache vorbei. »Einheit« ist, so hatten wir gesehen, zuerst ein Wesensmerkmal Gottes, ein theologisches Prädikat. Das Kirchenprädikat der Einheit ist von dem theologischen Prädikat abgeleitet. Die Kirche ist e i n e , weil und insofern sie das Wesen des e i n e n Gottes in der geschichtlichen Welt abbildhaft repräsentiert. Die Institutionen müssen diesen Abbildcharakter nicht erst hervorrufen, sie können ihm nur dienen; sie können ihn aber auch - und darin liegt das unausweichliche Risiko kirchlicher Wirklichkeit von den Anfängen her - in verhängnisvoller Weise gefährden, und sie tun das oft gerade dann, wenn sie als Repräsentation der Einheit unbedingte Anerkennung fordern. Das gilt von der Idee der orthodoxen Reichskirche ebenso wie von dem Anspruch eines römischen Kirchenreichs; es gilt aber auch von einem zu selbstsicheren Pochen auf den Besitz des Evangeliumswortes, wie es den Kirchen der Reformation naheliegt. So ist es kein Umweg zum Verständnis wahrer Einheit, wenn wir hier noch einmal auf Luther verweisen und ihm folgen, der in seiner Hauptschrift zum Kirchenverständnis »Von den Konziliis und Kirchen« (1539; für unseren Zusammenhang ist es wichtig zu wissen, daß das Wort »Kirchen« in diesem Buchtitel als Einzahl - »von der Kirche« - zu verstehen ist) das Wesen der Kirche von dem zweiten der vier im Bekenntnis zusammengefaßten Kirchenprädikate (»die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche«), von der H e i l i g k e i t her beschreibt, und daß er dies wiederum, ganz im Sinne des Bekenntnistextes, vom Gesamtsinn des dritten Glaubensartikels her versteht: Die Kirche ist heilig, weil und wenn sie durchwirkt ist vom H e i l i g e n G e i s t . Aus diesem Grundverständnis lassen sich für Luther alle Hauptmerkmale der Kirche ableiten. Es ist wichtig zu beachten, daß die sieben Merkzeichen für die Heiligkeit (und damit die Einheit) der Kirche, die Luther hier hervorhebt - Gottes Wort, Taufe und Abendmahl, Lossprechung, kirchliches Dienstamt, Gebet und Christusnachfolge im Leiden - nur besonders markante »Heilthümer«, also Heiligungsmittel sind, mit denen Gott seine Kirche versehen hat. Grundlegender aber ist etwas anderes: »Christliche heiligkeit oder gemeiner Christenheit heiligkeit ist die / Wenn der heilige Geist den Leuten glauben gibt an Christo vnd sie dadurch heiliget.« Dadurch wird eine neues Gottesbeziehung geschenkt, Gotteserkenntnis, Stärke und Trost in allen Anfechtungen vermittelt. »Solchs heisst ein newe heilig leben in der seele nach der ersten Tafel Mosi.« Doch nicht allein die Seele wird durch das Werk des Heiligen Geistes verwandelt, neues Leben durchformt auch die sichtbare Wirklichkeit »Jn der ändern Tafeln vnd nach dem leibe heiliget er die Christen auch« - hier gibt Luther eine gedrängte Übersicht seiner Deutung der Gebote vier bis sieben des Dekalogs mit der Zusammenfassung: »Solches thut der heilige Geist / der heiliget vnd erwecket auch den Leib zu solchem newen leben / bis es volbracht werde in jenem leben.« Das corpus Christi mysticum hat sein wahres Dasein nicht schon in der Dynamik persönlicher Gotteserfahrung und nicht erst in einer universalen Organisation, sondern in einer Geistigkeit, die bereit ist, sich dienend in die Weltgeschicke einzubringen und einzumischen. Die »Früchte« ihrer »Gerechtigkeit« (2. Korinther 9,10) - das ist es, womit die Kirche der Welt dienen kann und gedient hat. Sie kann es nur, wenn sie aus dem Geist ihrer Einheit, das heißt aus dem e i n e n Geist des e i n e n Gottes handelt; sie gewinnt auch äußere Einigkeit, wenn sie zu solchem Dienst entschlossen ist. Aber ist sie es? Ihr immerwährendes Gebet sollte lauten: »Komm, Heiliger Geist,Quatember 1993, S. 137-148 |
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