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Slawischer Volksstamm eigener Kultur:
Die Sorben in Deutschland

von Siegfried Röder

LeerDie 60.000 Sorben leben heute in der Ober- und Niederlausitz. Ein ursprünglich slawischer Volksstamm, dem es gelungen ist, eigene Kultur über viele Jahrhunderte zu bewahren. Als Hauptstadt der Sorben gilt eine Stadt mit Erblast: Bautzen.

LeerImmer weniger sieht man von den alten Trachten der Sorben. Die Alltagstracht mit der schwarzen Kappe, dem bodenlangen Rock und Schürze, die nach alter Tradition mit einem filigranen Blaudruckmuster verziert ist, tragen die Sorbinnen in den Städten und Dörfern der Lausitz heute nur noch ganz selten. Dennoch sind im kleinsten der slawischen Völker die Sprache, eine eigenständige Kultur, Literatur, Musik, Gesang, Tanz und viele der alten Volksbräuche wie das Ostereiermalen, das Osterreiten oder die Vogelhochzeit lebendig geblieben. Höhepunkt ist aber eine sorbische Hochzeitsfeier, zu der die ganze Gesellschaft in der kostbaren Festtagstracht erscheint. Wer »sorbisch« heiratet, dem sind immer viele Zaungäste gewiß, denn das spricht sich sehr schnell herum im kleinen »Sorbenland«.

LeerZur Zeit der großen Völkerwanderungen, in der Mitte des 6. Jahrhunderts, besiedelten Westslawen, unter ihnen auch die vom Nordrand der Karpaten kommenden zwanzig Sorbenstämme, das Gebiet zwischen Elbe/Saale und Oder/Queis. »Wenden« wurden sie von den Deutschen genannt, in den folgenden Jahrhunderten durch das deutsche Kaiserreich unterworfen und germanisiert. Lediglich die Sorbenstämme der Milzener (um Bautzen) und der Lusizer (um Cottbus) konnten sich behaupten. Als in der Mitte des 16. Jahrhunderts protestantische Geistliche eine eigene sorbische Literatur schufen, indem sie Bibel, Katechismus und Gesangbuch aus dem Deutschen übersetzten, entstand die sorbische Schriftsprache. Erst in den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts kam es zu einer breiten sorbischen Volksbewegung, einem eigenständigen Nationalbewußtsein und, damit verbunden, zur Entfaltung der sorbischen bürgerlichen Kultur.

LeerDie 1912 als Dachverband sorbischer Vereine gegründete Domowina wurde 1937 von den Nationalsozialisten ebenso verboten wie die sorbische Presse und alle anderen sorbischen Aktivitäten, die allesamt als staatsfeindlich galten. Unter der früheren DDR-Staatsmacht wurde zwar eine Reihe sorbischer Institutionen aufgebaut und hoch subventioniert: zum Beispiel das Institut für die sorbische Volksforschung, das staatliche Ensemble für sorbische Volkskultur, der Domowina-Verlag, das Sorbische Volkstheater, Grund- und Oberschulen sowie sorbische Abteilungen in den Ministerien für Kultur, für Inneres und für Volksbildung. Der Preis für diese großzügige Förderung aber war die völlige politische Integration. Im wesentlichen ist im Einigungsvertrag der Fortbestand der sorbischen Institutionen garantiert. In der 1991 gegründeten »Stiftung für das Sorbische Volk« ist die Förderung der Sorben von staatlicher Seite zusammengefaßt.

LeerBautzen, wo die wichtigsten sorbischen Institutionen im »Serbski Dom« (Haus der Sorben) ihren Sitz haben, gilt darum als die Hauptstadt der Sorben. Wie auch die umliegenden Dörfer ist die Stadt zweisprachig. Auf dem gelben Ortsschild sind gleich zwei Namen zu lesen: Bautzen und (sorbisch) Budysin. Die »kurze Gasse« heißt außerdem »Krotka Kasa«, und über dem »Fischerhaus« in der Reichenstraße steht auch in sorbischer Sprache »Rybowy Dom« geschrieben. Die Stadt im Dreiländereck Sachsen-Polen-Tschechei überrascht ihre Besucher mit einer klassischen Silhouette, die von trutzigen Mauern und Wehrtürmen, der Ortenburg und dem Dom bestimmt ist. Schon von weit her wird sie sichtbar, denn der tausendjährige Ort, einst eine bedeutende, reiche Handelsstadt, ist auf einem Granitfels hoch über der Spree erbaut. In der Altstadt erwacht jetzt das pittoreske, mittelalterliche Straßenbild aus bröckelnder Lethargie zu neuem Leben.

LeerNicht minder als Bautzens historische Bausubstanz hat der Ruf der Stadt gelitten: Man bringt ihren Namen mit KZ und Stasigefängnis in Verbindung. Nun schickt man sich an, zu retten, was noch zu retten ist. Ein frisch restaurierter weißer Renaissancebau, Glanzstück in der Großen Brüderstraße, setzt Maßstäbe. Ebenso wie die Diskussion um das neu zu definierende Image der Stadt zwischen der Teich- und Heidelandschaft im Norden und den Bergen der Oberlausitz im Süden. In einem Punkt scheint man sich einig zu sein: »Wir wollen Bautzen bleiben - einmalig und unverwechselbar«, so sagt es die Leiterin in der Stadtinformation.

Quatember 1993, S. 178-179

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-03-30
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