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Irland und seine Heiligen: Patrick, Brigid, Columba, Columbanus
von Doreen Bangerter

Vortrag auf dem Michaelsfest des Konventes Schweiz der
Evangelischen Michaelsbruderschaft in Myross Wood (Irland)


LeerDer Pfarrer hatte ernsthaft und in reformierter Länge zum Thema »Heiligkeit« gepredigt und stellte zum Schluß die rhetorisch gemeinte Frage: »Nun, liebe Gemein-de was ist ein Heiliger?« Ein kleines Mädchen hob vertrauensvoll die Hand und sagte: »Herr Pfarrer, dort oben ist einer hinter Ihnen, im Glasfenster - das Licht scheint hindurch und macht ihn so schön«. Besser kann man es nicht formulieren: Ein Heiliger ist ein Mensch, durch den das himmlische Licht hindurchscheint und ihn zum farbigen Ebenbild Gottes macht.

LeerDie Historiker Deutschlands reden vom 13. Jahrhundert als dem dunklen Mittelalter. Die Engländer hingegen reden von den »dark ages« und meinen damit das 5. und 6. Jahrhundert, als Europa nach dem Untergang des römischen Weltreiches in Chaos zerfiel, als die Volkerwanderung weite Landstriche überflutete und alte Sitten und Bräuche wegschwemmte. Das Licht, das den Kontinent wieder beleuchten und auch erleuchten sollte, strahlte aus Tir n'an Og, dem »Land der ewigen Jugend« am westlichen Rande der damals bekannten Welt, aus den Nebelschwaden des keltischen Zwielichtes, aus Irland.

LeerDas Zeitalter der irischen Heiligen ist ein unfaßbares Phänomen. Sie warfen sich in die Schlacht gegen die heidnische Masse, die die christliche Welt und Kultur zu überrollen drohte. Sie hatten keine Waffen in der Hand, nur Mut und Gottvertrauen.

I

LeerDie Behauptung, Patrick habe im Alleingang ganz Irland für Christus gewonnen, ist sicher fromme Legende. Bereits vor seiner Ankunft gab es in Irland kleine Christengemeinden. Wir wissen, daß zum Beispiel Declan von Ardmore und drei andere Bischöfe vor Patrick das Evangelium verkündigten und Gläubige sammelten.

LeerIm Jahr 431 - also im gleichen Jahr, in dem Patrick seine Mission begann - entsandte Papst Cölestin nach der Chronik des Prosper von Aquitanien einen Bischof - Palladius - nach Irland mit dem Auftrag, den »Iren, die an Jesus Christus glauben«, ein Oberhirte zu sein.

LeerWoher hatten aber diese Iren das Evangelium? In Legenden wird von Menschen berichtet, die »von weit her kamen«. Anhand von Funden haben Archäologen den Hinweis erbracht, daß ein lebhafter Handel zwischen Irland und dem Mittelmeerraum bestand, und zwar einerseits auf dem Wasserwege von Ägypten, Kreta, Sizilien, Malta und der Berberküste Nordafrikas und andererseits auf den alten Handelsstraßen über Spanien und Frankreich in die Bretagne. Mit den Handelswaren kamen auch Menschen und mit ihnen neue geistige und geistliche Impulse. So wurde der Weg vorbereitet für eine Kirche in Irland, die unter koptischem Einfluß stand und damit wesensverwandter mit Byzanz war als mit Rom. Es ist durchaus möglich, daß die irischen Druiden die erste Kunde von Christus aus ägyptischen oder jüdischen Quellen hatten. Bereits im 3. Jahrhundert schrieb Origenes in Alexandrien, daß Teile von Britannien, die die römischen Legionen nie betreten hatten, für Christus gewonnen worden waren: also Wales, Nordwestschottland, Cornwall und eben Irland.

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LeerDie Wiege der keltischen Kirche war die ägyptische Wüste, in den Klöstern, Klostersiedlungen und Einsiedeleien der Wüstenvater Antonius, Paulus und Pachomius. Mit den Seefahrern sind wohl Wandermönche mit auf den Weg gegangen. Um ihre Zellen entstanden die für die koptische Kirche typischen zönobitischen Klöster, wie im Wadi Natrun südlich von Alexandrien. Typisch für diese Anachoretenzellen war es, daß die Mönche weitgehend Laien waren, die in strenger Askese lebten und eine besondere Mystik pflegten. Gerade diese finden wir wieder in der Frühzeit der keltischen Kirche. Als später richtige Klöster entstanden, übernahmen die Baumeister gewisse Eigenheiten der koptischen Bauweise, zum Beispiel solil eine Art von Tonnengewölbe nur in Ägypten und in Irland zu finden sein.

LeerEs ist vielleicht ein toller Gedankensprung - aber hat am Ende das Land Thüringen sein Evangelium aus der ägyptischen Wüste über Kilian von Würzburg erhalten?

LeerWer war dieser Mann Patrick? Patrick wurde um das Jahr 390 geboren, aber nicht hier in Irland, wie man so oft meint. Er stammte aus der britischen Kirche, die auf den heiligen Alban zurückgeht. Patricks Vater Calpurnius war Decurio, Stadtrat und Diakon seiner Kirche. Der Großvater war Priester. Nach den Chroniken hieß sein Geburtsort »Bannavem Taburniae«, im Westen des Landes gelegen, zwischen den heutigen Städten Bristol und Glasgow. Patrick war also sehr wahrscheinlich walisischer oder schottischer Abstammung, also Kelte. Sein Elternhaus war christlich, aber wie Patrick selbst in seiner Confessio schrieb: »Er kannte Gott nicht.« In seiner Jugend wurde der väterliche Hof von irischen Piraten überfallen und verwüstet, er wurde gefangengenommen und nach Irland verschleppt. Er mußte wie der verlorene Sohn als Schaf- und Schweinehirt dienen und hatte nun reichlich Zeit, über seine vertanen Jugendjahre nachzudenken. Er betete, bereute seine Sünden, suchte Gott und fand ihn. Nach sechs langen Jahren konnte er entfliehen und gelangte wieder in die alte Heimat. Dort wurde er Diakon seiner Kirche.

LeerIn Fasten und Gebet gewann er die innere Gewißheit, daß Gott ihn zum Dienst in Irland rufe. Er verließ Britannien, zog auf der alten Völkerstraße durch das Rhonetal über Arles nach Italien und erreichte schließlich Rom. Der Papst erfüllte sine Bitte, als Missionar nach Irland gehen zu dürfen. Er war darauf einige Zeit zur Ausbildung im Kloster St. Honorat auf der Insel Lerina bei Cannes in Sudfrankreich - eine Gedenktafel erinnert heute noch daran -, dann auch in einem Kloster bei Tours, und endlich kehrte er nach Irland zurück, wo er im Norden des Landes seine Misson anfangen konnte. Der Überlieferung nach kam Patrick nicht weiter nach Süden als bis Cashel - darüber hinaus bestanden bereits Gemeinden. Sein Hauptmissionsgebiet blieb der Norden der Insel, und sein Name bleibt für immer verbunden mit der Gründung von Ard Macha im Jahre 444 - der »Anhöhe der Göttin Macha« -, also der heutigen Stadt Armagh, dem Sitz der Primaten, der Erzbischöfe der römisch-katholischen wie der anglikanischen Kirche in Irland.

LeerPatrick stammte aus einer Kirche der römischen Provinz. Vieles davon war Hand fremd, und die Stammesgemeinschaft mit ihren Strukturen war nicht immer geeignet, eine Kirche nach römischem Modell zu übernehmen. Es blieben Unterschiede zwischen dem Norden und dem Süden der Insel und auch zwischen den einzelnen Gemeinden. Dennoch: Patrick war und blieb der große Apostel Irlands. Sein Kleeblatt - das irische Shamrock - als Zeichen der Dreifaltigkeit ist uns täglich vor Augen.

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II

LeerWenn vieles, was von Patrick berichtet wird, als fromme Legende angesehen werden muß - so die Verbannung der Schlangen! -, so ist die Gestalt seiner jüngeren Zeitgenossin Brigid erst recht sagenumwoben. Man will in ihr die heidnische Göttin Brigantia sehen, der weite Teile von Irland und Britannien geweiht waren - in der irischen Mythologie die Tochter des Dagda-All-Vater, eine Erdgöttin-Mutter aller Göttinnen (Malkut im jüdischen Mystizismus). Man will bei ihr sogar die Kuhhirtinnen sehen, die Krischna umtanzten. Brigid soll das Kreuzgeheimnis Christi mit geflochtenen Binsen dargestellt haben - aber die Form des Kreuzes ist das uralte Sonnenrad aus dem Orient. Wie dem auch sei - sie gilt als die Sophia/Maria-Gestalt der keltischen Kirche, Pflegemutter von Christus, die der ganzen Menschheit Schutz, Licht und Warme spendet: Lichtträgerin, Schutzherrin von Menschen, Haus und Vieh.

LeerDie historische Brigid - soweit man es überhaupt nachweisen kann - kam anfangs Februar des Jahres 450 zur Welt. Der 1. Februar ist der keltische Fruhlingsanfang. Zu Lichtmeß geboren, wurde sie zur Lichtträgerin, und wie im Kult der heidnischen Brigantia wurde ihr zu Ehren in der Abtei von Kildare bis ins Spätmittelalter ein immer brennendes Feuer unterhalten. Brigid war Tochter eines Prinzen von Leinster und einer Magd. Man sagt, sie sei auf einer Türschwelle zur Welt gekommen, also weder innerhalb noch außerhalb des Hauses, und als Kind habe sie keine dauernde Heimat gehabt. Sie wurde als Sklavin verkauft und diente im Hause eines Druidenpriesters. Mit etwa acht Jahren wurde sie von Patrick selbst getauft. Später sollte sie einen Adeligen heiraten, sie weigerte sich jedoch und legte die ewigen Gelübde ab. Sie gründete die Doppelabtei Kildare - Cill Dara, die Kirche des Eichbaumes - und regierte dort souverän. Die Mönche dienten als Priester und versorgten die Abtei. Brigid berief Conleath zum Bischof, »der guten kirchlichen Ordnung halber«, wie sie schrieb, aber Herrin im Hause war sie selber. In alten Schriften wird Brigid oft mit einem Bischofsstab in der Hand dargestellt - ihr Attribut in der Kunst ist eine Kirche. Sie starb im Jahr 525 und wurde wie Conleath in Kildare bestattet. Später wurden ihre Gebeine nach Downpatrick (Nordirland) überführt und in der Reformationszeit zerstreut. Brigid gilt als Schutzpatronin Irlands.

LeerDie Mitte des 6. Jahrhunderts war die Blütezeit der Klostergründungen in Irland. Junge Männer und Frauen wandten sich diesem neuen Lebensstil zu, der praktisches Christentum, Mut, Selbstdisziplin und Initiative von ihnen forderte. Die Klöster hatten eine zweifache Grundlage: die zönobitischen Klöster Ägyptens und die Schulen der Druiden in Irland selbst. Praktisches Modell für die Keltenklöster war aber Marmoutier, das berühmte Haus des heiligen Martin von Tours, der aus dem ungarischen Pannonien stammte. Ninian, der Apostel der Pikten (eines schottischen Volksstammes, der sich blau anmalte - lateinisch pictus = bemalt), besuchte Martin in Candes und nannte sein eigenes Kloster ihm zu Ehren Casa Candida.

LeerDie irischen Klöster waren vielfältig in ihren Strukturen und Aufgaben. Es waren Siedlungen, in denen ganze Familien lebten und arbeiteten. Die Laienbrüder hießen »manaig«. Mit ihren Frauen zusammen versorgten sie die Gemeinschaft, und ihre Kinder besuchten die Klosterschule. Einzig die Asketen lebten nach der strengen Regel und waren nicht immer zahlreich. Auch der Abt durfte verheiratet sein, und das Amt vererbte sich oft auf seine Söhne. Der Abt leitete die geistlichen wie auch die praktischen Aufgaben der Klostergemeinschaft. Wir müssen uns diese etwa so vorstellen: kleine Gruppen von Mönchen und Klosterfrauen, die sich einzig dem geistlichen Leben widmeten. Es gab eine Klosterschule. Der Unterricht geschah in Latein. Die Kinder erhielten eine gründliche Ausbildung in Grammatik, Rhetorik, Geometrie, Kalligraphie und Kirchengesang, vor allem aber die Kenntnis der Heiligen Schrift. Es wurden auch Kinder zur Betreuung aufgenommen, so vielfach aus adeligen Kreisen. Die Klöster förderten die Kunst in Form von Metallarbeiten, Steinmetzkunst und illuminierten Handschriften. Es kamen auch praktische soziale Aufgaben hinzu, wie Geldwesen, die Regelung von Eigentumsverhältnissen und das Recht. Das Kirchenasyl war heilig. Und es wurden Gesetzesbrecher aufgenommen, die dann in einem Leben von Buße und Dienst der grausamen weltlichen Justiz entzogen wurden. Speicher mil Lebensmitteln sorgten für Notzeiten. Gastfreundschaft war oberstes Gebot. Die heilige Brigid hatte das Herzensanliegen, Gastfreundschaft zu gewähren.

LeerErstes Mutterhaus der irischen Klöster war das Haus des heiligen Enda auf den Araninseln. Von hier ging unter anderem Finnian von Moville aus, der sich unweit von Belfast niederließ und dort eine Schule gründete, von der aus viele Klostergründungen entstanden, so das 555 durch Comgall begonnene Bangor, das möglicherweise größte und bedeutendste Zentrum Irlands in seiner frühen Zeit. Finnian von Clonard wurde bekannt unter dem Namen »Lehrer der Heiligen von Irland«. Diese wiederum wurden bekannt als die »zwölf Apostel Irlands«.

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III

LeerNeben Ciaran von Clonmacnoise, Brendan von Clonfert, Colman von Terryglas, Sinell von Cleenish bildete sich bei Finnian der große Columba aus. Columba wird von den Iren selbst »Columcille« genannt - nach dem lateinischen Wort für Taube, also Taube der Kirche. Columba gründete später die großen Klöster Derry, Kells, Durrow und lona.

LeerColumcille stammte aus der königlichen Familie von Ulster. In jungen Jahren war er sowohl »Falke« wie »Taube«, aber für Menschen dieser Zeit war dies kein Widerspruch - ein Mann Gottes konnte durchaus auch ein Mann der Waffen sein. Im Jahr 560 fand das letzte Fest von Tara statt. Es gab Streit zwischen dem halb-heidnischen König Diarmuid und der Kirche. Tara wurde von den Heiligen Irlands verflucht. Langsam überdeckte Gras den Hügel von Tara. Zwar blieb der Titel eines Hochkönigs von Tara noch bis in die Zeit Brian Borus' um das Jahr 1000, aber Geltung und Einfluß waren dahin. Wie jeder Mönch seiner Zeit lernte Columcille die Kunst der Kalligraphie. Der Psalter, der seinen Namen tragt - das Cathach von Columcille -, stammt aus seiner Feder. Das Buch ist lateinisch geschrieben, in typisch keltischer Schrift und mit Dekorationen im koptischen Stil, mit Initialen nach Mustern der keltischen Eisenzeit, in den Metallarbeiten der vorchristlichen La Tène-Zeit.

LeerDiese Kunst sollte Columcille zum Verhängnis werden. Im Jahr 560 machte er eine Abschrift des Psalters, der Eigentum des Finnian von Moville war. Finnian verlangte, daß diese Kopie ihm übergeben werde. Columcille weigerte sich und rief den König zum Richter an. Dairmuid gab den bekannten Spruch von sich: »Jeder Kuh ihr Kalb« und verurteilte Columcille zur Herausgabe des Psalters. Dieser war sehr verärgert und versuchte, sich am König zu rächen. 561 entflammte ein Streit zwischen dem König und der Kirche. Es ging vor allem um die Frage des Asylrechts in Abteien und Klöstern. Columcille rief seine Stammesangehörigen aus dem Clan der nördlichen O'Neills in Ulster zum Kampf gegen den König auf. Bei der Schlacht von Cul Dreimne wurde der König besiegt und starb im Stile des Macbeth. Aber Columcille wurde von der Synode wegen seiner Beteiligung am Kriegsgeschehen verurteilt und nach Schottland verbannt.

LeerSein Exil bei den Scoti von Dalriada - seinen irischen Landsleuten im Nordwesten Schottlands - mag tatsächlich eine Folge des Urteils der Synode sein. Vielleicht war es aber auch ein persönlicher Bußakt - ein Beispiel der Pilgerschaft, wie sie für die irischen Mönche typisch war. Columcille blieb bis an sein Lebensende in Schottland und sah seine geliebte Heimat nie wieder. Sein Heimweh nach Irland war groß, und die Gedichte sind bewegend:
Welch Glück, die weißschäumende See zu überfliegen
und die Wellen an Irlands Küste brechen zu sehen.
Mein Fuß ist in dem kleinen Boot,
doch immerfort blutet mein Herz.
Ein graues Auge ist, das immer schaut
nach Irland über die grauen Wasser.
Doch niemals wird es Mauds Söhne
noch Töchter sehen in diesem Leben.
Oh junger Schiffer, nimm mein Leid mitl dir,
bring es Comjalls ewigem Herzen.
Oh edler Jüngling, nimm mein Gebet mit dir
und den Segen meines Herzens.
Ein Teil für Irland, siebenmal gesegnet.
Ein Teil für Schottland: Ich bitte dich,
trag meinen Segen gegen Westen,
trag ihn über die See.
Mein Herz ist in der Brust gebrochen.
Wenn Tod sich jählings auf mich niederläßt,
ist es der großen Liebe wegen,
die ich für der Gälen Volk im Herzen fühle.
Wir kennen Columba als Gründer von lona, einer kleinen Insel der inneren Hebriden im Nordwesten Schottlands. Auf lona waren die Eremiteien auf der ganzen Insel zerstreut wie in der Wüste Ägyptens. Der Abt regierte absolut im Klosterbezirk. Er unterstellte sich dem Bischof nur, wenn dieser ins Kloster kam, um die Eucharistie zu feiern oder zu ordinieren. Und dies erst nach vorheriger Absprache mit dem Abt. Die Liturgie war gallikanisch und nicht römisch, auch die Gesänge waren gallikanisch und nicht gregorianisch. Man kennt auf dem Kontinent viel zu wenig die im 6. Jahrhundert aufbrechenden Unterschiede im Mönchswesen - zwischen dem römisch-griechischen, wie er durch Papst Gregor I., den Apostel Englands, vertreten war, und dem byzantinisch-nahöstlichen Einfluß. Papst Gregor sandte Augustin nach Canterbury (gestorben 604): Dieser war Italer. Nordengland wurde durch Aidan, einen Iren, von lona aus geformt. Beide Auffassungen prallten aufeinander. Eine Atmosphäre der Mystik und der Wunder umgab Columcille auf lona. Es gab viele Heilungen durch Gebet und Glauben. - Im Alter war Columba tatsächlich eine Taube: ein großer Evangelist, Lehrer und Seelsorger, Staatsmann und Administrator, ein Prediger mit geistlicher Vollmacht und großer Liebe. Er starb friedlich auf lona im Jahr 597.

LeerDie keltische Kirche kannte drei Formen / drei Farben des christlichen Martyriums: das rote, das grüne und das weiße.
Rot: der blutige Opfertod. Es gab in der keltischen Kirche praktisch keine solchen Blutzeugnisse. Der Boden für eine fruchtbare Aufnahme des Evangeliums war durch die Druiden und ihre Kultur vorbereitet worden. Viele Merkmale des christlichen Glaubens - so zum Beispiel der Glaube an ein Leben nach dem Tode - waren bereits bei den Druiden vorhanden.
Grün: die Askese des Mönchslebens.
Weiß: der Weg ins Exil, in die Fremde, das Verlassen der Heimat.

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IV

LeerMit Columcille brach die große Zeit des weißen Martyriums an - die Peregrinatio. Einige Jahre vor dem Tode Columbas brach Columbanus auf, in Begleitung von zwölf Gefährten, unter ihnen »unser« Gallus. Sie zogen nach dem Festland, und keiner sollte die grüne Inselheimat wiedersehen. Als die Mutter von Columbanus ihr Kind unter dem Herzen trug, hatte sie einen seltsamen Traum: Aus ihrer Brust hervor gehe eine strahlende Sonne auf, die die ganze Welt erleuchten würde. Im Jahr 543 kam dann dieses Sonnenkind zur Welt, wahrscheinlich im Südosten der Insel. Es wurde von seiner Mutter fromm erzogen und ging später zur Ausbildung in eine Klosterschule. Als junger Mann war Columbanus schön, elegant und attraktiv, und die Frauen liefen ihm nach. Als eine junge Dame sich besonders hartnäckig an ihn heranmachte, beschloß er endgültig, sich von Familie und Freundeskreis zu trennen. Der Abschied von seiner Mutter war besonders schwer. Im Jahr 560 trat er ins Kloster Cleenish ein, das nicht lange vorher von Sinell gegründet worden war. Sinell war der Schüler von Finnian in Clonard gewesen und leitete sein eigenes Haus im gleichen Sinn der strengen Askese, mit besonderer Betonung auf gründlichem Studium und intellektueller Bildung.

LeerNach seiner Ausbildung in Cleenish trat Columbanus in die Gemeinschaft des Comgall von Bangor ein, an der Südküste des heutigen Belfast Lough gelegen. Comgall war Schüler des Fintan von Clonenagh gewesen, der die strengste Richtung des asketischen Lebens vertrat. Bangor wird in dieser Hinsicht nicht anders gewesen sein: streng, aber schön. Ein Loblied auf die Regel von Bangor ist uns überliefert und soll von Columbanus selbst stammen. Er lebte einige Jahre als Mönch in Bangor, wurde von den Senioren zur Priesterweihe vorgeschlagen. Wahrscheinlich stand er einige Zeit der Klosterschule vor. Aber er fühlte sich zur Peregrinatio hingezogen. Comgall ließ ihn ungern ziehen, aber im Jahr 590 verließ er Bangor mit zwölf Begleitern auf dem Seeweg. Sie segelten in eine ungewisse Zukunft. Sie erreichten das Festland in der Bucht von St. Malo in der Bretagne. In Cancale erinnert ein Stehkreuz an die überlieferte Landestelle. Gallien war damals ein geistlich verkommenes Land - formell noch christlich, aber wegen ewiger Kleinkriege unter den Nachfolgern des Frankenkönigs Chlodwig und weltlicher Ambitionen der Bischöfe dem Chaos verfallen. Columbanus zog zuerst nach Rouen, später erreichte er Reims in Neustrien, im Gebiet zwischen Loire und Maas. Er wurde vom König wohlwollend aufgenommen und erhielt Land angeboten für eine Klostersiedlung. Die kleine Schar durchstreifte die Grenzgebiete von Austrasien und Burgund und wählte schließlich als Bleibe eine verlassene römische Festung in den Vogesen: Anagrates, besser bekannt unter dem französischen Namen Annegray. An der Stelle eines alten Diana-Tempels bauten sie ihre erste Kirche, die sie dem heiligen Martin von Tours weihten. Unter großen Entbehrungen entstand ein Kloster. Bald kamen dann die ersten Pilger, und in der Folge wurden diese immer zahlreicher.

LeerColumbanus entzog sich dieser Unruhe und richtete an einem Berghang eine Eremitei ein, wo er sich dem Gebet und der Meditation widmen konnte. Von dort besuchte er seine Brüder in Annegray und später in der zweiten Niederlassung im römischen Luxovium - Luxeuil und dann im dritten Kloster in Fontaine. Luxeuil wurde wegen seiner hervorragenden Schule berühmt. Der Überlieferung nach lebten um die 200 Mönche in den drei Klöstern - die Iren waren also eine sehr kleine Minderheit. Es entstand die Notwendigkeit einer geschriebenen Regel: der Regula Monachorum, von Columbanus selbst verfaßt. Columbanus war keine Taube und schon gar kein Diplomat. Er lebte in ständigem Streit mit den Landesbischöfen und der Hierarchie, die er als dekadent bezeichnete. Er bestand darauf, weiterhin nach dem irischen Termin Ostern zu feiern. Er vertrat die gallikanisch-irische Form von Kirche und Mönchtum und geriet in Gegensatz zu den von Rom ausgehenden zentralistischen Tendenzen. Der Abt von Leins bei Cannes sollte schlichten. Columbanus sollte sich dem Konzil von Chalon-sur-Saône, etwas westlich von Luxeuil, stellen. Er weigerte sich aber und brachte seine Gedanken unmißverständlich zu Papier. Er denunzierte die Lebensweise des Nachfolgers von König Childebert von Burgund. Dies trug ihm die Feindschaft der Großmutter Königin Brunhilde ein. Die Hierarchie machte mit der Königin gemeinsame Sache. Columbanus sollte nach Irland deportiert werden, und die gallischen Mönche des Klosters sollten bleiben dürfen.

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LeerDie Gruppe zog über Avallon, Vézelay und Autun nach Orléans, Tours und Nantes, von wo ein Schiff sie nach Irland bringen sollte. Ein heftiger Sturm hinderte den Kapitän am Auslaufen - er wertete dies als Zeichen Gottes dafür, daß die frommen Männer im Lande bleiben sollten, und er ließ sie ziehen.

LeerVon Nantes zog die Gruppe über Paris und Soissons nach Metz. König Theudebert lud Columbanus ein, im noch immer heidnischen Teilgebiet im Osten seines Reiches das Evangelium zu predigen. Auf der Mosel gelangte die Schar über Trier nlach Koblenz, dann rheinaufwärts über Mainz, Worms und Speyer nach Basel. Hier verließ Ursicinus die Gruppe und reiste allein weiter in den Schweizer Jura, wo er in St. Ursanne eine Eremitei gründete. Bei Basel verließ Columbanus den Rhein und zog Aare und Limmat nach. Einige Zeit weilte die Gruppe in Tuggen am Zürichsee - die dort wahrscheinlich keltischen Bewohner waren leichter zu gewinnen als die alemannischen Sippen, die noch Wotan verehrten. Gallus versuchte heidnische Tempel zu zerstören, aber die kleine Schar mußte fliehen. In Arbón am Bodensee fanden sie eine kleine christliche Gemeinde vor, wo sie eine Zeitlang blieben. Columbanus hörte von einer verlassenen römischen Festung in Brigantium - vielleicht dachte er an Anagrates -, und so ging er weiter nach dem heutigen Bregenz. Hier geriet er in Streit mit Gallus. Dieser kehrte allein nach Arbón zurück. An der Steinach sollte später die Klosterstadt St. Gallen entstehen.

LeerColumbanus zog weiter nach Süden, nach Chur. Hier verließ ihn Sigebert, der nach Disentis weiterwanderte und in einer einsamen Gegend an der Rheinquelle das heute noch bestehende große Kloster gründete. Columbanus überquerte die Alpen - wir wissen nicht genau wo - und erreichte Mailand. Der lombardische König gewahrte ihm und seinen Brüdern Asyl, obschon der germanische Stamm der Lombarden arianisch glaubte. Bis 613 blieb er in Mailand, zog dann weiter über Lodi, Pavia, Piacenza nach Bobbio im Tal der Trebbia im Apennin, wo ein Jahr später bereits ein Kloster stand. Hier verbrachte Columbanus seine letzten Jahre. Als er dem Tode nahe war, dachte er an seinen Streit mit Gallus. Auf dem Sterbebett ordnete er an, daß sein Wanderstab Gallus überbracht werden solle - als Zeichen der Versöhnung. Gallus selber soll im Traum vom Tod seines Meisters erfahren haben. Der 23. November 615 ist der Todestag von Columbanus. Seine Reliquien sind immer noch in der Abtei.

LeerDer kürzlich verstorbene Kardinal Tomas O'Fiaich, Primas von Irland, beschreibt Columbanus folgendermaßen: »Er war Missionar infolge bestimmter Umstände, ein Mönch aus Berufung, innerlich zum kontemplativen Leben hingezogen. Aber allzu häufig wurde er durch die Welt zu Taten gezwungen. Er war ein Pilger auf dem Wege zur Ewigkeit.« Im Jahr 1939 wurde ihm zu Ehren in Luxeuil in den Vogesen ein Denkmal errichtet. Die Widmung lautet: »Apôtre à l'âme de feu, infatigable marcheur à l'étoile, sauveur de la civilisation« (Apostel und Feuergeist, unermüdlicher Sternwanderer, Retter der Zivilisation).

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V

LeerDas alles spielte sich vor anderthalbtausend Jahren ab - hat das Leben dieser Heiligen uns heute noch etwas zu sagen? Ich meine, sie stellen die geistliche Welt der keltischen Spiritualität so anschaulich dar, daß wir durchaus noch etwas daraus lernen können. Aber jene zu erforschen und zu erläutern wäre Sache der Theologen - eine schöne Aufgabe, meine ich. Denn die keltische Spiritualität war
1. im Gegensatz zu anderen Traditionen friedfertig und tolerant;
2. sie war ausgesprochen naturverbunden - grüner geht es nicht;
3. sie war gleichzeitig elitär und persönlich-pastoral - man denke nur an die Anamachara (englisch: »Soul-Friend«); da waren geistliche Begleiter und Helfer, wie wir sie in der Michaelsbruderschaft kennen;
4. sie war kommunitär, wobei dem Bedürfnis des einzelnen nach Alleinsein Rechnung getragen wurde. Wir denken hier an den Ordo pacis und an die Focolare;
5. sie war missionarisch. Wir denken, daß Europa Missionare bald dringender braucht als die Dritte Welt;
6. sie war biblisch-christozentrisch. Sister Anna hat mir einmal mil einem Brief einen interessanten Denkanstoß gegeben. Sie sagte nämlich, »die keltische Spiritualität, neu interpretiert, könnte einen wichtigen Beitrag zur Ökumene wie zur Versöhnung in Nordirland leisten, denn: die irischen Katholiken haben ihre eigene Spiritualität aus der politischen Geschichte des Landes heraus romanisiert und die Presbyterianer sie calvinisiert«.

Doreen Bangerter
Quatember 1993, S. 200-210

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-08-20
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