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»Vergeßt Gott nicht!«
Zum fünfzigsten Todestag von Alexander Schmorell
von Jürgen Boeckh

LeerDas Schicksal der Geschwister Scholl und ihrer Freunde ist in Deutschland durchaus bekannt. Wenig bekannt ist aber, daß einer dieser Freunde ein russisch-orthodoxer Christ war. In Verbindung mit dem Totengedenken für den am 13. Juli 1943 hingerichteten Alexander Schmorell überreichte dessen in München lebender Bruder Dokumente und Briefe, die von dem tiefen Glauben und der kirchlichen Verbundenheit Schmorells mit der orthodoxen Gemeinde Münchens zeugen. Der damalige Münchner Gemeindepriester und spätere Erzbischof von Berlin und Deutschland, S.E. Alexander, besuchte A. Schmorell im Gefängnis. Aus den Briefen erkennen wir, wie aufrichtig Alexander als Christ seinen Weg beschritt. Einem solchen Menschen mußte jegliche Loyalität gegenüber einem Gott- und Menschenverachtenden fremd sein. Kein Wunder also, daß er es strikt ablehnte, ein Gnadengesuch an die damaligen Machthaber zu stellen. Dies sollte uns heute besonders angesichts der vielen Diskussionen um Stasi und KGB-Vergangenheit und -Gegenwart zu denken geben. - Der heutige Erzbischof von Berlin und Deutschland gehört bisher noch zu der »Exilgemeinde«, die nach der Wende in Osteuropa und auch in Rußland Kirchen besitzt.

Jürgen Boeckh


LeerAlexander Schmorell ist einer der Begründer der »Weißen Rose«, einer nicht nur in Deutschland bekannten Widerstandsgruppe gegen das nationalsozialistische Regime. Er wurde am 13. Mai 1943 hingerichtet.

LeerAlexanders Vater, Dr. Hugo Schmorell, wuchs in Orenburg (Sibirien) auf, studierte Medizin in München und arbeitete zu Beginn des Ersten Weltkrieges als Assistent am Institut für Innere Medizin in Moskau. Sein Professor war angesichts der wachsenden antideutschen Emotionen genötigt, ihn zu entlassen. In Orenburg heiratete Dr. Schmorell die Priestertochter Natalija Petrovna Vvedenskaja. Ein Jahr später, am 3./16. September 1917 wurde Alexander geboren und orthodox getauft. Bei einer Typhusepidemie starb ein Jahr darauf »Mama Talija«, die Mutter von »Schurik« (russische Kosenamen, die heute noch in der Familie Schmorell verwendet werden). Der Vater schloß 1920 noch in Orenburg eine zweite Ehe mit der Tochter eines Brauereibesitzers, der aus Bayern stammte. Deshalb kam die Familie, die das im Bürgerkrieg lodernde Land verlassen hatte, nach München.

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LeerDer Vater hatte eine russische »Njanja« (Amme) eingestellt, die Schurik und später den Bruder und die Schwester aus der zweiten Ehe (Erich und Natascha) aufzog. Feodosija Konstantinovna Lapschina war eine sehr einfache Frau aus dem Dorf Romanovka (Gouv. Saratov). Sie sang bei der Beerdigung der Mutter Schuriks. Um ihr die Ausreise zu ermöglichen, wurde sie als Witwe des verstorbenen Bruders von Hugo Schmorell eingetragen und verwandelte sich in Franziska Schmorell. Diese »Njanja« teilte vierzig Jahre lang in der Fremde Freude und Leid der Familie. Das Grab der »Franziska«-Feodosija befindet sich wenige Schritte vom Grab Alexanders entfernt auf dem Friedhof »Perlacher Forst«, gleich neben dem Hinrichtungsort Alexanders, dem Münchner Gefängnis Stadelheim.

LeerDie Liebe Alexanders zur Orthodoxie und zu Rußland, zum orthodoxen Rußland, ist gezeichnet von seiner Liebe zur Mutter und zu »Njanjuschka« - einer kirchlichen Frau. Der Bruder und die Schwester Alexanders, Erich und Natascha, waren katholisch, aber Russisch blieb die Sprache der Familie. Das findet seinen Niederschlag im Verhör bei der Gestapo: »Diese Angaben können bei meinen Eltern und bei dem vorhandenen Hauspersonal jederzeit überprüft werden. In diesem Zusammenhang gebe ich zu, daß im Haushalt meiner Eltern fast nur russisch gesprochen wird.« (26.02.43, S. 5) Vom Priester der Münchner Gemeinde erhielt Alexander Schmorell Religionsstunden. »Ich selbst bin ein streng gläubiger Anhänger der russisch-orthodoxen Kirche«, sagt er später im Verhör. (1. März 43, S. 19 Rücks.)

LeerNach der Einnahme Berlins durch die Sowjettruppen wurden die Akten der »Weißen Rose« nach Moskau verbracht. Während die übrigen Akten später nach Berlin zurückkehrten, wurde die Akte Schmorell in Moskau zurückgehalten. Sie wurde dort vor einigen Monaten in den Archiven entdeckt.

LeerDer in Deutschland aufgewachsene junge Emigrant Alexander, in dessen Adern russisches und deutsches Blut floß, sah sein Leben im Lichte des höheren geistigen Lebens. Zunächst fühlte er sich, wie übrigens auch die anderen Mitglieder der »Weißen Rose«, von der nationalen Wiedererweckung gerade kraft der dort verkündeten Ideale angezogen, rückte aber dann, wie die anderen, davon ab. Es ist für die damalige historische Situation charakteristisch, daß die Einstellung A. Schmorells zu den Vorgängen in Deutschland sich nur allmählich, Schritt für Schritt herausbildete. Doch war dieser Weg gerade und stetig. Alexander vermerkt in der ersten Vernehmungsniederschrift: »Im Sommer dieses Jahres hätte ich mein Studium als Arzt beendet.« (Abschnitt: »Persönliche Verhältnisse«) Aber dieses Jahr brachte nicht den erfolgreichen Universitätsabschluß, sondern eine höhere Erfüllung: die Vollendung der Bildung des inneren Menschen, besiegelt durch den Tod eines Gerechten.

LeerAls Alexander 1937 das Gymnasium beendet hatte, kam er sogleich zum Arbeitsdienst. Er wurde zunächst ein Jahr als Kanonier ausgebildet, kam dann für ein halbes Jahr zur Sanitätsschule und wurde als Unteroffizier entlassen, um in Hamburg und daraufhin in München Medizin zu studieren. Alexander sagt: »Als ich im Jahre 1937 zum deutschen Heer eingezogen wurde (ich rückte freiwillig ein), habe ich den Treueeid auf den Führer geleistet Ich gestehe ganz offen, daß ich schon damals innerliche Hemmungen hatte, diese aber auf das ungewohnte Militärleben zurückzuführte und hoffte, in der Folgezeit eine andere Gesinnung zu bekommen. In dieser Hoffnung habe ich mich bestimmt getäuscht, denn ich geriet schon nach der kürzesten Zeit in Gewissenskonflikte, wenn ich überlegte, daß ich einerseits den Rock des deutschen Soldaten trage und andererseits für Rußland sympathisierte. An den Kriegsfall mit Rußland habe ich damals nicht geglaubt.« (Akte Schmorell, S. 5 ums. 6)

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LeerHier ist, laut Hinweis des Bruders, eine Korrektur angebracht, weil Alexander die Akzente hier und bei der Beschreibung dessen, wie er erfolglos die Armee verlassen wollte, verschiebt. Nicht »Freiwilligkeit« leitete ihn beim Eintritt in den Arbeitsdienst, sondern der Wunsch, das Unvermeidliche rascher hinter sich zu bringen, dann aber stieß er auf die Notwendigkeit, den Führereid zu leisten, was er rundweg ablehnte. Die dem jungen Mann freundlich gesinnten Vorgesetzten wandten sich an seinen Vater und erklärten ihm die Gefährlichkeit der Situation. Gemeinsam erreichten sie dann, daß Alexander den Eid »auf den Führer« leistete. Der Vorfall selbst wurde dann mit einer »Nervenkrise« wegerklärt. Vertiefte Beschäftigung mit der russischen Literatur bestärkte Alexander noch mehr in seiner Liebe zum russischen Volk. Nachdem er 1940 in einer Sanitätsabteilung an der Westfront in Frankreich gedient hatte, verbrachte er endlich im Sommer 1942 als Feldwebel einer Sanitätseinheit drei Monate in Rußland. Unmißverständlich erklärt er: Hätte er den Befehl zum Kampfeinsatz erhalten, dann hätte er verweigert, aber »als Sanitätsfeldwebel ist mir eine solche Meldung erspart geblieben«. (Akte, S. 6 ums.)

LeerIm gleichen Sommer beschlossen A. Schmorell und Hans Scholl, gegen den Nationalsozialismus aufzustehen (es ergibt sich aus den Verhören, daß nur diese beiden die Initiatoren der »Weißen Rose« waren, aber man sollte bedenken, daß Alexander nicht wußte, wo die anderen Teilnehmer waren, daß sie zu diesem Zeitpunkt bereits hingerichtet waren - unter ihnen sein nächster Freund Christoph Probst, von dem er hier die Anklage abzuwenden sucht). Insgesamt wurden vier »Flugblätter der Weißen Rose« herausgegeben und dann, nachdem die Studenten Prof. Huber herangezogen hatten, noch ein Aufruf »An alle Deutschen«. Anfangs waren dies nur Hunderte, bald aber Tausende von Flugblättern, die auf dem Territorium des Reiches zur Verbreitung kamen. Um sie zu verschicken, fuhr A. Schmorell mit dem Zug nach Österreich, zur Herstellung erwarb er ein Vervielfältigungsgerät. Die Freunde malten auch Aufrufe wie »Nieder mit Hitler!« und »Freiheit!« an Wände und Geschäfte in München. Die Gestapo sucht Verbindungen zu ausländischen Mächten herzustellen. »Ich bekenne mich zum Hochverrat - sagt Alexander -, lehne es aber ab, mich auch landesverräterisch betätigt zu haben.« (26. Februar 43, S. 5 ums. = Akte S. 17 ums.)

LeerDie Flugblätter der »Weißen Rose« setzen christliche Werte und Kultur der nazistischen götzendienerisch-heidnischen Barbarei entgegen. »Nichts ist eines Kulturvolkes unwürdiger, als sich ohne Widerstand von einer verantwortungslosen und dunklen Trieben ergebenen Herrscherclique ‘regieren’ zu lassen ...« - so beginnt das erste der Flugblätter der »Weißen Rose«, die ausdrücklich an die höchste Gabe Gottes, den freien Willen appellieren.

Es lohnt sich, die Fortsetzung dieses Berichtes, den Abschiedsbrief an seine Eltern, zwei Briefe an das russische Mädchen Nelli und zwei Briefe an seine Schwestern zu lesen , die wie dieser Auszug in der Zeitschrift »Der Bote« der deutschen Diözese der Russischen Orthodoxen Kirche im Ausland. Nr. 4, 1993 abgedruckt sind.

Quatember 1993, S. 231-233

[Alexander Schmorell wurde am 5.2.2012 heilig gesprochen]

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-04-15
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