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Liebe Brüder!
von Alfred Radeloff

LeerIn QUATEMBER 2/93 schildert Bruder Peter Staak, was er seit drei Jahren auf die ihm gestellte Frage, wie es uns in der DDR ergangen sei, antwortet. Sein Artikel erstickt an generalisierenden Behauptungen. Er malt ein trübes Bild von der kirchlichen Situation in den neuen Bundesländern, weil er die Negation als Folie für seine Position »Mission« braucht. Wie Missionswerke in Deutschland aussehen, wird freilich nicht mitgeteilt. Genauigkeit ist nicht Bruder Staaks Stärke. Bruder Staates Artikel im QUATEMBER erlebe ich als ein Diskreditieren kirchlicher Arbeit in der ehemaligen DDR. Schwarz gefärbte, undifferenzierte Allgemeinplätze dienen gegenseitigem Verstehen zwischen West und Ost nicht.

Leer1. »Pfarrerskinder in der FDJ und bei der Jugendweihe waren keine Ausnahme mehr.« In meinem Kirchenkreis mit 36 Pfarrern haben drei von mindestens 60 Pfarrerskindern an der Jugendweihe teilgenommen, ebensoviele waren in der FDJ. Wir sind kein besonders tapferer und frommer Kirchenkreis. Wenn schon generalisiert wird, dann ist das Gegenteil von dem, was Bruder Staak behauptet, richtig: Pfarrerskinder waren in der Regel nicht in der FDJ und nicht bei der Jugendweihe. Das ist eine Feststellung, die mit Zahlen belegbar ist, und keine Aussage über eine besondere Glaubensstärke der Pfarrerskinder. Häufig ist die Nichtteilnahme an der Jugendweihe ein Beleg für Ausnahme und Duldung, die es in der DDR auch gab.

Leer2. »Der Glaube der meisten, auch in der Kirche, war ein allgemeiner Gottes- und Fügungsglaube, der sehr unbestimmt war.« Welche Recherchen hat Bruder Staak angestellt, daß er die Stirn hat, einen solchen Satz zu Papier zu bringen? Ich kann ihm nichts entgegenhalten, denn ich habe keine Statistik darüber, wer von meinen Gemeindegliedern richtig glaubt. Für mich ist Bruder Staaks Behauptung eine Verunglimpfung der »meisten, auch in der Kirche« in den neuen Bundesländern.

Leer3. »Der Alkoholismus breitete sich aus ... Ganze Familien gingen durch die Trunksucht zugrunde ... Selbst Kinder tranken ... Von diesem moralischen und sozialen Verfall waren auch viele Menschen in der Kirche betroffen.« Trinker gibt's. Experten kennen Zahlen - über Ost und West. Bruder Staak kennt sie nicht. Wer seine Sätze liest, ist empört: Was für eine Kirche, die Kirche in der DDR, mit ihren versoffenen und moralisch verdorbenen Mitgliedern! Wo hat der junge Mann gelebt, der solche Sätze aufschreibt?!

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Leer4. »Die Kraft und der Wille, das zu verändern, sind gering.« Bruder Staak spricht von Krankenhäusern, die das Diakonische Werk übernommen hat. Aus dem Zusammenhang wird deutlich, daß er den mangelnden Veränderungswillen der Kirche in den neuen Bundesländern meint. Denn er kritisiert, daß es der Kirche an Perspektive fehle, daß sie sich auf dem Rückzug und in Anpassung befinde. »Die Kirche« gibt es nicht. Allgemeines Reden ist gefährliches Reden. Bruder Staak vergißt: Die Veränderungen in der DDR sind entscheidend von evangelischen Christen beeinflußt worden. Gott hat uns mehr geschenkt, als wir erbeten haben, nach dem friedlichen Verlauf der Veränderungen - die Einheit, Entmilitarisierung. Kraft und Wille zur Veränderung heute kann Bruder Staak an den Kirchengebäuden sehen, wenn er durchs Land fährt. In unserer Landeskirche sind in zwei Jahren mehr Kirchen renoviert worden als in den letzten fünfzig. Wer Kirchen repariert, ist nicht faul. Vielleicht befindet er sich auf Abwegen.

LeerKatecheten und Pfarrer haben sich schulen lassen, damit sie Religionsunterricht geben. Heute gründen die Gemeinden unseres Kirchenkreises ein Diakonisches Werk - vor allem mit dem Ziel, die Arbeit der Diakonie kirchlicher, gemeindlicher zu gestalten. Was bei uns passiert, geschieht auch anderswo. Die Kirche im Osten ist meiner Meinung nach trotz verständlicher Ermüdungserscheinungen immer noch erstaunlich in Schwung. Die gewaltige Flut neuer Aufgaben neben den normalen pastoralen nimmt uns oft den Atem. Als eher skeptisch eingestellter Bruder kann ich aber nicht finden, daß Bruder Staak recht hat, wenn er behauptet, daß Kraft und Wille zur Veränderung gering sind. Meint er vielleicht den Widerstand gegen die unreflektierte Übernahme westlicher Gestalt kirchlicher Praxis? Die gibt es nicht zu knapp. Und Widerstand ist auch ein Beweis von Kraft und Willen.

Leer5. In Bruder Staaks Artikel findet sich kein einziger positiver Satz über die Kirche in den vierzig Jahren DDR. Die »wenigen treuen Kirchgänger, meistens alte Frauen« kann kein Leser als froh machende Nachricht aufnehmen. Bruder Staak weiß nicht, was Gott seiner Kirche in der Zeit der DDR geschenkt hat.

Leer6. »Selbstbewußte (!) Information über das Evangelium und den christlichen Glauben« helfen dem Elend der Kirche auf. Das ist richtig. Und richtig ist auch, daß Menschen in ihrem Denken und Handeln grundlegend verändert werden sollen. Das geschieht allein durch Christus. Gewiß meint das Bruder Staak. Freilich kommt mir sein Vorschlag kurios und nebulös vor: »Wir brauchen Missionswerke in Deutschland. Restgemeinden müssen zu Missionsgemeinden umgewandelt wer den.« So einfach ist es nicht. Mehrere Zeltmissionen unterschiedlicher Herkunft sind mit besten Absichten, aber ohne für mich erkennbare Wirkung über unsere Stadt hinweggezogen. Mission ist mehr als Information (selbstbewußte mit Ausrufungszeichen, wie Bruder Staak schreibt). Mission ist für mich vor allem die normale Arbeit eines Pfarrers und Gemeindeglieds. Mission ist Hingehen zu den Menschen, bei ihnen sein in Freude und Leid. Gehet hin in alle Welt! Ich höre auf, denn ich muß heute vormittag noch zu vier Gemeindegliedern gehen.

LeerGott schütze seine Welt vor gefährlichen und lieblosen Verallgemeinerungen. Der Herr behüte seine Kirche vor Theologen, die Gottes Wirken übersehen und das Versagen der Kirche zum Gegenbild für ihre unausgegorenen Konzepte zur Verbesserung der Kirche machen. Er gebe uns Kraft, zu laufen in dem Kampf, der uns von ihm verordnet ist.

Mit freundlichem Gruß
Alfred Radeloff,
Kreisoberpfarrer des evangelischen Kirchenkreises Dessau

Quatember 1993, S. 250-251

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-04-15
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