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Eine Bemerkung zuvor
von Jürgen Boeckh

LeerNachdem die Berliner Mauer gefallen und am 3. Oktober 1990 auch die rechtliche Einheit der Deutschen Tatsache geworden war, wurde damit auch die im Jahre 1969 beschlossene Verlängerungsfrist für Mord »wie auch die 1979 aufgehobene Verjährung durchgesetzt, um die Strafverfolgung mutmaßlicher nationalsozialistischer Gewaltverbrecher (NSG) zu ermöglichen«. Nach der - für viele Deutsche halbherzigen - Wende wunderte ich mich, daß ich in den mir zur Verfügung stehenden Zeitungen keinen Bezug zu der Debatte vom Jahr 1979 fand. Aber im Frühjahr dieses Jahres bekam ich die mir bis dahin unbekannte Wochenzeitschrift »Junge Freiheit« in die Hand, in der Rudolf Jettinger über die »Last der Nichtverjährbarkeit« spricht (Potsdam, 29. April 1994). In diesem Fall handelte es sich um einen Menschen, der während des Zweiten Weltkriegs vermutlich Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hatte und sich in Westdeutschland 1988 - zunächst - wegen fünffachen Mordes verantworten mußte.

LeerNach der Wende hörte ich von einem Mann, der einst als Wehrmachtsangehöriger oder SS-Mann vermutlich in Rußland oder der Ukraine an Exzessen gegen Juden beteiligt gewesen war. Obwohl er nach 1945 nun in einer anderen Staatspartei war, sah man ihm das nach. Von der Partei schon vor längerer Zeit distanziert, hat er sogar eine Zeitlang »im Bau« gesessen. Abermals »gewandelt«, konnte er nun in einer - tatsächlich - demokratischen Partei »Dienst tun«. Doch da holte ihn seine Vergangenheit ein. Dies war »ein kleiner Mann«. Hat er sich aus diesem allen ein Gewissen gemacht? Vielleicht JA! Anders lag wohl die Sache bei einem »großen Mann«, Erich Mielke. Vermutlich hatte oder hat er ein »sozialistisches Gewissen«, wie es auch ein »nationalsozialistisches Gewissen« gab. Leider hört man meist nichts von den Menschen, die nach Mord oder Totschlag ihre Tat bereut und, in gewisser Weise, eine »Wiedergutmachung« geleistet haben. Ein Beispiel: Im Juni 1922 fiel in Berlin der Reichsaußenminister Rathenau einem Attentat zum Opfer. Rechtsextremistische, antisemitische Fanatiker erschossen ihn auf der Fahrt ins Auswärtige Amt. Einer der Mörder diente nach Abbüßung seiner Strafe in der Fremdenlegion. Diesem Mann schlug sein -altmodisches - Gewissen. Er beschäftige sich eingehend mit dem Judentum, er hat die hebräische Sprache erlernt und schließlich während des Zweiten Weltkrieges Juden zur Flucht aus dem Machtbereich Hitlers verholfen.

Quatember 1994, S. 130

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-11-23
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