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Ökumene mit dem Islam?
von Ulrich Dietzfelbinger

Leer1. Es soll im folgenden um das Problem gehen, wie christliche Theologie ihr Verhältnis zum Islam bestimmen kann und soll. Lange Jahrhunderte war dies keine drängende Frage: Der Islam befand sich im allgemeinen außerhalb des christlichen Lebens- und Denkzusammenhangs. Seit nunmehr bald 30 Jahren leben Menschen muslimischen Glaubens mit uns, die danach fragen, wie wir über ihren Glauben denken. Welche Antwort haben wir zu geben?

LeerDas christlich-jüdische Gespräch läßt sich nicht ohne weiteres auf das christlich-muslimische Gespräch übertragen. Dies jedoch läßt sich daraus auch für unsere Aufgabe gewinnen: Eine in die Tiefe gehende Verständigung zwischen Menschen dieser beiden Religionen ist nur möglich, wenn es gelingt, ein positives Verhältnis auch zum Glauben und zur Theologie des anderen zu finden.

LeerVoraussetzen möchte ich bei den folgenden Überlegungen zweierlei: Eine Sicht dieser beiden Religionen (und damit letztlich aller Religionen), die ihre Unterschiede als im Grund vernachlässigbar betrachtet, kommt meines Erachtens nicht in Frage. Keine Religion kann andere und damit auch sich selbst als etwas nur Uneigentliches, nur als äußere Form, nur als einen Weg unter vielen anderen auch zum Heil, zur Erfüllung, zu Gott betrachten. Sie nähme sich selbst und ihre Gesprächspartner nicht ernst. Auch nützt es dem bisher nur rudimentär entwickelten Dialog keineswegs, wenn man (vielleicht in wohlmeinender Absicht) den eigenen Standpunkt zurücknimmt oder nicht hinreichend deutlich macht. Es soll also deutlich sein, daß ich die folgenden Überlegungen als (protestantischer) Christ anstelle. - Das andere: Auch wenn Christen und Muslime auf verschiedene Art und Weise beten, beten sie zu einem Gott. Allah ist kein Götze, kein Abgott. Arabisch sprechende Christen beten zu Allah: Es gibt kein anderes Wort. Wer dies nicht ohne Vorbehalte sagen kann, hat jedes theologische Gespräch mit einem Muslim von vornherein unmöglich gemacht.

Leer2. Das christlich-muslimische Gespräch hat seine besondere Chance und seine besonderen Schwierigkeiten darin, daß wir Christen im Koran viele uns bekannte Überlieferungen wiederfinden. Auch die Sprache, die Vorstellungs- und Begriffswelt ist uns teilweise recht vertraut. Läse man z.B. die erste Sure, die »Eröffnende« (al-Fatiha), in einem christlichen Gottesdienst, ohne darauf hinzuweisen, würden es wohl nur wenige bemerken. Die theologischen topoi von Gott, dem Barmherzigen und dem Erbarmer, dem Schöpfer und Richter, sind uns vertraut. In Sure 19,16-33 wird von der Geburt Jesu in einer Weise erzählt, die uns in vielen Einzelzügen vertraut ist: Zacharias, Johannes der Täufer werden erwähnt. Der Geist Gottes erscheint der Jungfrau Maria, um ihr die Geburt eines Sohnes anzukündigen, der allerdings allein durch das Schöpferwort Gottes in ihr entstand. Maria bringt dann Jesus unter einer Palme mit vielen wunderbaren Begleiterscheinungen zur Welt.

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LeerBesonders wichtig für uns sind jedoch die Stellen im Koran, die von einem besonderen Verhältnis zwischen Jesus und Gott reden. So wird berichtet, daß Jesus sehr heftigen Anfeindungen ausgesetzt war und deswegen von Gott mit dem »Heiligen Geist« gestärkt wurde (allerdings ist im Koran der Heilige Geist auch Geschöpf Gottes). Merkwürdig vertraut mutet es uns an, wenn in Sure 4,171 Jesus als das »Wort Gottes« und dann auch noch als »Geist von ihm« (das heißt Gott) bezeichnet wird. An der gleichen Stelle wird Jesus auch als Messias bezeichnet, ohne daß dieser Titel eine erkennbare Funktion besäße.

LeerNach Aussagen des Koran und nach der islamischen Tradition wurde Jesus nicht am Kreuz hingerichtet. Ein Muslim kann sich einfach nicht vorstellen, daß Gott seinen Propheten, noch dazu einen so besonderen Propheten wie Jesus, im Stich läßt. Vielmehr heißt es in Sure 4, 157f., daß die Juden irrtümlicherweise eine Jesus ähnliche Gestalt kreuzigten. Zwar war diese Textstelle zunächst in Medina wohl gegen die dortigen Juden gerichtet, die mit diesem Hinweis auf das Verhalten ihrer Väter Jesus gegenüber ihre eigene Zurückweisung von Mohammeds religiösem Anspruch legitimieren wollten. Später jedoch wurde diese Stelle in der Auseinandersetzung mit dem Christentum zur Ablehnung der Kreuzestheologie benutzt. Nach orthodox islamischer Anschauung wurde Jesus von Gott direkt in den Himmel erhoben.

LeerFür die Frömmigkeit vieler Muslime und vor allem für die Mystik, das Sufitum, hat Jesus noch eine besondere Bedeutung. Während Mohammed als das »Siegel der Propheten« bestimmend für die gesetzlichen und dogmatischen Traditionen ist, gilt Jesus als das »Siegel der Heiligkeit«, als Vorbild der Frömmigkeit und der Liebe, an dem die Gläubigen ihr geistliches Verhalten orientieren können.

Leer3. Die Reihe der Gemeinsamkeiten und Ähnlichkeiten zwischen christlicher und islamischer Tradition ließe sich verlängern. Für den historisch-kritisch arbeitenden Exegeten ist dies auch keine Überraschung, da hinreichend bekannt ist, daß im Koran viele Elemente aus der hebräischen und griechischen Bibel aufgenommen wurden. Auch ein Muslim hat damit keine Probleme, da er davon ausgeht, daß auch die Bibel Offenbarungen enthält, die verschiedenen Propheten gegeben wurden, dann aber in der Geschichte verfälscht wurden; wo die Bibel dem Koran entspricht, ist sie eben unverdorben erhalten geblieben.

LeerIn unserem Zusammenhang stellt sich jedoch die Frage, ob diese Gemeinsamkeiten »ausreichen«, um darauf basierend das Verhältnis zwischen Christentum und Islam positiv entwickeln zu können. Es läßt sich zeigen, daß die bekannten Begriffe und Attribute der Gotteslehre im Zusammenhang der islamischen Theologie eine andere Funktion haben als in der christlichen; daß die besondere Stellung und Verehrung Jesu in der islamischen Theologie darauf abzielt, ihm innerhalb der Reihe der Propheten, die mit Adam beginnt und mit Mohammed endet, einen besonderen Platz zuzuweisen. Allgemein: Je mehr und genauer man islamische Theologie kennenlernt, um so deutlicher zeigt sich in aller Ähnlichkeit eine immer noch größere Unähnlichkeit.

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LeerDas hat im christlich-islamischen Dialog eine bisweilen verhängnisvolle Konsequenz. Immer wieder ist zu beobachten, daß Menschen voller Erstaunen und Freude die große Nähe und Vertrautheit zwischen islamischer und christlicher Tradition feststellen und davon ausgehend Muslime als ihre Brüder und Schwestern oder doch als ihre Halbbrüder und Halbschwestern im Glauben erkennen. Je intensiver der Kontakt wird und je mehr man vom anderen lernt, desto deutlicher tritt dann wieder die Fremdheit gerade da zutage, wo man sich gleich oder ähnlich wähnte. Enttäuschungen bleiben dann nicht aus.

LeerDaß es zwischen so unterschiedlichen Gebilden wie Christentum und Islam, die sich jahrhundertelang mit nur wenig Austausch und Berührung untereinander entwickelt haben, ganz fundamentale Unterschiede gibt, versteht sich von selbst. Nur auf einen sei hier hingewiesen: Seitdem Mohammed in Medina das erste und immer noch vorbildliche und oft verbindliche islamische Gemeinwesen aufgebaut hat, hat der Islam ein anderes Verhältnis zu staatlicher und gesellschaftlicher Macht, als es die Kirche zumindest haben sollte. Er versteht das Angebot Gottes zur Rechtleitung als verpflichtend auch für den gesellschaftlichen, staatlichen Bereich: Alles ohne Ausnahme ist der Herrschaft Gottes zu unterwerfen.

LeerDie Gefahr einer Instrumentalisierung von Religion zur eigenen Machterhaltung, für die es in der Geschichte des Christentums ja wahrlich auch genügend Beispiele gibt, ist dabei kaum im Blick. Es fehlt die tiefgehende Skepsis gegenüber dem Vermögen des Menschen, das Gute zu tun; es fehlt der kritische Vorbehalt, daß Gott allein seinen Willen in Vollkommenheit durchsetzen kann. Die Aggressivität, die der Islam zur Zeit in einigen Regionen zeigt, gehört sicher nicht zu seinem Wesen, wohl aber die uns so schwer verständliche Vermischung von Religion und Gesellschaft bzw. Staat (auch wenn diese Vermischung erst im 9. Jahrhundert explizit formuliert wird). Daß Mohammed mehr als Prophet sein wollte, daß er nicht nur Prophet und Staatsmann, sondern eben als Prophet auch Staatsmann, Heerführer, Regierungschef war, ist von jüdischen und christlichen Denkvoraussetzungen her nicht zu begreifen. Eine Personalunion zwischen z.B. dem Propheten Jesaja und dem König von Juda oder zwischen Jesus und Pontius Pilatus ist schlechterdings nicht vorstellbar.

Leer4. Der Islam ist trotz aller historisch bedingten Nähe, trotz aller gemeinsamen Themen und Traditionen eine andere, uns fremde, eigenständige Religion, die mit ihren eigenen Maßstäben gemessen und verstanden werden will. Daher können wir unser Verhältnis zum Islam nicht danach bestimmen, was wir von unserer eigenen Tradition dort wiederfinden; also danach, wie nahe der Islam uns ist, wie sehr er uns gleicht, bzw. wie sehr er sich von uns unterscheidet. Wenn wir so fragen, werden wir im Islam immer nur ein rudimentäres, ungenügendes Abbild der eigenen Religion finden. Das Verhältnis zum Islam läßt sich nicht so bestimmen, daß wir wie eine Meßlatte unsere eigenen Dogmen zur Richtschnur machen und prüfen, was davon wir, mehr oder weniger verdunkelt, bei dem anderen wiederfinden.

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LeerDas Problem der theologischen Verhältnisbestimmung zum Islam ist nicht von der Nähe des Islam zur christlichen Tradition abhängig zu machen, sondern wir haben von der Distanz zwischen beiden Religionen auszugehen und auf dieser Basis, der Basis der Distanz, zu fragen, ob wir in der Lage sind, die Fremdheit unseres Gegenüber positiv aufzunehmen. Allgemein gesprochen: Ist mir der andere nur dann wichtig, wenn er mir ähnlich ist, ein Spiegelbild meiner selbst, oder ist das mir Wichtige am anderen gerade das, was ich selbst nicht bin, was mir fremd ist? Es geht damit um die Frage, ob es eine inhaltlich positiv gefüllte Beziehung, eine tragfähige Beziehung nur zwischen Gleichen, zwischen Ähnlichen geben kann oder ob auch Gemeinschaft zwischen Fremden möglich ist. Daher frage ich nach Charakteristika der islamischen Tradition, die in christliches Denken nicht zu integrieren sind, aber doch als etwas Fremdes und Widerständiges eine sinnvolle und hilfreiche Funktion für das christliche Denken haben.

Leer5. Zur Verdeutlichung dieses Punktes will ich in kritischer Distanzierung die Position von Adel Theodor Khoury, Leiter des Seminars für Religionswissenschaft an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Münster, Übersetzer des Korans und Verfasser eines großangelegten Koran-Kommentars, in aller Kürze darstellen. Ich zitiere dazu aus seinem Herder-Taschenbuch »Der Islam« (Untertitel: Sein Glaube - seine Lebensordnung - sein Anspruch. Freiburg im Br., 1988).

LeerUnter Bezug auf die viel zitierte Stelle des II.Vaticanum wird da unter der Überschrift »Christliche Beurteilung des Islams« mit Hinweis auf Römer 1,16 und 1. Timotheus 2,4 folgendes ausgeführt: »Der normale Weg des Heiles geht also direkt über Jesus zum Vater. Dieser Weg verwirklicht sich in der irdischen Gestalt der Kirche ... Doch ist Gott in seiner unverfügbaren Freiheit und in seiner unfaßbaren Transzendenz nicht in jedem Fall an die irdische Gestalt der Kirche gebunden.« (S. 231) Wer »zum Bekenntnis wenigstens des Grundglaubens oder zum sittlichen Gehorsam gegenüber dem imperativen Gewissen« (S. 232) kommt, der kann das ewige Heil erlangen. Nun findet der Muslim zwar »in seiner Religion die Elemente, die ihm zum Heil führen können« (S. 233). Das ganze steht jedoch unter dem Vorbehalt: »Seine Heilswirksamkeit verdankt er (sc. der Islam) jedoch nicht den dem Christentum entgegengesetzten Lehren, sondern den anderen Wahrheiten und Verhaltensregeln, die nicht unbedingt durch die falschen Aussagen neutralisiert und wertlos gemacht werden. ... Zudem wird das Heil subjektiv nur dann verlorengehen, wenn die religiöse Überzeugung (sc. des Muslim) als eine direkte und reflektierte Entscheidung gegen Christus gelten kann.« (Ebd.)

LeerDamit ist nun zweierlei gesagt: Alles, was am Islam gut ist, sind die Elemente in seiner Tradition, die mit dem Christentum übereinstimmen. Und: Ein Muslim kann nur solange als Muslim das Heil erlangen, als sich ihm die Situation der existentiellen Entscheidung für oder gegen Christus noch nicht gestellt hat. Damit ist abgelehnt, daß der Islam eine eigenständige Religion ist, die ihren »Wert« hat auch ohne Bezug auf das Christentum. Und es ist ein theologisch qualifizierter Dialog von vornherein unmöglich, und zwar nicht nur deswegen, weil sich ein Muslim von einem Partner mit einer solchen Grundhaltung nie als Muslim akzeptiert sehen kann, sondern viel stärker deswegen, weil der Christ seinen muslimischen Partner im Dialog als verloren und von Gott verworfen ansehen muß, sobald der Dialog in die notwendigerweise anzustrebende Tiefe des gegenseitigen Zeugnisses vorstößt.


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LeerWarum dann aber Muslime im Dialog mit protestantischen Christen immer wieder eine dem Vaticanum II ähnliche Grundsatzerklärung über das christliche Verständnis des Islams einfordern, ist mir unerklärlich. Sie sehen im Vaticanum II nur eine Anerkennung ihres islamischen Glaubens, nicht aber, daß sich diese Anerkennung ausschließlich auf diejenigen Traditionen in ihrem Glauben bezieht, die dem christlichen entsprechen. - Eine notdürftige Erklärung könnte allenfalls die sein, daß Muslime selbst in ihrer Verhältnisbestimmung zur christlichen Theologie nicht viel anders verfahren.

Leer6. Zur Antwort möchte ich drei Punkte nennen. Als erstes ist mir am Islam wichtig sein Festhalten an der Heiligkeit Gottes. Wir haben uns zum Teil einen sehr vertrauten Umgangston mit Gott angewöhnt, einen kumpelhaften Duzton, der den Aspekt der schreckenerregenden Gewaltigkeit Gottes vergessen läßt. Keiner von uns begreift noch ohne Nachdenken, warum Mose vor dem brennenden Dornbusch die Schuhe ausziehen soll (2. Mose 3), warum der Mensch, wenn er Gott sieht, das heißt ihm begegnet, nach Aussagen des Alten Testaments sterben muß (2. Mose 19,21 und 1. Könige 19), warum dem Propheten Jesaja im Angesicht Gottes die unreinen Lippen mit glühender Kohle gereinigt werden müssen (Jesaja 6,5ff.). Wenn wir das aber nicht begreifen, wie wollen wir dann das Wunder verstehen, daß wir Gott als Vater anreden können, daß das Du Gott gegenüber keine plumpe Vertraulichkeit, sondern vertrauensvoller Glaube ist?! - Demgegenüber schärft der Islam mit Nachdruck ein, daß Gott wirklich Gott ist, eine bedrängend heilige Macht, der sich niemand entziehen kann.

LeerDem schließt sich das zweite unmittelbar an: Der Islam schärft mit allem Nachdruck ein, daß Gottes Wille wirklich getan, wirklich erfüllt werden will. Mit welcher Selbstverständlichkeit setzen wir uns dagegen über Gottes Gebote im Alten und im Neuen Testament hinweg! Bisweilen ist es schon verblüffend, mit welcher Leichtigkeit wir eindeutige Aussagen einfach ignorieren oder durch Interpretation verharmlosen. Wenn aber das Gesetz, die Forderung Gottes nicht mehr wirklich als unmittelbare Forderung an uns erfahren wird, wie soll dann die Befreiung von unserem Unvermögen, dieser Forderung zu genügen, irgend ein Gewicht haben?

LeerDer dritte Punkt ist mir der wichtigste: Meiner Meinung nach ist der theologisch begründete Widerspruch des Islams gegen die Vorstellung des Todes Jesu am Kreuz in unserer heutigen Situation eine entscheidende Hilfe, um die Bedeutung dieses Todes wirklich begreifen zu können. Gewiß gibt es in unserer Umgebung immer wieder ausgesprochenen und unausgesprochenen Widerspruch gegen diese Vorstellung. Undeutlich zu spüren ist er etwa in dem bei uns herrschenden Lebensstil, der die Vermeidung von Leiden, von Verzicht zum obersten Prinzip erklärt und stattdessen in rücksichtsloser Selbstverwirklichung und gedankenlosem Konsum auf Kosten anderer sein grundlegendes Prinzip sieht.

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LeerWenn ich nun recht sehe, dann ist der Islam in unserer Gegenwart der einzige Ort, wo wir den Widerspruch gegen das Kreuz als Widerspruch um Gottes willen explizit zu hören bekommen. Der Islam erhebt theologisch begründeten Einspruch gegen die Vorstellung von einem Gott, der sich mit einem schändlich hingerichteten Verbrecher identifiziert und angeblich auf diese Weise Sühne und Heil für die ganze Welt schafft. Einen so ohnmächtigen Gott, eine solche Karikatur zu denken, weigert sich der Islam. Dies wäre kein Gott mehr, kein Herrscher über die von ihm geschaffene Welt, sondern etwas, das selbst den geschöpflichen Bedingungen von Leiden, Mißerfolg und Tod unterworfen wäre. Wenn Paulus aber den gekreuzigten Christus predigt, dann weiß er sehr wohl, daß dies den Juden ein Ärgernis und den Griechen eine Torheit (1. Korinther l,22ff.) ist. Seine Predigt von Christus als der göttlichen Kraft und der göttlichen Weisheit geschieht in Abbildung der Schwäche, des Leidens Christi durch die apostolische Existenz, geschieht in dauernder Auseinandersetzung mit den Juden, die Zeichen, beglaubigende Wunder fordern, und den Griechen, die nach Weisheit fragen, beides als Ausweis und Bekräftigung der Kreuzespredigt.

LeerWer aber stößt sich bei uns an dem Ärgernis und der Torheit der Predigt vom gekreuzigten Jesus? Das Wort vom Kreuz läßt sich seinem Wesen nach weder ausweisen noch bekräftigen - das wäre ein Widerspruch in sich -, sondern es verlangt Glauben, und das heißt hier: Widerspruch gegen Griechen und Juden. Wenn nun aber Griechen und Juden fehlen, das heißt ohne Bild gesprochen: Wenn niemand Widerspruch, theologisch begründeten Widerspruch gegen die Predigt vom Kreuz erhebt, wie kann man dann begreifen, daß Glaube an dieses Wort nur in Abgrenzung, in Widerstand gegen die uns umgebende Wertordnung möglich ist, nur in der Weigerung, ein ununterscheidbarer Teil unserer Umgebung zu sein? Wie läßt sich dann das Unbegreifliche, das unerhörte Neue und Umstürzende dieses Wortes vom Kreuz begreifen? - Der Koran läßt Jesus nicht am Kreuz sterben; der Koran kann einen Gott, der seinen Geschöpfen so sehr nahe kommt, fast ununterscheidbar ähnlich wird, nicht denken. Der Koran tut dies aus Respekt vor der Heiligkeit, der Gottheit Gottes; er tut dies, um Gottes Herr-Sein zu bewahren. Das ist eindeutig ein anderer Glaube als der christliche, aber als »Unglauben« kann ich diesen Glauben nicht bewerten. Wohl aber erkenne ich aus diesem islamischen Einspruch, was unser Glaube eigentlich bedeutet.

LeerUm Mißverständnisse zu vermeiden, sei folgendes hinzugefügt: Dies heißt nicht, daß die Bibel ergänzungsbedürftig, insuffizient ist oder daß sie ihre Klarheit und Eindeutigkeit und Verständlichkeit erst in der Beleuchtung durch und unter den Fragen der islamischen Tradition gewinnt; auch nicht, daß es christliche Existenz nur im Dialog mit Muslimen geben kann. Dies kann nicht gemeint sein. Sehr wohl aber halte ich es für denkbar und möglich, daß gerade durch eine allzu große Gewöhnung, durch ein selbstverständliches Hinnehmen des Evangeliums sein Verständnis verdunkelt und wesentlich erschwert wird. In einer solchen Situation kann der Widerspruch des Islam zum Verstehenshinweis auf verlorengegangene Kernpunkte des eigenen Glaubens werden.

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Leer7. Einen möglichen Einwand möchte ich noch aufnehmen: Ist diese Verhältnisbestimmung nicht eine unerlaubte Funktionalisierung, die die fremde Religion als dunklen Hintergrund mißbraucht, vor der die eigene sich um so heller abhebt? Ich hoffe, daß ich so nicht mißverstanden worden bin. Ich möchte vielmehr sagen, daß wir nur dann wirklich Christen sein können, wenn die Zurückweisung unseres Glaubens um Gottes willen durch die Muslime uns nicht nur eine hermeneutische Hilfestellung zum Verstehen unserer eigenen Tradition bietet, die man dann, wenn man denn einmal verstanden hat, auch getrost hinter sich lassen kann; sondern wir müssen diesen Widerspruch der Muslime zu unserer eigenen Sache machen, ihn in unseren Glauben mit aufnehmen. Christliche Theologie, die bei ihrer Sache war, hat diesen Widerspruch in der Sache auch immer bedacht, selbst wenn sie keinerlei Kontakt zu islamischer Tradition hatte. Dieser Wiederspruch ist kein Durchgangsstadium, keine vorläufige Stufe, die man auch hinter sich lassen kann, sondern bleibender Bestandteil unseres Glaubens. Überspitzt formuliert: Um wirklich Christen sein zu können, müssen wir immer auch Muslime sein.

LeerSo verstanden kann ich ökumenische Beziehungen zu Juden und Muslimen anstreben, ohne sie ohne ihr eigenes Wissen christlich zu vereinnahmen oder ihren Glauben als Vorstufe zu dem allein wahren christlichen Glauben zu erklären. So verstanden werde ich durch diese Beziehung an eine wesentliche Dimension meines Glaubens erinnert.

Leer8. Ob der hier angedeutete Denkweg ein Modell sein kann, das Verhältnis der christlichen Theologie auch zu anderen Religionen zu bestimmen, ist mir selbst noch unklar. Das Verhältnis Christentum - Islam ist in seiner Nähe und Distanz, in seiner Fremdheit und Vertrautheit so spezifisch, daß es nicht ohne weiteres übertragen werden kann. Eines allerdings scheint mir klar zu sein: Es geht nicht mehr an, das Verhältnis der christlichen Theologie zu anderen Theologien und Religionen allgemein zu bestimmen, d.h. ohne direkte und detaillierte Auseinandersetzung mit den einzelnen Religionen. Erst nachdem christliche Theologie in einem mühevollen und langwierigen Gesprächs- und Denkprozeß ihr Verhältnis zu jeder einzelnen Religion weiter geklärt und verantwortet hat, mag es auch irgendwann wieder eine »Theologie der Religionen« geben. Derzeit ist das jedoch nicht unsere Aufgabe.

Quatember 1994, S. 149-156

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-11-23
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