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„Das Optische muß funktionieren”
von Ute Rauscher

Rudi H. Wagner, dem Grafiker und Künstler im Dienst der Kirche zum Achtzigsten.

LeerRudi Wagner - Brot für die WeltSein Plakat für die erste „Brot für die Welt ”-Aktion 1959 ist zu einem Symbol geworden: Ein schwarzer, dürrer Arm, die krallenhafte Hand greift nach „BROT”; Und das alles auf grellorangenem Papier. Doch den Grafiker und Künstler, der das entworfen hat, kennen nur wenige: Rudi H. Wagner. Seit rund fünfzig Jahren widmet er sein Schaffen der Kirche. Am 12. August 1994 feierte der gebürtige Berliner seinen achtzigsten Geburtstag im oberschwäbischen Allmannsweiler bei Bad Buchau.

LeerAuf meiner Straßenkarte ist es nicht eingezeichnet. Aber Allmannweiler, das muß hier liegen, irgendwo zwischen dem oberschwäbischen Bad Schussenried und Bad Buchau. Das Altersrefugium von Rudi H. Wagner, dem Grafiker und Künstler, der Kunst für die Kirche, aber bitte „keine Kirchenkunst”, macht. Endlich das erlösende Ortsschild. Verträumt zwischen Obstbäumen steht das Bauernhaus da, gleich dahinter beginnen die weiten Felder und Wiesen. Das Tor ist offen, und als ich in den Hof fahre, steht Rudi Wagner auch schon unter der Tür, sportlich, in Jeans und Hemd. Daß er dieser Tage seinen achtzigsten Geburtstag feiert, ist kaum zu glauben. Eh' ich mich versehe, erklärt er mir seine Plastik aus elastischen, rohen Stahllatten, die zwischen den Fuchsien und Geranien steht. Ein Stück Berliner Großstadtatmosphäre vor dem idyllischen Bauernhaus. In der Diele: Relikte aus vergangener Zeit, als dieser Teil des Hauses noch Stall war. „Ein Blick ins Atelier?” Ja, natürlich.

LeerEs braucht eine ganze Weile, bis wir die Stufen zum Atelier in der ehemaligen Tenne hinaufgestiegen sind. Aber nicht, weil Rudi Wagner nicht rüstig genug wäre! Der Weg über die schmale Stiege unters Dach erspart, fast, den Blick in den Werkskatalog: Etliche Plakate, Entwürfe und Fotos von Glasfenstern hängen an der Wand. Das Signet für die Aktion Sühnezeichen, ein Gottesdienstplakat für Urlauber im Ausland und, nicht zu übersehen, die schwarze Krallenhand auf leuchtend orangenem Hintergrund - „Brot für die Welt”. „Ach ja, das ist ja schon so lange her! ”Ich rechne: 1959, also genau vor 35 Jahren hat Rudi Wagner für seinen Entwurf den ersten Preis des Diakonischen Werkes bekommen. Aber seine aktuellen Projekte sind ihm viel wichtiger als die Vergangenheit. Und während ich über den hellen großen Raum mit dem schönen Gebälk und die unzähligen ledergebundenen Bücher im Wandregal staune, zieht er unter einem Stapel von Blättern und Broschüren auf dem mächtigen Schreibtisch einen Brief der „Christian Alliance of Reformed Church” in Genf hervor. „Sehn se, det hamm die mir geschrieben. Da soll ich auch wat machen.”

LeerRudi Wagner - Denkmal Bad BuchauWir sehen uns Fotos an: Seine wichtigste Arbeit der letzten Jahre ist ein Denk- und Mahnmal für den jüdischen Friedhof im Nachbarort Bad Buchau. 1991 wurde das Ensemble aus Stele und Findling eingeweiht: „Zum Gedenken an die jüdischen Mitbürger”, die toten und die lebenden. Denn immer wieder kommen Juden aus der ganzen Welt, die ihre Wurzeln in Bad Buchau haben. „Sie suchen dann ein Steinchen, das sie auf den Findling legen, das ist eine alte jüdische Sitte”, erzählt Rudi Wagner. Ein Leben ohne seine Arbeit kann er sich nicht vorstellen. Obwohl er schon seit fast zwanzig Jahren offiziell im „Ruhestand” ist. Zuletzt leitete er elf Jahre lang den „Kunst-Dienst der Evangelischen Kirche”. 1976 schied er dort aus und zog mit seiner Frau Lieselotte von Berlin ins oberschwäbische Allmannsweiler. „Wir wollten von Berlin weg”, erinnert sich Lieselotte Wagner. „Das war nicht so 'ne Spleenerei, das ist durchgedacht.” Die Zeit in Berlin war aufregend und schön, erzählt die Textilwerkerin, die wie ihr Mann künstlerisch tätig ist. „Unsere Kinder gehören ja zur 68er Generation. Und die haben viel mitgemacht und wir natürlich auch. Wir haben ein sehr gutes Verhältnis, und als wir dann gesagt haben, daß wir unser Haus in Berlin verkaufen und uns irgend wo in Süddeutschland was anderes suchen, da haben die gesagt: ‚Na wunderbar’, und haben mitgemacht.”

LeerLieselotte und Rudi Wagner fühlen sich sichtlich wohl in ihrem mustergültig umgebauten Bauernhaus. „Wir haben hier so vieleFreunde gefunden, die wir in Berlin nicht hatten, und so viele kulturelle Möglichkeiten, die wir in Berlin nur in -zig Kilometer Entfernung hatten. - Und plötzlich ist das unsere Heimat und Zuhause.” Aber es war nicht nur der Überdruß an der Großstadt, die ihrer Meinung nach immer langweiliger wurde. Für das Ehepaar Wagner begann in den siebziger Jahren ein neuer Lebensabschnitt: das Altwerden als das alte Ehepaar, wie Frau Wagner es ausdrückt. Und das wollten sie in einer Umgebung erleben, „die uns zwingt, wieder neue Situationen durchzudenken, neue Freunde zu bekommen und dadurch einfach den Geist wieder wach zu kriegen.” Einfach so „dahindämmernd alt zu werden” - eine schreckliche Vorstellung!

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LeerWährend die agile Frau das erzählt, stellt sie englischen Tee und „cakes” auf das kleine Tischchen im Atelier. Rudi Wagner blättert derweil in der Agende für Evangelisch-Lutherische Kirchen und Gemeinden von 1957, deren Gesamtgestaltung er entworfen hat. „Sehen Sie, wie praktisch das mit den Lederknäufen ist? Mit einem Griff hat man die richtige Seite für den Sonntag.” Typisch Rudi Wagner, könnte man sagen. Philosophische Ideale haben ihn nie für seine Arbeiten inspiriert. Bei ihm stand immer der Mensch, der „Benutzer” im Vordergrund. Ob das nun der Pfarrer ist, der seinen Text möglichst schnell finden soll, Kinder, die in ihrer Bibel eine ganz einfache Schrift und Gliederung brauchen, um zu verstehen, oder der Passant, der einen flüchtigen Blick auf das Plakat wirft. „Das Optische muß funktionieren. Wenn der Mensch an der Litfaßsäule vorbeigeht, in diesem Schwupps muß der Groschen gefallen sein. Wenn ich noch ein bißchen überlegen muß, dann ist es schon zu viel.”

LeerEr hat in seinem Leben auch nie lange gefackelt, „es war eben so”. Geboren in Berlin, Am Karlsbad, „einer unvergleichlich reizenden Straße”, wie der Journalist Ludwig Pietsch um die Jahrhundertwende schrieb, hat sich die Kirche, wie Rudi Wagner ausdrücklich betont, mit seiner Taufe in der Matthäus-Kirche „ihm nahegebracht”. Auf einer Fahrt mit der Evangelischen Gemeindejugend nach Dänemark lernte er einen Grafiker kennen, der im Verlagsgewerbe arbeitete. „Bei ihm hatte ich zum erstenmal ein richtig in Leder gebundenes Buch in der Hand.” Damals, mit vierzehn Jahren, wußte er aber schon genau, daß er einmal Künstler werden wollte. Auf Anraten seines Lehrers machte er eine handwerkliche Lehre und besuchte die Höhere Grafische Fachschule. Wehrdienst und schließlich Kriegsdienst machten ihm erst mal einen Strich durch die Karriere. Doch kaum war der Krieg vorbei, machte er sich 1946 als Mitbegründer des ersten kirchlichen Sonntagsblattes einen Namen. Und von da an gings bergauf, vor allem durch persönliche Kontakte mit Kirchenleuten. Immer an seiner Seite seine Frau Lieselotte.

LeerAls sie im Juli dieses Jahres ihre Goldene Hochzeit feierten, besuchten nicht nur ihre beiden Kinder mit Enkeln und Freunde die oberschwäbische Idylle. Das halbe Dorf mitsamt Posaunenchor versammelte sich vor dem Bauernhaus. Sogar der Ministerpräsident ließ eine Karte schicken. Viel Trubel in der sonst kreativen Stille, die die beiden so lieben. „Wenn wir hier rausgucken und gehn raus und sehen die Rapsblüte”, meint Lieselotte Wagner, als ich mich verabschiede, „das ist einfach schön. Das ist der dritte Lebensabschnitt, den wir hier wieder entdecken.”

Quatember 1995, S. 51-53

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-11-23
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