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zur Gottesdienstreform des 20. Jahrhunderts von Heinrich Riehm |
Einleitung | Teil II - Auswirkungen |
- Martyria - Leiturgia - Diakonia | - Einleitung |
- In der Kirche - Für die Kirche | - 1. Das Kirchenjahr |
- Liturgische Erneuerung | - 2. Das Sonntagsproprium |
Gliederung des Themas | - 3. Das Sonntagsthema |
Teil I - Die Liturgische Arbeit der EMB | - 4. Der Wochenspruch |
a) Wichtige Stationen in den dreißiger Jahren | - 5. Das Wochenlied |
- Das Kirchenjahr (1934) | - 6. Der Wochenpsalm |
- Lieder für das Jahr der Kirche (1935) | - 7. Die Abendmahlsgebete |
- Lesung für das Jahr der Kirche (1936) | - 8. Schlussevangelium/Sendungswort |
b) Die liturgische Arbeit unmittelbar nach dem zweiten Weltkrieg | - 9. Variable Gottesdienstteile |
- Gebete für das Jahr der Kirche (1948) | - 10. Nonverbale Äußerungen |
- Das Stundengebet (1948) | Auswirkungen auf das Stundengebet |
c) Die Veröffentlichungen von den sechziger Jahren an | Auswirkungen auf die Bibellese |
- Die Eucharistische Feier (1961) | Schlusswort |
- Evangelisches Tagzeitenbuch (1967) | |
- Ordnung der täglichen Bibellesung (1978) |
E i n l e i t u n g Beschäftigt man sich näher mit der Geschichte und dem Anliegen der EMB, dann wird sehr schnell deutlich, wie groß die Fülle des anliegenden Stoffes ist, welche Strömungen und Richtungen kirchlicher, gesellschaftlicher und politischer Art zu bedenken sind, will man der Aufgabe gerecht werden. Es ist daher notwendig, zunächst das Umfeld ein wenig abzustecken, Eingrenzungen vorzunehmen, wenigstens hinzuweisen auf Fakten, auf Zeiterscheinungen und geschichtliche Zusammenhänge, die zwar nicht ausführlich zu behandeln möglich aber wenigstens zu benennen sind, um die EMB in ihre Zeit einordnen und besser verstehen zu können. Ich nenne drei Punkte: Martyria - Leiturgia - Diakonia Oskar Planck (1888 - 1970), der erste Hausvater in Kirchberg ab 1958, hat diesen Weg in dem Buch der Bruder- und Schwesternschaften »Frei für Gott und die Menschen« anschaulich beschrieben 1, und das »Berneuchener Buch« dokumentiert eindrucksvoll Anliegen und Ausgangsposition dieser ersten Zeit 2. Dabei entwickelte sich diese Bewegung immer klarer zur Kirche und ihrer liturgischen Tradition hin, die sie jedoch nicht einfach restaurativ sondern in schöpferischer Neugestaltung aufnahm. 3 Wichtig zu sehen ist, daß die Erneuerung der Liturgie zwar von Anfang an eine wichtige Rolle spielte, aber immer eingebettet war in das Ganze einer christlichen Lebensgestaltung. Wilhelm Stählin beschreibt dies in seiner Veröffentlichung »Berneuchen. Unser Kampf und Dienst für die Kirche« (1937), in der er gleichsam Rechenschaft gibt über die gesamte Berneuchener Arbeit, folgendermaßen: »Wenn ich die entscheidende Erkenntnis, die uns auf diesem Weg geschenkt worden ist, auf eine theologische Formel bringen soll, so ist es etwa diese: die Kirche ist eine leibhafte Wirklichkeit in dieser Welt. Alle Bilder, in denen das Neue Testament von der Kirche Jesu Christi redet, deuten auf einen Lebensvorgang, der durch den Geist Gottes erweckt und durch menschlichen Dienst verwirklicht wird. Alle solche Verwirklichung der Kirche geschieht aber in drei Formbereichen, sozusagen auf drei Ebenen gleichzeitig: in Verkündigung, Unterweisung und Lehre; in Gebet, Kultus und Sakrament; in der Ordnung des gemeinsamen Lebens (wozu dann ebenso die tätige Liebe der Einzelnen und der Gemeinde wie die Verfassung und rechte Leitung des Ganzen gehört).« 4 Es ist die Dreiheit und Einheit von Martyria, Leiturgia und Diakonia 5. Mit dieser Ganzheit christlicher Lebensgestaltung, in die alles gottesdienstliche Tun eingebettet sein soll, ist bereits ein wesentliches Charakteristikum genannt. Und zur Kennzeichnung der praktischen liturgischen Arbeit schreibt Wilhelm Stählin in der eben zitierten Schrift weiter: »Keine unserer liturgischen Ordnungen ist am Schreibtisch ausgedacht, sondern sie wollen als Regel festhalten und anderen darbieten, was im kultischen Gebrauch, im Gebet am Altar, erprobt und bewährt ist. Sie alle sind, das ist das zweite, streng kirchlich gemeint; das heißt: sie sind bestimmt für den Gottesdienst der betenden Gemeinde und wollen, soweit sie von dem Einzelnen gebraucht werden, ihm dazu helfen, sich in die Ordnung der Kirche hineinzustellen und in seinem Gebet mit der Kirche zu leben. Sie möchten aller subjektiven Auflösung kirchlicher Ordnung wehren; sie vermeiden darum alles bloß persönlich Erbauliche; sie wollen auch nicht, wie Kritiker immer wieder argwöhnen, im ästhetischen Sinn ‚schön’ sein, sondern sie versuchen, das objektive Geschehen des kirchlichen Betens und Handelns sachlich richtig und in einer angemessenen Form auszusprechen. Sie glauben sowohl der Kirche wie dem einzelnen Christen den größten Dienst zu leisten, wenn sie in strenger Sachlichkeit und in einer von der Sache her gebundenen Sprache Ausdruck und Hilfsmittel kirchlicher Ordnung sind.« 6 In der Kirche - Für die Kirche Ja, man muß den Rahmen noch weiter stecken. Die Ära des 19. Jahrhunderts mit ihrem »Kulturprotestantismus«, der theologisch und kirchlich vor allem durch Friedrich Schleiermacher geprägt war und Kirche und Gesellschaft bestimmte, war zu Ende und bedeutete neue Herausforderungen. In diesem Zusammenhang ergibt sich eine interessante Beobachtung im Blick auf die sogenannte »ältere liturgische Bewegung« um die Jahrhundertwende in Straßburg. Auch den beiden Hauptinitiatoren dort Friedrich Spitta (1852 - 1924) und Julius Smend (1857 - 1930) ging es wie den späteren Gruppierungen der sogenannten »jüngeren liturgischen Bewegung« in den zwanziger Jahren um die Erneuerung des Gottesdienstes, um seine zentrale Bedeutung und vor allem um die Ganzheitserfahrung darin (auch dies ist ein gemeinsames Anliegen). Aber das Schöngeistige, das Erlebnis, das Subjektive und die Ästhetik erfahren in beiden Bewegungen eine grundverschiedenen Bewertung. Verstehen läßt sich diese Kluft - und damit auch die vorhin zitierten, fast schroffen Sätze Wilhelm Stählins - nur von der beschriebenen neuen Situation her, wie sie nach dem ersten Weltkrieg gegeben war. Es muß allerdings dahingestellt bleiben, ob die scharfe Verurteilung der Ästhetisierung des gottesdienstlichen Geschehens und die leidenschaftliche Verteidigung des Objektiven nicht zu zeitbedingt waren und damit als zu einseitig anzusehen sind. Im Zuge gewandelter Einsichten hat auch die »ältere liturgische Bewegung« heute wieder eine neue Bewertung erfahren. 7 Festzustellen bleibt, daß die EMB in den großen geistlichen Auseinandersetzungen der zwanziger und dreißiger Jahre - man muß ja dabei auch die Zeit des Kirchenkampfes bedenken - sich bewußt und entschieden in die Kirche hineingestellt hat und ihr mit ihren Ordnungen und Hilfen dienen wollte. Die Urkunde von 1931 und die Regel von 1937 sind dafür ein eindeutiges Zeugnis. In beiden Dokumenten lautet der Hauptsatz: »Wir können an der Kirche nur bauen, wenn wir selber Kirche sind.« 8 Liturgische Erneuerung Da entsteht die »Hochkirchliche Vereinigung« unter dem Marburger Theologen Friedrich Heiler (begründet 1918), der eine evangelische Katholizität vertritt und dessen liturgische Arbeit stark von römisch-katholischen, aber auch anglikanischen und orthodoxen Einflüssen geprägt ist. Sakramentale Frömmigkeit und geistliche Übungen spielen dabei ebenso eine Rolle wie die Einzelbeichte und die Bedeutung der apostolischen Sukzession. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang aber auch eine Reihe von Privatagenden, deren Hauptanliegen darin bestand, eine große Zahl von zeitgemäßen Gebeten verbunden mit passenden Bibelworten für die Feste und Feiertage und dann (in einem zweiten Teil) nach Themen und Anlässen geordnet für die Sonntage anzubieten, um mit einer solchen »Thema - Einheit« des Gottesdienstes dem modernen Menschen entgegenzukommen. Am bekanntesten ist wohl das dreibändige »Evangelische Kirchenbuch« von Karl Arper und Alfred Zillessen geworden, das zwischen 1910 und 1940 sieben Auflagen erreicht und eine weite Verbreitung gefunden hat. 10 Schließlich muß die Kirchliche Arbeit Alpirsbach genannt werden , die ab 1933 Kirchliche Wochen in Alpirsbach (Schwarzwald) und an anderen Orten regelmäßig veranstaltet hat und bis heute durchführt. Richard Gölz und dann vor allem Friedrich Buchholz waren die treibenden Kräfte. Die Eigenart dieser kirchlichen Wochen besteht in der Verbindung von theologischem Studium, wobei die dialektische Theologie Karl Barths von Anfang an bestimmend war, und einer gründlichen Beschäftigung mit der Gregorianik, die durch Evangelische Messe und Stundengebet den Tageslauf prägt. 11 Teil I - D i e l i t u r g i s c h e A r b e i t d e r E M B a) Wichtige Stationen in den dreißiger Jahren Das Kirchenjahr (1934) Die bisherigen Agenden waren ja wie oben erwähnt in der Regel nach Festtagen und Festzeiten und für die festlose Zeit nach allgemeinen Themen und Anlässen (für einzelne Phasen) eingeteilt. So auch etwa »Das Jahr der Kirche in Lesungen und Gebeten«, das Rudolf Otto 1927 (in 2. Auflage) herausgegeben hatte und das auf eine schwedische Vorlage zurückging. Dort waren die Sonntage bereits durchgezählt und auch jeweils mit einem zugeordneten Psalm versehen 13. Man erkennt unschwer, welches Gewicht dem »Detemporelied« damals beigelegt und wie stark seine Verbreitung gefördert wurde. Die einzelnen Lieder sind mit den Namen der Sonntage und ihrer Themen überschrieben, wobei die Sonntage nach Pfingsten, nach Johannis und nach Michaelis gezählt werden. Lesung für das Jahr der Kirche (1936) Schließlich ist ein weiteres Charakteristikum dieses Buches zu nennen. Es sind die in der Einführung beschriebenen Gebetsanliegen für die einzelnen Tage der Woche. Sie geben den Wochentagen zugleich ihren Sinn und ihre innere Ausrichtung und haben hier folgenden Wortlaut: Sonntag: Tag des neuen Anfangs, Tag des Lichtes (durch die Schöpfung der Welt, durch die Auferstehung Jesu Christi von den Toten, durch die Ausgießung des Heiligen Geistes). Montag: Sendung in die Welt. Dienstag: Versuchung, Kampf. Mittwoch: Bindung an unseren »Nächsten«; Ehe, Familie. Donnerstag: Die großen Ordnungen und Gemeinschaften, in denen unser Leben steht: Reich Gottes und Kirche; Volk und Staat. Freitag: Gedächtnis des Todes Christi; Blick auf das Kreuz, Bereitung zum Leiden. Samstag: Abend des Lebens und der Welt; Blick auf das Ende; Gericht und Erlösung. b) Die liturgische Arbeit unmittelbar nach dem zweiten Weltkrieg Gebete für das Jahr der Kirche (1948) Die zweite Auflage der ‚Lieder für das Jahr der Kirche’ hat für alle Wochen des Jahres eine Liedreihe aufgestellt, die sich in ihren Grundzügen bewährt hat. Die schon in der ersten Auflage der vorliegenden Sammlung durchgeführte Ordnung des angebotenen Materials nach dem Kirchenjahr konnte durch diese Bemühungen nur ihre Bestätigung finden und hat sich als Grundsatz für alle agendarische Arbeit heute wohl allgemein durchgesetzt. Der in ihr m.W. zum erstenmal unternommene Versuch, eine deutsche Kollektenreihe für das ganze Kirchenjahr aufzustellen, konnte in der ‚Lesung für das Jahr der Kirche’ und in der ‚Ordnung der Deutschen Messe’ fortgeführt und verbessert werden. Inzwischen erschienene, zum Teil abweichende Vorschläge für die sonntäglichen Kollekten sind für diese Auflage unserer Sammlung sorgfältig beachtet worden. Sie bringt nunmehr fast durchgehend eine doppelte Reihe von Kollekten, deren erste sich stärker an die abendländische Überlieferung anschließt, deren zweite sich deutlicher in den Zusammenhang der betreffenden Sonntagsfeier einordnet.« 18 Die in diesem Vorwort genannten weiterführenden Veröffentlichungen sind eine ganze Reihe von Schriften, die seit den zwanziger Jahren in fortlaufenden Heften unter dem Titel »Der deutsche Dom« herausgekommen waren, darunter »Das heilige Abendmahl«, »Die Beichte der Gemeinde«, »Pfarrgebete«, um nur einige zu nennen. Ritter geht in seinem Vorwort im folgenden auf die Bemühungen um eine liturgische Sprache ein und stellt schließlich fest, daß »nunmehr auch alle anderen de tempore-Stücke aufgenommen worden [sind], die zum Altardienst der sonntäglichen Messe wie des selbständigen Predigtgottesdienstes benötigt werden« (S. 8). Zum ersten Mal findet sich in dieser Agende bei den Introituspsalmen jeweils eine Antiphon, die den besonderen Charakter des Sonntags zum Ausdruck bringt. Die Agende enthält nach Ordinarium und Proprium (auch für die kleinen Feste und Gedenktage) noch weitere Gebete und Stücke für das Kirchenjahr. Unter den drei Anhängen (in Anhang I) finden sich Beispiele für die »Aufforderung zu Bittruf und Lobpreis« (S. 319 ff). Sie sind sozusagen ein stirnrunzelndes Zugeständnis an die Agenden der Unionskirchen, die ja dem Kyrie ein Sündenbekenntnis und dem Gloria ein Gnadenwort voranstellen und somit Kyrie und Gloria ihrer ursprünglichen Funktion berauben und das Ganze als eine abgekürzte Beichte verstehen. Eine Besonderheit ist die Auswahl der Psalmen. Hans Kappner erläutert sie in einer eigenen Einführung. Es »werden für jede Hore (mit Ausnahme der Complet, die stets die gleichen Psalmen hat) drei verschiedene Psalmen vorgeschlagen: 1. Ein Wochenpsalm, (meist der Introituspsalm), der im Blick auf das Sonntagsevangelium gebetet wird, 2. ein Tagespsalm, der, im Ablauf der Woche täglich wechselnd, im Blick auf das Anliegen des Tages gebetet wird, und endlich 3. ein Stundenpsalm, der, für jede Hore einer Woche festgelegt, uns vom Blick auf die Tageszeit her zum Beten führt.« 22 Über die rechte Art, deutsch zu psalmodieren, sind alle Fragen noch im Fluß. »Wir wollen uns heute«, so heißt es im Vorwort, »noch nicht auf eine bestimmte Form des Psalmengesanges festlegen.« (S. 7) Das Stundengebet, das neben den ausgewählten Psalmen auch Lieder und Gebete im Tageslauf enthielt, hat bis 1966 sieben Auflagen erlebt und eine relativ große Verbreitung gefunden. c) Die Veröffentlichungen von den sechziger Jahren an Die andere Besonderheit besteht in dem Angebot von vier verschiedenen Formen der eucharistischen Feier, die übrigens wie der Predigtgottesdienst auch in der Mitte des Buches plaziert sind. Es gibt die gesprochene Form, die gesungene Form, die festliche Form und eine andere Form. Daß die wechselnden liturgischen Stücke vom Liturgen und von der Gemeinde entweder alle gesprochen oder alle gesungen werden, ist zweifellos konsequenter als die Mischform (Pfarrer spricht, Gemeinde singt), die seit der preußischen Agende von 1822 Praxis geworden ist. Die festliche Form enthält vor allem ein musikalisch reichhaltiges und variables Angebot, während die »andere Form« die das Mahl feiernde Tischrunde im Blick hat und mit einem großen Dank- und Fürbittengebet beginnt, dem unmittelbar die Verkündigung und der Übergang zu Opfergang und Hochgebet folgen. Ich habe aus der »Eucharistischen Feier« nur diese beiden Besonderheiten hervorgehoben, weil sie für die spätere Gottesdienstentwicklung bedeutsam sind: der ganze Bereich der nonverbalen Äußerungen und das weite Feld der variablen Gottesdienstgestaltung bei gleichbleibender Grundstruktur. Hier zeigen sich bereits wichtige Ansätze. Evangelisches Tagzeitenbuch (1967) Es folgen die Ordnungen für den Einzelnen bzw. den kleinen Kreis (in einfacher Form) und für das Chorgebet der vier Tageszeiten, weitere Gebete, die wechselnden Stücke im Kirchenjahr und ein musikalischer Anhang mit Hymnen, Liedern und Responsorien. Bei den wechselnden Stücken sind zu allen Sonn- und Festtagen des Kirchenjahres das Leitbild, der Wochenspruch, das Wochenlied, das Gebet der Woche und ein Leitvers zum Wochen- und zum Tagespsalm angegeben. Dem folgen dann jeweils für die Wochentage die Angaben der Psalmen und die (aus pastoralen Gründen) kurzen Lesungen. Für das Singen der Psalmen ist dem Buch eine Psalmton-Tafel beigegeben. Die weitere Arbeit am Stundengebet war in den folgenden Jahren vor allem durch die Frage nach der musikalischen Gestalt bestimmt. Die Forschung der letzten Jahrzehnte im Blick auf die Gregorianik hat die Frage nach einer deutschen Psalmodie (und die Frage nach einer deutschen Gregorianik überhaupt) in ein neues Licht gestellt und damit auch neue Diskussionen und Meinungsverschiedenheiten über die rechte Ausführung der gregorianischen Gesänge hervorgerufen. Die EMB hat sich mit dem Problem eingehend beschäftigt 25. Das 1995 erschienene »Evangelische Stundengebet« zeigt bereits erste Ergebnisse 26 und im neuen Tagzeitenbuch der EMB werden nun Lösungen im Blick auf die Ausführung der deutschen Psalmodie vorgelegt, über die es in der Einführung heißt: "Während unsere früheren Veröffentlichungen noch sagten: ‚über die rechte Art, deutsch zu psalmodieren, sind eigentlich alle Fragen noch im Fluß’ (Das Stundengebet S. 8, ähnlich TZB S. XII), meinen wir heute sagen zu können, eine der deutschen Sprache angemessene musikalische Form gefunden zu haben." 27 Teil II - A u s w i r k u n g e n Einleitung Man wird die Auswirkungen der liturgischen Arbeit der EMB auf die kirchenamtlichen Agenden und die weiteren liturgischen Veröffentlichungen von den fünfziger Jahren an 31 sicher nicht als eine Einbahnstraße verstehen und darstellen dürfen. Es war ein gegenseitiges Geben und Nehmen. Karl Bernhard Ritter schreibt selbst im Vorwort zur Eucharistischen Feier 1961: »Die dritte, in allen ihren Teilen gründlich überarbeitete und dazu erheblich erweiterte Ausgabe wäre wohl nicht entstanden ohne meine Mitarbeit in der ‚Lutherischen Liturgischen Konferenz’ und in der ‚Liturgischen Kammer’ der Landeskirche von Kurhessen-Waldeck, vor allem aber ohne den ständigen schriftlichen und mündlichen Austausch mit den für die liturgische Arbeit verantwortlichen Brüdern der Evangelischen Michaelsbruderschaft. Das alles zwang zum immer neuen Durchdenken der Probleme, zum Nachprüfen der eigenen Position und der eigenen Entscheidungen.« 32 Auch andere private Agenden sind hier zu nennen wie etwa die »Kirchenagende I, herausgegeben im Auftrag der liturgischen Ausschüsse von Rheinland und Westfalen in Gemeinschaft mit anderen von Joachim Beckmann, Peter Brunner, Hans Ludwig Kulp, Walter Reindell« 33. Auch sie ist im Vorwort zur Eucharistischen Feier erwähnt. Dennoch bleibt die Tatsache bestehen, daß die EMB wie keine andere liturgische Bewegung unmittelbare Auswirkungen auf das Agendenwerk der Landeskirchen und darüber hinaus auf das gottesdienstliche und geistliche Leben der Gemeinden gehabt hat. Im folgenden sei eine Aufzählung versucht, die - zugegebenermaßen etwas summarisch - zusammenstellt, welche Punkte im Blick auf die Gottesdienstgestaltung hier zu nennen sind. Dabei ist zu unterscheiden zwischen Wiedergewinnung bzw. Erneuerung liturgischer Tradition und speziellem Beitrag der EMB. Letzterer bezieht sich vor allem auf die völlige Durchgestaltung des Kirchenjahres mit Leitbild, Wochenspruch, Wochenpsalm, Schlußevangelium und Sendungswort für jeden Sonn- und Festtag des Kirchenjahres 34. Die Rezeption der folgenden aufgezählten Punkte in den einzelnen Landeskirchen verlief unterschiedlich. Im Blick sind vor allem die beiden großen Agenden der zwischenkirchlichen Zusammenschlüsse: Agende I der VelKD von 1955 und Agende I der EKU von 1959 35 bis hin zum Vorentwurf der Erneuerten Agende von 1990 36. Als Beispiel für die Auswirkungen in einer unierten Landeskirche, die nicht zu den genannten Zusammenschlüssen gehört, ist im folgenden jeweils die Rezeption in Baden genannt. 1. Das Kirchenjahr Auswirkungen: Die völlige Durchgestaltung ist allgemein übernommen worden gegenüber früherer Einteilung nach Festen und festlosen Zeiten bzw. Themen und Anlässen für Phasen in der festlosen Zeit (kleinere Feste je nach Konfession und Tradition der Landeskirche). Die Zählung der Sonntage nach Pfingsten, Johannis, Michaelis (so in »Lieder für das Jahr der Kirche« 1935) hat sich nicht durchgesetzt. Die Agende »Gebete für das Jahr der Kirche« 1948 hatte noch die Zählung nach Michaelis. Sie wurde aber in der »Eucharistischen Feier« 1961 aufgegeben und (im Proprium selbst) nur noch in Klammern angemerkt. Baden hat erst 1965 (Agende I) die völlige Durchgestaltung des Kirchenjahres übernommen 37(seit 1954 durch Einzellieferungen vorbereitet). Die Agende von 1930 hatte noch Themen für die festlose Zeit. EMB: 1934 Denkschrift »Das Kirchenjahr«. Auswirkungen: Die Übernahme hat sich allgemein durchgesetzt, wobei die Veränderungen der Perikopenordnung 38 mit den sonntäglichen Lesungen und Predigttexten überall übernommen worden sind. Übernahme in Baden mit der Agende 1965. Für die (eine) Schriftlesung gilt: Entweder altkirchliches Evangelium, wenn der Predigttext eine Epistel oder ein alttestamentlicher Text ist, oder Epistel bzw. alttestamentlicher Text, wenn über ein Evangelium gepredigt wird. Auswirkungen: Das Sonntagsthema taucht in den Agenden nur vereinzelt auf (z.B. Kurhessen 1985 z.T. mit verändertem Wortlaut 39). Die Bezeichnung lautet unterschiedlich: »Leitbild« oder »Sonntagsmotiv«. In der Ordnung der täglichen Bibellesung nach dem Kirchenjahr von 1978 hat das Sonntagsthema seinen festen Platz. Die badische Agende 1965 kennt das Sonntagsthema (als Bezeichnung) nicht. Es taucht erst in der Loseblatt-Sammlung ab 1983 auf, die Teil der Agende von 1996 ist 40. 4. Der Wochenspruch Auswirkungen: Der Wochenspruch hat sich überall durchgesetzt, allerdings mit unterschiedlicher Bezeichnung: »Sonntagsspruch« (so in der Denkschrift 1934), »Spruch des Tages« (bei einzelnen Festtagen). In Baden: Wochenspruch ab der Agende von 1965. Er ist zugleich einer der Eingangssprüche im Eingangsteil des Gottesdienstes. In Baden: Wochenlied ab der Agende 1965. Auswirkungen: Dieser so beschriebene Introitus ist weithin von den amtlichen Agenden übernommen worden. Daneben hat auch der ausführlichere Wochenpsalm ohne Leitvers weite Verbreitung gefunden (in der täglichen Bibellesung; im Evangelischen Gesangbuch). Die badische Agende 1965 hatte unter dem Stichwort »Eingang« zunächst einige Eingangssprüche und dann Psalmverse mit vorangestelltem Leitvers angeboten. Das Proprium zur Agende von 1996 (ab 1983) hat diese Praxis umgedreht und zunächst unter dem Stichwort »Psalm« den Leitvers mit einigen Psalmversen und dann eine Auswahl von Eingangssprüchen abgedruckt. Die Neuauflage des Propriums von 1998 gibt zusätzlich jeweils die EG-Nummer des Wochenpsalms für das Wechselgebet mit der Gemeinde an. 7. Die Abendmahlsgebete Auswirkungen: Für die Übernahme in die kirchenamtlichen Agenden ist zunächst auf die grundlegende Erkenntnis hinzuweisen, daß das heilige Abendmahl zum Gottesdienst gehört und nicht die Ausnahme sein sollte. Selbst in der badischen Agende ist der sogenannte »Gesamtgottesdienst« als Liturgie 7 in der Agende von 1965 zur Liturgie 1 in der Agende von 1996 geworden - immerhin ein Zeichen! Die Bezeichnungen »Eucharistische Feier«, »Opfergang« und »Hochgebet« haben sich allerdings nirgends durchgesetzt. Dagegen sind im Vorentwurf der »Erneuerten Agende« von 1990 acht Dankopfergebete angeboten, die deutlich Impulse der EMB aufnehmen. Die Texte müßten im einzelnen verglichen und untersucht werden, was an dieser Stelle nicht möglich ist. Daß aber das Gesamtanliegen der »Eucharistischen Feier« im Vorentwurf der EA aufgenommen und weitergetragen ist, zeigt vor allem die Aufnahme von 14 verschiedenen Eucharistiegebeten aus der alten Kirche und der Ökumene. Auf sie kann ebenfalls hier nicht näher eingegangen werden. Die badische Agende von 1965 enthält bereits - wenn auch fakultativ - nach den Einsetzungsworten Anamnese, Epiklese mit eschatologischen Ausblick. Die Agende von 1996 kennt im Abendmahlsteil neben einer ersten Form mit Abendmahlsgebet nach den Einsetzungsworten eine zweite Form »als Eucharistiegebet«, in der die Einsetzungsworte eingebettet sind in Abendmahlsgebet I und Abendmahlsgebet II. Der Textteil bietet Abendmahlsgebete unterschiedlicher Ausprägung an. Auswirkungen: Das Schlußevangelium hat sich nicht durchgesetzt. Wohl aber findet sich in der »Erneuerten Agende« (Vorentwurf 1990 und Entwurf 1997) der Hinweis auf die Möglichkeit, ein Sendungswort (eventuell auch den Wochenspruch) vor dem Segen zu sprechen. Die badische Agende von 1996 sieht ein solches Sendungswort zwischen Abkündigungen und Segen (fakultativ) vor, das ein passendes Bibelwort oder auch der Wochenspruch sein kann 41. 9. Variable Gottesdienstteile Auswirkungen: Was in der »Eucharistischen Feier« von 1961 ansatzweise zu finden ist, kommt in der »Erneuerten Agende« zur Entfaltung: Unterschiedliche Ausgestaltung einzelner Gottesdienstteile aus besonderem Anlaß und in besonderer Gemeindesituation bei gleichbleibender Grundstruktur des Gottesdienstes. Die badische Agende von 1996 hat diese Entwicklung konsequent aufgenommen und bietet in ihren acht Liturgien unterschiedliche situationsbezogene Formen an bis hin zu »Leitlinien für die freiere Gestaltung von Gottesdiensten« 42. Auswirkungen: Eine so ausführliche Anweisung findet sich zwar derzeit in keiner Agende. Aber das Verständnis für ganzheitliche Liturgie und für die Wichtigkeit der Form ist in den letzten Jahren gewachsen und die zahlreiche Literatur zur Gestalt des Gottesdienstes zeigt doch so etwas wie eine Frucht und einen Niederschlag der Arbeit der EMB im Bemühen um die rechte Feier des Gottesdienstes 43. In Baden war ein liturgischer Wegweiser, wie er etwa in der Agende von 1930 zu finden ist, im Zusammenhang mit der Agende von 1965 trotz mehrerer Ansätze nicht zustande gekommen. Seit 1989 gibt es immerhin einen Entwurf, der zur Erprobung freigegeben ist und auf eine überarbeitete Veröffentlichung wartet 44. Auswirkungen auf die Bibellese Diese vielfältige Praxis hat gezeigt, daß die Kirchenjahres-Bibelleseordnung ihr eigenes Recht hat neben der von den kirchlichen Verbänden betreuten fortlaufenden Bibellesung einerseits und der ‚eisernen Ration’ der Herrnhuter Losungen und Lehrtexte andererseits.« 46 Das Losungsbüchlein enthält ja für jeden Tag sowohl die Kirchenjahres-Bibellese (von der EMB verantwortet) als auch die »fortlaufende Bibellese«, die wie auch Jahreslosung und Monatsspruch heute von der »ökumenischen Arbeitsgemeinschaft für Bibellesen« verantwortet wird 47. Auch der Pfarramtskalender hält sich an diese Ordnungen, wobei dort für die Kirchenjahres-Bibellese nicht nur die Morgen- sondern auch die Abendlesung angegeben ist 48. Vielleicht ist diese Zusammenbindung des Sonntagsgottesdienstes mit dem Alltag der Woche der wichtigste und wohl auch verbreitetste Beitrag der Michaelsbruderschaft für das geistliche Leben des Einzelnen und seine Bibelfrömmigkeit. Er verdient es nach wie vor, in unseren Gemeinden stärker als bisher herausgestellt zu werden. Auch die Gebetsanliegen für die einzelnen Wochentage haben seit ihrem ersten Erscheinen 1936 in der »Lesung für das Jahr der Kirche« weite Verbreitung gefunden, wenn sie auch im Laufe der Jahre Veränderungen erfahren haben, wie ein Blick in das »Losungsbüchlein« zeigt.
Zur Person des Verfassers: Heinrich Riehm ist Theologe und Kirchenmusiker, war nach 30 Jahren Gemeindepfarramt zuletzt »Landeskirchlicher Beauftragter für Liturgische Ausbildung, Forschung und Praxis« der badischen Landeskirche, war Dozent für Liturgik am Predigerseminar Heidelberg und Lehrbeauftragter für Hymnologie, liturgisches Singen und Sprechen sowie für Gemeindesingarbeit an der Hochschule für Kirchenmusik in Heidelberg, Mitglied und z.T. Vorsitzender verschiedener liturgischer und kirchenmusikalischer Kommissionen. © Heinrich Riehm In Quatember 1998, S. 225-236 und Quatember 1999, S. 38-41 wurde diese Abhandlung leicht gekürzt veröffentlicht Die Überschriften des Verfassers wurden um einige Untergliederungen ergänzt. |
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