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Von der Wiederentdeckung der Kraft im Gottesbild der Bibel
von Gerhard Steege

LeerBilder aus der kirchlichen Gegenwart:

LeerDer Konvent Berlin-Brandenburg der Evangelischen Michaels-Bruderschaft hat sein gewohntes monatliches Treffen. Zum Ablauf gehört diesmal ein Vortrag mit der Thema: Von der Wiederentdeckung der Kraft im Gottesbild der Bibel. Gegen Ende skizziere ich vermutete Vorgänge von Kraftlosigkeit bei Pfarrern und andern kirchlichen Mitarbeitern und merke an, daß immer wieder Krankheitserscheinungen vorkommen, bei denen ich Zusammenhänge mit Überforderungen sehe, wobei einer der Brüder deutlich wahrnehmbar murmelt: wir sind ja schon überfordert, und er ergänzt später: nicht wenige gehen völlig ausgelaugt in den Ruhestand, vollkommen gebrochen, in geistlicher Armut.

LeerEin anderes Erscheinungsbild:

LeerNicht wenige Pfarrer und Pfarrerinnen (um bei dieser Berufsgruppe zu bleiben) stürzen sich in Arbeit (die bekanntlich nie ausgeht), wohl aus dem gleichen Beweggrund: weil sie eine geistliche Leere oder Apathie fürchten, die sie durch Aktivität zu überdecken hoffen. Und da viele Pfarrstellen in der gegenwärtigen Finanzmisere der Kirche zusammengelegt werden, um Stellen und Gehälter einzusparen, werden solche Bemühungen zugleich hoch geschätzt, woraus dann ein Teufelskreis zwischen Überforderung und Krankheit entstehen kann. In der Tiefe aber 'sitzt der Wurm', treibt mit solchen Spielen der Durcheinanderwerfer sein Unwesen. Ist das erkannt, kommt alles darauf an, ihm sein Handwerk zu legen. Denn Ausgelaugtsein, Lustlosigkeit - das ist ein bedenkliches und gefährliches Krankheitssymptom für die Kirche, in ihrer Bestimmung, Salz der Erde zu sein (Motto des Stuttgarter Kirchentages 1999)!

LeerNun kann ja nicht fortwährend Kirchentag sein mit dem Schwung, den solches Treffen mit sich bringt. Aber es gibt durchaus Lösungswege heraus aus solcher Wirrnis! Ein Weg aus solcher Verwirrtheit oder geistlichen Orientierungslosigkeit kann sein, sich der biblischen Energieform anheimzugeben, die (in der Übersetzung von Martin Luther) mit Kraft wiedergegeben wird. Was hat es mit dieser Kraft auf sich?

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Kraft der Bibel

LeerDas Vaterunser schließt mit der Wendung: denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit. In Ewigkeit. Amen. Darüber hinaus verwendet die Heilige Schrift in beiden Testamenten das Wort Kraft sehr häufig: Der Luthertext verwendet Kraft etwa 150 mal. Im griechischer Neuen Testament wird dynamis und im Alten Testament werden die hebräischen Worte für Kraft koach und ooz etwa 240 mal gebraucht. Ein geläufigeres Beispiel: „Das Wort vom Kreuz ist eine Torheit denen, die verloren werden, uns aber, die wir selig werden, ist es eine Gotteskraft.”(1. Kor 1,18). Im übrigen war die erstaunliche, wenn auch zu damaliger Zeit nicht einzigartige Rede über Jesus im Umlauf: „Alles Volk begehrte, ihn anzurühren, denn es ging Kraft von ihm aus und heilte alle”(Lk 6, 19). Und Paulus faßt in seinem zweiten Brief an seinen Schüler Timotheus die Gesamtbotschaft von der Auswirkung des neuen Lebens mit Jesus zusammen in den Worten: „Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit” (1,7). Beide Bibelstellen beziehen sich mit der Kraft auf den Lebensalltag, nicht so sehr auf herausgehobene Situationen: Bei der Rede über Jesus ist ganz eindeutig die Kommunikation im Mittelpunkt, und den Zeitgenossen fällt besonders auf, wie wohl tuend sein Umgang für den Menschen ist, bis hin zur Heilung von Krankheiten. Und Paulus hebt neben Kraft vor allem Liebe und Besonnenheit hervor, beides ebenfalls Schwerpunkte einer wohltuenden Kommunikation unter Menschen, zugleich auch Schwerpunkt spirituellen Ursprungs mit klarer Auswirkung auf das Zusammenleben der Menschen in ihrem normalen Alltag. Damit ist ein Bezug zum kosmologischen Aspekt von Gott als Person ermöglicht.

Kosmos und Gott als Person

LeerSo spricht der Herr: Der Himmel ist mein Thron und die Erde der Schemel meiner Füße” (Jes 66,1). Und die allgegenwärtige Präsenz Gottes ist uns geläufig (so etwa Ps 139, 8 f): „Führe ich gen Himmel, so bist du da; bettete ich mich bei den Toten, siehe, so bist du auch da. Nähme ich Flügel der Morgenröte und bliebe am äußersten Meer, so würde auch dort deine Hand mich führen und deine Rechte mich halten.” Im biblischen Gottesbild überwiegt eindeutig die Personalität Gottes. Dennoch ist der kosmische Aspekt nicht ausgemerzt. Wir finden ihn auch wieder in der Kraft. In diesem Begriff ist Gottes Schöpfermacht mit seinem Personsein verschmolzen, so daß er sich souverän dem Mose offenbaren kann auf dessen Frage nach Gottes 'Namen' (also nach seinem Wesen): - „Ich bin, der ich bin” (Luther: „ich werde sein,der ich sein werde”,2. Mose 3,14). Gottes Kraft als Schöpferwirklichkeit findet sich in der hebräischen Bibel ungleich häufiger als im Neuen Testament, und dabei ist zugleich die vital-kreatürliche Dimension oft mit der spirituellen Dimension des Lebens verschmolzen. Wir haben aber in unserer Glaubenslehre wie in der Auslegungsgeschichte die beiden Dimensionen in der Regel voneinander getrennt und mußten damit die Konsequenzen für unser Gottesbild wie für unser Glaubensverständnis tragen!

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Von der Bibel zu Reiki

LeerAuch andere Religionen kennen dieses Verständnis Gottes als Kraft, die die spirituelle und vital kreatürliche Dimension zusammenschließt. „Die afrikanischen Völker sind sich einer mystischen Kraft im Universum bewußt. Diese Kraft stammt letzten Endes von Gott, wohnt jedoch in der Praxis physischen Gegenständen und Geistwesen inne bzw. geht von ihnen aus. Das bedeutet aber, daß das All nicht statisch oder 'tot' ist. Es ist im Gegenteil ein dynamisches, 'lebendiges'und krafterfülltes All.” (Anm. 1) Der amerikanische transpersonale Psychologe Charles T Tart schreibt von einer „Energie, die sich nur in ihrer Auswirkung auf das Leben und das Bewußtsein manifestiert, (die) verschiedene Bezeichnungen erhalten (hat), so prana in Indien, chi in China und ki in Japan” (Anm. 2) Für den Christen ist Gott Kraft und zugleich Person, die mich anspricht und zu der ich sprechen. Hier entsteht ein Problem. Mein Vorschlag ist: das Paradoxe im Nebeneinander beider Begriffe zu akzeptieren, weil es - wie bei der Mystik- erkenntnistheoretisch nicht auflösbar ist. Die Mystiker greifen „manchmal zu persönlichen, manchmal zu unpersönlichen Gottesvorstellungen. Daraus aber abzuleiten, daß es eine personale und eine apersonale Mystik gäbe, wäre systemsüchtiger Unverstand. Mystik ist Erleben. Erleben durchbricht die Welt der Vorstellungen.” (Anm. 3) Dieser Sicht schließe ich mich im Blick auf die Kraft im Gottesbild an.

LeerWorum handelt es sich nun bei Reiki? Nicht lange nach der Wende erfuhr ich von einer Teilnehmerin meiner damaligen Fallbesprechungsgruppe der Klinik-Seelsorge von einem Kurs, der in Reiki einführt, eine energetische Übung, die u. a. Balance und Ausgeglichenheit mitbringt. Ich absolvierte einen Einführungskurs. Die Zusage traf zu! Verbunden mit Verstärkung der inneren Energie verbesserte sich die seelische Ausgeglichenheit und innere Balance. Nach mehreren Kursen (mit mäßigem Honorar) erfuhr ich auch, daß die Quelle dieser Energie sowohl universal wie unerschöpflich sei. Dem Theologen in mir ging ein möglicher Zusammenhang zwischen dem Empfang der Energie über Reiki und der Kraft auf, die mit der biblischen Botschaft verkündet wird. In der Wirkung ergab sich eine verblüffende Übereinstimmung. In der Bibel heißt es: „Denn in ihm ist alles geschaffen, was im Himmel und auf Erden ist ... es ist alles durch ihn und zu ihm geschaffen” (Kol 1, 16). In dieser Gewißheit konnte ich noch weitere Kurse absolvieren in der inneren Klarheit, mit 1. Thess 5,21 („Prüfet alles, und das Gute behaltet”) auf einem guten Weg zu sein und die Reikipraxis in meine Gottes-Beziehung einbauen zu können. Dies geschah in der Folgezeit vor allem in der Fürbitte, wenn ich (nach Möglichkeit) die Einwilligung der Betreffenden eingeholt hatte. Dabei wurde mir bewußt, wie bedeutsam die Vertrauensbasis zwischen Beter und Empfängerin der Fürbitte ist. Übrigens wurde mir auch bald klar, daß die energetische Stärkung sich nicht oder kaum auf körperlich bedingte Müdigkeit bezieht, sondern in erster Linie die Erschlaffung meint, die sich in der geistig-seelischen Sphäre in Form von Unlust-Stimmungen o.ä. äußert und zu Spannkraft umwandelt. (Anm. 4)

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Was ist Reiki

LeerDie Ursprünge von Reiki als eines Energiesystems zur Aktivierung universaler Lebenskraft liegen im Dunkeln: „Der Überlieferung zufolge hat am Ende des 19. Jahrhunderts der Japaner Dr. Mikao Usui dieses alte System wiederentdeckt und an seinen Nachfolger, Dr. Hyashi, weitervermittelt. Eine aus Japan stammende Amerikanerin, Hawayo Takata, brachte dies System in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts nach Amerika, nach Hawaii. Erst Ende der siebziger Jahre gab sie die ersten Seminare auf dem amerikanischen Festland. Dort traf sie 1979 aufDr. Barbara Ray, eine Universitätsdozentin mit mehreren Doktorgraden in alten Sprachen und Kulturen, und bildete sie zur Lehrerin aus. Dr. Barbara Ray wußte durch ihre Universitätsstudien und Forschungsreisen, daß es in allen Hochkulturen ein Wissen um den direkten Zugang zu universaler Energie gab (... ) Als sie den 1. Grad bei Hawayo Takata machte und die erste Einstimmung von ihr bekommen hatte, wußte sie intuitiv, daß sie nun dieses verlorengegangene Wissen wiedergefunden hatte.” (Anm. 5)

LeerDie Übertragung des japanischen Wortes ins Deutsche lautet etwa: universale Lebenskraft. Die „Silbe rei beschreibt den universalen, unbegrenzten Hintergrund dieser Energie >ki<. ki ist Teil dieses rei, es ist die vitale Lebenskraft, die durch alles Lebendige fließt.” (Anm. 6) Eine Einordnung in einen philosophischen oder theologischen Raster nach wesentlichen Gesichtspunkten ist mir bisher nicht bekannt geworden. Reiki dürfte am ehesten zur Kategorie der spirituellen Dimension der Gesamtwirklichkeit gehören. Der Empfangende braucht nichts weiter zu 'tun', als die Bereitschaft mitzubringen, offen zu sein. Der 'Sender' (wie der oder die Gebende meist, wenn auch irrtümlich, genannt wird) gibt nichts Persönliches von sich selbst. Da der gesamte Kosmos (christlich gesprochen: die gesamte Schöpfung) von dieser Kraft erfüllt, wenn auch nicht 'aktiviert' ist, ist solche 'Aktivierung' die Aufgabe des Senders. Was meint solche 'Aktivierung'? Diese Fähigkeit ist das Erlebnis einer sogenannten 'Einstimmung'. Sie befähigt den künftigen Sender, die Energiebrücke, die zugleich Liebe ist, zwischen der universalen Energie (Gott) und dem Empfangenden 'einzuschalten'. In der Fernanwendung von Reiki wenn also die empfangende Person nicht anwesend ist (christlich gesprochen: in der Fürbitte) - bittet der Anwender um nichts inhaltlich Konkretes, sondern um Kraft Gottes für die andere Person (mit meinen Worten, aber schweigend: Ich bitte Dich um Christi willen für N. N., Du weißt, was er heute braucht. Ich danke Dir, daß Du mich dafür in Deinen Dienst nimmst.) Der Sender ist lediglich ein Mitarbeiter Gottes, zu dem er sich hat bereiten lassen und der es Gott überläßt, zu wissen und zu schenken, was im Augenblick (!) für die andere Person das Nötigste ist. Bei dem ganzen Geschehen gilt für uns Christen Jesu Verheißung: „Alles, was ihr bittet im Gebet, als Glaubende werdet ihr's empfangen” (Mt 21, 22).

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Auswirkungen von Reiki

LeerBerichte über Reaktionen von Personen, denen Reiki zuteil wurde, lassen etwas davon erkennen, daß die Wirkung im weiten Bereich der Stimmungslage spürbar wird. „Ich fühle mich wie nach Segnung oder Absolution” (Rentnerin, promovierte Naturwissenschaftlerin). „Ich war seelisch aus dem Gleichgewicht, bedrückt und müde. Ich habe eine Weile in der Stille gesessen und losgelassen. Dann gab Reiki mir neue Frische und nahm mir die Bedrücktheit. Ich konnte wieder klar denken und vorwärts schauen. Ich war zufrieden und glücklich, aber irgendwie abgehoben. Reiki gab mir mehr Verwurzelung und innere Präsenz” (Pfarrer, Ende vierzig). Die Psychologie sagt über die Stimmungen, sie seien „die Hintergrundmusik des Alltags: Sie geben den 'Ton' unseres Sozialverhaltens vor, sie heben oder senken unsere Leistungsfähigkeit, und langfristig wirken sie sich sogar auf die körperliche Gesundheit aus (...) Stimmungen wühlen uns zwar weit weniger auf als Emotionen, aber dafür dauern sie zeitlich wesentlich länger an - und sind schon deshalb psychologisch bedeutsamer als kurzfristige Gefühlswallungen.” (Anm. 7) Oder, mehr philosophisch: „Stimmungen gehören zu den Grundbefindlichkeiten menschlichen Daseins (...), die als die unterste Stufe in Form von 'Lebensgefühlen' oder 'Stimmungen' dem gesamten seelischen Leben zugrundeliegen.” (Anm. 8)

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Acedia als Hemmschwelle

Leeracedia ist der alte Name für die Gefühle von Unlust und Überdruß. „Von allen möglichen deutschen Äquivalenten wie Ekel, Langeweile, Trägheit, Mutlosigkeit, Mattigkeit, Widerwillen, Schwermut, Überdruß (... ) ist es gut, wenn man stets auch die anderen Bedeutungsnuancen mithört.” (Anm. 9) Und was ist mit Überdruß gemeint? Eine „Erschlaffung (atonia) der Seele, (...) die Spannkräfte (tonos) der Seele sind erschlafft”, sagt Evagrios. „Der Überdruß ist also zunächst ganz allein eine Atonie, eine Art Spannungsverlust der natürlichen Seelenkräfte.” (Anm. 10) Angesichts der mangelnden geistlichen (und sonstigen) Spannkraft auch bei vielen Christen heute ist zu bemerken, daß es einen Zusammenhang mit der Achtlasterlehre der Alten Kirche und des Mittelalters gibt. „In der Sprache der geistlichen Schriftsteller des Mittelalters ist acedia vor allwm die Langeweile und die Verzagtheit, die sich einer Seele bemächtigen will, die unfähig ist, sich zu konzentrieren und die Aufgaben zu lösen, mit denen sie sich eigentlich beschäftigen sollte.” (Anm. 11) Zweifellos müssen wir damit rechnen, daß die Erscheinungsformen in verschiedenen Epochen wechseln. Geistliche Lehrer (wie auch Evagrios Pontikos) befaßten sich mit Abhilfen. Viele 'Gegenmaßnahmen' bezogen sich auf zeittypische Einstellungen. Bemerkenswert scheint mir aber, daß es schon damals als 'probates' Mittel von denen empfunden wurde, die unter Überdruß litten, „zur Zeit des Überdrusses zu den Brüdern zugehen, um von ihnen getröstet zu werden” (in heutiger Sprache: um sich abzulenken), wie Evagrios sagt. Der Kommentator meint dazu: „Eine ganze Unterhaltungs- und Reiseindustrie ist heute einzig damit beschäftigt, den armen Zeitgenossen die Last des Überdrusses zu erleichtern, ja, sie nicht einmal zum Bewußtsein kommen zu lassen, daß sie an diesem Übel kranken. Nur kein Stillstand, keine Leere!” (Anm. 12) Gegenwärtig dürften wir also eher auf Symptome des Ausgelaugtseins und der Überforderung stoßen. Gerade in der Auseinandersetzung mit den Symptomen der acedia könnte dem darum Ringenden eine neue, die ersehnte Spannkraft geschenkt werden - durch die Einführung in den Umgang mit der universalen Lebenskraft, mit Reiki.

LeerNach meiner Beobachtung ist die Befähigung zur Weitergabe von Reiki Menschen in unterschiedlichem Grad gegeben. Offenbar hat der Herr der Kirche- ähnlich wie des Paulus in 1. Kor 12 für die geistlichen Gaben schreibt - auch die Gabe der dynamis (Kraft) unterschiedlich ausgeteilt: nicht jeder erhält die Gabe der Krankenheilung. Andererseits können wir Reiki in Form der Handauflegung als schöpfungsmäßige Gabe ansehen, die jedem Menschen zuteil wird. Wie sollten wir es sonst verstehen, daß eine x-beliebige Mutter ihrem Kind die Hand auflegt und das Bauchweh dann verschwindet?! Und diese Schöpfungsgabe schließt nicht aus, daß sie durch Übung vertieft werden kann- nicht selten bis hin zur Krankenheilung (Beispiele liegen vor) -, was den Geschenkcharakter auch der Heilung in keiner Weise schmälert.

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Glauben

LeerAls hilfreiche und darum auch wünschenswerte Begleitung für den Umgang mit Reiki, der universalen Kraft, ist mir in diesen Jahren die Bedeutung von glauben aufgegangen: hier nicht substantivisch als Glauben an ... verstanden, sondern als personaler Vorgang, der infolge seiner Intensität einen Menschen ganzheitlich in seinem Fühlen, Denken und Wollen und Handeln(!) ergreift und formt. lrn Gleichnis von der 'bittenden Witwe' vor dem 'ungerechten Richter' (Lk 18, 1 ff.) erzählt Jesus von der Witwe als einem Beispiel dafür, wie sich Glaubenskraft selbst Gott gegenüber auswirken kann (V. 7 f.). Der syrophönizischen Frau (Mt 15, 21 ff.), deren Bitte um Hilfe er anfangs schroff zurückweist, dann aber klar aufnimmt und erfüllt, sagt Jesus „Frau, dein Glauben ist groß”(wobei das griechische Wort für 'groß' auch den Grad der Intensität angeben kann, etwa Apg 4,33). Die Frau mit dem Blutfluß drängt sich durch die Menge hindurch und wagt es, ihn zu berühren! Und Jesus willfahrt ihr: „Meine Tochter, Dein Glaube hat dir geholfen. Gehe hin in Frieden!” (Lk 8, 48). Beim Hauptmann von Kapernaum verwundert sich Jesus: „Solchen Glauben habe ich in ganz Israel nicht gefunden!” (Lk7,9). In den Zusammenhang einer solchen Intensität der ganzheitlichen Haltung gehört auch der Ausdruck nicht nachlassen, wie er in der lutherschen Übersetzung der griechischen Wendung me engkakein nicht selten vorkommt (etwa Lk 18,1; 2. Kor 4,1. 16; Gal 6,9; Eph3,13: nicht verzagen; 2. Thess 3,13: nicht verdrießen lassen). Unlängst entdeckte ich im hebräischen Text, daß das Zentralbekenntnis Israels Höre Israel (Sch'majisrael, 5. Mose 6,5) im letzten Vers (bei Luther Kraft) me'od hat, was übersetzt etwa Wucht oder Stoßkraft bedeutet! Und schließlich stieg dem Theologen in mir im Rückblick auf das Studium wieder die Erinnerung auf, daß das Hebräische eine eigene Verbform hat, das sogenannte Intensivum (!), eine Steigerungsform des Verbs, für die das Deutsche keine direkte Parallele kennt. (Anm. 13)

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Was ist Glauben

LeerZu Reiki hatten wir gefragt: was 'ist' das Wesen dieser universalen Energie, im Japanischen ki genannt? Ich sah mich veranlaßt, sie unter die Seinskategorie des 'Spirituellen' einzuordnen. Zweifellos gehört glauben pastoralpsychologisch zum individuell Menschlichen im Gegenüber zum Sein Gottes. Doch ist auch hier, ähnlich wie in der Mystik, das Paradox des 'Sowohl-als-auch' angemessen, um der Wirklichkeit gerecht zu werden. Es ist wahrlich kein Zufall, daß hier die Mystik wieder auftaucht: Göttliches und Menschliches spielen beim Glaubens-Vollzug unbestreitbar ineinander. Wie zum Glaubens-Vollzug eine mystische Komponente gehört (wie etwa bei Tersteegens Liedstrophe Herr, komm in mir wohnen, EG 165,8), muß offenbar auch für Reiki wegen seiner Zugehörigkeit zur spirituellen Wirklichkeitsdimension mit einer mystischen Komponente gerechnet werden.

LeerWas könnte Reiki für die kirchliche Praxis austragen? Ohne eine einfache Empfehlung geben zu wollen, möchte ich ein Teilproblem ansprechen, für dessen Lösung sich die Einarbeitung der universalen Kraft Reiki als ein bedeutsames Element zeigen könnte: Nach theologischem Verständnis ist es bei Segenshandlungen der Kirche (etwa Konfirmation, Trauung, Berufung in ein geistliches Amt) Gott als Herr der Kirche selbst, der den Segen spendet und nicht die (menschliche) Person, die den liturgischen Akt vollzieht. Diese ist tätig im Auftrag des Herrn. Bei Umfragen unter Konfirmierten stellte sich heraus, daß nur wenige eine Erinnerung an den Vorgang der Handauflegung hatten. Ist das unvermeidlich, daß dieser Vorgang eine reine Formsache bleibt, ungefüllt durch eigenes Erleben der Gesegneten? Es muß so nicht bleiben daß ein bedeutsames Ereignis zu Beginn eines neuen Lebensabschnittes geistlich-spirituell leer bleibt. Wenn wir uns also nicht damit abfinden wollen, kommen wir nicht umhin, an der Wandlung dieser Praxis zu arbeiten. Wenn wir das mit Erfolg tun wollen, dürfte sich das wohl segensreich für die Glieder der Kirche selbst wie auch für die Gliederzahlen in unseren Landeskirchen sehr positiv auswirken - wenn ich die sich wandelnde Einstellung in der Gesellschaft hinsichtlich spiritueller Wirklichkeit gut einschätze! Darum begrüße ich auch ausdrücklich die Äußerung der neuen Landesbischöfin von Hannover, Dr. Margot Käßmann: „Es ist eine legitime Sehnsucht des Menschen, daß Religion auch erfahrbar sei. Wahrscheinlich waren wir Protestanten viel zu kopflastig. Die Sehnsucht nach Spiritualität muß ernst genommen werden.” (Anm. 14)

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Schlussbemerkungen

LeerEs ist, als hätten wir in dieser sehr gerafften Darstellung eine Art Blitzreise durchgeführt, von der Kraft in biblischer Zeit über die Jahrhunderte des Mittelalters über die Erscheinungen von Erschlaffung und Erlahmung in der Vergangenheit bis zu möglichen Neuentdeckungen alter spiritueller Einstellungen in unserer Zeit. Dabei haben wir nicht Station gemacht bei diesen Negativ-Erscheinungen, sondern allenfalls Stationssbilder im Vorbeirasen zu entziffern versucht (acedia). Für längere Aufenthalte ist der gegebene Rahmen zu klein. Wer sich für solche Aufenthalte interessiert, wird sich Möglichkeiten schaffen, um die Umgebung dieser Stationen zu erkunden. Und wer die Intensität aufbringt, den neuen und zugleich alten spirituellen Einstellungen nachzugehen, wird sich erst recht dafür Wege zu entdecken wissen. Gottes Geist geleite uns!

Anmerkungen


 1: John Mbiti, Afrikanische Religion und Weltanschauung, 1974, S.258.
 2: Charles T. Tart, Transpersonale Psychologie, Olten 1978, S. 211.
 3: Georg Schmidt, Die Mystik der Weltreligion, Stuttgart 2. Aufl. 1990, S. 197.
 4: Johannes Cassian, Spannkraft der Seele (hrsg. v. Gertrude und Thomas Sartory), Freiburg, S. 28.
 5: Barbara Simonsohn, Das authentische Reiki, 1996, S. 66.
 6: Ulrich Dehn, Weltanschauliche Gruppen im Westen mit ostasiatischem Hintergrund, Berlin 1997.
 7: Heiko Ernst, „Gute Laune, schlechte Laune. Das Geheimnis unserer Stimmungen”, in: Psychologie heute, 8/1996, S. 20.
 8: Otto Friedrich Bollnow, Das Wesen der Stimmungen,2. Aufl. 1943, S.19.
 9: s. Anm.6. Kommentar 2.47.
10: Gabriel Bunge, Akedia. Die geistliche Lehre des Evagrios Pontikos vom Überdruß, Köln, S.38 f.
11: Dictionnaire de spiritualité, Artikel acede, TomI, 1937 (Übers. v. St. Steege).
12: s. Anm. 10, S.58.
13: Zur Verdeutlichung kann ich nur unterschiedliche Verben benutzen, etwa flüstern › reden › rufen › schreien.
14: In: Die Kirche, Nr. 27 vom 4.7.1999

Quatember 2000, S. 26-33
© Dr. Gerhard Steege

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-08-13
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