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Freizeiten des Sommers 1931 von Wilhelm Stählin |
Hinter dem Wort „Freizeit” liegt für uns im Berneuchener Kreis mehr, als der Name an sich besagt. All den Freizeiten, die in diesen Jahren in Deutschland veranstaltet werden, liegt eine Erkenntnis zugrunde: das Entscheidende, was wir heute brauchen und wozu wir einander helfen können, erschließt sich nicht durch Zeitschriften, Vorträge, Konferenzen, sondern allein dadurch, daß Menschen als lebendige Wesen einander begegnen; und diese Begegnung bricht nur da durch alle Krusten hindurch, wo Menschen für Tage und Wochen in eine gemeinsame Ordnung des Lebens eingefügt werden, und so, aus der gewohnten Umwelt, aus Sorgen und Plänen des Alltags gelöst, zu sich selber und zugleich zu anderen kommen. Wenn in der Abgeschiedenheit einer solchen „Freizeit” erst einmal die überlauten Stimmen, die uns täglich umschreien, gründlich zum Schweigen gebracht und wir endlich gezwungen sind, dieser Stille standzuhalten, dann gewinnt auch das vertraute Wort eine ganz andere Gewalt, uns im Innern zu treffen; dann kann auch etwas davon verspürt werden, was es heißt, von einer Gemeinschaft des Gebetes getragen und gehalten zu sein und das Leben unter die heiligende Zucht der Sitte zu beugen; kann mit einem Wort erfahren werden, was Kirche ist und wie Kirche erscheint. Daß sich das ereignet, haben wir freilich keineswegs in der Hand; wer in der Erfahrung der Freizeiten steht, wird vor dem Wahn geschützt sein, als hätten wir da nun ein Wunderrezept kirchlicher Führung. Aber wir gehen dankbar und hoffnungvoll weiter auf dem Weg, den wir geführt worden sind. Der Ort, an dem wir im Sommer 1931 fünf Freizeitwochen halten durften, kommt fühlbar zu Hilfe. Das alte Benediktinerinnenkloster Urspring, seit kurzem evangelisches Landschulheim eigentümlicher Prägung, bei Schelklingen und Blaubeuren, am Rand der Schwäbischen Alb gelegen, bietet in seinen schulfreien Zeiten alles das, dessen wir für eine solche Freizeit bedürfen. Die völlige Abgeschlossenheit und Stille, der Rest eines alten Kreuzgangs, ein üppig blühender Klostergarten und vor allem die neu eingerichtete Kapelle, die gerade durch ihre äußerste Schlichtheit ganz eindringlich zur Sammlung und zur Versammlung dienlich ist, das alles ist mit dem Erleben dieser Wochen unauflöslich verwachsen. Für die „Arbeitswochen” waren tägliche Meditationsübungen angekündigt. Auch in den „Ferienwochen”, in denen keine Vorträge gehalten, also möglichst wenig geistige „Arbeit” geleistet wurde, wollten die Teilnehmer diese Übungen nicht entbehren. Das Wort „Meditation” ist nicht gut; es erweckt den Eindruck einer besonderen technischen Veranstaltung, während das, was gemeint ist, etwas Einfaches und Schlichtes ist; viele haben es längst geübt: es ist eine Art des Denkens nicht über die Sache, sondern sozusagen unter der Sache und in der Sache. Manchem „geistig” lebendigen Menschen ist diese Hingabe schwer gefallen; andere waren beglückt, von sich selber frei zu kommen im Anschauen der Wahrheit, wie sie in einfachen Bildern vor sie gestellt wurde. Von zwei verschiedenen Seiten her kann die geistige Arbeit der Freizeit angepackt werden. Auf der einen Seite müssen Grundfragen christlichen Glaubens und Lebens geklärt, die Inhalte, die Sprache und die Bilder, wie die Kirche sie gebraucht, ins Licht gestellt werden. Das Verlangen nach einer solchen Art von „Religionsunterricht” kann man sich kaum groß genug vorstellen. Hier im Rahmen der Freizeit steht er im engsten Zusammenhang mit dem Gebet der Kirche und mit täglicher Lebensgemeinschaft, hier ist dem Abirren in das bloß Begrifflich-„Dogmatische” oder gar ins bloß Gedanklich-Weltanschauungsmäßige gewehrt. So sprach Wilhelm Stählin über den Sinn des Christusglaubens: über den Glauben an den geschichtlichen Christus, über die „Namen” Christi, über das Erlösungswerk, schließlich über den Glauben an den kommenden Christus. So beschrieb Karl Bernhard Ritter den Wandlungsweg der Seele durch Reinigung und Erleuchtung zur Einung. Welche Frucht erwarten wir von dem, was wir in diesen Freizeiten erfahren und erkämpft haben? Ist nicht hier unter künstlichen Bedingungen gezüchtet worden, was, ohne Frucht zu tragen, welken muß in den realen alltäglichen Lebensbedingungen? Die Besonderheit der Lage und der Lebensformen auf Freizeiten ist eine Gefahr. Dieses vorübergehende Zufluchtsuchen in einem besonderen Lebensraum darf keinen andern Sinn haben als den, von dort aus Klärung und Wegweisung für den täglichen Pflichtenkreis und die tägliche Mühsal zu gewinnen. Die Stille und Abgeschiedenheit des „Klosters” kann eine Verführung zu weltflüchtigem geistlichen Genießen sein, sie kann aber auch und soll sein eine Stätte der Übung und Bereitung, eine Brunnenstube, von wo aus das ganze Leben erneuert und gespeist wird. Und wenn in solchen Tagen beispielhaft erfahren wird, was Kirche ist, und Kirche leibhaftig erfahren wird, so braucht das nicht zu einer sektenhaften Absonderung zu führen, sondern kann dazu helfen, sich von den mannigfachen Entstellungen und Verzerrungen der Kirche nicht mehr den Blick trüben zu lassen für das, was Kirche wesenhaft ist, ja sich vielmehr mit ernsthafter Verantwortung einzufügen in die Kirche, wo nun ein jeder sich hineingestellt findet. Manchen ist vielleicht erst zum Bewußtsein gekommen, was sie an der Kirche, wie sie zumeist ist, vermissen, und warum sie in ihr keine Heimat haben; aber durch dieses Stadium hindurch gelangen nicht wenige zu dem andern, daß sie neue Freudigkeit gewinnen, nicht nur zu irgend einer blutleeren Idee Kirche, sondern Freudigkeit und Dienstwilligkeit zu ihrer ganz konkreten Kirchengemeinde. Auch in diesem Sinne gilt, daß Gott Menschen besonders nimmt, nur um sie mit einem Auftrag in die „Welt” zu senden. Jahresbriefe des Berneuchener Kreises 1931/32, S. 20-22 |
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