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Jugend in der Gemeinde

LeerWenn von der evangelischen Gemeinde zu fordern ist, daß sie ihre konfirmierte Jugend nicht in eine Erwachsenengemeinde entläßt, in die sie noch gar nicht hineinpaßt und die obendrein in der heutigen Form alles vermissen läßt, was sie der Jugend wertvoll machen könnte - in den meisten Fällen muß man das doch leider sagen -, so sollen im Folgenden einige Beispiele aus völlig verschiedenen Gemeinden berichtet werden, an denen ersichtlich wird, daß es sich bei dieser Forderung nicht um Unmögliches oder Fernliegendes handelt, sondern um Dinge, die heute unter den verschiedensten Umständen in Stadt und Land nach Verwirklichung drängen. Daß hier eine Einrichtung hindernd im Wege steht, die man eine Zeit lang für besonders nützlich oder auch für selbstverständlich gehalten hat, nämlich der Verein, diese Tatsache darf uns an zwei Dingen nicht hindern: den Verein zu ersetzen durch eine gemeindegemäße Gliederung der Jugend, und: die Vereinsarbeit der Vergangenheit trotz ihrer schädlichen Auswirkungen als ein Suchen nach solcher echt gemeindegemäßer Gliederung dankbar anzuerkennen.

Leer1. In einem Dorf in Franken erscheint der Werber eines christlichen Vereins. Bald darauf melden sich die Abgesandten der Burschen beim Pfarrer. „So ein Verein, wie der Herr aus der Stadt ihn haben möchte, gefällt uns nicht. Aber wenn Sie etwas machen wollten, so wäre es uns recht.” Der Pfarrer: „Nein, einen Verein mache ich auch nicht auf, aber wenn ihr mich einladet, so komme ich gern zu Euch.”

LeerEs gilt wirklich nicht, aus einer formlosen Masse Wertvolles heraus zu kristallisieren - die Burschenschaft ist ja seit Urväterzeiten „organisiert”, das heißt, sie hat ihre Organe, wie die Absendung der Sprecher beweist, und sie hat gemeinsame Ordnungen: nicht einen Hut könnte sich ein Bursche in der Stadt kaufen, ohne daß es alle vorher besprochen hätten. Daß der Pfarrer diese Wirklichkeit sah und an ihr handelte, statt an den isolierten Individuen, die garnicht Wirklichkeit waren, oder an den „Einzelfamilien”, die es auf dem Lande garnicht gibt, das war die Aufgabe. Alles Weitere konnte sich dann daraus ergeben.

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Leer2. Am Rande der Großstadt ein christlicher Verein. Während der Bibelstunde schlafen die Herren Mitglieder. Hernach zünden sie sich eine Zigarre an und spielen Billard. Der junge Vikar läßt sie ihr Billard ohne Bibelstunde spielen und wendet sich, auf eine Einladung gelegentlich der Christenlehre hin, der „Abteilung C” zu, den eben Konfirmierten: Fabriklehrlingen, Handlungsgehilfen. Sie sind bisher im Auftrage der Hauptabteilung mit Geduldsspielen unterhalten worden. Jetzt fangen sie an, sich ein eigenes Reich zu erarbeiten. Um eine Kerze sitzen sie an den Abenden im Kreis und entwerfen sich die Ordnung ihres gemeinsamen Lebens. Draußen auf dem „Exerzierplatz” holen sie sich in Spiel und Kampf das Selbstbewußtsein, zwischen politischen Jugendgruppen von rechts und links als eigene „Schar” dazusein.

LeerVon geistlichen Dingen ist vorläufig nicht mehr die Rede, aber es fehlen auch alle die Schlagworte, mit denen die Altersgenossen sich organisieren lassen; die Genüsse der Umwelt, Alkohol, Fußball und Flirt verlieren ihre Zugkraft ohne viel Worte. Der Vikar wird wegversetzt, aber einmal im Monat kommt er, „Gericht” zu halten: da werden die kleinen Verstöße gegen Hausordnung und Wanderordnung im Scherz geahndet, die großen geklärt und in ernstem Gespräch behoben; Stunk braucht also niemand zu machen. Zu dem völlig verwandelten Heim in der Stadt, dessen Raum die Kirchengemeinde nach wie vor stellt, tritt die Hütte, vier Stunden weit im Walde verborgen, ein Kleinod handwerklicher Arbeit, die Stätte streng geregelten Wochenendlebens.

LeerIndessen ist man stark genug geworden, nicht nur für sich selbst dazusein, man möchte der Gemeinde der Erwachsenen Gegendienste leisten. Die Gruppe hat singen gelernt, nach der neuen Art, die eben erst aus Sudetendeutschland zu uns gekommen ist. Sie will sich damit auf dem Gemeindeabend hören lassen. Aber damit verletzt sie das Monopol des Kirchenchores. So wird es ihr unmöglich gemacht, als dienendes Glied in der Gemeinde zu stehen; das Bewußtsein, nicht allein zu sein, muß sie sich aus der Zugehörigkeit zu einem Bund von Jugendvereinen übers Land hin holen.

LeerEs kommt die Zeit der Arbeitslosigkeit und Arbeitssuche nach abgeschlossener Lehrzeit. Die Freunde werden verstreut übers ganze Reich. Einige machen sich auch auf den Weg ins deutsche Ausland, ja nach Asien und Amerika. Sie stehen ihren Mann in der Arbeit, vielerlei gibt es zu sehen, eine schmerzliche Erfahrung ist überall gleich: die Bekanntschaft mit dem Reichsdeutschen im Ausland. Hier spüren sie erst ganz deutlich, wie die Welt ist, aus der sie sich gelöst haben.

LeerNoch vor dieser Wanderzeit haben die Freunde sich eines Tages versammelt in ihrer Hütte. Sie haben den Vikar von damals, der sie längst ihrem Schicksal überlassen, eingeladen zu einem ernsten Gespräch. Und da sitzt er auf dem Holzblock am wärmenden Herd in den Nächten der Jahreswende und spricht mit ihnen über alle die Dinge, die die Arbeitskollegen oder selbsteigenes Erleben an sie herangebracht hat. Sie werden ja nun mählich volljährig, die Konfirmanden von damals, und mit der gleichen Entschiedenheit, mit der sie zuerst die Berufsfragen auf die Seite geschoben haben, um ihr Reich zu bauen, knieen sie sich jetzt hinein in die Fragen ihrer Berufswelt, von denen sie merken, wie tief sie mit den Fragen der Zukunft Deutschlands zusammenhängen. Manch einer wählt einen neuen Beruf, in dem er die Erfahrungen der eigenen Werdejahre auswerten kann. Die politischen Wege, die religiösen Wege gehen auseinander, aber das zerstört die Schar nicht, sondern füllt sie nun erst recht aus.

LeerDarf man hoffen, daß hier Menschen heranwachsen, die nicht in Gedankenkonstruktionen verfangen an der Wirklichkeit vorbeileben, und die sich doch auch nirgends bequem einfügen werden in die Welt, wie sie ist? Werden sie sich als „Herausgerufene” erkennen?

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Leer3. Eine andere Großstadt. Sie legt eine Siedlung an vor ihren Mauern. In der Mitte eine Notkirche mit jungen Pfarrersleuten. Der Pfarrer segnet einen Jahrgang der der Schule Entwachsenden ein, die jungen Menschen bleiben beieinander und bilden eine Gruppe innerhalb der Siedlungsgemeinde. Er segnet weitere Jahrgänge ein und jeder schließt sich zusammen zur festen Gruppe. Manchmal tun 70 v. H. mit, manchmal 80, manchmal 100. Der eine Jahrgang nach den Formen der Pfadfinder-Bünde, der andere nach kommunistischem Vorbild; die einen gemischt, die anderen nach Burschen und Mädchen gesondert, wie es jedesmal die Zusammensetzung der Altersklasse mit sich bringt. Jeden Sonnabend tritt die Gesamtheit der Gruppen in der Kirche zusammen zum Appell, zur Festlegung aller Unternehmungen in den Gruppen, und zum gemeinsamen Abendlied. Schon versuchen es die aus früherer Zeit vorhandenen Jahrgänge, dieses Gruppenleben nachzubilden.

LeerDie Räume reichen nicht aus für die Zusammenkünfte und so beschließt jede Gruppe, sich ein eigenes Heim zu bauen. Die Gesamtkirchengemeinde bewilligt eine Beihilfe, und es entsteht ein Kranz von Jugendheimen rund um die Kirche. Am Sonntag findet sich ein gut Teil unter der Kanzel. Es sind die Fragen des Zusammenlebens der ganzen Gemeinde, die hier vor letzte Maßstäbe gestellt und beantwortet werden. Die politischen Jugendgruppen der Nachbarschaft müssen mit Verwunderung feststellen, daß sie in diesem Bezirk keine Rolle zu spielen haben. Nun stehen auch hier die Ältesten vor der Erreichung der Volljährigkeit, die ihrem Leben wieder eine neue, noch nicht vorrätig verfügbare Gestalt geben muß.

Leer4. Am Kilima-Ndscharo. Die Ältesten der christlichen Negergemeinde haben mit Bedauern gemerkt, daß die jungen Leute anfangen, am Sonntag nachmittag zu den Bierschenken der Europäer zu laufen und zivilisierte Geselligkeit zu suchen. Da erinnern sie sich ihrer heimischen Sitten. Mit Billigung des deutschen Missionars ernennen sie wie in der heidnischen Zeit einen Rasenwart, dem die Jugend untersteht. Sie prüfen die alten Tänze der Jugend, und was vor ihrem christlichen Urteil bestehen kann, das soll künftig wieder die freien Stunden der Dorfjugend ausfüllen. Auch bei der Jugend soll es gelten, was das Leben der ganzen Gemeinde beherrscht: ein jeder soll in allen Lagen des Lebens, in Spiel und Arbeit den neben sich haben, der Auftrag und Gabe hat, ihn durch Weisung und Hilfe verbunden zu halten mit der Gesamtheit. Das ist heilsamer und richtiger als lange und weise Ermahnungen, die den Starken vielleicht stärken, den Schwachen aber scheitern und verkommen lassen.

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LeerWie kommt die Kirche dazu, sich darum zu kümmern, was für einen Hut sich ein Dorfbursch kauft und ob die Großstadtjugend Waldhütte und Klubhaus hat und die Urwaldjugend heimatliche Tänze tanzt? Es gab eine Zeit, da geschah es, um neben der religiösen Arbeit auch Kulturbedeutung zu gewinnen, oder einfach, um die Jugend zu ködern. Aber aus beidem kann nichts Rechtes werden. Hier ist diese Arbeit ganz anders gemeint. Als einst die Jugend Deutschlands dem eindringenden Christenglauben heftigen Widerstand entgegensetzte, da hat die Kirche ihn gebrochen, indem sie den Stand der Jugend entrechtete und zerschlug, aufteilte zwischen Kindheit- und Erwachsenenleben. Das ist der Grund, warum heute (man verstehe diesen Satz richtig!) nur Kinder und Erwachsene zur Kirche gehören. Nun muß die Kirche in mühsamer Arbeit die Schöpfungsordnung wiederherstellen helfen, die sie einst selber zerstört, daß Jugend Jugend sei, ihren eigenen Raum und Bereich im Leben der Gemeinde habe und gerade dadurch, daß man ihr Eigenrecht achtet, heimisch werde im Raume der Kirche.

Jahresbriefe des Berneuchener Kreises 1931/32, S. 47-51

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-01-17
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