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Freudenzeit
von Wilhelm Thomas

LeerDas Osterfest ist das älteste Fest der Christenheit; mit dem Ostertag fing noch im Mittelalter - in manchen Ländern wenigstens - die Kirche ihr Jahr an.

LeerAus der Tiefe der schmerzlichsten Trauer, ans der Stille besinnlichen Gedenkens an das Leiden Christi erhebt sich strahlend der Auferstehungstag des Herrn. Es ist die Zeit der Frühlings-Tag- und Nachtgleiche: nun hat die Sonne gesiegt.
Wach auf, mein Herz, die Nacht ist hin,
Die Sonn ist aufgegangen.
Ermuntre deinen Geist und Sinn,
Den Heiland zu empfangen,
Der heute durch des Todes Tür
Gebrochen aus dem Grab herfür,
Der ganzen Welt zur Wonne.
LeerDas Tagesgestirn hat die Oberhand bekommen über Finsternis und Frost. Alle Kreaturen brechen hervor zu neuem Lebensansatz nach Stille und Rüstzeit der Winternacht. Es folgt auf vierzig Tage des Fastens eine fünfzigtägige Freudenzeit: vierzig Tage des Zusammenlebens des Auferstandenen mit seinen Jüngern, zehn Tage des Wartens auf die Stunde, da sich der Anbruch des neuen Lebens bestätigt in der Ausgießung des heiligen Geistes

. LeerDie Auferweckung Christi von den Toten ist die Tat Gottes, die an sich alle kirchliche Gottesdienstordnung sprengt und aufhebt. Daß man die wiederkehrenden Wendepunkte des Jahres festlich begeht, daß man das Gedächtnis vergangener Ereignisse Jahr für Jahr erneuert, das ist die Ordnung im Leben aller Völker. Aber dieser ewige Kreislauf ist mit Christi Grablegung zu Ende gekommen: der „große Sabbath”, an dem Christus im Grabe ruht, ist das Ende der alten Lebensordnung. Christus steht auf aus dem Grabe und die Welt hat statt der bunten Fülle und unerschütterlichen Wiederkehr mannigfaltiger Freudentage das einmalige Geschehen, das nun den Angelpunkt der Weltgeschichte bildet: den Tag, der alles hoffende Harren der Menschenwelt und aller Kreatur aus einem bloßen Warten zu einem erfüllten, begründeten Warten macht, zu einem Bauen auf gelegtem Grunde. Ostern, das ist „der berühmte und heilige Tag, der erste der Tage, ihr König und Herr, das Fest der Feste, die Feier der Feiern, da Christum wir feiern in Ewigkeit” - so singt die Liturgie der östlichen Kirche.

LeerNoch aber leben wir, obschon durch die Taufe der neuen Welt zugeordnet, zugleich in der alten Welt der wiederkehrenden Feste und Feiern. Es galt, das Fest der Auferstehung des Herrn im regelmäßigen Wechsel des Jahres zu begehen, doch so, daß es hinausgehoben war über alle Feste. Das geschah, indem das Osterfest zum Quellort gemacht wurde für den Ursprung alles neuen Lebens in der Gemeinde, zum Eingang in die Geheimnisse der heiligen Taufe und des Evangeliums und zum Mutterboden einer ständigen Erneuerung des Osterwunders in der Gemeinde der Getauften durch Herrentag und Herrenmahl. Nicht genug damit: die Gemeinde beging das Fest, statt nur mit der in allen Völkern üblichen dreitägigen Dauer, als achttägigen Gottesdienst durch die ganze Osterwoche hindurch im Zusammensein mit denen, die die Taufe in der Osternacht ihr neu geschenkt. Endlich wurde die fünfzigtägige Freudenzeit angeschlossen, die mit ihrem Schlußtag, Pfingsten (d. h. der Fünfzigste) und seiner Oktav (Festwoche) bis zum Dreifaltigkeitstag dauerte: eine Zeit ohne Fasten und ohne Knien beim Gebet, als wären es lauter Sonntage und Ostertage, durchklungen von einem Halleluja über das Ende des Kampfes und der Leiden Christi und seiner Gläubigen.

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LeerWenn wir unser heutiges kirchliches Leben im evangelischen Deutschland ansehen, so ist fast alles von der Eigenart des Osterfestes verloren gegangen. Man führt eben die einzige Gottesdienstordnung, die man hat, einmal ungekürzt und feierlich durch. Die Taufe steht höchstens gedanklich noch in Beziehung zur Auferstehung Christi, nicht mehr durch festen Brauch der Gemeinde. Die Gründung aller evangelischen Botschaft in der Osterbotschaft, die Verwurzelung des Sonntags im Ostertag ist nicht mehr sichtbar. Die Begehung des heiligen Abendmahls ist weithin aus einem Freudenfest zu einem Buß- und Kartagsbrauch geworden. Kein Wunder, wenn diesem entthronten Osterfesttag kein lebendiger Festkreis mehr nachfolgt: nachdem die Kirchgänger sich am ersten und zweiten Tage abgelöst haben im Kirchgang, ist das Fest vorbei.

LeerVerbergen wir es uns nicht: so, als ein Festtag unter anderen ist das Osterfest sinnlos und unglaubhaft; es fehlt ihm die Botschaft vom Ende der alten Ordnungen, von der Aufhebung der ewig wiederkehrenden Feste durch den Anbruch der Erlösungszeit. Wir müssen, wenn wir das einmal gewahr geworden sind, heute aufs Neue Ausschau halten nach einer Begehung des „hohen Festes der Auferstehung Christi”, die ihm seinen Sinn und damit seine Kraft wiedergibt: uns vorwärts zu leiten auf einem Wege, der dem Ende der alten Welt entgegenführt.

LeerDer österlichen Taufe sind in diesem Briefe ausführliche Worte gewidmet. Mögen wir aus ihnen den Weg finden, Ostern zu begehen als ein Fest der auch uns ergreifenden Wandlung, in der Taufe aber die Tiefe des Geheimnisses anzuschauen, durch das Gottes Volk sich erneuert und wächst. Hier an dieser Stelle gilt es aufzuzeigen, wie gerade der Rest gottesdienstlichen Lebens, der uns in der evangelischen Gemeinde als Sonntagsfeier geblieben ist, von Ostern aus Leben und Inhalt gewinnt; wie eine sinnvolle Feier des Osterfestes und eine sinnvolle Begehung des Sonntags unweigerlich aufeinander angewiesen sind, sodaß wir sie hier beide zugleich und in ihrer gegenseitigen Abhängigkeit betrachten müssen, wollen wir die Eigenart des Ostertages erkennen und in der Wirklichkeit unseres Gemeindelebens wiederherstellen.

LeerDer Sonntag, wie wir ihn heute haben, ist - daran ist kein Zweifel möglich - entsprungen aus dem Herrentag der ältesten Christenheit, an dem diese allwöchentlich die Auferstehung ihres Herrn beging mit Lobgesang und Feier des heiligen Mahles. Doch diese Beziehung der Sonntagsfeier auf die Auferstehung Christi ist in langen Jahrhunderten unwirklich geworden. Noch zu der Zeit, da Europa christlich wurde, erhoben sich die Mönche des Westens wie des Ostens allsonntäglich vom Schlaf, das Osterevangelium zu hören und mit hohem Lobgesang aufzunehmen. Seit die alte Sonntagsordnung ersetzt ist durch die Alleinherrschaft wechselnder Lesungen und Gesänge, ist zwar immer wieder gesagt und gelehrt worden, der Sonntag sei Fest der Auferstehung des Herrn, und doch ist in Wirklichkeit aus ihm einfach ein Ruhe- und Gottesdiensttag geworden, wie es der Sabbath auch war. Von Unzähligen wird er darum durchaus als Schlußtag der Woche und nicht als Anfangstag empfunden.

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LeerDiese Veränderung im Bilde des Sonntags wirkt sehr ungünstig zurück auf das Osterfest. Ihm wird die überragende Stellung geraubt: es steht noch mitten im Jahr, aber es beherrscht das Jahr nicht mehr, weil es nicht mehr die Woche beherrscht. Und wir merken, daß auch der Sonntag selber irgendwie Schaden gelitten hat, und suchen nun Sonntag für Sonntag von allen Kanzeln unserm Feiertag einen Sinn zu geben - statt den Sinn wieder anzuerkennen und zu verkünden, den er immer gehabt hat.
Unser Sonntag braucht eine Form der Begehung, in der einfach und klar wie
in der alten mönchischen Sitte verkündigt würde, was den Sonntag zum
Sonntag, zum Herrentag macht: die Auferstehung Christi von den Toten.
Und Ostern braucht diesen Wiederhall im Umkreis des Jahres, damit es
die Krone des Jahres bliebe.
LeerSolch eine feste Ordnung der Sonntagsfeier könnte das Herrenmahl sein, begangen als frohe Stunde der Begegnung mit dem lebendigen Herrn der Kirche, gekrönt (über alle Erinnerung an die Stunden des Gründonnerstags und Karfreitags hinweg) vom Jubel des Ostermorgens: „Christ ist erstanden”. Kann das heute nicht feste Ordnung des Sonntags sein, - sicher wartet der Ostertag selbst darauf, so begangen zu werden! Freilich darf dann das Herrenmahl nicht beherrscht sein von dem Bußton der Beichte und dem tödlichen Schwarz des Karfreitags, sondern es muß erfüllt sein von Lob und Licht und sieghafter Freude. Niemand kann sich das nehmen - aber Christus bietet es uns an in seinem Mahle; es ist unsere Schuld, wenn die Eucharistie, das Dankmahl der erlösten Gemeinde, nicht unter uns lebt als solche Erneuerung des Osterwunders, als Grundordnung des Sonntags, als Wegzehrung für die Woche.

LeerDoch es steht heute nicht in der Hand des einzelnen, uns diese Ordnung wiederzuschenken. So gibt es schlichte Formen, den Sonntag zu feiern als Sonntag, als Christus-Tag im Anbruch der Woche. Der Berneuchener Kreis hat für Sonntagmorgen eine Ordnung im Gebrauch, die dazu führen kann, schrittweise den Sonntag wieder zum Herrentag zu machen. Wir finden hier (im „Gebet der Tageszeiten”) eine Sonntagsverkündigung, deren Urform uns aus der Zeit der Völkerwanderung überliefert ist, beginnend:
Den Tag des Herrn lasset uns, liebe Brüder,
mit heiligem Dienste begehen.
LeerWir finden die Besinnung auf Schöpfung und Neuschöpfung in einem Gebet, das wir Männern unseres Jahrhunderts verdanken:
Beginne heute aufs Neue dein Werk in uns
und sprich zu unserer Seele: Es werde Licht.
LeerWir finden das Halleluja-Bekenntnis der zum Leben Erlösten im abschließenden Amenvers:
Nun bitten wir Dich, Jesu Christ,
Weil du vom Tod erstanden bist,
Verleihe, was uns selig ist.
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LeerWohl wissen wir, daß gerade der sonntägliche „Hauptgottesdienst” vom Bleigewicht unserer ganzen landeskirchlichen Unbeweglichkeit belastet und von einem Wall theologischer Verteidigungswerke umgeben heute immer noch leichter eine Auflösung in ständigen Wechsel als eine Überführung in neu vertiefte Ordnung zu ertragen scheint. Wenn wir aber Ostern gefeiert haben als den Tag, der aller irdischen Vielheit der Feste ein Ziel gesetzt hat, wenn wir die Osterbotschaft gehört haben als die Botschaft eines Geschehens, das die Woche wie das Jahr beherrschen soll, - sollte es dann nicht möglich sein, wenigstens durch die Freudenzeit bis hin zum Pfingsttage diesen Klang festzuhalten und die Sonntage als Auferstehungsfeste zu feiern?

LeerDie Alten schrieben auch in der deutschen lutherischen Kirche vor, die Osterlieder bis zum Himmelfahrtstage zu singen. Die Evangelien dieser Sonntage verweilen gewiß nicht bei der Osterbotschaft, aber dafür klingt durch die Namen dieser Tage noch der Festjubel des Ostermorgens: Jubilate, Kantate! Daran ändert auch die Vorbereitung des Pfingsttages nichts, die unter dem doppelten Rufe steht: Rogate, Exaudi. Diese festliche Zeit des Jahres, noch heute in wenigen Gegenden ausgezeichnet durch den Abendmahlsgang der ganzen Gemeinde, muß uns heute wieder lehren, was wir verloren haben: das ganze Jahr, jede Woche und jeden Tag unter die Osterbotschaft zu stellen.

LeerVerschieden werden die Wege sein, auf denen dies Ziel hie und da erkämpft werden kann. Wer ein Wort zu sagen hat über die Gestaltung der Gemeindefeiern in seiner Gemeinde, der helfe, daß der Osterchoral jeden dieser Sonntage der Freudenzeit heraufführe, es sei aus dem Munde der Gemeinde, einer Singschar oder der Orgel. Etwas davon wird dann die ganze gottesdienstliche Stunde, den ganzen Tag durchziehen. Und als Mittagslied all dieser Wochen erklinge Luthers Bekenntnis „Christ lag in Todesbanden, für unser Sünd gegeben”. Wer auf gottesdienstliche Ordnung keinen Einfluß hat, der begehe die Sonntage für sich als Auferstehungsgedächtnis, und er darf wissen, daß er nicht nur die großen christlichen Jahrhunderte für sich hat, sondern daß auch um ihn her Genossen dieses Dienstes leben, zu schweigen von den östlichen Kirchen.

LeerDann werden auch Himmelfahrtstag und Pfingsten nicht als verspätete Nachklänge kommen, sondern als notwendige Abschlüsse lebendiger Bewegung: Christi Himmelfahrt als vollendete Lösung des Herrn aus den irdischen Schranken, Pfingsten als vollendete Leibwerdung des Auferstandenen in der Gemeinde der Gläubigen. Die Sonntage, die folgen, zählen wir neu, nach Trinitatis, nicht nach Ostern und Pfingsten. Sie heben sich damit ab von der Freudenzeit. Ostern hört ja deswegen nicht auf, Gegenwart zu bleiben - wenn nur wir nicht nachlassen, den Sonntag, den Herrentag richtig zu begehen. Wenn nur wir nicht müde werden, die Auferstehung des Herrn zu feiern, „das Fest der Feste, die Feier der Feiern, da Christum wir feiern in Ewigkeit”.

Jahresbriefe des Berneuchener Kreises 1931/32, S. 70-74

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-01-19
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