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Johannistag

LeerIn der Dorfkirche des kleinen entlegenen Ortes Trichtingen bei Oberndorf am Neckar ist in eines der südlichen Fenster des Schiffes ein eigentümliches Glasbild von bescheidenen Maßen eingelassen. Es stammt aus dem Jahr 1652. In der Mitte steht man ein Wiesentälchen, das zu beiden Seiten von Hügeln eingefaßt ist. Aber welcher Unterschied zwischen den beiden Höhen! Links (vom Beschauer aus gesehen) ist alles tot; kein grünes Gras, keine bunten Blumen; die Sträucher kahl; der Erdboden braun und dürr. Oben ans der Höhe steht Mose mit den Tafeln des Gesetzes: der Alte Bund. Ganz anders der Hügel zur Rechten. Da ists wie im Osterlied: „Jetzt grünet was nur grünen kann / die Bäum zu blühen fangen an.” In lustigen Farben prangt die Erde; die Bäume stehen voller Laub. Kein Wunder! Denn auf diesem Hügel regiert das Lamm mit der Siegessahne. Mitten drin in dem Tälchen zwischen Mose und Christus steht Johannes der Täufer, Mitte und Grenze zwischen dem Alten und dem Neuen Bund. Er ist der grünenden Höhe zugewendet und weist auf das Lamm Gottes; selbst aber steht er noch außerhalb des Neuen Bundes.

LeerMatthis Grünewald - Isenheimer AltarDiese Gestalt Johannes des Täufers, die hier geschaut ist als die Grenze zwischen der Dürre des Gesetzes und der Lebensfülle des Evangeliums - sie hat ihren Ort im Jahr der Kirche mitten in der Fülle und Pracht des Hochsommers, am längsten Tag des Jahres. Johannistag ist der Tag, nach dem Blüten und Früchte zugleich ihren Namen tragen (das gelbe Johanniskraut und die rote Johannisbeere), der Tag, dessen Licht durch die lodernden Johannisfeuer hinübergefristet wird bis in den Morgen des nächsten Tages, der Tag, dem der vergangene Winter gleich fern liegt wie der kommende. Aber wie Johannes dort aus der Welt des toten Buchstabens hinüberweist in die Lebenswelt Christi, so steht er in der Sommerpracht des Johannistages umgekehrt als eine Mahnung an den Verfall und das Ende all dieser irdischen Herrlichkeit. Dieser Johannes spricht sein „ER muß wachsen, ich aber muß abnehmen” und gibt sich damit nicht nur als den Vorläufer, sondern zugleich als den Gegenspieler des „Stärkeren, dem er nicht wert ist, daß er die Riemen Seiner Schuhe auflöse”.

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LeerSein Tag muß darum im Kreislauf des Jahres dem andern Wendepunkt gegenüberliegen, den Weihnachten bildet. Von Weihnachten bis Johannis ist die Sonne in ihrem aufsteigenden Lauf das Zeichen und Zeugnis Christi und seines Heilsweges. Von Johannis bis Weihnachten ist die Sonne in ihrem Sinken und Erbleichen Zeichen und Zeugnis des Menschen und seines irdischen Todesweges. Man redet von einer festlichen Hälfte des Jahres und einer festlosen. Aber die Feste hören nicht auf; nur, solange die Sonne steigt, sind es Feste Christi, Stationen auf dem Siegeswege, den er gegangen. Hernach teilen sie sich und sind einerseits Feste des natürlichen Menschen, Erntefeste, Schlachtfeste wie Kirmes und Martini, Volk und Staat betreffende Gedenktage, andererseits Feste des erlösten Menschen, Feste der Kirche, Gedenktage ihres Kampfes, ihrer Bewahrung und ihres Zieles. Nicht als ob auf die Zeit, in der wir unter dem aufsteigenden Zeichen Christi stehen, eine Zeit folgte, in der Christi Reich zurückginge: das „ER muß wachsen” gilt fürs ganze Jahr, genau wie das „Ich muß abnehmen”. Aber die Gestalt der Tage und Wochen bestimmt sich in der zweiten Hälfte des Jahres von dem „Ich muß abnehmen” her, wie in der ersten von dem Bekenntnis, daß ER wachsen muß.

LeerWenn so Sommer- und Herbstzeit vom Menschen her geordnet sind, so nimmt es nicht wunder, daß diese Zeit im Kalender durch die ungegliederte Kette der Sonntage nach Trinitatis gekennzeichnet ist. Sie gibt jedem menschlichen Anliegen Raum, stellt aber selbst keine wirkliche Ordnung und Gliederung dar. Es ist ein Bild des „natürlichen Menschen”, dessen mannigfaltige Lebensinhalte einander ablösen, ohne sich zur höheren Einheit zu verbinden. Wenn wir nun aber diese „Zeit des Menschen” vom „Menschen in Christo” aus sehen, vom Leben der in Christus neu erbauten Menschheit, von der Kirche aus, dann kommt auch in diese zweite Hälfte des Jahres eine Gruppierung der inneren Ereignisse, der Gebetsanliegen und Verkündigungsaufgaben. Dann hebt sich zunächst als die Johanniszeit im engeren Sinne eine Zeit ab, in der der Einzelne im Mittelpunkt steht, unter der Forderung des Gesetzes, das sich an ihm, dem Kind der Kirche und der Gnade, aus- wirkt als Kraft und Hilfe zur Heiligung. Es folgt eine zweite Zeit vom Laurentiustag bis an Michaelis heran, in der sich die Kirche als Liebesgemeinschaft spiegelt. Es folgen hernach die Sonntage der Michaeliszeit als Wochen, in denen der Kampf der Kirche mit den widergöttlichen Mächten in Erscheinung tritt, schon ganz ausgerichtet auf das Ende, dem sie sich in den letzten Wochen des Kirchenjahrs als Kirche der Hoffnung zuwendet.

LeerWenn wir so eine Aufteilung der Trinitatiszeit vollziehen, wie sie ähnlich schon im Mittelalter stellenweise üblich war, so verlieren wir damit zwar jene Abhängigkeit der ganzen sommerlichen Jahreshälfte vom Ostertermin, die als ein Zeichen dafür gelten konnte, daß Ostern der Quellort der Sonntagsordnung ist. Aber diese Abhängigkeit des Sonntags vom Osterfeste glauben wir auf andere Weise ungleich besser darstellen zu können, indem wir jeden Sonntag inhaltlich als Auferstehungstag begehen.

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LeerWir gewinnen dagegen durch die Neuordnung, die sich im einzelnen sehr weitgehend an die alten Sonntagsevangelien anschließt, daß das Jahr nicht mehr zerfällt in eine geistliche und eine weltliche, in eine göttliche und eine menschliche Hälfte; vielmehr wird nunmehr offenbar: wie wir uns in der Zeit der aufsteigenden Sonne hineinziehen lassen in den Siegeszug Christi, so werden wir in der Zeit der sinkenden Sonne nicht nur gemahnt an die Vergänglichkeit all der Güter, die sommerliche Fruchtbarkeit und herbstliches Reifen uns schenken, sondern werden zugleich gewiesen „so durch die irdischen Güter zu gehen, daß wir die himmlischen nicht verlieren” oder besser, so im ganzen Bereich des irdischen Daseins, in der ganzen Breite aller Lebensgebiete als Einzelne und als Kirche um die Herrschaft Christi zu kämpfen - in uns selbst, in unseren irdischen Gemeinschaften, auf allen Arbeitsfeldern menschlicher Kultur und Notüberwindung, auf allen Spielplätzen menschlicher Freude und Kunst -, daß, ob wir schon abnehmen, und das Angesicht dieser Welt vergeht, doch Christi Sieg sich in allem erfülle, als der aus dieser zerfallenden, ersterbenden Welt seine neue, ewige Welt schaffen wird.

Jahresbriefe des Berneuchener Kreises 1931/32, S. 104-106

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-01-19
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