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Erholung
von Kurt Zeuschner

Leer1. Im Rhythmus des geist-leiblichen Geschehens ist es begründet, daß den Zeiten des tätigen Lebens Zeiten der Ruhe und der Kräftesammlung entsprechen müssen und den Zeiten des Zusammenlebens Zeiten der Sonderung und des Zu-sich-selber-kommens. Dabei steht das Kräftesammeln unter keiner geringeren Verantwortung als das Kräfteauswirken.

Leer2. Der Begriff „Erholung” redet davon, daß etwas zurückgeholt wird, was verloren zu gehen drohte. Erholung ist ein Zurückfinden zum Quellort, ist ein Wieder-Anteil-gewinnen am schöpferischen Ursprung, ist ein Sich-zurückführen-lassen bis dahin, wo es „Wiedergeburt” gibt, re-generatio. Alle Erholung, auch die leibliche, findet erst in solch geistlicher Tiefe ihre Vollendung.

Leer3. Die Ehrfurcht vor dem freien Handeln Gottes richtet jeden Bekehrungseifer, der die Neuschöpfung durch Gott erzwingen will durch einen moralischen Appell an den Willen des Menschen, wie sie auch jede Gewalt richtet, die etwa dem Leibe des Menschen angetan wird, um seine Vitalität zu steigern. Sie schließt aber die Nötigung ein, sich so zu bereiten, daß Hemmungen für das Handeln Gottes beseitigt werden. Wie der Körper durch entsprechende Lebensweise oder durch eine „unspezifische Reaktion” in seiner Widerstandskraft und seiner Aufnahmefähigkeit gesteigert werden kann, so der ganze Mensch durch eine Bereitung, die ihn unabhängiger macht von dem Viel-zu-vielen seines Alltages und ihn empfänglicher macht für ein „Von-oben-gezeugt-werden”.

Leer4. Viel zu einseitig, bis zum Zerrbild des Kurortbetriebes, hat man die „Anregung” in den Dienst der Erholung gestellt. Selbst für die geistliche Erneuerung des Menschen im Gottesdienst behauptet man den Grundsatz der Abwechselung. Heut ist der Zweifel lebendig, ob auf diese Weise in den tieferen Schichten des Menschen überhaupt etwas geschieht. Erfahrungen, die man auf dem Gebiete der Gymnastik und der Singbewegung verwertet und die von Denkern und Schauern aller Zeiten gekannt sind, weisen auf die Notwendigkeit der Lockerung, „Abregung” und Stille hin. Sie ist für den Menschen in seiner geist-leiblichen Ganzheit gerade in der heutigen Lage entscheidend wichtig.

Linie

LeerLockerung ist nicht ein Sichgehenlassen, sondern Bereitschaft; Stille ist nicht Leere, sondern ein Zusichselberkommen und ein Sichöffnen der Räume, die uns beständig umgeben, ohne daß wir sie bemerken, ein Vernehmen dessen, was aus uns spricht, und was zu uns spricht. Aufforderung zur Stille ist nicht Aufforderung an den Seelenmenschen, sich mystischen Spekulationen hinzugeben oder sein Gefühlsieben anreichern zu lassen, sondern in aller Nüchternheit Distanz zu nehmen gegenüber dem Vielfältigen des Lebens und in Einfalt ein Totalbild von ihm zu gewinnen.

Leer5. Erholung hat einen weiten Raum, der Spiel und körperliche Übung, Naturerleben, Musik (Singen!) und die Freude edler Geselligkeit in sich schließt. An ihren eigentlichen Ort aber führt sie im Gebet.

Leer6. Wir dürfen sie nicht der Gelegenheit äußerer Umstände, etwa der Stille des Krankenzimmers, überlassen. Wir bedürfen der täglich und wöchentlich geordneten Stille, einer „geübten” Erholung, und darüber hinaus besonderer Zeiten geistiger und geistlicher „Einübung”, die mit einer leiblichen am besten Hand in Hand geht.

Leer7. Hierfür kann eine strengere kultische Ordnung, als sie uns das berufliche Leben gestattet, unersetzliche Hilfe bieten. Das voreilige Urteil, das in einer Häufung des gottesdienstlichen Geschehens eine Minderung desselben sieht, muß berichtigt werden zugunsten des Eingeständnisses, daß solche Häufung zu Zeiten größte Wohltat und Hilfe bedeutet. Erholung kann in solcher Durchdringung des Tages mit gottesdienstlichem Erleben gerade ihre Erfüllung finden.

Leer8. Wohltat und Hilfe ist es dabei auch, wenn die in der Masse vereinsamten Menschen besonders genommen, zugleich aber aus ihrer Vereinzelung erlöst und in neue Gemeinschaft hineingefügt werden, die in einem letzten Sinne Gemeinschaft ist, weil sie Gemeinschaft gleichen Bedürfens und gleichen Empfangens ist. Solche Sonderung und Zusammenfügung kann ihnen die Tüchtigkeit geben, in den sozialen Ordnungen des Lebens mit neuer Hingabe und mit dem Blick für eine ewige Welt zu wirken.

Jahresbriefe des Berneuchener Kreises 1931/32, S. 131-132

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-01-19
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