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Michaelis

LeerSo sehr das Sommerschicksal gerade den besinnlichen Menschen zu vereinzeln vermag: die Herbstzeit ruft ihn wieder in das gemeinsame Handeln. Wenige Tage nach der Herbst-Tag- und Nachtgleiche erhebt sich die Gestalt des „reisigen Michael”, des Vorkämpfers Gottes gegen die Mächte der Finsternis, und der Mensch muß erkennen, daß er hineingestellt ist in ein Ringen, das alle irdischen Horizonte übersteigt, mitgenommen in einen Kampf, an dessen Ausgang auch sein Schicksal hängt und in dem er selbst mit seiner schwachen Kraft das Seine zu leisten hat.

LeerAus unscheinbarem Anlaß ist das herbstliche Michaelisfest entsprungen. Im alten christlichen Rom beging eine Kirche an der Via Salaria, die dem Erzengel Michael geweiht war, auf diesen Tag ihr Kirchweihfest. Aber es wurde daraus ein allgemeines Engelfest, dessen Bedeutung sich nach der Reformation durch das Zurücktreten der Heiligentage noch wesentlich hob, so sehr, daß es stellenweise in Deutschland als viertes der großen christlichen Feste gefeiert werden konnte. Aber eine Zeit, die gerade im religiösen Leben nur auf den Einzelnen und seine persönlichen Nöte und Freuden achtete, konnte nicht mehr wirklich erfassen, was in der Bibel von den Engeln, was von Michael und seinem Heer im besonderen gesagt war und Gegenstand dieses Festes bildete. So verfiel es und machte dem Erntedankfest Platz. Heute ist es noch ein fröhliches Schauspiel für die Schulkinder, wenn am Perlachturm zu Augsburg am 29. September, so oft die Uhr schlägt, die Engelpuppe erscheint und nach der Zahl der Glockenschläge seine blinkende Lanze dem Drachen in den Schlund stößt.

LeerHeute noch? O nein, das ist Vergangenheit, wenn es sich auch noch manches Jahr in die Gegenwart hinein fortsetzen mag. Die eigentliche Gegenwart ist da, wo Menschen ihr religiöses Leben nicht mehr als eine Privatsorge um persönliche Sicherheit und Privatfreude über persönliche Seligkeit führen, sondern sich vor Gott eingereiht wissen in die Front eines Kampfes, der auf beiden Seiten von überirdischen Mächten und um überirdische Ziele geführt wird.

LeerEs handelt sich um eine Erkenntnis, die unser ganzes Leben umgestaltet. Der profane Mensch führt auch Kämpfe: den Kampf ums Dasein für seine eigene Person, seine Familie, sein Volk, seine Klasse. Er führt diesen Kampf gegen Menschen: seinen Nachbarn, seinen Konkurrenten, seinen Volks- und Klassengegner. In diesem Kampf merkt er, daß es sich nicht nur um ein im Grunde friedliches Messen der Kräfte, um ein ritterliches Spiel handelt: er spürt einen Widerstand, den er sich nicht anders zu erklären weiß, als durch die Annahme einer abgründigen Bosheit beim Gegner. All sein Zusammenleben mit Menschen wird dadurch vergiftet, daß er im Gegner den boshaften Widersacher sieht und sehen muß. Bis es ihm vielleicht aufdämmert, daß wir „nicht mit Fleisch oder Blut zu kämpfen haben”.

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LeerDaß die Gegner durchaus menschliche Gestalten sind, die, genau wie er, für ihr eigenes Fortkommen, ihre Familie, ihr Volk, ihre Klasse zu Feld ziehen. Daß aber hinter dieser Front der Menschen unheimliche übermenschliche Mächte stehen, die den Einzelnen in den Kampf hineintreiben und zum Werkzeug ihrer unmenschlichen Ziele mißbrauchen. So hat das Industrieproletariat im 19. Jahrhundert die Dämonie des Kapitals, so haben im Weltkrieg die Völker die Dämonie des Nationalismus, so hat das Abendland im Bolschewismus die Dämonie seiner eigenen Gottlosigkeit zu Gesicht bekommen - oder doch zu schauen angefangen. Dämonen nanntens die Alten - Luther hat das Wort im Neuen Testament mit Teufel übersetzt, die Legende aber spricht von den gefallenen Engeln, die Gott gleich sein wollten und darum - Mi-kha-el, Wer-ist-wie-Gott? - von einem reinen Engel abgewehrt und aus dem Himmel auf die Erde hinabgestürzt wurden.

LeerDie Erkenntnis des dämonischen Widersachers hinter all den Kämpfen von Mensch zu Mensch bedeutet zunächst eine ungeheure Entgiftung aller menschlichen Verhältnisse. „Sie wissen nicht, was sie tun”, diese Einsicht ist erst hier möglich. Gewiß scheint es zuerst einfach eine Beleidigung zu sein, auch nur zu denken: hinter den Widerständen, gegen die ich im Ringen um mein persönliches Schicksal, in meinem Beruf, im Streit der Weltanschauungen und Lebensmächte anzukämpfen habe, stecken dämonische und vielleicht satanische Mächte. Und in der Tat kann diese Behauptung unsern Kampf auch einfach verschärfen und noch verbitterter machen als zuvor. Aber wo der Wille da ist, im Gegner den Menschen und den Bruder zu sehen, wo Feindesliebe gesucht wird - und sie ist Grundordnung wirklichen menschlichen Lebens - da ist ihr durch diese Erkenntnis allererst die Tür geöffnet: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.” Sie sind es ja garnicht, die gegen mich ankämpfen, diese meine Nebenmenschen, und mein Kampf muß ja auch sie selbst befreien aus der Macht böser Gewalten, denen der Kampf eigentlich gilt!

LeerIst es aber nicht nur Fleisch und Blut, gegen die wir kämpfen, dann bedeutet das freilich auch auf unserer Seite, daß der Kampf nicht bloß ein menschliches Unternehmen sein kann, sondern Sinn und Möglichkeit nur hat, wenn er Ausschnitt und Etappe eines dämonenfeindlichen Kampfes überirdischer Mächte, wenn er ein Kampf unter einer von Gott bestellten himmlischen Führung und mit übermenschlichen Waffen und Kräften ist. Das ist noch etwas anderes als die Vorstellung von Schutzengeln, die diese oder jene Gefahr von uns abwehren und dadurch im Sinn unseres persönlichen Lebenswillens in unser Dasein heilsam eingreifen. Wo wären wir ohne solchen Engelschutz - mit Recht hat man zu allen Zeiten besonders die Anfänge des irdischen Daseins davon umwaltet gesehen -, aber hier handelt es sich noch um etwas Größeres, um Kämpfe, die letztlich nicht um die Erhaltung unseres leiblichen Lebens oder unseres seelischen Wohlbefindens geführt werden, sondern um die Niederwerfung gottwidriger Mächte, um das Heil der Welt.

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LeerEs war der Berge versetzende Glaube des Urchristentums, daß durch die Auferstehung Christi der entscheidende Sieg über die teuflischen Weltmächte errungen sei, ein Sieg, in dessen Bannkreis jeder an seiner Stelle den Kampf weiterzuführen geheißen und befähigt sei. Es war der kühne Glaube der Reformatoren, daß dieser Sieg Christi über die Dämonen groß genug sei, um auch mit dem Greuel an heiliger Stätte, der Selbstvergötzung der Kirche und ihrer Führer, fertig zu werden. Es ist ein solcher Glaube, hineingestellt zu sein in einen unaufhaltsamen, Himmel und Erde erfüllenden Kampf zwischen heiligen und unheiligen Gewalten, der allein heute dem Menschen, der irgendwie um die Verantwortung seines persönlichen und öffentlichen Lebens weiß, Mut machen kann, überhaupt nur die Augen aufzutun und zu sehen, welche Dämonien unsere Zeit erfüllen und unser Volk, unsere Kirche, die ganze Menschheit bedrohen, dann aber auch Hand anzulegen, Widerstand zu leisten und zum Angriff überzugehen gegen den erkannten Feind.

LeerFreilich beschwört die Einsicht in die übermenschlichen Hintergründe unserer Lebenskämpfe selbst eine Gefahr herauf, die sehr ernst genommen werden muß. Wenn Gottes Engel mit den Engeln des Satans kämpfen - wer wollte dann nicht auf der Seite Gottes mitkämpfen - und wer wäre dann nicht in der Gefahr, seine Sache, für die er aus höchst natürlichen Beweggründen zu Feld liegt, als die Sache Gottes und feiner Engel anzusehen? Daher gehört zur Erkenntnis des „Kampfes der Geister” noch ein Letztes und Schwerstes: die Erkenntnis, daß wir in diesem Kampf in Wirklichkeit garnicht Partei, sondern selbst Kampfplatz sind; daß in diesem Kampf so wenig Menschen gegeneinander stehen, daß die Fronten sogar mitten durch die Menschen hindurchgehen. Ohne diese Einsicht ist alles, was wir hier sagen, wahnwitzige Überhebung und Selbstvergötterung. Furchtbare Greuel sind überall da geschehen, wo Menschen in ihren Gegnern allein den Antichrist verkörpert sahen und sich damit Christus gleichsetzten. Darum eben heißt der Führer in diesem Kampf Michael, „Wer ist wie Gott?”, weil nur der wirklich für Gott streitet und streiten kann, der den Unterschied zwischen sich und Gott, seiner Sache und Gottes Sache, seinen Zielen und Gottes Zielen so sicher erkennt und weiß, daß ihn kein Versucher verleiten kann, zum Frevler gegen Gottes erhabene Majestät zu werden.

LeerDu selbst bist Kampffeld, und der Mensch, gegen den du, menschlich gesprochen, kämpfst, das Volk, der Stand, die Partei, gegen die du zu Felde liegst, ist auch selbst Kampffeld. Nie, solange wir in diesem Leben sind, kannst du abschließend von dir urteilen, daß du vor der List des eigentlichen Widersachers sicher seist; nie kannst du abschließend von deinem Gegner urteilen, daß er endgültig und unwiderruflich dem Teufel verfallen und nur noch der Vernichtung wert sei.

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LeerIst es deutlich, wie sehr diese Dinge unser ganzes Leben zu wandeln vermögen? Daß wir blind durchs Leben gehen, solange wir sie nicht sehen? Die Botschaft der Michaeliszeit ist ja im Grunde keine andere als die Botschaft der Fastenzeit von Invokavit bis Ostern - darum haben die Lieder der Reformation in der Regel die Gestalt des Erzengels Michael kurzerhand mit dem Herrn Christus gleichgesetzt -, aber diese Wirklichkeit ist hier in einem Bilde geschaut, das unmittelbar anschaulich macht, wie sehr es sich um ein Geschehen handelt, in das die menschliche Aktivität mithineingezogen wird, ein Geschehen, das die ganze Dauer der Zeiten umspannt - ist nicht der Sturz Luzifers ein Geschehen im Uranfang? - und doch erzählt St. Johannes davon wie von einer letzten Wirklichkeit am Ende der Dinge -, ein Geschehen, das alles Geschehen im menschlichen Bereich wie in den übermenschlichen Sphären „unmittelbar” macht zu Gott und zugleich zu widergöttlichen Urkräften des Verderbens.

LeerVor dem Kreuz Christi haben Menschen, die es sehr ernst gemeint haben, in ein süßes Nichtstun der mystischen Betrachtung versinken können. Vor dem Bilde des Engelsturzes kannst du nicht untätig bleiben. Wohl mußt du es ganz gesammelt in dich aufnehmen, damit dir gegen alle Bilder menschlich-friedlichen Behagens oder auch hoffnungsloser Todesstarre, wie sie dir beide im Leben immer wieder entgegentreten können, der Kampf vor Augen bleibe, zu dem auch du berufen bist, und die Verheißung des Ausgangs, die auch dir gilt. Wenn du es aber tust, wirst du spüren, daß du vor dem Feinde auf Posten stehst und lernen mußt, dich in den Kampf einzugliedern mit deinem ganzen Leben in Haus und Beruf, im Schaffen und Erleiden. Du wirst leben, wie es einem Kämpfer geziemt.

LeerDas Eingegliedertsein aber, das ist es, worauf es in unseren Tagen ankommt. Unzählige kämpfen ja so tapfer - an der Heftigkeit des Kampfes fehlt es in unserer Zeit wirklich nicht. Aber sie kämpfen wie Schwimmer in brandender See - an den eigentlichen Feind kommen sie garnicht heran. Der Dienst an Bord sieht vielleicht weniger großartig aus und ist doch allein der dem Feinde Schaden tun und die widrigen Gewalten überwinden kann! Freilich ist es keine bloße Frage deines guten Willens, ob du deinen Posten ausfüllen willst, - es muß ein jeder auf dem Schiff seinen Posten innehaben, sonst ist auch deine Bemühung umsonst. Unsere Kirche sieht heute weiß Gott allem anderen ähnlich, nur nicht einem seetüchtigen Segler. Aber es darf nicht so bleiben. Darum ringt unser Herz in diesen Wochen, daß die Kirche wieder kampftüchtig werde, und daß wir, eingegliedert in ihre Kampfordnung, etwas spüren dürfen von dem Fortgang der Kriege Gottes, und auch unsere Kraft sich nicht aufreibe in Einzelgefechten auf verlorenen Posten, sondern teilhabe an den Kämpfen und Siegen der überirdischen Mächte. Von uns selbst werden Entsagungen verlangt - „Wer da kämpft, der enthält sich alles Dings” (20. Woche nach Dreifaltigkeit); unsere Rüstung und Nahrung ist Christus im Mahl der Gemeinde (21. Woche). So stehen wir vor dem Feind und können es wagen, die Geister zu prüfen (22. Woche) - wir, nicht ich und du und nicht dieser oder jener Splitter der Christenheit, sondern (23. Woche) eine heilige Kirche Gottes auf Erden, deren Haupt Christus ist.

Jahresbriefe des Berneuchener Kreises 1931/32, S. 149-153

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-01-19
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