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Aufruf zum Advent

Leer„Zukomme Dein Reich” - so beteten im Gebet des Herrn unsere Vorfahren, und noch heute wird die zweite Bitte des Vaterunsers vielfach in der Abendmahlsliturgie mit diesen Worten gesungen. Es ist die große Haupt- und Grundbitte der Christenheit: daß Gottes gütiger und gnädiger Wille sich über uns und seiner ganzen Schöpfung erfülle, dadurch, daß seine Herrschaft bei uns Wirklichkeit wird und sein Wille geschieht, wie im Himmel, so auch auf der heute noch gottfeindlichen Mächten unterworfenen Erde. Von der „Zukunft Christi” sprach man daher auch in dem Sinne seiner Ankunft zum Gericht. Advent heißt Zukunft in diesem Sinn der zweiten Vaterunserbitte, heißt, daß wir Gott den Herrn auf uns zukommen sehen, seine Herrschaft unter uns aufzurichten.

LeerEs ist im Grunde nichts anderes, was die Griechen Epiphanie nannten, Erscheinung, Offenbarwerden Gottes. Der Mensch im Dunkel der Erde sieht das Licht einer andern Welt über sich hereinbrechen und beugt sich in Demut und Dankbarkeit vor dem gegenwärtigen Gott.

LeerMan unterscheidet heute nun schon seit langem Advent und Epiphanie in dem Sinne, daß man die Zeit der Erwartung und Ankündigung des Kommens Christi Advent nennt, Epiphanias aber die Wochen, in denen die Herrlichkeit des zu uns gekommenen Heilandes vor aller Welt sichtbar wird. Doch kann ein aufmerksames Ohr noch heute heraushören, wie Adventzeit und Epiphaniaszeit zusammengehören, vor allem, daß Lieder und Lesungen durchaus in beiden Zeiten einen einheitlichen Klang haben und darum u. U. auch ausgetauscht werden können. Dieser Zusammenhang ist so stark, daß die altkirchlichen Lesungen der Adventsonntage keine spezielle Vordeutung auf das Weihnachtsfest, auf die Geburt Christi enthalten, sondern den machtvoll auftretenden Richter und Freudenbringer verkündigen. Alles Zarte und alles Schwermütige, was die Weihnachtsbotschaft im engeren Sinne kennzeichnet, ja überhaupt jede Beziehung auf die Kindheit Jesu fehlt, und es bedeutet eine völlige Neuerung, die allerdings durch die Wichtigkeit des Weihnachtsfestes doch wohl gerechtfertigt ist, wenn wir in unserem Kalender einen Sonntag der Adventzeit, den letzten, dem Gedächtnis Mariens gewidmet haben. (Diese Neuerung hat freilich ein Vorbild in den Quatemberlesungen der römischen Kirche, die eine ähnliche unmittelbare Vorbereitung des Weihnachtsfestes darstellen.) Der erste und zweite Advent dagegen feiern den in Herrlichkeit und Strenge kommenden König, und zum Bereitungsruf des Täufers am dritten Advent bildet erst die Feier der Taufe Jesu am Epiphaniastag den Abschluß.

LeerSo spannt sich uns ein Bogen vom 1. Adventsonntag zum letzten Sonntag der Epiphaniaszeit, und indem wir diese ganze Zeit im Zusammenhang betrachten, bekommen Advent, Christgeburtfest und Epiphaniaszeit erst ihr richtiges Gepräge. Epiphanias gewinnt den Glanz wieder, der ihm heute so ganz fehlt.(1) Weihnachten bekommt seine Stelle: denn es ist das Fest des verborgenen, heimlichen Ursprungs Christi auf Erden und die erste Vorfeier des Karfreitags, das Fest der Herablassung Christi in die irdische Niedrigkeit. Advent aber wird die Zeit einer Erwartung, die ganz in der Demut steht, nicht nur, weil es um Gottes Ankunft geht, die immer zugleich das Gericht über unsere irdische Schlechtigkeit bedeutet, nicht nur, weil das Geschöpf vor dem Schöpfer auch abgesehen von der Sünde nichts als Staub und Asche ist, sondern weil uns die Selbsterniedrigung Gottes demütigt und klein macht.

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LeerSo sehr wir uns daher freuen dürfen, daß sich in den letzten Jahrzehnten mit großer Schnelligkeit die Adventfeier mit Lichterkranz und Liedersingen über ganz Deutschland verbreitet hat, so werden wir doch durch die frohe Botschaft der „Zukunft Christi” den Bußton der alten Adventfeier hindurchhören - Adventzeit war immer „geschlossene” Zeit, ohne laute Fröhlichkeit! Wir werden gerade angesichts der Hetze, die das „Weihnachtsgeschäft” heute mit sich bringt, aufs äußerste ringen müssen um stille Stunden der Besinnung und Sammlung in den Wochen vorm Fest, damit in ihnen die Vorankündigung des „kommenden Herrn” ein Herz träfe, das wach und unbetäubt diese Ankündigung in sich aufnähme und daraus Freudigkeit und Kraft schöpfte, mitten in dem Lärm des Kampfes aller gegen alle, mitten zwischen wahnwitziger Überheblichkeit und erschütternder Not das Fest der Liebe zu feiern.

LeerEs handelt sich hier nicht nur um Fragen des Festkalenders. Es handelt sich um eine Grundfrage unseres Lebens in der Welt. Das Reich Christi ist uns angekündigt, darum stehen wir im Advent; ja es ist über uns hereingebrochen, seit Er auf Erden erschienen ist. Wir haben in dem allem die Anwartschaft der Vollendung. Aber unser Volk lebt, aufs ganze gesehen - und wie oft auch wir selbst - au dieser Tatsache vorbei. Dann kann man freilich auch nicht Advent feiern - hinter jeder echten Erwartung steht ein Glaube an das Kommende, ja ein Schon gegenwärtig Wissen dessen, dem man entgegengeht. Das kann nun freilich kein Mensch dem andern geben. Wenn wir aber nur selber in der Vorfreude und in der ernsten Bereitung stehen - vielleicht ziehen wir dann die Brüder hinein in unsere Erwartung.

LeerJedenfalls dürfen wir nicht meinen, ein einseitiger Bußruf könne in dieser Lage helfen - so sehr uns so etwas immer naheliegt. All die Versuche, unser Leben durch Gesetze und ethische Appelle zu ordnen, können ja nicht wirklich aus unserer Not erlösen - am wenigsten, wenn sie von einer in dieser Hinsicht völlig ohnmächtigen Kirche ausgehen! Noch aber lebt in unserm Volke die Willigkeit, die christlichen Feste als Anlässe zur Freude mitzubegehen; aber diese Festfeier entartet immer wieder ins Maßlose und Gemeine, weil ihr die Ausrichtung auf ihren eigentlichen Gegenstand fehlt, auf die Wunder Gottes, die uns zugleich zur Freude und zur Buße rufen.

LeerDarum sollen wir zwar mit ganzem Herzen locken zur frohen Begehung des christlichen Festkreises; all unser Aufrufen zum geistlichen Singen, zu Lied und Lobgesang im Gottesdienst ist ein solcher Lockruf, die frohe Botschaft ins Leben hereinzunehmen. Aber es darf dann in solchem Singen nichts Tändelndes, nichts Süßliches, auch nichts Überhebliches sein, sondern der bittere Ernst und die Ehrfurcht gebietende Größe der himmlischen Dinge muß dadurch ebenso gegenwärtig werden wie Güte und Reichtum Gottes. Was hier vom Singen gesagt ist, gilt von allen Äußerungen christlichen Lebens in der Öffentlichkeit. Eingeschlossen in die köstliche Gabe des Evangeliums müssen Entscheidungsruf und Mahnung zur Buße an uns herankommen, wenn wir sie hören sollen mit der Bereitschaft, ihnen zu folgen.

LeerAdvent ist da und über uns ergeht der unerbittlich strenge und unwiderstehlich lockende Ruf: der Herr ist nahe. Gebt ihm Raum, diesem Ruf zur Stille und Freude, und ihr tut den Dienst, den wir einander schuldig sind, um wieder eine Kirche Christi zu werden, die ihres Herren harrt.

Anm. 1: Vgl. den Aufsatz über „Epiphanias” von Wilhelm Thomas im Älterenblatt des Bundes deutscher Jugendvereine, „Unser Bund”, Januar 1932

Jahresbriefe des Berneuchener Kreises 1932/33, S. 13-15

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-01-26
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