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Neutralität?
Zur Deutung der Vorfastenzeit niedergeschrieben im Anschluß
an eine Predigt zum Gedächtnis Gustav Adolfs von Wilhelm Stählin

LeerAls König Gustav Adolf im Juni 1630 in Pommern gelandet war, versuchte er, den Kurfürsten Georg Wilhelm von Brandenburg dazu zu bewegen, daß er mit ihm zusammen gegen den Kaiser für die bedrohte Sache des Protestantismus kämpfe. Der Kurfürst aber forderte durch seinen Gesandten, Herrn von Wilmersdorf, für sich das Recht der Neutralität. Darauf Gustav Adolf: „Neutralität, solch ein Ding ist doch nichts als lauter Quisquiliae, die der Wind aufhebt und wegweht. Was ist das doch für ein Ding: Neutralität? Ich verstehe es nicht”

LeerHier spricht der Soldat, der in den Krieg zieht, der König, der in einem weltgeschichtlichen Kampf sein Leben und sein Reich einsetzt. Kann er den verstehen, der weder Freund noch Feind sein will? Hier spricht aber die Geschichte selbst. Der heiße Atem der Geschichte ist ein Kampf, der auch den Widerstrebenden zwingt Partei zu nehmen und Partei zu sein. Wo sich die Heere gegenüber liegen, ist kein Aufenthalt in dem Niemandsland zwischen den Fronten.

LeerEindringlicher und gewalttätiger als andere Geschlechter vernehmen wir diesen Ruf der Geschichte. Es ist nicht nur das ungestüme Verlangen leidenschaftlicher Jugend, das das bedächtig zur Seite stehende Alter nicht begreifen kann: „Neutralität, was ist das für ein Ding”, sondern es bricht das unerbittliche Gesetz der Geschichte selbst in alle freundlichen und gesicherten „Mittelwege” ein. Die großen Urmächte, die gegeneinander stehen, treten auseinander, und was dazwischen stehen will, geht in Trümmer wie ein Haus, das zwischen den Fronten steht.

LeerKurfürst Georg Wilhelm hat Viele, die ihm in dem Verlangen nach Neutralität nachfolgen. Ist es nur das Bedürfnis nach Ruhe und gesichertem Lebensgenuß? Eben diese Ruhe ist uns nicht bestimmt! Ist es die Klugheit, die nicht den Einsatz wagt? Gerade dies ist von uns gefordert, das einzusetzen, was wir nur einmal zu verlieren haben! Oder das weiche Herz, das den Kampf scheut und lieber wohltun als streiten und überwinden will? Aber eben dieser bis zum letzten Einsatz bereite Kampf ist es, was uns auferlegt ist: Es gilt, dem heißen Zorn des Nein und der leidenschaftlichen Liebe des Ja die Ruhe unsres Daseins zu opfern.

LeerAber darf man die harten Notwendigkeiten des äußeren Geschehens so mit der Welt des Glaubens in Zusammenhang bringen? Was haben sie mit der friedsamen Gotteswelt unsrer Seelen zu tun? Können und sollen wir nicht aus der gräßlichen Welt des Kampfes flüchten in den stillen Frieden des Gottesreiches? - Ganz gewiß gibt es das, eine wundersame Harmonie der Seele mit der oberen Welt, einen Frieden, der höher ist als alle Vernunft. Aber einen friedlichen Zufluchtsort? eine kampffreie Zone? einen Ort, wo man neutral bleiben darf und wo die Neutralität geborgen ist gegen die wütenden Ansprüche von rechts und von links? Eben das wird uns nirgends gründlicher versagt als in der Nähe Jesu. Jesus scheint die Anklage gegen die Neutralität auf die Spitze zu treiben. Wenn der Mensch als solcher in der Lage ist, daß er kämpfen muß, wie viel mehr ist dann der Christ in seinem Bereich zum Kampf aufgerufen! „Wer nicht für mich ist, der ist wider mich!” So ist das ganze Leben Jesu „ein Zeichen, dem widersprochen wird”! Er hat Freunde und er hat Feinde. Man wird durch ihn gerettet oder man wird an ihm zuschanden. Neutralität, das heißt „keines von beiden”, „mitten zwischen durch”: ich weiß nicht, was das für ein Ding ist. „Wer nicht für mich ist, der ist wider mich.”

LeerNeutralität? Die unerbittliche Kampfessituation der äußeren Geschichte wird zum Gleichnis für eine Entscheidung, die noch viel unerbittlicher und noch viel einschneidender ist. Es gibt keine Neutralität. Es ist nicht irgend ein streitbarer Kämpfer, der uns zwingt Partei zu nehmen, sondern es ist der Herr aller Welt, von dem wir uns fragen lassen müssen: Bist du Freund oder bist du Feind? „Neutralität, was ist das für ein Ding? Ich verstehe es nicht!”

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LeerMan kann sich nicht sozusagen im leeren Raum für Christus entscheiden. Es sind ganz bestimmte Situationen und Aufgaben, in denen wir Christus bekennen oder Christus verleugnen. Wir denken an die große Schau des Weltgerichts, wo der Weltenrichter zu den einen, weil sie sehr geringe und unscheinbare Dinge getan haben, sagt: Kommt her, ihr Gesegneten; und zu den andern, weil sie eben diese sehr geringen und unscheinbaren Dinge nicht getan haben, sagt: Weichet von mir...! Ja, ist es allzu kühn gesprochen, wenn wir sagen: Es gibt überhaupt keine Entscheidung in unsrem Leben, auch keine Entscheidung in unsrem öffentlichen und politischen Leben, die nicht irgend einen Zusammenhang mit der letzten Entscheidung für oder gegen Christus hätte. Es gibt kein Lebensgebiet, in dem wir Christus gegenüber neutral bleiben könnten. Wir sind immer und überall entweder mit ihm oder gegen ihn.

LeerFreilich, wir sind nur allzu schnell bereit, unsre menschlichen Kämpfe mit diesem Gotteskampf in eins zu setzen. Wir schreiben auf unsre Fahne stolz und kühn „für Gott” und merken nicht, daß wir doch nur das Banner unsrer Eitelkeit und unsres Eigensinns mit dem Zeichen des Kreuzes dekoriert haben. Wir kennen ja diesen Anspruch, daß irgend eine Partei, irgend eine Wirtschaftsordnung, irgend ein Volk oder eine Rasse sich selbst als die Schutztruppe Gottes aufspielt, und „drüben” steht der böse Feind, der wider Gott streitet. Je ernster die Kirche ihre eigene Botschaft nimmt, desto ernstlicher wird sie sich gegen diese Vergötzung irgend welcher irdischer Kampffronten verwahren.

LeerDas gilt auch von den eigenen Unternehmungen der Kirche. Selbst in dem der Kirche aufgenötigten Kampf gegen die Gottlosenverbände steht es eben nicht einfach so, daß wir sagen dürften: Hier ist Christus und dort der Antichrist. Oder meint ihr, wenn wir vor Gottes Richterstuhl uns einmal darauf berufen: Herr, ich bin doch im Kampfbund gegen die Gottlosigkeit gewesen; Herr, ich hab doch an dem Tag, als in der Kirche für die Abwehr der Gottlosenpropaganda gesammelt wurde, auch meinen Beitrag eingelegt, - meint ihr, damit hätten wir erwiesen, daß unser Sein und Leben ein Sein und Leben für Christus gewesen ist? Meint ihr nicht vielmehr, daß die Fronten ganz anders, ganz anders laufen? Erschütternd anders!

LeerAber sie laufen eben wirklich mitten durch unser aller Leben hindurch. Bisweilen meinen wir, wir könnten die ganzen Entscheidungen mit Händen greifen; wir wüßten ganz genau, wo die feindlichen Heere stehen. Und das sind dann immer die Stunden, wo uns nicht der Rausch der großen Worte verwirrt, sondern wo der Ruf der Liebe bis in unser innerstes Sein gedrungen ist. Es kommt ja gar nicht so sehr darauf an, was wir tun, als vielmehr was wir sind: ein Leben, das in der letzten Tiefe Christus gehört und Christus bezeugt, oder ein Leben, das den anderen Weg sucht, durch die andere Tür geht, von anderen Lichtern geblendet wird, das andere Brot essen will. Ein Leben, das in der Liebe gelebt wird, oder ein Leben aus der Angst um das eigene Ich!

LeerEs gibt ein Drinnen und ein Draußen; aber es gibt kein Niemandsland dazwischen.

Leer„Neutralität, ich weiß nicht, was das für ein Ding ist, ich verstehe es nicht.”

Leer„Wer nicht für mich ist, der ist wider mich.”

Jahresbriefe des Berneuchener Kreises 1932/33, S. 40-42

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-01-26
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