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Evangelische Verkündigung und griechisch-orientalische Liturgie
von Walther Stökl

LeerDie Feier des hohen Osterfestes erinnert uns daran, daß nirgends Ostern eindringlicher und festlicher begangen wird als in der Ostkirche. Die Osternachtfeier ist der größte Gottesdienst des Jahres. Sie feiert sowohl die orthodox-anatolische Kirche, wie die mit Rom unierte griechisch-katholische Kirche nach byzantinischem Ritus. Aber wenigen wird davon schon Kunde sein, daß es seit einigen Jahren auch eine evang.-lutherische Kirche mit östlichem Ritus gibt, die werdende lutherische Kirche im ukrainisch besiedelten Südostpolen an der Grenze der Sowjetukraine. So begehen also auch evangelische Christen im Osten die „große Osternacht” (Ostern heißt slavisch velikonoce - große Nacht).

LeerEbenso unbekannt wie diese Reformationsbewegung im ukrainischen Volk ist aber meist im Westen auch die Tatsache überhaupt, daß es seit der Reformationszeit einen slawischen Protestantismus gibt in allen den slawischen Völkern, die abendländischer Kulturüberlieferung verbunden sind und die Reformation und Gegenreformation erlebt und erlitten haben wie die meisten andern Völker des christlichen Abendlandes, also bei den Tschechen, Slovaken, Polen (vor allem in Schlesien) und Slovenen bzw. Kroaten (die sogenannten Wenden auf der Murinsel in Südslavien).

LeerMit Ausnahme der Tschechen, die ihre eigene Überlieferung der böhmisch- mährischen Brüder pflegen, sind dies slawisch-lutherische Kirchen mit reicher liturgischer Überlieferung. Tägliche Gottesdienste, liturgischer Altargesang und Psalmodieren, Beichtfeiern mit Handauflegung und Einzelabsolution, häufige Sakramentsfeiern, Tragen des weißen Chorhemdes, der Alba, über dem Talar im Gottesdienste, wie des geistlichen Standeskleides im täglichen Umgang bei den Amtsträgern, Kreuzschlagen beim Gebet, bischöfliche Verfassung, gehören in diesen evangelischen Diasporagebieten weithin zum Selbstverständlichen.

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LeerDagegen bricht in der ukrainisch-lutherischen Kirche Ostgaliziens, die sich in wunderbarer stürmischer Entwicklung befindet, innerhalb der orthodoxen Kirche eine evangelische Reformationsbewegung auf, ähnlich wie in den kirchlichen Neubildungen und Evangeliumsbewegungen in der Sowjetunion, die nur infolge der schweren Verfolgungen nicht zur Entfaltung kommen können. In Ostgalizien geht die Bewegung dabei vor sich auf dem Boden der Union, die seinerzeit von den Polen dem ukrainischem Volk aufgezwungen wurde, in der aber trotz Anerkennung des Papstes der griechische Ritus, Priesterehe und andere orthodoxe Überlieferungen beibehalten werden durften. Dies Gebiet der Westukraine, in dem von dem 40 Millionen-Volk der Ukrainer 6 Millionen jetzt unter harter polnischer Gewaltherrschaft stehen, ist durch die von 1914-1921 dauernden Kriegswirren verwüstet worden wie kaum ein anderes Land. Die Bevölkerung hat unsäglich gelitten und befindet sich in beispielloser Armut und Not.

LeerHier, wo die Menschen aufgewühlt waren durch Kriegs- und Umsturzschrecken, in naher Mitleidenschaft durch die Vorgänge in der Sowjetunion, heimgesucht durch völkische, wirtschaftliche und soziale Not, hier wurde das Verlangen nach dem Evangelium (im Unterschied zu anderen Los-von-Rom-Bewegungen wesentlich liberalen Charakters) zu einer Bewegung tatsächlich religiösen Ursprungs. Die Verkündigung des Evangeliums findet eine unerwartete Aufgeschlossenheit. Kriegsgefangene, Rückwanderer aus Amerika, die Eindrücke der deutschen evangelischen Liebesanstalten D. Zöcklers in Stanislau und die geistliche Wirksamkeit dieses außerordentlichen Gottesmannes sind die äußerlich erkennbaren Ursachen für diese elementare Bewegung, die auch schon über die engeren Bezirke Ostgaliziens hinausgegriffen hat. Ganze Ortschaften mit Tausenden von Einwohnern, an der Spitze ihre katholischen Priester, bitten um Verkündigung des Evangeliums.

LeerTrotz aller Verfolgung, trotz gegnerischer Missionen und wirtschaftlicher Bedrückung wächst der Kreis evangelischer Gemeinden. Mit großen Opfern bauen sie schlichte Holzkapellen, schaffen sie die erste religiöse Literatur (Gesangbuch, Agende, Katechismus) und senden sie junge Ukrainer zur theologischen Ausbildung nach dem Westen an deutsche Ausbildungsstätten (Posen, Neuendettelsau). Aber immer wieder müssen Abordnungen auf später vertröstet werden, weil die geistlichen Kräfte nicht langen. Dazu ist es durch amerikanischen Einfluß zu einer bedauerlichen Abspaltung einiger Gemeinden gekommen, die sich dem Kalvinismus angeschlossen haben und kirchenregimentlich der polnischen reformierten Kirche in Warschau beigetreten sind, während die lutherischen Gemeinden sich vorläufig der deutschen evangelischen Kirche eingegliedert haben.

LeerWir werden diese Vorgänge nicht nur mit starker Anteilnahme verfolgen und erkennen, welche Bedeutung dies Kirchewerden im Osten für den Protestantismus hat, sondern uns auch die Mitsorge für den Fortgang der Arbeit der Brüder dort im Kampf- und Notgebiet des Ostens aufs Gewissen legen lassen. Wer eine Ostergabe schicken kann für die ukrainische lutherische Missionsarbeit in Ostgalizien, der hilft ärmsten Menschen an der Grenze des Bereiches der abendländischen Christenheit zu geistlicher Osterfreude. Sie begehren unsere Hilfe nicht für das tägliche Brot, das ihnen oft mangelt, sondern zum Aufbau ihrer Kirche, von der sie das Brot des Lebens erhoffen.

Jahresbriefe des Berneuchener Kreises 1932/33, S. 73-75

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-01-26
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