Symbol   Quatember

Startseite
Inhalt
Inhalt 1933
Jahrgänge
Autoren
Suchen

Unsre Abendmahlsordnung
von Wilhelm Stählin und Karl Bernhard Ritter

LeerVor fast zehn Jahren hat der Berneuchener Kreis eine Ordnung der Abendmahlsfeier herausgegeben, nach der er seither die Feier des heiligen Abendmahls sonderlich auf seinen Freizeiten, zum Teil auch in Gemeinden gehalten hat. Wir geben vor dem Kreis unsrer Freunde Rechenschaft über das, was wir damals unternommen und über die Erfahrungen, die wir dabei gemacht haben.

Leer1. Ob wir wohl daran getan haben und ob wir überhaupt befugt waren, eine solche eigene, von den landeskirchlichen Ordnungen abweichende Form der Abendmahlsfeier anzubieten und selbst zu gebrauchen, danach sind wir wirklich nicht nur von Außenstehenden gefragt worden, sondern wir selbst haben mit dieser Frage ernstlich gerungen. Es ist einfach eine Not, die uns dazu getrieben hat und heute ebenso dazu treiben würde. Die Abendmahlsordnungen unserer Kirchenbücher geben fast durchweg nur mit kleinen Abwandlungen jenen Schlußteil eines ganz umfassenden Gottesdienstes, der unsren heutigen liturgischen „Vorgottesdienst”, die Predigt und die Abendmahlsfeier in sich befaßt.

LeerWir wollen weder, daß die Abendmahlsfeier als Anhängsel an einen an sich schon langen Gottesdienst erscheine, noch daß die selbständige Feier des Sakraments auf jenes Bruchstück beschränkt bleibe. Die heute übliche Form bedeutet durchweg eine Verkürzung und Verarmung gegenüber dem wunderbaren und unausschöpflichen Reichtum der Sakramentsfeier, es fehlt ihr ebenso der Klang der freudigen Danksagung und der Hoffnung auf das kommende Reich, wie der Ausdruck und die sichtbare Gestalt der Gemeinschaft derer, die Gäste sind am Tisch des Herrn. Wenn uns im Lauf dieser Jahre immer wieder Gäste unsrer Freizeiten, Glieder unsrer Gemeinden gesagt haben, daß ihnen einfach an dieser Ordnung ein ganz neuer Blick für den inneren Reichtum und die übergroße Fülle des Herrenmahls aufgegangen sei, so können wir uns nur dankbar darüber freuen, daß wir an andre weitergeben durften, was uns selber geschenkt worden war.

Leer2. Es liegen wenige Erfahrungen darüber vor, ob diese reiche Ordnung sich auch im regelmäßigen Gebrauch größerer Gemeinden bewährt. (Von ihnen soll weiter unten noch etwas gesagt werden.) Aber unabhängig von dieser Frage erscheint es uns durchaus sinnvoll, daß kleinere Kreise, geschlossene Gemeinschaften innerhalb der Kirche auch ihre besondere, reichere Gestalt der Abendmahlsfeier haben.

Linie

Leer3. Unsre Ordnung - wir setzen im Folgenden ihre Kenntnis voraus - erscheint dem, der sie zum ersten mal miterlebt, vor allem dem, der sie nur liest, kompliziert und durch die Fülle der Gedanken und Beziehungen verwirrend. Daß wir in erschreckendem Maß dessen entwöhnt sind, ein reicheres liturgisches Geschehen in seinem Zusammenhang auf uns wirken zu lassen, kann diese Schwierigkeit wohl erklären, aber nicht beheben. Aber sollen wir deswegen zurück zu einer armseligen Einfachheit, die den überschwenglichen Reichtum des kultischen Lebens der Kirche nach dem Fassungsvermögen heutiger Menschen beschneidet?

LeerEine zwiefache Erfahrung ist uns wichtig geworden. Vor allem die, wie rasch man durch Gewöhnung auch mit einer reichen Ordnung so vertraut wird, daß man in ihr lebt und nicht mehr Mühe hat zu folgen; man muß nur den Mut fassen, sehr viel öfter an der Feier des Herrenmahls teilzunehmen; jede liturgische Ordnung kann sich erst dann lebendig an uns auswirken, wenn sie zur festen Gewohnheit geworden ist und wir sie möglichst auswendig beherrschen. Dann aber - das ist das Andere - kommt es gar nicht mehr so sehr darauf an, alles einzelne mit dem wachen Verstand zu begleiten, als vielmehr wie ein Kind mit geöffneter Seele das alles an sich geschehen und sich von der inneren Bewegung mit tragen zu lassen. Eine liturgische Ordnung ist nicht ein Programm, das man verstehen müßte, sondern ein lebendiges Geschehen, das uns in sich hineinziehen will.

Leer4. Eine regelmäßige Teilnahme am Sakrament, ein Leben ans dem Sakrament bedeutet freilich eine völlige Umstellung für den des Sakraments entwöhnten Protestanten. Die Spiritualisierung des Offenbarungsgedankens, die Begrenzung der Gottesbewegung, der Wirkung des heiligen Geistes auf die Sphäre des begrifflich-logischen Bewußtseins, der Gedankenbildung, hat zunächst für den Gebildeten und von daher langsam für die Gemeinden in ihrer ganzen Breite das Sakrament entwertet. Dazu kam, daß die Sakramentsfeier durch ihre Zusammenstellung mit der Beichte ihren Charakter als stete Vergegenwärtigung der Osterfreude verlor. Nicht zuletzt darauf ist doch wohl zurückzuführen, daß, jedenfalls in den städtischen Gemeinden, die Abendmahlssitte in voller Auflösung begriffen ist. Die Abendmahlsfeier erscheint dem kirchlich gesinnten Protestanten, der noch an dieser Sitte festhält, zumeist als eine Art Generalreinigung, der man sich ein- bis zweimal im Jahre unterzieht. Der Verfall dieser so begründeten Abendmahlssitte wird nicht aufzuhalten sein.

LeerDaneben aber kann durch eine regelmäßige Feier des Abendmahls nach neuer Ordnung, die den Vollsinn des Sakraments sichtbar macht, eine andere neue Abendmahlsgemeinde heranwachsen, für die das Sakrament zur Mitte ihres Lebens, zum wunderbaren Quell ihrer Gemeinschaft in Christus wird. Hier finden sich Gäste an dem Altar ein, denen mit der Zeit der regelmäßige, womöglich wöchentliche Empfang des Lebensbrotes und des gesegneten Kelches unentbehrlich wird. Eine solche Sakramentsgemeinde wird dann auch zum innerlich tragenden Kern der größeren Gemeinde werden, der insbesondere das Altargebet im Gemeindegottesdienst mitträgt. Hier wird erfahren, daß wir als Glieder der Kirche „samt Christo in das himmlische Wesen gesetzt sind”. Die Erfahrung hat uns auch gelehrt, daß es oft genug gerade bis dahin „unkirchliche”, heimatlose und hungrige Menschen sind, die jetzt endlich finden, wonach sie lange vergeblich gesucht haben: Gemeinschaft des Gebets, den Quellort heilsamer Erneuerungskräfte. Sie entdecken mit dem Sakrament zugleich ganz neu das Geheimnis der Kirche.

Linie

Leer5. Erst eine durchgestaltete Ordnung der Sakramentsfeier ermöglicht eine wirklich hilfreiche und sinnvolle Einführung der Jugend in das sakramentale Leben der Kirche. Jetzt tritt an Stelle einer unanschaulichen und zumeist nur verwirrenden Lehre vom Sakrament, die erfahrungsgemäß oft genug ein wirklich unmittelbares, aufgeschlossenes Miterleben und Feiern des ersten Abendmahls verhindert hat, die Möglichkeit, im Konfirmationsunterricht die Feier selbst zu deuten und zur verständnisvollen Teilnahme an ihr anzuleiten. Es wird nun einfach nach dem gefragt, was da geschieht. Wie soll auch der nachwachsenden Jugend der Gemeinde die Feier des Sakraments als der wunderbare und geheimnisreiche Mittelpunkt alles kirchlichen Lebens glaubhaft werden, wie soll sie diese Feiern als Höhepunkt und göttlichen Freudenquell ihres eigenen Lebens liebgewinnen ohne eine Ordnung, die den jungen Menschen umfängt und ihn in einem ausdrucksvollen Geschehen die Welt der Gottesgemeinschaft schauen läßt, in die mehr und mehr hineinzuwachsen er sich gerufen wissen darf?

Leer6. Sehr wesentlich ist die rechte Vorbereitung, oder wie wir lieber sagen möchten, Bereitung. Wir glauben freilich nicht, daß diese Bereitung durch die herkömmliche Beichte (worüber ein anderes mal mehr zu sagen wäre) in der rechten Weise geschieht. Wir haben vielmehr mit Bewußtsein die Abendmahlsfeier immer an das Ende eines mehrtägigen, meist eine Woche umfassenden Zusammenseins gestellt und sie am Sonntag morgen als abschließenden Höhepunkt einer solchen Woche geistlicher Übung gehalten. Dann ist die ganze Woche gleichsam ein innerer Weg, der seine oft sehr deutlichen Stadien und Stufen, auch wohl Krisen hat, und dieser Weg ist allemal seinem innersten Sinn nach eine Hinführung zur Feier des Sakraments.

Leer7. Besonderen Anstoß hat immer wieder derjenige Teil unsrer Ordnung bereitet, den wir „Zurüstung” genannt haben, mit den Worten über Brot und Wein; diese Worte sind teils als eine rein „symbolistische” Abendmahlslehre, teils gar als höchst überflüssige „naturwissenschaftliche Belehrungen” mißverstanden warben. Man beachte vor allem, an welcher Stelle diese Worte gesprochen werden. Brot und Wein sollen nicht wie irgend ein beliebiger Gegenstand (und wie oft sehr unwürdig!) auf den Altar geschafft, sondern sie sollen ordentlich zum Altar getragen werden, und es soll dabei die Gemeinde daran erinnert werden, welche Wunder und geheimnisvollen Gottesgaben sie in Brot und Wein empfängt und wie sie eben darum dem Herrn als Gleichnis seiner selbst dienen können. Dieser Hinweis bedarf keiner anderen Deutung als der Herrenworte vom Brot des Lebens und vom rechten Weinstock selbst; darum haben wir uns entschlossen, die deutenden Worte, je die letzten 5 Zeilen vor dem Herrenwort auf Seite 8 und 9 unsrer Ordnung, zu streichen.

Linie

Leer8. Es ist vielleicht der auffälligste Unterschied, daß wir die Einsetzungsworte aus ihrer Isolierung befreit haben und in Verbindung mit ihnen ein aus der alten Kirche stammendes Wort von der Verkündigung des Auferstandenen sprechen und eben nicht nur das altvertraute und ehrwürdige „Christe, Du Lamm Gottes” (das alte Agnus Dei) singen, sondern auch „Christ ist erstanden”. Gerade damit wird sehr deutlich, daß die Abendmahlsfeier nicht nur mit Karfreitag, sondern ebenso mit Ostern zusammen gehört. Wenn sich die Gemeinde zu diesem Lied erhebt und sein sehr demütiger und verhaltener Jubel aufklingt, dann haben wir immer wieder etwas von der zentralen Bedeutung der Osterbotschaft und zugleich von der ökumenischen Würde des Osterfestes verspürt.

Leer9. Das Lied zum Tischgebet „Herr Jesu Christe, mein getreuer Hirte” ist uns wegen seines etwas überschwänglichen Textes und wegen seiner (in der vorliegenden Fassung!) allzu heiteren Weise zweifelhaft geworden. Wir haben es in den letzten Jahren zumeist ausgelassen oder durch ein anderes ersetzt. Die Weise ist allerdings für Luthers Abendmahlslied mit seinem Schlußvers „Gott geb uns allen seiner Gnade Segen” schwer zu entbehren. Wir sind auf der Suche nach einem vollgiltigen Ersatz an dieser Stelle, ebenso statt des nicht voll befriedigenden Liedes „Liebe, die du mich zum Bilde deiner Gottheit hast gemacht”.

Leer10. Von großer Bedeutung ist uns endlich wieder das große Fürbittengebet geworden; und es ist kein Zufall, daß sich gerade hier die Gemeinde im Wechselgespräch beteiligt. Man kann das Abendmahl nicht in selbstischer Beschränkung auf die eigene trostbedürftige Seele feiern, sondern nur in der Weitschaft der Kirche, die die Alten und die Jungen, die Führenden und die Geführten, die Lebenden und die Toten mit ihrer Liebe und Fürbitte umspannt.

Leer11. Bei regelmäßigem Gebrauch der Ordnung wird sich das Bedürfnis herausstellen, sowohl mit dem Eingangsevangelium als auch mit der Schlußepistel zu wechseln, dem Gang des Kirchenjahres entsprechend. Zwanglos mit diesen wechselnden Lesungen verbinden sich anschließende Gebete, die überleiten zu der Bitte um das reine Herz bezw. zu den Schlußfürbitten. In Festzeiten wird auch das einleitende und abschließende Lied wechseln, das Wort der Einladung erfährt eine festliche Erweiterung.

Leer12. Bei der Feier im kleinen Kreise ist zu beachten, daß sowohl das Lied „Liebe die du mich zum Bilde...” wie das Tischlied nicht zu den regelmäßigen Stücken gehören. Wir haben die Feier auch schon ganz ohne Gesang gehalten, wobei die Wechselstücke sämtlich gesprochen wurden. Die Feier verliert dadurch nichts an ihrer inneren Geschlossenheit und tragenden Kraft. Nur muß die Gemeinde daran gewöhnt sein, ebenso wie der Pfarrer, ganz ohne Pathos still und möglichst auf einem Ton zu sprechen. Ganz im Gegensatz zu der Empfindung, die bei dem auftauchen mag, der die Feier zum erstenmal miterlebt, stellt sich bei jahrelangem regelmäßigen Gebrauch die Empfindung ein, daß unsere Ordnung das Geheimnis des Altarsakraments in einem noch größeren Reichtum an Gebeten entfalten sollte. Wir werden solchen Erfahrungen bei einer Neuauflage der Ordnung wohl Rechnung tragen müssen. Dabei wird aber ein feststehender unveränderlicher Kanon von Verkündigungsworten, Gebeten und Gesängen das tragende Gerüst der Feier zu bilden haben.

Jahresbriefe des Berneuchener Kreises 1932/33, S. 75-79

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-01-26
Haftungsausschluss
TOP