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Das Abendmahl in der Großstadt
von Kurt Zeuschner

LeerDie kirchliche Krisis wurde zunächst in der Stadt akut und nötigte zu grundsätzlicher Auseinandersetzung; aber gerade hier zeigten sich auch manche Ansätze zu neuem Aufbau. In der Abendmahlsnot der Großstadt steht eine allgemeine Abendmahlsnot vor uns. Werden uns auch hier Wege gewiesen, die aus ihr herausführen? Die fast ganz evangelische Großstadt, in der dies geschrieben wird, hat einen jährlichen Abendmahlsbesuch von 10,1 % ihrer Kirchenglieder! Er würde noch geringer sein, wenn nicht der erste (und wie oft letzte!) Abendmahlsempfang der Neukonfirmierten, an dem ja auch in der Stadt die Tradition noch stark beteiligt ist, die Zahl erhöhte. An solcher Vernachlässigung des Sakraments ist der Individualismus und Intellektualismus der zu Ende gehenden Epoche gleichermaßen beteiligt.

LeerDie von dem Großstädter immer wieder gern vorgebrachten hygienischen und ästhetischen Bedenken gegen den Gemeinschaftskelch sollen gewiß nicht leicht genommen werden. Daß sie zu einer Erklärung der Entfremdung nichts Wesentliches beitragen, zeigt sich da, wo der Gruppen- oder gar der Einzelkelch eingeführt worden ist, ohne daß sich die Beteiligung gehoben hätte. Einmal ist dem Großstädter die Religion die Privatangelegenheit katexochén, und dann ist seinem überwachen Bewußtsein ein Symboldenken gänzlich fremd. Da kann man eine Änderung nur erwarten, wenn sich eine Wandlung des ganzen Lebensgefühls vollzieht. Ein Willensappell, der die christliche Lebensordnung betont, zu der ein geregelter Abendmahlsbesuch einfach gehöre, richtet jedenfalls kaum etwas aus.

LeerEine Belebung der lutherischen Tradition, die den Predigtgottesdienst jedesmal in der Sakramentsfeier gipfeln lassen möchte, vermag es nicht zu hindern, daß der größere Teil der Gemeinde nach der Predigt die Kirche verläßt und es den Verbleibenden fast unmöglich macht, sich noch in eine Gemeinde eingeordnet zu fühlen. Oft ist es nichts anderes als eine Privatkommunion, was da zustandekommt. Es scheint für den Großstädter und sein Lebenstempo eine Überforderung zu sein, wenn er an Predigt und Sakrament hintereinander teilnehmen soll - von der dazwischen eingeschobenen Beichte mit ihrer so schwer überzeugenden Kürze ganz abgesehen. Das Sakrament verträgt auch an sich nichts anderes neben sich; es möchte aus gesammelter Stille heraus gefeiert sein und braucht darum uneingeengte Zeit für sich. Wo man aber versucht hat, es besonders zu gestalten, etwa am Gründonnerstag oder aus festlichem Anlaß, vielleicht unter großer Beteiligung, da konnte auch eine hohe liturgische Kultur es nicht verdecken, daß es an wirklicher Gemeinschaft mangelte.

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LeerHier im Sakrament möchte die Gemeinsamkeit unserer Lage vor Gott und die Gemeinsamkeit unserer Ausrichtung auf den gegenwärtigen und kommenden Herrn ganz besonders erfahren werden, und es scheint, daß dazu mehr gehört als ein mehr oder weniger zufälliges Zusammengeführtsein in der gleichen Feier. Einige Voraussetzungen für solches Gemeinschaftserleben lassen sich aber wohl hier und da schaffen.

LeerDa, wo es in der Gemeinde Gruppen gibt, die nicht vereins- sondern lebensmäßig zusammengeschlossen sind, kann der Abendmahlsgang zu einem lebendigen Zeugnis werden; ebenso wo sich etwa durch eine kirchliche Aufbauwoche eine erlebnishafte Verbundenheit ergeben hat. Hier und da ist es die Ordnung, daß die Eltern der Neugeborenen, die Brautpaare und die Trauernden zur kirchlichen Abkündigung besonders eingeladen werden und dann zum Tisch des Herrn gehen; da ergeben sich dann aus der schicksalsmäßigen Grundlage Hilfen, die eine Sakramentsgemeinde auch in der Großstadt entstehen lassen können.

LeerWichtiger erscheint es aber, daß wieder Kreise da sind, die ihr Leben in eine bestimmte kirchliche Ordnung zu stellen bereit sind; zu ihr gehört dann der Abendmahlsgang in Selbstverständlichkeit. Einst feierte man es sonntäglich. Heut meint man seine Eindruckskraft durch die Seltenheit seines Empfangs zu erhöhen. Es könnten sich aber wohl - vielleicht aus Freizeiten hervorgehend - Kreise bilden, in denen man nicht nur das Gebetsleben, die Seelsorge und den Kirchgang einer Ordnung unterstellt, sondern sich auch den Sakramentsempfang, etwa monatlich einmal, zur Regel macht. Auf lange Sicht müssen die Tage feststehen; als Stunde ist für den Städter am besten die Morgenstunde des Sonntags geeignet, in der noch nicht das Vielerlei des Tages seine Sinne beansprucht hat. Man kann hier den Versuch machen, die landeskirchliche Form der Feier zu beleben, unter bestimmten Umständen wird es aber vielleicht weiter führen, wenn eine Ordnung wie die des „Deutschen Doms” benutzt wird, die sich der feiernde Kreis dann natürlich in der regelmäßigen Wiederholung äußerlich und innerlich aneignen muß.

LeerDroht hier eine Entwertung der sonst selten gesuchten Feier? Gemachte Erfahrung steht dem durchaus entgegen. Bedeutet es Absonderung von der großen Gemeinde? Diese Sorge tritt in der Großstadt zurück. Der Kreis kann sich offenhalten für jeden, der kommen will. Für den Pfarrer wird es zudem genug Möglichkeiten geben, solchen Zusammenschluß als einen Dienst an der Gesamtgemeinde zu betonen und auszuwerten. Wie es zu rechter Heiligung gehört, daß wir uns um der Gemeinde willen heiligen, so könnte der Abendmahlsgang den Charakter eines stellvertretenden Dienstes gewinnen, der die Gemeinde fürbittend bewahren soll, daß sie nicht der Welt verfalle. Ob aus solcher Abendmahlsgemeinschaft einmal eine Erneuerung der Gemeinde überhaupt hervorgehen wird, das steht bei Gott. Es möge nur geschehen, was geschehen kann, um den Segenskräften des Sakraments Raum zu schaffen in einer sakramentarmen Gegenwart.

Jahresbriefe des Berneuchener Kreises 1932/33, S. 79-81

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-01-26
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