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von Wilhelm Stählin |
Der Kampf um den Reichsbischof 10 Jahre Berneuchen Das neue Bekenntnis Gleichschaltung der Kirche? Die entscheidende Pflicht „Die Frage nach der Kirche ist unter uns neu erwacht.” Als wir im vergangenen Sommer diesen Satz an die Spitze unsrer Einladung zu den Freizeiten unsres Berneuchener Kreises setzten, haben wir uns wohl gefragt, ob wir damit nicht allzu kühn unser Wünschen und Hoffen an die Stelle der Wirklichkeit rückten. War es nicht doch nur ein kleines Häuflein, das mit Fug das von sich sagen konnte? Nun aber, in diesen letzten Monaten, ist das, was jener Satz behauptete, auf anderen Wegen und in ganz anderem Ausmaß Wirklichkeit geworden, als wir es damals ahnen konnten. In dem Aufbruch der Nation ist auch die Frage nach der Kirche, die Frage nach Auftrag und Gestalt unsrer evangelischen Kirche mit einer Dringlichkeit und Leidenschaftlichkeit erwacht, wie vielleicht nicht mehr seit den Tagen der Reformation. Auch Tageszeitungen, in denen sonst die kirchlichen Nachrichten ein höchst bescheidenes und verborgenes Winkeldasein hatten, sind erfüllt von den Fragen der Kirche. Die Kirche, allzu lang nur von der Liebe und Sorge kleiner Kreise getragen, kaum allen denen, die Christen sein wollten, eine ernsthafte Wirklichkeit, fängt an, wieder zu einer Sache des Volkes, zu einer öffentlichen Angelegenheit zu werden. Seit unser Berneuchener Kreis seinen Osterbrief hat ausgehen lassen, ist in mühseligen und aufregenden Verhandlungen um die Gestalt der deutschen evangelischen Kirche gerungen worden; es ist kein Tag vergangen, an dem nicht die sich überstürzenden Nachrichten unsre Herzen mit Hoffnung und Sorgen bis zur unerträglichen Spannung erfüllt hätten. Weil wir den Mitgliedern unsres Kreises ein Wort der Klärung und Weisung, auch der Rechenschaft über unser eigenes Handeln, schuldig zu sein glaubten, haben wir Anfang Mai außer der Reihe unsrer Jahresbriefe ein Mitteilungsblatt ausgehen lassen. Was wir damals über die Neugestaltung der Kirche, über unser Verhältnis zu den Deutschen Christen, über den Neubau der Verfassung und die bessere Auslese und Ausbildung der künftigen Pfarrer geschrieben haben, hat innerhalb und außerhalb unsrer Reihen viel dankbare und freudige Zustimmung gefunden. Wir werden, wenn es die Stunde fordert, auch künftighin unsren Freunden solche Mitteilungsblätter schicken. Heute aber darf das, was wir zur Lage der Kirche zu sagen haben, Raum in unsrem Johannisbrief selbst beanspruchen. Es ist oft beklagt worden, daß unsre Jahresbriefe zu wenig von dem heißen Atem des Kampfes um die Kirche durchglüht gewesen seien. Wenn wir diesen Johannisbrief wesentlich diesen drängenden Fragen widmen, so folgen wir damit ebenso dem berechtigten Verlangen unsrer Freunde, wie einem offenbaren sachlichen Bedürfnis. Wir standen eben deswegen durch viele Wochen in enger Verbindung mit einflußreichen Vertretern der Deutschen Christen und hatten uns der Reichsleitung der Deutschen Christen zur sachlichen Mitarbeit zur Verfügung gestellt. Mit innerster Anteilnahme verfolgten wir den durch Wochen im Verborgenen geführten Kampf um die Führung der Deutschen Christen. Als wir eben noch hoffen durften, der von dem Reichsleiter der Deutschen Christen, Pfarrer Hossenfelder, bevollmächtigte Verbindungsmann, Missionsinspektor D. Weichert, könnte aus den verschiedenen Gruppen des „jungen” Protestantismus einen sachlichen Arbeitskreis sammeln, zerschlug die Gauleitertagung der Deutschen Christen am 23. Mai alle Erwartungen und Möglichkeiten. Missionsinspektor D. Weichert, auf dessen Einfluß wir besondere Hoffnungen gesetzt hatten, wurde gänzlich ausgeschaltet, mußte aus der Reichsleitung austreten, und die Deutschen Christen legten sich auf einer Kampfeslinie fest, auf der auch entschiedene Nationalsozialisten und Mitglieder der Deutschen Christen ihnen nicht folgen konnten und wollten. Inzwischen war der jungreformatorische Aufruf erschienen. Ein Kreis von Männern, die die jungen Bewegungen innerhalb der evangelischen Kirche vertreten, riefen alle die zur Sammlung, die eine Erneuerung der Kirche aus ihrem Auftrag und Wesen heraus ersehnen. Mit Freude stellten wir uns in diese Front. In dem ersten Aufruf des jungreformatorischen Kreises standen zwar einige Sätze, die wir nicht für glücklich halten konnten; der Satz über die arischen Christen war nicht eindeutig, und niemand wußte recht, worauf sich die Warnung vor einer erstorbenen liberalistischen Theologie beziehen sollte. Aber wir waren und sind der Meinung, daß ein kirchenpolitischer Aufruf, der im Drang der Stunde entstanden ist, nach seinem innersten Wollen und nicht nach einzelnen Formulierungen zu werten ist. Inzwischen ist noch deutlicher geworden, daß der jungreformatorische Kreis genau mit demselben Anliegen kämpft, wie wir es von Anfang an vertreten haben: gegen die Erstarrung und Überalterung kirchlicher Bürokratie, gegen die Verwirrung der Kirche durch Hereintragen politischer Methoden und Machtanspräche, - für die unbedingte Freiheit der Kirche in ihrer Verkündigung und Lebensgestaltung. Über die Person des erwählten Reichsbischofs möchte ich unsren Freunden ein paar Sätze mitteilen aus einer Kundgebung der Dozenten der Theologischen Schule in Bethel, die D. von Bodelschwingh aus jahrelanger engster Arbeitsgemeinschaft kennen: „Daß die Vertreter der deutschen Landeskirchen nahezu einmütig Friedrich von Bodelschwingh gewählt haben, hat uns nicht gewundert. Wir ehren ihn nicht nur seit langem als unseren Bischof, sondern haben ihn auch immer von neuem um seiner seelsorgerlichen Güte willen lieben, um seiner weichen und in aller Zartheit entschiedenen Regierungsgewalt willen bewundern gelernt. Er hat hier das Vertrauen aller seiner Mitarbeiter, der Ärzte, Lehrer und Pfarrer, der Diakonen und Angestellten aller Art in einer Weise, wie wir es noch nirgends erlebten. - Es fällt uns allen leicht, uns hinter ihn zu stellen, weil wir keinen besseren Mann wüßten, den die deutschen Kirchen hätten wählen können.” Wir möchten glauben und hoffen, daß die erneute Beratung im Kreis des bisherigen deutschen evangelischen Kirchenbundes, die für Mitte Juni geplant ist, die Stellung des Reichsbischofs neu befestigen und ihm endlich auch gegenüber den bisherigen Kirchenregierungen die Bewegungsfreiheit geben wird, deren er bedarf. Wir möchten glauben und hoffen, daß die Bitte des Reichsbischofs um freiwillige Spenden für das Reformwerk der Kirche aus allen Kreisen, auch aus unsrem Berneuchener Kreis, ein so starkes Echo findet, daß die großen und vielgestaltigen Aufgaben des kirchlichen Neubaus auch in finanzieller Unabhängigkeit durchgeführt werden können. Wir möchten wünschen und hoffen, daß auch der schmerzliche und gefährliche Kampf, der heute noch von den Deutschen Christen gegen den erwählten Reichsbischof geführt wird, sein Ende findet, ehe ein verhängnisvoller Zwist in alle einzelnen Gemeinden hineingetragen wird. Wir sind dankbar dafür, zu wissen, daß auch in den Reihen der Nationalsozialisten und der Deutschen Christen eine täglich wachsende Zahl von Menschen sich dieser Einsicht erschließt. Wir versperren uns keineswegs gegen die Grundanliegen der Deutschen Christen; wir wenden uns aber gegen alle Versuche der Verpolitisierung der Kirche. Umsomehr ist es uns darum zu tun, mit denjenigen aus den Reihen der Deutschen Christen Fühlung zu bekommen und zu halten, die gründliche theologische Besinnung und volle innere und äußere Unabhängigkeit der Kirche von politischen Einflüssen wollen. In diesem Sinne stehen darum schon heute einige von unseren Freunden bei den Deutschen Christen. Es fehlt nicht an Anzeichen dafür, daß sich bei den Deutschen Christen z. Zt. eine tiefgreifende Umbesinnung vollzieht, die den ganzen Kurs, den die Reichsleitung seit der Himmelfahrtswoche steuert, aufs schärfste ablehnt. Sollte sich diese Besinnung durchsetzen, so wäre damit umsomehr eine neue Möglichkeit gegeben, in Arbeits- und Kampfgemeinschaft mit den Deutschen Christen zu kommen. Wir wünschen und hoffen, daß der Reichsbischof für die ungeheuren Aufgaben, die auf ihn warten, die freudige und kraftvolle Mitarbeit auch aller derer unter den Deutschen Christen sucht und findet, die eine erneuerte Kirche wollen. Wir Berneuchener sind da in einer merkwürdigen Lage. In den Tagen, in denen ich dies schreibe, sind eben 10 Jahre vergangen, seit wir zum erstenmal in Berneuchen zusammengetreten sind. Es ist nicht die Stunde, um Jubiläumsaufsätze zu schreiben. Aber wir dürfen doch daran erinnern, daß uns von allem Anfang an eine tiefe, schmerzliche Unzufriedenheit mit der evangelischen Kirche wie sie ist, verbunden mit einer leidenschaftlichen Liebe zu dieser Kirche, zusammengeführt und in unsrer Arbeit verpflichtet hat. Wir haben in diesem Jahrzehnt, wo und wie wir konnten, gerufen, gebeten, gemahnt, gewarnt, gefordert. Aber wir waren ein kleines Häuflein, und unsre Kritik war unbequem und unwillkommen. Wie brennend hätten wir gewünscht, daß das, was wir sagten, weil wir es sagen mußten, über den Kreis der paar hundert Menschen hinaus gehört worden wäre. Was ist der besondere Dienst, den wir Berneuchener leisten können? Als wir vor 10 Jahren zusammenkamen, kamen wir, fast alle, von der Jugendbewegung her. Das ist heute eine fast vergessene und verachtete Sache. Hochtönende Worte wollen uns glauben machen, daß in den alten Jugendbünden nichts als weltferne Diskussionen und unverbindliche Gefühle gepflegt worden seien. Vielleicht muß eine starke junge Bewegung zunächst alle ihre Vorläufer und Wegbereiter verachten, damit das „Neue” seinen vollen Glanz nicht verliere. Wir aber haben allen Grund, gerade heute zu sagen, was unsre Berneuchener Arbeit der Jugendbewegung verdankt. Wir haben es nie vergessen und wollten es nicht vergessen, daß wir damals in tiefer Schicksals- und Lebensgemeinschaft standen mit Menschen, die am Rande oder außerhalb der evangelischen Kirche lebten, für die jedenfalls die Kirche nichts bedeutete, und die die Sprache der Kirche nicht verstanden. Aus der Verpflichtung gegenüber diesen unsren Freunden im Wandervogel erwuchs unser Ringen um eine lebendige, gegenwartsnahe und wirklichkeitsmächtige Verkündigung. Der Ruf nach dem „lebendigen Wort” der Kirche legte sich auf unsre Lippen, wenn wir immer wieder peinvoll erlebten, wie unkräftig und unverständlich das Wort der Kirche geworden war. Wer einmal wirklich im ganz ernsthaften Gespräch mit Menschen außerhalb der kirchlichen Tradition gestanden ist, der kann sich niemals mehr dabei beruhigen, wenn die Kirche „furchtbar richtige” Dinge sagt, die niemand hört und niemand versteht. Zum anderen: Jugendbewegung war einer der Orte, wo das Volk neu entdeckt und erfahren worden ist. Vielleicht darf auch einmal eine persönliche Erinnerung ans Licht gezogen werden: Die enge Freundschaft zwischen Karl Bernhard Ritter und mir stammt von jenem unvergeßlichen Tag auf dem Lauenstein, August 1919, wo gegenüber der weltanschaulichen Problematik und der kommunistischen Verhetzung in der Freideutschen Jugend aus einem leidenschaftlichen Willen zu Volk und Staat der Jungdeutsche Bund geboren wurde. Vielleicht nehmen einige unsrer Freunde in diesen Tagen einmal wieder das Berneuchener Buch vor und lesen nach, was dort über die Heiligung des Volkes geschrieben steht, um zu empfinden, wie sehr das Erbe der Jugendbewegung uns heute mit dem besten Wollen der Deutschen Christen verbindet. Entscheidend aber ist das folgende: Soweit es sich bei den Deutschen Christen und in verwandten Kreisen um eine echte religiöse Bewegung handelt, ist hier ein starkes Gefühl dafür erwacht, wie wesentlich und bedeutsam für unser ganzes Leben, auch für unser Gottesverhältnis, die vitalen Schichten unsres Seins, unsre Leibhaftigkeit, unser „Blut”, Rasse und Volkstum sind. Es ist ein Rückschlag dagegen, daß die protestantische Frömmigkeit sehr weithin „den Boden unter den Füßen” verloren, nämlich die Verwurzelung auch des geistlichen Lebens in diesen bluthaften vitalen Schichten, außer Acht gelassen hatte. Uns war nun gerade im Zusammenhang der Jugendbewegung die Leibhaftigkeit unsres Daseins nicht nur ein theoretisches theologisches Problem geworden, sondern die selbstverständliche Grundlage und Form unsres gesamten Denkens und Seins. Von dort her wurde uns nicht nur das Wort der Kirche ein leibhaftes Geschehen, sondern es gewann für unsre eigene Arbeit eine entscheidende Wichtigkeit, daß wir leibhaft zusammen waren und unsre Arbeit nicht in dem leeren Raum der bloßen Gedanken, sondern in der persönlichen menschlichen Arbeits- und Lebensgemeinschaft und vor allem in der Gemeinsamkeit kultischen Erlebens taten. Hier tun sich nun Zusammenhänge von ungeheurer Tragweite auf. Daß Gott im Fleisch erschienen ist, daß Christus durch das Opfer seines Leibes die Erlösung der Welt gestiftet hat, daß die Kirche nicht eine Schule religiöser Meinungen, sondern der Leib Christi ist, daß die Kirche im Sakrament eben nicht nur sinnbildlich, sondern leibhaft an ihren Gliedern handelt, dies und vieles mehr leuchtet in einem neuen Licht auf. Nichts ist unsrer Berneuchener Arbeit theologisch so sehr zum Vorwurf gemacht worden wie unsre Rede von Gleichnis und Symbol; und doch war dies nie etwas anderes als ein Versuch, die leibhafte Wirklichkeit unsres natürlichen und geistlichen Lebens ganz ernst zu nehmen und sie doch zugleich in der rechten Weise auf die Neuschöpfung Gottes in Christus zu beziehen. Es ist eine erschütternde Tatsache, daß eine bloß gedankliche Religion, auch wenn sie die trefflichste Theologie hätte, dem Ansturm der vitalen Kräfte immer unterlegen ist. Die „natürlichen” Dinge und Kräfte sind dann einfach stärker als eine „christliche” Weltanschauung, die nur von geistigem, aber nicht von geistlichem Leben weiß. Hier liegt die größte und schwerste theologische Aufgabe, die unsrer Kirche in ihrer neuen Lage gestellt ist: ein wirkliches christliches Verständnis von Leib und Blut und Rasse und Volk zu gewinnen; es ist unsre ernste Überzeugung, daß nur eine Theologie, die von dem Geheimnis der Inkarnation und des Sakramentes herkommt, die um die „magische” Tiefe geistlicher Kräfte weiß und den Blick eröffnet auf ein sakramentales Verständnis der Natur, dieser Aufgabe gewachsen ist; nur von hier aus läßt sich ein wirkliches christliches Verständnis von Geschlecht und Ehe gewinnen, nur von hier aus die bluthafte Sphäre unsres menschlichen Seins wirklich durchdringen und heiligen, oder aber das christliche Denken fällt von sich selber ab zu den Göttern des Blutes und erwartet das Heil aus den vitalen Kräften, sei es des einzelnen, sei es des Volkes. All die großen Fragen, die bei der Neugestaltung der Kirche sich ergeben, hängen irgendwie damit zusammen. Ich greife nur einige wenige heraus. Alle Bekenntnisbildung der Kirche ist nicht aus einem theoretischen theologischen Interesse, sondern aus dem ganz praktischen Bedürfnis erwachsen, in ganz bestimmten Fragen zu entscheiden, was die Lehre der Kirche ist, und ganz bestimmte Irrtümer, die in die Kirche eindrangen, als Irrtümer abzuweisen. Darum enthält jedes Bekenntnis auch seine Verdammungsurteile. Das ist nicht, wie ein liberalistisches Denken gern behauptete, theologische Streitsucht, der es an Weitschaft und Liebe mangelt, sondern es ist der ganz notwendige Ausdruck echter Entscheidung. Es gibt kein Ja, wo es kein Nein geben soll; es gibt keinen Glauben an eine Wahrheit, wo man nicht den Mut und den Willen hat, einen Irrtum zu bestreiten. Nun aber stehen alle Bekenntnisse des 16. Jahrhunderts in der Front gegen ganz bestimmte Irrtümer und Fehlentwicklungen, von denen damals die Kirche bedroht oder verderbt war. Die ganze Lehre der Reformatoren ist ohne diese ihre polemische Aufgabe, ohne ihre Front gegen das Papsttum einerseits, gegen das Schwärmertum auf der anderen Seite, nicht zu begreifen; aber ihre Front ist in wesentlichen Punkten nicht unsre Front; ihre Fragen sind in wesentlichen Punkten nicht unsre Fragen; sondern wir sind in der gegenwärtigen Stunde der Kirche von Gefahren, Verfälschungen und „Irrlehren” bedroht, von denen das 16. Jahrhundert nichts wissen konnte. Darum bleibt es die Aufgabe, die große und schwere Aufgabe einer Bekenntnisweiterbildung, daß die Botschaft des Evangeliums abgegrenzt wird gegen die heutigen Irrlehren, einerlei ob diese Irrlehren von außerhalb oder von innerhalb der Kirche kommen. Wirklich gefährlich waren und sind immer nur die Irrtümer, die in der Kirche selber Macht und Einfluß gewonnen haben. „Gott will heute im Hintergrund bleiben. Nicht der beste Christ und erste Diakon paßt für diese rauhen Zeitgenossen, sondern der erste Held und todgetreue Führer. . . . Deshalb kann unsre Zeit Christus überhaupt nur als ethischen Helden oder religiösen Führer begreifen. Die einzig mögliche Form der Religion ist heute der Glaube an Führer. Keine größere Sünde ist heute möglich als der leiseste Zweifel daran. . . . Es ist falsch, auf der einen Seite nur das teure Erbe zu sehen, Ergebnis von Jahrtausenden, das man zu bewahren hat; und auf der anderen lediglich die rücksichtslose Energie der „Deutschen Christen”, ihr schwaches Bekennen, ihre Widersprüche und ihre Reden für den Tag. Was so wenig Gewähr für die Zukunft zu geben scheint, ist in Wahrheit das Zeichen ihrer Sendung: ihre Unzulänglichkeit im eigentlich Religiösen und ihre absolute Zuverlässigkeit im Führen und Gehorchen. Wer an dem großen Fortgang der Revolution in dieser Richtung zweifelt, ist von dem neuen Geiste noch nicht so ergriffen, wie er meint. . . . Die verantwortlichen Staatsmänner aber sollen auch in kirchlichen Fragen so sicher und entschieden handeln wie im politischen. Die Entscheidung liegt heute bei ihnen.”An diesen Sätzen kann man klar machen, was Irrlehre ist. Dazu hat ein weiterer Aufsatz in der „Täglichen Rundschau” (vom 11. Juni) von Erwin Gehrts in großer Klarheit das Richtige und Notwendige gesagt; sein Wort, als das Wort eines Laien, kann heute manchen „Theologen” beschämen. „. . . Die Kräfte des Volkstums sind durchgebrochen; es geht um arteigene Schöpfung in den Ordnungen des Staates, der Wirtschaft und der Kultur; aber niemand vermag zu sagen, ob die Erschütterungen bis in die Urtiefen hinabreichen und zu einer religiösen Erneuerung führen; man soll sich nicht durch billige Schlagworte täuschen lassen; eine Kirche ist nicht wie eine Gewerkschaft gleichzuschalten, noch ist ein Bekenntnis oder eine Lehre wie eine Ortskrankenkasse zu sanieren. . . . Der Christ muß wissen, daß die Erneuerung im konkreten Raume der Politik und Wirtschaft aus den Kräften des Volkstums entspringt, die nicht eins sind mit den Kräften des Glaubens; der Christ als Gläubiger darf sich nicht blenden lassen von der ungeheuren Dynamik einer weltlichen Revolution und ihren weltlichen Erfolgen für Volk und Nation . . .Mit der selbstverständlichen Forderung, daß die Kirche in äußerer Unabhängigkeit von staatlichen Gewalten ihr Haus zu bauen und ihren Dienst zu tun hat, ist es nicht getan. Wir erleben heute mit Beschämung, daß Diener und Führer der Kirche so reden, als gäbe es keine Sünde und keine dämonischen Mächte in den Kräften des Blutes und des Volkstums. Militärmusik, nach der man wirklich marschieren kann, ist etwas Prachtvolles; sie fährt uns durchs Geblüt; sie rauscht in unsren Adern und strafft unsre Muskeln. Aber die Kirche hat wirklich etwas anderes zu tun, als daß sie gleichsam eine Weise, die für Militärmusik geschaffen ist, auf Orgel transponiert. Das Evangelium ist immer zugleich der Angriff Gottes auf die Welt, auch auf eine erneuerte Welt und ein erneuertes Volk; das Wort von Jesus Christus, und das heißt das Wort vom Kreuz und der Auferstehung ist dem selbstherrlichen Volk gegenüber in keiner anderen Lage als dem selbstherrlichen Individuum gegenüber. Unser Kampf gegen die die Kirche mit Vergewaltigung bedrohenden Mächte kann nicht auf der gleichen Ebene und mit den gleichen Waffen kirchenpolitischen Kampfes geführt werden. Kirchenpolitik muß sein, auch kirchenpolitischer Kampf. Aber wir alle werden jetzt einfach geprüft und gewogen, ob wir wirklich glauben an die geistlichen Mächte, an den Sieg Christi über die Mächte der Welt, von dem wir an Ostern gesungen haben. Darum bitten und mahnen wir ernster und dringender als je: Seid treu in täglichem Studium der Heiligen Schrift; nehmt teil an dem Gottesdienst und dem Gebet der Kirche; seid bereit zu jedem Dienst in Eurer Gemeinde; werdet nicht müde, Euren Glauben und Eure Liebe einzusetzen im Kampf gegen alles bloß menschliche, ungeistliche und unchristliche Wesen. Auch ihr,Jahresbriefe des Berneuchener Kreises 1932/33, S. 101-112 |
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