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von Kurt Reuber |
Wir dürfen dich nicht eigenmächtig malen,Die Dämmernde, aus der der Morgen stieg, ist die Madonna mit ihrem Lichtkind unter deren Gestalt Rainer Maria Rilke eine symbolische Erscheinung der ewigen Wirklichkeit schaut. Er steht vor ihr wie der Madonnenmaler, ihr Geheimnis zu begreifen, indem er sich von ihr ein Bildnis und Gleichnis schafft. Da widerfährt ihm die tragische Verhüllung. Das Bildnis, das er malt, wird zur Trennung von der Wirklichkeit selbst, die sich dem hingegebenen Auge eben noch offenbaren wollte. Uns bedroht ständig das gleiche Verhängnis. Durch die Art, wie wir uns der ewigen Wirklichkeit bemächtigen wollen, rauben wir ihrem Geheimnis seine Macht über unsere Seelen. Wie werden wir aber des Geheimnisses recht inne? Wenn wir die Worte recht verstehen, durch Welt- und Lebens-Anschauung, wobei die Welt und das Leben als Gesamtheit in Ganzheit und Einheit, in der Fülle aller Erscheinungen, aller Tatsachen, in der Ruhe und Bewegtheit aller Wirklichkeit - und Anschauung als die uneingeschränkte, vorbehaltlose Hingabe des Menschen mit all seinem Vermögen an die Wirklichkeit gemeint ist. Diese „Anschauung” ist strenger, unbestechlicher Wirklichkeitssinn, der sich von den Tatsachen so ergreifen läßt, daß der ergriffene Mensch eher an ihrer Strenge zerbricht, als daß er sich ihnen verschlösse. Er ist in strengem Gehorsam an die Erde gebunden, dem Diesseits ergeben. Bereit, alle Folgerungen zu ziehen und alle Ergebnisse auf sich zu nehmen, ist er nüchtern und illusionslos. Diese Anschauung hat zunächst streng rationalen Charakter, wie er dem modernen Menschen schicksalhaft mitgegeben ist. Er bejaht dies Schicksal ganz. Er weiß, daß der Weg in die Dinge hinein nicht um das strenge Denken herumführt. Gehorsam seinem Weg sucht er die Fragen nach Sinn der Welt und des Lebens zu Ende zu denken, entschlossen, sich, in die Tatsachen zu ergeben, daß in der rationalen Sicht die Welt unerklärlich geheimnisvoll ist. Dabei geht das elementare Denken mit allen strengen Wissenschaften an alle Erscheinungen heran und liefert eine immer genauere Tatsachenbeschreibung - aber keine Welterklärung. Auf diesem Wege wird auch Naturbetrachtung zu Naturschwärmerei. Denn die Natur wird in ihrem Tiefengehalt nur erfaßt, wenn man all den Fragen, die sie unserem Denken aufdrängt, nicht ausweicht, sondern sie mit offenem Herzen bewegt und um die sachliche Antwort ringt. Diese Begegnung mit der Natur in all ihrer Rätselhaftigkeit bewahrt das Erfühlen der Natur vor Naturschwärmerei. Sie führt nicht um die Natur herum, „hinter” die Natur, in eine „Übernatur”, sondern in sie hinein. Das Denken, das in sachlich hingegebener Anschauung der Natur tätig ist, wird aber von selbst zum Erleben. Dieses Suchen durch „An-Schauung” der Welt sucht nicht von vornherein nach „höheren” Welten und übersinnlicher Wirklichkeit, nach „Metaphysik”, sondern nimmt erst am Ende mit, was dabei an Metaphysik herauskommt. Erst dieses Denken ist reif geworden zu erleben und kann zu dem Erleben vordringen, wie das Rationale, wenn es sich zu Ende denkt, mit Notwendigkeit in das Überrationale, in das Geheimnis übergeht. Stößt das rationale Denken bis zu seinem Ende vor, so gelangt es zu einem denknotwendigen Überrationalen. Wollen wir die ewige Wirklichkeit wirklich mit offenen Herzen schauen, so müssen wir uns ohne Vorbehalt in die vor uns liegenden Erscheinungen der Wirklichkeit hineinbegeben. Denn wirklich ist nur das Sein, das in Erscheinungen erscheint, in Erscheinungen sich auswirkt und bezeugt. Alles Suchen nach der letzten Wirklichkeit, alle „Mystik”, muß Mystik der Wirklichkeit sein, die sich denkend in lebendiger Natur und Geschichte erlebt. Nie tritt uns das Geheimnis der ewigen Wirklichkeit offen unvermittelt entgegen, sondern es ist nur da im unendlichen Sein unendlicher Erscheinungen und Geschehen! In Beziehung zu jenem „Letzten” treten wir nur durch Hingabe unseres ganzen Seins an die Erscheinungen, von denen nur ein kleiner Teil in unseren jeweiligen Bereich kommt. Dies Verhalten kennzeichnet Goethe in den Worten: „Im Endlichen bis nach allen Seiten des Erforschlichen zu gehen, das Erforschliche bis zu den Urphänomenen zu begreifen, das Unerforschliche aber bescheiden zu verehren.” So sind durch eine unheilvolle, mannigfach verursachte Gewöhnung Unzählige dahingebracht, kein unmittelbares Verhältnis zur Schöpfung mehr zu haben. Wenn in irgendeiner Weise von „Schöpfung” die Rede ist, so steht sofort zwischen ihnen und der Wirklichkeit eine „Mauer” von „religiösen” Begriffen, von „fromm” Erdachtem, von irgendwelchen dogmatischen „Erklärungen” des ersten Artikels, die vielleicht zu ihrer Zeit einmal den Zugang zum Geheimnis der ewigen Wirklichkeit eröffnet haben, aber heute dazu nicht mehr die Kraft besitzen. Wir müssen wieder zum Ursprung selbst zurück, nicht zu den Bildern und Gleichnissen, die frühere Geschlechter sich gemacht haben. In hingegebener Haltung durch streng rationales Erkennen und intuitives Einfühlen „das Erforschliche bis zu den Urphänomenen begreifen”, das ist wieder der von uns geforderte Weg, der vor uns liegt. Auf diesem Weg zum unaufhebbaren Geheimnis des Samens, bis zum Geheimnis im Urnebel der Weltwerdung in ihrem rätselvollen Woher und Wohin, und immer weiter und tiefer und auf allen Seiten vordringen, - so lautet die Forderung! Nur so werden wir, wenn unser Herz und Sinn völlig aufgeschlossen ist, von selbst dem großen überwältigenden Geheimnis bluthaft i n der Wirklichkeit begegnen, das am Ende des rationalen Weges dasteht als die große Verborgenheit und Offenbarung zugleich, die in ihrer Rätselhaftigkeit das Geheimnis wahrt, die wir in ihrer ganzen Unbegreiflicheit auszuhalten, als das „Unerforschliche bescheiden zu verehren” haben. Alle erklärenden, „frommen” Theorien und Formeln entmächtigen das Geheimnis; denn das erklärte Geheimnis ist kein echtes Geheimnis mehr. Wo immer wir uns der ewigen Wirklichkeit zu nahen unterfangen, wartet die Gefahr dieser Magie auf uns. So betreibt diese Gefahr auch manche Verkündigung des Weihnachtsgeschehens, die das echte Geheimnis der Weihnacht durch eine blutleere, abstrakte Christologie oder durch eine phantastische Märchenwelt ersetzt und dadurch entmächtigt. Es wird hier der nüchterne Weg der Herzunahung verlassen, der uns zunächst erst einmal dahin führt, im denkenden Erleben dem nachzusinnen, was überhaupt Menschwerdung bedeutet, welches unbegreifliche Geheimnis in der Geburt eines jeden Menschen beschlossen liegt, und weiterhin dem nachzugehen, welches geschichtliche Schicksal hier seine Erfüllung erfährt.... Und daß sich hier in einer geschichtlichen Stunde, die ganz nüchtern eingeordnet ist in das Stundenbuch der Menschheit, in der Geburt eines Kindes Jesus, ein ungeheures Schicksal der Menschheit erfüllt, das ihr nicht zur Verfügung steht, das bis zur Gegenwart als geschichtliches Schicksal sie nicht losläßt, sondern seinen Sinn, ob sie es will oder nicht, an ihr erfüllt, dieses geheimnisvolle Schicksal, das da in dem wirklichen Menschenkind beschlossen liegt, das ist nüchterne, aber ganz unmittelbare Herzunahung zu dem Geheimnis in der Geburt dieses Jesus. Und daß man „durchschaut”, daß die Legenden um die Geburt des Kindes nach übergreifenden religionsgeschichtlichen Gesetzen das Ergriffensein von jenem Geheimnis des Jesusschicksals unter den Menschen wiederspiegeln - das macht die Weihnacht zu einem denkenden Erleben.... „Wir dürfen dich nicht eigenmächtig malen” - dich Geheimnis. Nur in den Dingen selbst hat es seine überwältigende Mächtigkeit ... „Du sollst dir kein Bildnis noch irgendein Gleichnis machen...” ist sein strenges Gesetz, indem es selbst in aller Wirklichkeit, in deren Farben und Strichen es verschwiegen ist, aufgesucht werden will, - und allen „Magiern” nötigt es das Eingeständnis ab: Wir bauen Bilder vor dir auf wie Wände;Jahresbriefe des Berneuchener Kreises 1934, S. 19-24 |
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