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Das Wort
von Otto Heinz von der Gablentz

Leer„Am Anfang war das Wort.” Das Wort, das sich vom Munde löst, hat Richtung. Zugespitzt ist es, und es trifft. Wo es trifft, dringt es ein. Es teilt den Nebel der Möglichkeiten; Wirklichkeit wird durch das Wort. Der geheime Sinn, der in den Dingen schlummerte wie der Keim im Mutterschoß, er wird offenbar. Wie der Same, spitz und unablässig suchend, wo er eindringen kann so ist das Wort. Zum Gestalten gestaltet, zum Sinngeben ersonnen, löst es sich vom Munde. Eindringlich ist es. Ehe Sinn verwirklicht wird ist das Wort, ohne das nichts wäre, das da ist.

LeerDas alles gilt vom menschlichen Wort, wie wir es täglich aussprechen. Freilich gilt es nicht von jedem Laut, der aus unserem Munde geht. Viel unnützes Geschwätz ist dabei, Worte, die nicht gemacht werden, damit etwas werde, sondern die nur Nachhall anderer Worte sin , die nur gesprochen werden, weil andere, wesentliche, wirkende Worte gesprochen worden sind. Die sind nicht gemeint. Aber das Wort, das den Sinn tragt, daß die Wirklichkeit von diesem Sinn trächtig werden kann. Das Wort des Priesters, das die Wirklichkeit wandelt im Sakrament. Das Wort das den Sinn hineinträgt in die wirkliche Natur des Beters, in die Natur des Menschen für den er betet, in die Natur des Dinges, um das er bittet. Das Wort des Sängers, das dunkles und dumpfes Geschehen deutet, daß Sinn erfahren wird und daraus Kraft wächst die zur: Tat schreitet Dae. Wort des Führers und des Verführers im Volke, von dem die Masse getroffen wird wie der Schoß der Frau vom Samen, aus dem nun die Frucht wird und schwillt und ans Licht treten muß zu ihrer Zeit.

LeerWir verstehen heute wieder, was im Wort steckt, was Wort ist. Und nachdem wir uns Kraft und Wirkung des Menschenwortes vergegenwärtigt haben, verstehen wir neu, was es heißt, wenn am Anfang der Heiligen Schrift die Worte stehen: „und Gott sprach”. „Gott sprach: Es werde Licht, und es ward Licht”. Kein Mund, der spricht, keine Luft, die einen Ton aufnimmt , kein Ohr das hört. Aber eine Wirklichkeit, in der sich etwas löst, ein Geist, in dem ein Sinn sich ablöst, offenbar wird, zur Kraft wird, einer Kraft, die uin der Tat zu „etwas” wird. Indem das Wort sich löst - als erstes sich löst aus dem Anfang, in dem es bei Gott war - wird gespalten; die Finsternis wird geschieden vom Licht. Und wieder lösen sich die Worte und fallen in den Spalt, und jetzt ist etwas da, das sie aufnimmt, sie können gestalten. „Er sprach: Es werde - und es geschah also”. Wenn wir uns in diese Vorstellung versenken, dann erschüttert uns dieser abgegriffene Ausdruck „Gott sprach” durch und durch. Wir spüren das Eindringen des schöpferischen Wortes, des Sinnes, den es trägt, der Kraft, die es enthält, der Tat, die es wirkt. Und wir spüren die Gewalt, die im Worte liegt, das wir selber sprechen, wenn wir es recht und in ehrfürchtigem Wissen um diese Gewalt aussprechen, aber auch dann, wenn wir es in der unbewußten Sicherheit des Rausches gebrauchen. Und wir spüren die Gewalt, die vom Worte ausgeht, das mit solcher Vollmacht des Geistes zu uns gesprochen wird - Gewalt zum Leben und Gewalt zum Tode.

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LeerUnd da die Zeit erfüllet ward, da die Schöpfung reif war - die Erde reif war und die Menschheit reif war - da „ward das Wort Fleisch”. Dieses Wort, von dem jetzt eben gesprochen wurde, dieser geheime Sinn vor dem Sinn, diese Kraft zur Kraft, diese Tat, aus der Taten entstehen. Wenn wir bedacht haben, was eigentlich Wort ist, schon das menschliche Wort, das die Dinge nur ausrichtet auf dem Umweg über den Sinn, erst recht Gottes Schöpferwort, das die Dinge selbst herrichtet, daß sie erst Dinge werden, - wenn wir das bedacht haben, dann wundern wir uns nicht mehr so, wie sich Faust gewundert hat, daß Gottes Sohn „das Wort” genannt wird.

LeerSchöpfung wurde aus dem Wort, das Gott sprach. Hier ist wieder Schöpfung, also muß wieder Gottes Wort wirksam werden. Aber es wird nicht gesprochen, sondern es wirkt unmittelbar; „das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns.” Es ist nicht eine zweite Schöpfung derselben Art, wie die erste war, sondern es ist eine neue Schöpfung. Als Gott das Schöpfungswort sprach, da fuhr ein Samen in die Welt, und die Welt brachte Frucht, und die Frucht warf neuen Samen aus. Und so fort Geschlecht auf Geschlecht der Dinge, Geschlecht auf Geschlecht der Menschen. Hier aber fährt der Samen selbst wieder aus, aber nicht in das Gestaltlose, sondern in das bereits Gestaltete, ja in die höchste der Gestalten, in der das Gestaltete verdichtet war „zum Bilde Gottes”. Wenn neue Schöpfung sein sollte, dann mußte sie hier sein. Das doppelte Geheimnis wird hier - nicht verständlich, aber deutlich: Daß es Gottes Wort ist, was Fleisch ward, und daß es die Jungfrau war, aus der es Fleisch ward. Wenn von der neuen Schöpfung geredet werden sollte, die in Jesus Christus anhebt, welch eine bessere Bezeichnung konnte für den Anfang der Geschichte gewählt werden, um auszudrücken, was geschah, wenn nicht die Bezeichnung für den Vorgang der Schöpfung, die Bezeichnung „Wort Gottes”. Wir müssen nur wieder bedenken, was eigentlich Wort ist, dann zwingt es uns von diesem Geschehen so zu sprechen wie der Evangelist: „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort. Dasselbe war im Anfang bei Gott. Alle Dinge sind durch dasselbe gemacht, und ohne dasselbe ist nichts gemacht/ was gemacht ist. ...Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns.”

LeerUnd wie dieser Samen - das Wort Gottes - in den Schoß der Maria eindrang, so drang er nach dreiunddreißig Jahren in den Schoß der Erde ein - „gekreuzigt und begraben.” So drang er in die Tiefen des geistigen Raumes, ihn auszurichten und mit Sinn zu erfüllen - „niedergefahren zur Hölle.” So wird er wiederkommen, „zu richten die Lebendigen und die Toten”, wie das deutsche und lateinische Wort sagt, zu „scheiden”, wie das griechische denselben Sinn bezeichnet.

LeerSo wird er wiederkommen am Ende der Geschichte, am Ende aller Dinge. Aber so kommt er auch wieder am Ende jedes einzelnen Dinges, in dem gnädigen Gericht, das wir immer und immer erfahren, wenn wir einmal wieder am Ende sind. Wenn wir wirklich nicht weiter können, dann hören wir „das Wort.” Nicht Worte sind das, die unsern Worten gemäß wären, sondern eine Wirklichkeit ganz anderer Art, vor der wir zerschmelzen, daß sie in uns einfließen kann, daß von uns nichts übrig bleibt als die Schale,
Daß, den hinfort wir tragen
In Erdennächt' und Tagen
Du bist.
LeerNämlich Gottes Wort, das nun durch uns hindurch Fleisch ward, daß wir nicht um unser Wort zu sorgen haben, „wie oder was wir reden sollen; denn es soll uns zur Stunde gegeben werden, was wir reden sollen.”

LeerDann aber sind wir Gefäße für Gottes Wort, die zu verantworten haben, daß es verkündet wird. Das freilich scheint eine andere Ausfassung vom Dienst am Worte Gottes zu sein als die herkömmliche, die da meint, daß es nur darauf ankäme, die Bibel richtig zu lesen und zu deuten. Und doch ist der Unterschied garnicht so groß, denn es gibt keine andere richtige Deutung der Bibel, als daß eben so Gottes gegenwärtiges Wort verkündet wird und damit auch alle jene früheren Worte erhellt und in ihren Zusammenhang mit unseren Nöten und unseren Aufgaben gerückt werden. Dann sind wir die Herausgerufenen, die ecclesia, und außer ihr ist allerdings kein Heil, denn sie ist ja nichts anderes als das ständige Wirken und Wirksamwerden des Wortes Gottes. Nicht aber ist Gottes Wort gebunden an eine vorher fertige Kirche; nur wenn sie nicht vorher fertig ist, ist sie nämlich Kirche, nur wenn sie ihr Öl bereit hält und wartet, bis es soweit ist, die Lampen anzuzünden. Weder, wenn sie die Stunde verschläft, noch, wenn sie ungeduldig anzustecken beginnt mit titanisch geraubtem Licht.

LeerWirkt aber Gottes Wort, dann brauchen wir keine Sorge zu haben, daß wir „ausgeschaltet” werden und nicht richtig zum Wirken kommen könnten. Eine ganz andere Sorge aber haben wir uns zu machen: Wir kennen jetzt die zauberische Kraft des Wortes. Das Wort kann wirklich verwandeln. Wehe, wenn von uns ein Wort ausginge, das wandelte zum Tode! Denn wer beten kann, der hat auch Kraft zum Fluch. Wer Vollmacht hat zu führen, nur der kann wirklich verführen. Wer heilen kann, der kann auch kränken. Wer das Wort der Wandlung zu sprechen weiß über die ihm anvertraute Natur, der kann sie auch wandeln zum Verderben. Erst das Wissen um die Tiefe des Wortes macht uns klar, wie bitter nötig Zucht des Wortes ist. Und auch Zucht des Gedankens. Denn gerichtete Gedanken sind nichts als nach innen gesprochene Worte. Und zuchtlos schweifende Worte sind dem ausgesetzt, daß sie Kräfte ausrichten, die wir nicht in der Hand haben. Da „fällt dann der Teufel vom Himmel wie ein Blitz” in sie hinein. Und verdirbt das Gefäß, das gebildet war für das „Wort Gottes”, für die neue Schöpfung. Die neue Schöpfung aber ist die erlösende Wandlung der alten in der ganzen Fülle und Breite des Lebens. „Denn alle Kreatur Gottes ist gut, und nichts ist verwerflich, das mit Danksagung empfangen wird; denn es wird geheiligt durch das Wort Gottes und Gebet.”

Jahresbriefe des Berneuchener Kreises 1934, S. 42-45

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-11-09
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