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Die schwarze Madonna
von Carl Happich

LeerJesu menschlicher Körper wurde bereitet in der makellosen Jungfrau Maria, die so zur „Gottesmutter” wurde. Sie war der untadelige und fehllose Boden seiner Entstehung und die Hülle seiner Entwicklung bis zur Geburt. Das alte Geheimnis, das immer bestehen bleibt, ist dies: wie konnte Maria untadelig und fehllos fein?

LeerZu allen Zeiten haben fromme Geister gemeint, daß dieser Vorgang der Menschwerdung Jesu Christi in Maria auch ein Symbol sein müsse für die Christenleute. Meister Eckehart sagt in einer seiner Predigten, daß Christus täglich in uns neu geboren werden müsse. Wir also sollten auch ein Boden und eine Hülle sein für das Geheimnis, daß Christus in uns lebendig werden könne.

LeerWir wissen, daß wir aus eigener Kraft niemals untadelig und fehllos fein können; wir wissen nur, daß eine Kraft, die höher ist als wir, hilfreich sein muß, damit wir versuchen uns zu bereiten. Zahllose Darstellungen der Madonna lassen uns erkennen, wie unsere Vorfahren im Anschauen der Reinheit der Madonna lebten. Das Mittelalter ist voll von Zeugnissen, wie sehr unsere Vorfahren die Mutter Jesu verehrten. Wir kennen viele rührende und entzückende Marienbilder; wir kennen zahllose Skulpturen und Bilder, aus denen hervorgeht, mit welcher Innigkeit man versuchte, dem menschlich unlösbaren Problem gerecht zu werden, die irdische Mutter des Gottessohnes darzustellen. Wir alle sind noch voll Staunen über das Muttergottes-Bild, das Meister Matthias Grünewald schuf, und das erst vor wenigen Jahren uns seine Herrlichkeit in dem Dörfchen Stuppach enthüllte.

LeerAber sonderbar ergriffen, fremdartig berührt werden wir von den gar nicht seltenen Darstellungen einer schwarzen Madonna. Die meisten dieser Darstellungen sind Plastiken, aber auch einige Bildwerke gibt es, wie z. B. die bekannte „Mutter Gottes von Czenstochau”. Bildmäßig verständlich, aber doch sehr auffällig ist es uns, daß neben der Madonna das kleine Jesus-Kind auch immer schwarz dargestellt ist.

LeerWir kennen solche schwarzen Madonnen als Plastik in dem bayerischen Wallfahrtsort Alt-Oetting, in dem schweizerischen Benediktiner-Kloster Mariae Einsiedeln, in St. Maria in der Kupfergasse in Köln, in der Krypta des Domes zu Chartres bei Paris und an vielen anderen Orten.

LeerFragt man die Wächter des Heiligtums, warum die Mutter Gottes schwarz sei, so bekommt man fast immer die Antwort: die schwarze Farbe sei ein Zeichen des Alters und hervorgerufen durch die lange Jahre dauernde Einwirkung des Rauches der Weihkerzen. Es ist wohl verständlich, daß der Rauch in langen Jahren das Bildwerk verändern kann; auch wohl verständlich, daß eine solche Raucheinwirkung das Alter des Bildes bezeugt, und es dadurch besonders verehrungswürdig macht. Es ist auch bekannt, daß man hie und da dem alten Aussehen künstlich nachgeholfen hat, um die Neigung der Gläubigen zur Verehrung zu unterstützen. In Alt-Oetting wurde mir erzählt, die Madonna mit dem Kinde sei schwarz, weil vor langen Jahren einmal die Kapelle, in der sie sich befindet, abgebrannt sei und nur durch ein Wunder die Gottesmutter mit dem Kinde verschont blieb.

LeerAlle diese sehr äußerlichen Erklärungen über die Schwarzfärbung befriedigen nicht; warum hätte man auch auf dem Bilde in Czenstochau Mutter und Kind von vornherein schwarz gemalt? Warum finde! man schwarze Madonnen im Freien, wie am Monte Verita bei Ascona? Sehr auffällig ist es, daß die Mutter Gottes in der Krypta von Chartres sich genau an der Stelle befindet, wo in vorchristlicher Zeit von den keltischen Druiden die „Virgo paritura” verehrt wurde, die Jungfrau, die in späteren Zeiten ein- mal den Erlöser gebären sollte. Diese „gälische Jungfrau” der Druiden, die Urmutterjungfrau, sollte den „König der Elemente” zur Welt bringen. An einer Seitenpforte von Notre Dame zu Paris erinnert eine Madonnenstatue mit ihrer Umrahmung an diese Vorstellung.

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LeerAlles bewegend war immer die Frage: wie konnte der Boden und die Hülle des sich entwickelnden Menschenwesens, das den Gottessohn in sich barg, untadelig und fehllos sein? Man hat u. a. geglaubt, die schwarze Farbe stamme aus der Zeit Augustins, als das Zentrum des Christentums sich in Nordafrika befand; aber dafür fehlen genügende Beweise.

LeerWir wissen aus der frühesten Geschichte der Chemie, daß unsere Vorväter die Erscheinungen bei dem Prozeß der Metallverwandlung als Symbol für die Verwandlungen, die Entwicklungen und die Neugeburt der menschlichen Seele benutzten. In dem Prozeß der Metallverwandlung erschien ihnen die entscheidende Phase, die Bedingung, ohne welche es gar keine Entwicklung gab, diejenige, bei der die chemische Mischung eine schwarze Farbe annahm. Schwarz war für sie die Farbe der entscheidenden Verwandlung.

LeerDarüber hinaus aber hatten sie noch eine andere Vorstellung: sie nannten den Zustand der Materie vor der heutigen Mischung der Elemente, in dem heute nach dem Sündenfall alle Welt vom Menschen bis zu den Elementen fehlerhaft, sündenvoll, verführerisch, farbig und bunt ist, „das Chaos”. Das Chaos war für diese alten Meister nicht ein Zustand der Unordnung, sondern der Zustand einer anderen Ordnung der Elemente als der heutigen, der Zustand der Elemente vor dem Sündenfall. Und weil die damalige Elementordnung nicht sündig, nicht verführerisch und daher auch nicht farbig und bunt war, gab man der damaligen Elementmischung des sündefreien Chaos die schwarze Farbe.

LeerMan gab die schwarze Farbe der Madonna, der Gottesbereiterin, um anzuzeigen, daß sie nicht teilhabe an der heutigen Elementmischung der sündigen und farbigen Welt.

LeerEs sind die Bilder der schwarzen Madonna für uns eine Mahnung, daß wir darum bitten sollen, es möge die sündige Elementmischung in uns sich ordnen, damit sie das Sündhafte und Verführerische der heutigen bunten Welt aus sich ausscheiden könne; damit wir bereitet werden, daß täglich, wie Meister Eckehart es wollte, Christus in uns neu lebendig werden könne.

LeerDas schwarze Gewand des Priesters ist nicht nur der farblose Verzicht auf diese Welt, die auch die herrliche Schöpfung Gottes ist; sie bringt ja auch die weißgoldene Lilie hervor, die zu allen Zeiten das Symbol für die Reinheit der Jungfrau Maria war. Das schwarze Gewand des Priesters soll auch ein Symbol für die Verwandlung seines Inneren sein, so wie in der alten Chemie durch die Säure das Gold vom unedlen Metall geschieden wurde und dabei den Prozeß der Schwärzung durchmachen mußte. Die schwarze Farbe endlich ist in diesem Zusammenhang das Zeichen der Sehnsucht, erlöst zu werden aus den Verstrickungen der Erscheinungen unserer heutigen Welt und ihren bunten Verführungen.

LeerAlles dieses dachten und fühlten unsere Vorväter, wenn sie die Madonna schwarz darstellten.

Jahresbriefe des Berneuchener Kreises 1934, S. 45-48

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-11-09
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