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von Karl Bernhard Ritter |
„Gott hat uns samt ihm auferweckt und samt ihm in das himmlische Wesen gesetzt in Christo Jesu”. Dieser Satz des Briefes an die Epheser spricht die Voraussetzung aus für alles, was in der christlichen Kirche mit dem Worte „Heiligung” gemeint ist. Ohne den Blick auf dieses Wunder Gottes, auf das Geheimnis der Gemeinschaft mit dem auferstandenen und erhöhten Christus kommt alle Besinnung über das Wesen der Heiligung nicht über moralische Erwägungen hinaus. Warum die Gemeinde der Heiligung bedarf, wo die Quelle aller Heiligung zu finden ist und welchem Ziel die Gemeinde in der Heiligung entgegengeht, das alles wird anschaulich durch die Erinnerung daran, daß die Gemeinde zur Feier der Anbetung und des Lobpreises ihres Herrn berufen ist, der „regiert von Ewigkeit zu Ewigkeit”, des Herrn, der zugleich mitten unser den Seinen ist und ihnen Anteil gewährt an seinem Leben. Die Liturgie des Hl. Johannes Chrysostomus, die für den Gottesdienst der christlichen Kirchen des Ostens grundlegend geworden ist, hat einen bezwingenden kultischen Ausdruck gefunden für die Heiligung der Gemeinde, wie sie durch die Gegenwarf des Auferstandenen bei den Seinen geschieht. Daß die Gemeinde durch Ostern und Himmelfahrt mit Christus „in das himmlische Wesen versetzt” ist, wird hier machtvoll bezeugt. Zwei Einzelzüge aus der überreichen Fülle dieser Liturgie seien angeführt. Wenn der Priester zu Beginn der Vormesse aus dem Altarraum zur Vorlesung des Evangeliums in das Schiff der Kirche eingezogen ist, betet er: „O Herr und Gebieter, der Du im Himmel Heere von Engeln und Erzengeln zum Dienste Deiner Herrlichkeit bestellt hast, laß mit unserem Einzug einen Einzug heiliger Engel stattfinden, die mit uns den Dienst verrichten und Deine Güte mit verherrlichen, denn Dir gebührt aller Ruhm, Ehre und Anbetung”. Und der Chor singt: „Kommt, lasset uns anbeten und niederfallen vor Christus; Sohn Gottes, der Du von den Toten auferstanden bist, der Du wunderbar in Deinen Heiligen zugegen bist, erlöse uns, die wir Dir das Halleluja singen”. Hier ist das Bewußtsein lebendig, daß dort, wo das Evangelium laut wird, Er selbst, der lebendige Herr, mit heiligen, erlösenden Kräften zugegen ist, und daß durch ihn die Gemeinde versetzt ist in die Welt, in der die himmlischen Mächte vor Gottes Gegenwart und Majestät anbeten. Und in wunderbarer Steigerung wiederholt sich zu Beginn der Gläubigenmesse, also der eigentlichen Feier des Altarsakraments, die Erinnerung daran, daß die Gemeinde, die hier auf Erden feiert, in Wahrheit im Himmel vor Gottes Angesicht sieht. Denn Christus selbst ist es, der die Gemeinde beten macht, der in ihrem Dienst am Altar sein ewiges Opfer gegenwärtig werden läßt, der sich in ihr hingibt und darbringt. Der Chor singt: „Die wir die Cherubim geheimnisvoll darstellen und der lebenspendenden Dreifaltigkeit den dreimal heiligen Hymnus singen, laßt uns alle irdischen Sorgen und Hemmnisse ablegen, da wir ja den in unserer Mitte aufnehmen sollen, der von den Engeln unsichtbar einhergetragen wird.” Und während dieses Gesanges betet der Priester: Um dies Gebet ganz zu verstehen, muß man sich vor Augen halten, daß der Priester im zweiten Teil ja nicht für seine individuelle. Person, sondern für die Kirche spricht. Sie ist es, die sich Gott nahen darf, weil Christus sich ihrer Schwachheit annimmt und in heiligendem Erbarmen mit ihr und für sie handelt. Stärker und anschaulicher als in dieser Gebetshandlung kann kaum ausgesprochen werden, was ihrem innersten Beruf und Wesen nach die Gemeinde Jesu Christi ist, und wodurch sie eine heilige Gemeinde ist. Wir ahnen, was es bedeutet, daß Christus, das Haupt, von oben her aus der Vollendung wirkend, das Leben und Werden, Leiden und Siegen seiner Gemeinde begleitet; daß er sie von dort her, als der ewige Sieger, trägt und bewahrt und überwinden läßt in ihrem Kampf! In dem hohenpriesterlichen Gebet, das uns im 17. Kapitel des Johannesevangeliums aufbewahrt ist, wird die heiligende Macht der Lebensgemeinschaft Jesu mit seinen Jüngern in unerschöpflich tiefen und beseligenden Worten ausgesprochen. Er spricht: „Ich heilige mich selbst für sie, auf daß auch sie geheiligt seien in der Wahrheit”, und weiter: „Ich bin nicht mehr in der Welt, sie aber sind in der Welt, und ich komme zu Dir. Heiliger Vater, erhalte sie in Deinem Namen, die Du mir gegeben hast, daß sie eines seien, gleich wie wir”. Da sehen wir hinein in die innerste Tiefe der Gemeinschaft Christi mit seinen Jüngern. „Die Du mir gegeben hast,” spricht Christus. Er empfindet seine Jünger als ein Geschenk, das er von seinem Vater empfangen hat. Sie sind ihm aber von dem Vater gegeben, damit er sein Leben in sie verpflanze. Das ist sein Christusauftrag. Gott hat Menschen geschaffen, die einmal bereit und fähig sein sollen, das Leben zu fassen und in sich zu bewahren, daß er ihnen in Christus sendet; das Wort aufzunehmen, das er mit Christus in die Welt hineinspricht. Was ist Heiligung? Der Altardienst, der Opferdienst der östlichen Kirche gibt uns die Antwort: „Reinige mich von dem bösen Gewissen und verleihe mir in der Kraft Deines heiligen Geistes, an Deinem heiligen Altare zu stehen und den Dienst zu verrichten”. Heiligung ist Hingabe des ganzen Lebens, Opfer des Leibes und Blutes, Wandlung des ganzen irdischen Daseins in der Kraft dessen, der „selbst dieses Opfer darbringt und der in diesem Opfer dargebracht wird”. Denn in ihm ist ein für allemal geschehen und geschieht gerade darum immer aufs neue die Reinigung, Erleuchtung, Wandlung, die Heiligung des Lebens. Damit ist alles Streben nach Vervollkommnung befreit von aller Selbstsucht. Hier dienen wir nicht mehr uns selbst, sondern Christo. Hier suchen wir nicht mehr unsere eigene Gerechtigkeit, sondern vertrauen uns Seiner Gerechtigkeit an. Hier begehren wir nicht mehr unsere Herrlichkeit, sondern freuen uns Seines Sieges. Hier sind wir bewahrt vor jeder Hybris, jeder Anmaßung. Hier wird Gott allein die Ehre gegeben. Und nur so und gerade so ist Heiligung des Lebens möglich. Jede Stufe, die wir vorwärts und aufwärts dringen, führt tiefer hinein in die Erfahrung der Gnade und Liebe Gottes, führt tiefer hinein in das Christuswunder Gottes und beruft uns, überwältigend und befreiend, durch das Evangelium, das der Apostel, eine „Kraft Gottes” nennt, die da „selig macht, alle die daran glauben”. Diese Welt ist nicht unser Wohnhaus, sondern unsere Arbeitsstätte und unser Kampfplatz. Unsere Heimat aber ist im Himmel. Von daher kommt unser Auftrag in die Welk. Von daher kommt uns der Sinn und die Freiheit und das Ziel des Lebens. - Weil uns Christus an diesen Ort gestellt hat, zwischen Erde und Himmel, zum priesterlichen Dienst an der Welk, und weil er uns an dieser Stätte des Kreuzes trägt und hält, darum ist das Leben des Christen ein Leben der Heiligung. Wer diese seine Berufung ergriffen hat, an dem erfüllt sich die Verheißung: „Solches rede ich in der Welt, auf daß sie in ihnen haben meine Freude vollkommen”. Wir freuen uns aus HerzensgrundJahresbriefe des Berneuchener Kreises 1934, S. 104-108 |
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