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„Christliche Ethik”

Von Philipp Theodor Culmann

LeerPhilipp Theodor Culmann, geboren am 13. November 1824 in Bergzabern, gestorben am 22. Oktober 1863 ebenda, studierte in Erlangen, wo vor allem Hofmann und der Baader-Schüler Schaden Einfluß auf ihn gewannen. 1851-1859 war er Pfarrer in Freckenfeld, 1859-1863 in Speyer. Er selbst bezeichnet als seine geistigen Väter J. Böhme, St. Martin, Baader, Schelling in seiner späteren Entwicklung und Schaden. Christliche Ethik ist für ihn „die Wissenschaft der christlichen Lebensregeln, durch deren Befolgung der Mensch von der Sünde erlöst und zum Bilde Gottes vollendet wird”. Es bleibt also nicht an dem Negativen (Befreiung von der Sünde) hängen, sondern steuert auf ein positives Ziel (Vollendung zum Ebenbild Gottes) zu. Neben das spekulative Element, dessen Auswirkung im Einzelnen uns gelegentlich etwas wunderlich erscheinen mag, tritt ein eigentümlicher Realismus, der die natürlichen Gegebenheiten wie die mancherlei seelischen Kräfte und geistigen Mächte ernst nimmt, in der Natur in weitgehendstem Maße das Gleichnis für Werden und Wachsen des gottesebenbildlichen Menschen sieht und um das Geheimnis weiß, das Stählin „Wandlung” nennt.
Immanuel Pfisterer


Leer„Mir scheint, als ob eine nahe innere Verwandtschaft zwischen Culmann und dem bestände, was in unserem Kreis Gestalt werden möchte; und es wäre mir nicht verwunderlich, wenn sowohl als Gegenschlag gegen jede Art leibloser Theologie als auch um der Fülle praktischer Weisheit willen Culmann noch erhöhte Beachtung und Bedeutung gewänne. Auch scheint mir, daß bei Culmann das mystische Moment, soweit es innerhalb des christlichen Lebens überhaupt rechtmäßig Raum beanspruchen darf, zur Geltung gebracht ist, ohne daß dadurch der personale Charakter der Beziehungen zwischen Gott und den Menschen beeinträchtigt würde. Gerade damit hätte Culmann zu heute wichtigen Fragen ein Wort zu sagen. Denn ein gut Teil der Gegensätze zwischen Deutschglaube und Christenglaube liegt auf dieser Ebene, dort mystische Versenkung, hier personale Beziehung.

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Leer„Die unausbleibliche Mangelhaftigkeit (des Gebets), um deren willen die meisten es schnell wieder aufgeben, und in die frühere Stagnation versinken,  b e k ä m p f e  e r  (der Mensch)  d a m i t , d a ß  e r  s e i n  B e t e n  w i e d e r h o l t  ... Er mache sich's zur Regel, zu bestimmten Zeiten sein Gebet vorzunehmen, wenigstens des Morgens und Abends, halte aber ja nicht dafür, daß die gemeinschaftlichen Familienandachten und das gottesdienstliche Gebet schon ausreichten. Das Gebet im Kämmerlein ist das wesentlichste und allerheiligste ... Ohne jenes hat dieses keinen Erfolg ... Es wird freilich nicht ausbleiben, daß das Gebet, in dieser Weise betrieben, für die ersten Zeiten wenigstens äußerlich und mechanisch erscheinen muß. Wir beten nicht, weil das Herz uns drängt, sondern weil der Glockenschlag uns mahnt und unser Wille es beschlossen hat. Wir werden uns mit Mund und Lippen Gott nahen, leider uns aber selbst sagen müssen, daß unser Herz fern von ihm bleibt. Dadurch lasse man sich der ja nicht beirren; denn wer nie mit seinen Lippen wenigstens Gott naht, der bleibt ihm mit seinem Herzen noch umso mehr fern. ...

LeerNur den, der da anhält, krönt der Erfolg. Will das Herz nicht erwarmen und aufwallen, bleibt es hart, nun so mache er seinen Willen noch härter. Er fasse sich, mit J. Böhme zu sprechen, ”einen also harten und festen Vorsatz„, das Gebet zu üben, daß er sich durch keinen Einwand abhalten läßt. Fest und eisern wie ein Naturgesetz, unaufhaltsam wie die Erde um die Sonne, vollziehe er seinen Gang und bewege sich in der Bahn regelmäßig wiederkehrender Gebetsordnung. H i e r h e r  g e h ö r t  a u c h  d a s  W i e d e r h o l e n  d e r  G e b e t s w o r t e , wie von Christo in Gethsemane erzählt wird, daß er dreimal nacheinander dieselbigen Worte betete ...

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LeerMinder wesentlich, aber doch erwähnenswert, ist hier die Beobachtung derselben Örtlichkeit beim Beten. Es ist eine empirische Tatsache, daß wir an den Örtern leichter beten, die durch öfteres Beten eine objektive Weihe erhalten haben. Der Grund ist leicht einzusehen. Unsere irdische Welt ist allem weltüberwindenden christlichen Tun überaus feindlich, was auch ganz natürlich ist; denn niemand läßt sich gern überwinden. Mit unserer geringen christlichen Lebenswärme stehen wir in ihr wie mitten in der Winterkälte. Wo daher christliche Betätigungen bereits stattfanden, da befällt uns dasselbe behagliche Gefühl, wie wenn wir im Winter in eine gewärmte Stube hereintreten. Wir fühlen uns, alsbald gestützt und getragen von der günstigeren Räumlichkeit und bewegen uns freier und leichter ... Man rede doch nicht gleich vom Gebet im Geist und in der Wahrheit, ehe man die ganze Pein und Qual seiner Geistlosigkeit und Gebetserstorbenheit gefühlt und durchgekämpft hat ....

LeerAußer der beharrlichen Wiederholung und des Anhaltens im Gebet ist dem, der mit den keineswegs schnell überwundenen Schwierigkeiten desselben zu kämpfen unternimmt, e i n  z w e i t e s  p r o b a t e s  M i t t e l  a n z u r a t e n . D e r  M e n s c h  k u l t i v i e r e  m i t  d e m  G e b e t  z u g l e i c h  d i e  a n d e r w e i t i g e n  c h r i s t l i c h e n  R e a l i t ä t e n , lese in Gottes Wort, besuche den Gottesdienst, nehme teil an dem heiligen Abendmahl, ordne sein Leben nach göttlicher Vorschrift und unterdrücke jedes widergöttliche Wollen und Gelüsten. Dadurch wird sich in ihm allmählich eine christliche Gemütsstimmung und Lebensrichtung einbürgern, auf deren breiter Basis sein Gebet um so kräftiger aufsteigt. Wer in einer Sache leibt und lebt, der kann auch mit Nachdruck aus ihr heraus reden. Das christliche Gebet wird umso kräftiger sein, je lebendiger unser Christentum überhaupt ist, je eifriger wir die christlichen Betätigungen pflegen. Es herrscht hier die völligste Wechselwirkung. Wie sie ihre Beflüglung durch das Gebet erhalten, so wirken sie auch wieder beflügelnd auf das Gebet zurück... Daher sagt der Herr: So ihr in mir bleibet und meine Worte in euch bleiben, werdet ihr bitten, was ihr wollt, und es wird euch widerfahren. Joh. 15, 7”

Anmerkung: Die christliche Ethik” von Ph. Theodor Culmann, † prot. Pfarrer zu Speyer.
Zweite Auflage Stuttgart 1874. (5. Aufl. 1927.) Druck und Verlag von J. F. Steinkopf.
S. 183-186 in Auswahl. Der Auszug ist dem § 50 „Die Schwierigkeit des Gebets und ihre Überwindung” entnommen.

Jahresbriefe des Berneuchener Kreises 1934, S. 114-116

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-09-24
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