|
von Rudolf Spieker |
Uns legte kürzlich ein Volkswirt, nicht etwa ein Theologe, dar, daß ein wirklicher Neuaufbau der Volkswirtschaft - nur vom Sakrament her möglich sei! Für den städtischen Menschen gewiß eine erstaunliche und zunächst unverständliche Behauptung. Wir werden schon nachdenklich, wenn uns derselbe Mann versichert, daß in Bauernversammlungen, in denen er über die Gestaltung der Landwirtschaft im neuen Reiche zu sprechen hatte, ganz gut verstanden worden sei, was er mit diesem Gedanken meine. Der Bauer weiß noch, daß sein Hof keine „Getreidefabrik” ist. Er weiß etwas vom Geheimnis des Wachstums auf seinem Äcker. Das Brot ist ihm keine Ware wie dem Stadtmenschen, der es beim Bäcker kauft, sondern eine Gabe des Schöpfers. Er weiß freilich auch, daß er diese Gabe nicht mühelos und unmittelbar aus der Hand des Schöpfers empfängt, sondern daß er sie im Schweiße seines Angesichtes der Erde abringen muß. Der Bauer weiß, daß Gottes Wachstumsordnungen in dieser irdischen Welt nicht ungebrochen vorhanden sind. Sie leuchten wohl hindurch durch den Gang des Erntejahres, in welchem nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht. Aber sie sind nicht unversehrt, denn das Brot wächst heran unter mancherlei Gefahr: Frost und Dürre, Nässe und Brand (Krankheit) gefährden das wachsende Korn und bedrohen den Bauern mit Mißwachs und Teuerung. Darum ist ihm das Brot, wenn es auf seinen Tisch kommt, ein Zeichen der unverdienten Güte Gottes, die uns auch in einer gefallenen Schöpfung segnet. Ja, auch noch davon hat sich mancher Bauer ein Wissen bewahrt, daß der Mensch nicht vom Brot allein lebt. Er weiß noch etwas von der Kraft des Gottesworts, das seinem Leben Maß und Richte gibt, und er vernimmt dieses Gotteswort auch im Brot, denn das Brot redet, seitdem es der Herr den Zwölfen brach, in eindringlicher Sprache von dem Opfer. Das Brot selber ist durch dreifachen Opfergang hindurchgegangen: als das Korn in die Erde gesäet ward und aus dem vergehenden Korn der junge Keim aufbrach; als die Ähren sanken unter dem Schnitt der Sichel; als die Körner zermahlen wurden zwischen den Mühlsteinen. Dies Brot nahm der Herr, dankte und brach es, gab es seinen Jüngern und sprach: „Das ist mein Leib”. Seitdem ist auch das tägliche Brot, das auf unseren Tisch kommt, für den Frommen nicht bloß irdische Speise, sondern es ist Christus darin, weil es mit Danksagung empfangen und geheiligt wird durch Gebet und Gotteswort. Darum macht manche Bauernfrau heute noch über dem Brotabschnitt mit dem Messer das Zeichen des Kreuzes; sie erinnert an das göttliche Wort, das im Brote verborgen liegt und verteilt das Brot mit ehrfürchtigen Händen unter die Ihren. Luther hat sich mit aller Deutlichkeit gegen die katholische Lehre von der Verwandlung der Brotsubstanz gewendet. Er nennt sie eine Irrlehre, welche durch den Heiden Aristoteles nach dem Jahre 1200 in der Kirche ihren Einzug gehalten hat. Mit dieser Lehre wollte man begreiflich machen, wie Christus mit seinem verklärten Leibe im irdischen Brote könne gegenwärtig sein. Darum nahm man seine Zuflucht zu einer spitzfindigen Lehre, daß das Brot in seinem Geschmack, Aussehen und Gestalt, den „Accidentien” (den Eigenschaften) zwar unvermindert fortbestehe, aber in seiner „Substanz” (seinem Gehalt, dem Wesen nach) hinübergeführt sei in die neue himmlische Wesenheit. Luther weist solche Spekulation als menschlichen Vorwitz ab und begnügt sich mit der Zusage der Einsetzungsworte, daß der Leib des verklärten Herrn wirklich, allein kraft des Wortes, dort gegenwärtig sei. Wenn das Eisen vom Feuer glutrot wird, so ist jeder Teil Feuer und Eisen zugleich. Warum sollte nicht der verklärte Leib Christi in jedem Teile des Brotes sein können? „Darum verhält es sich mit dem Sakrament genau wie mit Christo selbst. Denn damit die Gottheit leibhaftig in ihm wohne, ist nicht not, daß seine menschliche Natur verwandelt werde, sondern beide Naturen sind vollständig vorhanden, und so heißt es in Wahrheit: „Dieser Mensch ist Gott, dieser Gott ist Mensch.” Faßt das auch nicht die Philosophie, so faßt es doch der Glaube. Und das Gewicht des Wortes Gottes ist größer als die Fassungskraft unseres Geistes. Ebenso ist dazu, daß im Sakramente wahrer Leib und wahres Blut sei, nicht nötig, daß Brot und Wein verwandelt werden, sondern beides besteht zugleich und so heißt es in Wahrheit: „Dies Brot ist mein Leib, dieser Wein ist mein Blut” und umgekehrt. So will ich es einstweilen verstehen, zu Ehren den heiligen Worten Gottes.” (Von der babylonischen Gefangenschaft der Kirche, 1. Stück). Uns sind die Elemente, aus denen das irdische Leben sich aufbaut, wieder wichtig geworden: das Blut, die Scholle, das Volk. Wir geben uns keiner Täuschung hin, als ob wir in ihnen unzerstörte, „gesunde” Natur, nicht gefallene Schöpfung vor uns hätten. Auch diese Elemente haben teil an der großen Entartung, welcher alle irdischen Kräfte unterliegen. Auch sie warten auf die Neuschöpfung und Verwandlung durch Gottes Macht. Nun wird uns aber im Sakrament die Verheißung gegeben, daß die Kräfte der neuen Welt mächtig hereinwirken in diese unsere irdische Welt. Die irdischen Elemente, wenn sie geopfert werden, sollen zu Trägern werden für die Wirkungsmacht Christi, der alle Dinge sich kann untertan machen. Luther hat gewußt, um was er mit solcher Leidenschaft gegen Zwingli kämpfte. Er kämpft gegen Blutleere und Gedankenblässe, gegen Aufklärung und gegen alle bloße Geistigkeit, von welcher er die Kirche bedroht sah. Er kämpfte um die Gegenwart und Mächtigkeit des Wirkens Christi, um seine Leibhaftigkeit und Gestaltwerdung in der Kirche. Er kämpfte darum, daß auch diese irdische Welt, das Brot, der Acker, der Leib und das Volk Anteil haben an Gottes Verheißung, ja vielmehr an seinen neuschaffenden Kräften, an seiner Gegenwart. Darum hat Luthers Abendmahlslehre eine so hohe Bedeutung für die Gegenwart, weil in ihr ein Grundanliegen unserer Zeit, das Ernstnehmen der Schöpfung und ihrer Gaben, voll aufgenommen ist und doch diese Schöpfung nicht in einer falschen Verklärung gezeigt wird, sondern in ihrer Erlösungsbedürftigkeit durch Christus, ja in ihrer Erlösungsgewißheit. Christus wird verkündigt nicht bloß durch eine Lehre und mit Worten, sondern er wird geglaubt in seiner Gegenwart und Mächtigkeit, er wird nicht bloß gepredigt, sondern ausgeteilt, der Mensch wird gespeist und getränkt. Darum hat das Luthertum in unseren Tagen einen besonderen Auftrag an unser Volk, und es kann diese Sendung nur erfüllen bei einer klaren und charaktervollen Herausstellung seiner Eigenart (womit das Recht und die Bedeutung eines charaktervollen Reformiertentums, wie wir es aus niederrheinischen und ostfriesischen Gemeinden kennen, wahrlich nicht bestritten sein soll). Der wichtigste Beitrag, den das Luthertum für die Neugestaltung unseres Volkes zu leisten hat, ist die Betonung dieser Wahrheit, daß Christus wirksam ist bis in die Leiblichkeit, d. h. bis in die Leiblichkeit des Menschen und des Volkes, bis in die sichtbare Erscheinungsform der Kirche, ja bis in die Gestalt der Wirtschaft. Jahresbriefe des Berneuchener Kreises 1934, S. 122-125 |
© Joachim Januschek Letzte Änderung: 13-11-09 Haftungsausschluss |