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von Karl Bernhard Ritter |
Der Umbruch der Zeiten, die wir durchleben, zwingt die Kirche Jesu Christi zu umfassender Besinnung auf die ihr anvertraute Gabe. Dabei kommt ihr erschütternd zum Bewußtsein, wie sehr sie selbst in ihrer Verkündigung und Frömmigkeit dem Geist einer niedergehenden, von Gott gelösten Epoche verfallen ist. Diese Besinnung vollzieht sich nicht nur in dem evangelischen Teil der Christenheit, sondern ebenso in der katholischen Kirche. Hier ist Träger eines vertieften und erneuerten Selbstverständnisses der Kirche vornehmlich die liturgische Bewegung. Und da es heute so steht, daß nicht nur eine Konfession, sondern die christliche Wahrheit überhaupt dem grundsätzlichen Angriff säkularer Geistesströmungen ausgesetzt ist, die sich zum Teil selbst als Erneuerung des „Heidentums” verstehen zu dürfen glauben, so hat die Christenheit allen Anlaß, über die konfessionellen Fragestellungen hinaus einander bei dieser Rückbesinnung zu helfen und darauf zu achten, wo immer sich ein erneuertes, vertieftes Selbstverständnis der christlichen Kirche ausspricht. Der Benediktinerpater D. Dr. Odo Casel ist einer der Führer der liturgischen Bewegung im deutschen Katholizismus. Umfassende Gelehrsamkeit, ausgebreitete Kenntnis der Tradition, der Geschichte der Liturgie und der Theologie der alten Kirche - er ist der Herausgeber des einzigartigen Jahrbuches für Liturgiewissenschaft - verbindet sich bei ihm mit einer lebendigen, innigen Frömmigkeit, einem Denken und Leben ans den Quellen des Evangeliums, des Gebetes und Sakramentes der Kirche. Da er von den Quellen herkommt, vermag er auch ein Führer zu werden in das Geheimnis des Glaubens und Lebens der Kirche, ihrer Gemeinschaft mit Christus, dem auferstandenen Herrn, der durch den Hl. Geist der immerwährende Schöpfer und Erhalter seiner Gemeinde ist. Wer sich über den Geist der liturgischen Bewegung in der katholischen Kirche unterrichten, darüber hinaus aber ein klares und höchst anziehendes Bild des Christentums der ersten Jahrhunderts gewinnen will, des Christentums der „Väter”, die ja auch die Väter den lutherischen Kirche sind, der vertiefe sich in eine Schrift Odo Casels, die auch dem nicht theologisch gebildeten Leser ohne Schwierigkeiten zugänglich ist, da sie sich bewußt an die Glieder der christlichen Gemeinde wendet: „Das christliche Kultmysterium”.(1) Dem Menschen der letzten Jahrhunderte ist in seiner Selbstherrlichkeit das Mysterium des ewigen Gottes zur Last geworden. Er kennt nur das Menschenreich. Die Natur ist ihm nicht mehr „Transparent geistiger Wirklichkeiten”. Die Grenzen, die den Menschen einengen, scheinen ins Unwahrscheinliche hinausgeschoben. Die Geheimnisse des Seelenlebens werden mit dem Scheinwerferlicht des Verstandes durchleuchtet. Der Mansch scheint Herr der äußeren Welt und Herr seiner Innenwelt. Aber aus dieser scheinbaren Höhe wird erschütternd klar, daß sich der Mensch den einzig wahren Weg zur Freiheit und zum Leben, der auch den Sklaven der alten Welt offen stand, verbaut hat, den Weg zur „Freiheit Gottes”. Demgegenüber setzt nun in der Gegenwart von neuem die Erkenntnis ein, „daß der Mensch gerade dann in Gott groß wird, wenn er in sich zu nichte wird. Der geheimnisvolle Zusammenklang von Gott und Schöpfung wird wieder gefühlt.” Dreifach ist der Sinn des göttlichen Mysteriums. Mysterium ist zunächst Gott in sich, der Ferne, Heilige und Unnahbare, dem niemand nahen kann ohne zu sterben. Aber der Allheilige läßt sich zu seinem Geschöpfe herab und offenbart sich ihm, wiederum im „Mysterium”, d. h. in gnadenvoller Offenbarung an die von ihm erwählten Demütigen. Er bleibt dagegen vor der „Welt” verborgen. So ist Gott „transzendent und immanent zugleich”. Eine schattenhafte Ahnung dieses Mysteriums besaß schon die alte vorchristliche Welt. Sie wußte davon, daß alles Irdische „nur der Abglanz und die Wirkung einer überirdischen Welt sei”. Bei den Juden bestätigt Gott diese Ahnung und Sehnsucht durch seine Offenbarung. Gewiß schärft das Gesetz streng die Grenzen zwischen Gott und Menschen ein. Aber die Propheten sprechen in immer neuen Bildern von dem kommenden Gottesreich, wo Gott mitten unter seinem Volke zelten und sein Geist alles Fleisch durchdringen würde. Erfüllt wird alle Sehnsucht durch die „Ankunft Gottes im Fleisch”. Hier bekommt das Wort Mysterium einen neuen, vertieften Sinn. Christus ist das „persönliche Mysterium”. Seine Handlungen, seine Auferstehung und Erlösung sind Mysterien, weil die göttliche Herrlichkeit an dem Menschen Jesus offenbar wird in einer Form, die der Welt verborgen ist und nur dem Gläubigen offen liegt. Dies Mysterium Christi wird aber in der Ekklesia, der Kirche, in Verkündigung und heiligem Handeln von Geschlecht zu Geschlecht weitergegeben. Durch den Glauben und die Mysterien lebt Christus in der Kirche. So erhält das Wort Mysterium seinen dritten Sinn. Es ist das Fortleben des Christus unker uns durch diese Mysterien der Kirche, in denen seine Person, seine Heilstaten, sein Gnadenwille uns gegenwärtig werden. Es drängt sich bei diesen Darlegungen, die unmittelbar an die Gedankenwelk des neuen Testamentes und der Kirchenväter anschließen, unwillkürlich der Wunsch auf, darzutun, wie merkwürdig doch dieser Theologie eine neue vertiefte Erkenntnis des Menschenwesens entgegenkommt, die wieder davon weiß, daß jeder Mensch im Tiefsten nach seiner Wandlung verlangt, daß der Sinn seines Lebens in einem Werden, einem „Geborenwerden” zu suchen ist, daß die ganze Menschheit wartet auf den „Sohn”. Ich breche ab. Es ist beglückend, bei Odo Casel zu erleben, wie aus einer andersartigen Tradition neues Licht fällt auf uns vertraute Worte des neuen Testamentes, wie sich uns die Anschauung der Christuswahrheit unwillkürlich weitet. Und es scheint mir eine der großen tiefgehenden Hoffnungen unserer Zeit, daß sich durch eine Besinnung, wie sie sich uns in der liturgischen Bewegung zeigt, eine echte Begegnung von evangelischen und katholischen Christen in der Wahrheit vorbereitet. Anmerkung: 1: Verlag Fr. Pustet, Regensburg 1932. 173 Seiten. Jahresbriefe des Berneuchener Kreises 1934, S. 125-129 |
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