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Von Engeln und Dämonen
von Wilhelm Stählin

LeerDie „Engel” bereiten uns eine eigentümliche Schwierigkeit. Die Bibel setzt selbstverständlich voraus, daß es Engel gibt, und sie erzählt davon, wie Engel den Menschen erschienen sind. Ein Engel mit dem flammenden Schwert verwehrt den sündigen Menschen den Rückweg ins Paradies. Der Engel des Herrn erscheint dem Abraham; und ein Engel reinigt die Lippen des Propheten mit einer glühenden Kohle. Der Teufel versucht den Herrn in der Wüste aber da die Versuchung bestanden und der Teufel vertrieben war, waren die Engel bei dem Herrn. Ein Engel stärkt Jesus in der Stunde des schweren Kampfes, und an dem gesprengten Grab verkündigt ein Engel den Jüngern die Siegesbotschaft der Auferstehung. - Nicht minder aber reden die Gebete und Lieder der Kirche von Engeln und Teufeln. „Dein heiliger Engel sei mit mir, daß der böse Feind keine Macht an mir finde.” „Will Satan mich verschlingen, so laß die Englein singen: dies Kind soll unverletzet sein.”

LeerAber unzähligen Christen macht eben diese Rede von Teufeln und Engeln Not. Was ist das, wovon diese seltsamen Worte reden? Wir interessieren uns gar nicht dafür, woher diese Engelsvorstellung stammt. Eine historische Belehrung, daß sie aus Persien ins Alte Testament eingedrungen sei oder dergleichen, bedeutet keine Antwort auf unsre Fragen. Denn wir möchten wissen, ob es Engel  g i b t ; ob diese Vorstellung ein bloßes Produkt der Phantasie ist, oder ob ihr wirkliche Erfahrungen, die Erfahrung einer Wirklichkeit, zu Grunde liegt. Wenn es Engel im Grunde nur im Märchen gibt, so sinken auch viele und gerade die wichtigsten biblischen Geschichten in dieses Märchenreich hinab. Und wir können die innigsten Verse unsrer Abendlieder nur mit halbem Herzen und peinlicher Verlegenheit singen. Wenn sich aber in diesen Worten eine auch uns zugängliche und von uns erfahrbare Wirklichkeit verbirgt, dann öffnet sich uns ein ganz neues Verständnis für das, was die Bibel eigentlich erzählt, und für die Frömmigkeit unsrer Kirchenlieder.

LeerEine Wurzel unsrer Verlegenheit liegt zweifellos in der Art, wie die Kunst der neueren Zeit, vor allem des 19. Jahrhunderts, die Engel dargestellt hat. Diese schönen weiblichen Wesen mit wallenden weißen Gewändern, mit langen blonden Haaren und, großen weißen Flügeln haben sozusagen den Engel zu einer nicht recht ernstzunehmenden Theaterfigur gemacht. Dieser Versuch, etwas Jenseitiges und Geheimnisvolles in einer naturalistischen Menschengestalt darzustellen, ist für uns schlechterdings unerträglich und hat keinerlei Überzeugungskraft. Mit Staunen sehen wir und begreifen zugleich unmittelbar, warum die alten Meister, wenn sie Engel oder Dämonen darstellten, eben nicht solche naturalistischen Gestalten, sondern irgend welche ganz unmöglichen Fabelwesen, geflügelte Tiergestalten oder dergleichen, gezeichnet haben. Offenbar wollten sie damit zwar nicht etwa die Wirklichkeit dieser Engel an eine Märchenwelt verraten, wohl aber sie sehr deutlich von der ganzen Ebene unsrer natürlichen sinnlichen Erfahrung loslösen und abheben. Wir haben sehr erfreuliche und eindrucksvolle Anzeichen dafür, daß in der neuesten Kunst diese tiefe Weisheit der alten von neuem wirksam wird. Ich erinnere an manche Engelsdarstellungen bei Karl Thylmann.

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LeerWas ist es denn für eine Wirklichkeit, was für eine Erfahrung, der jene alten geheimnisvollen Darstellungen einen stammelnden Ausdruck geben? Man muß vielleicht von einer sehr schlichten und nüchternen Frage ausgehen. Was für Dinge und Kräfte sind es eigentlich, die auf uns wirken? Nach der landläufigen Meinung sind es einerseits die wahrnehmbaren und meßbaren Kräfte der äußeren Welt, die nach strengen Gesetzen auf unser Dasein wirken; auf der anderen Seite die seelischen Kräfte, das, was in uns selber lebendig ist und das in stärkstem Maß unser Leben trägt, regiert und bildet. Ist das alles? Oder gibt es einen Bereich wirklicher Kräfte, der mit diesen beiden Bereichen noch nicht erfaßt und beschrieben ist? Es gibt Wirklichkeiten, die sich weder als physische noch als psychische Wirklichkeiten beschreiben lassen und die doch im stärksten Maß hemmend und fördernd, klärend oder verwirrend in unser Leben hereinwirken. Man kann sich vielleicht an dem Beispiel der Musik einiges von dem deutlich machen, um was es sich handelt. In der Musik dringen Kräfte, gewaltige und unheimliche Kräfte durch die Pforte des Ohres in uns ein und gewinnen Macht über uns. Und zwar wirken diese Kräfte unabhängig davon, was wir an Erkenntnissen, Meinungen und Auffassungen bewußt in uns tragen. Es kommt gar nicht darauf an, ob wir diesen hintergründigen Sinn einer Musik verstehen, oder was wir uns dabei denken; sondern diese Gestalten tragen ihre eigene Dynamis in sich, und indem wir uns ihnen erschließen, geben wir Mächten Raum, die wir vielleicht keineswegs kennen oder durchschauen. Diese Erfahrung ist natürlich nicht auf die Musik beschränkt. Auf den verschiedensten Lebensgebieten drängen sich derlei Erfahrungen auf, Erfahrungen von Kräften und Gewalten, die heilsam oder zerstörerisch in unser Leben hereinwirken und die - das ist entscheidend - unabhängig davon sind, wie weit wir sie kennen oder durchschauen.

LeerMit dieser Erfahrung stehen wir an der Schwelle jenes geheimnisvollen Bereiches, in dem es Engel und Teufel gibt. Engel und Teufel. (Anm.) Denn die Welt dieser Kräfte ist in sich zwiespältig und wirkt ebenso verführerisch wie klärend und behütend in unser Erdenleben hinein. Es gibt dämonische Mächte, die die Erkenntnis zum Irrtum verfälschen, den guten Willen zwingen, das Gegenteil von dem zu tun, was er will, und die die ernsthafte Energie des Menschen dazu mißbrauchen, um eben das zu zerstören, was sie mit allem Eifer bauen will. Und es gibt umgekehrt heilsame Mächte, die den Menschen eben da behüten, wo er selbst kaum die Gefahr kennt, die ihn da richtig leiten, wo es ihm selbst an klarer Erkenntnis mangelt, und die ihn tragen und führen über alle natürliche Kraft hinaus. - Es wurzelt wohl sehr tief in der Zeit, die wir durchleben, daß viele heutige Menschen weit eher die dämonisch zerstörerischen Mächte als die bergenden und behütenden Engelmächte kennen; ja viele müssen ehrlich bekennen, daß ihnen an der unzweifelhaften Erfahrung dämonischer Mächte überhaupt erst die Ahnung von diesem ganzen Wirklichkeitsbereich aufgegangen ist. Drei Kennzeichen dieser dämonischen Mächte drängen sich solcher Erfahrung auf. Es sind Kräfte, die von Hause aus gute und heilsame Kräfte sind, die Gott in diese Welt gelegt hat, die aber nun losgelöst von der heilsamen Ordnung sich in ihr Gegenteil verkehren und alle rechte und heilsame Ordnung zerstören. Ein biblischer Mythus drückt diesen Sachverhalt aus, indem er von Luzifer als dem gefallenen Engel des Lichtes redet. Zugleich aber - das ist das Andere - tarnen sich diese widergöttlichen Mächte mit dem Anspruch, daß durch sie etwas Rechtes und Notwendiges geschehe; ja sie verkleiden sich als Boten und Werkzeuge Gottes und wissen mit Bibelsprüchen Eindruck zu machen. Es ist nach den Aussagen des Neuen Testamentes eine wesentliche und wichtige Funktion des heiligen Geistes, daß er diesen Trug entlarvt und die Kinder Gottes davor bewahrt, wider Wissen und Willen Werkzeuge dämonischer Mächte zu werden.

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LeerWider Wissen und Willen: Das ist das dritte und entscheidende Kennzeichen. Der Mensch „verfällt” den Dämonen, und indem er ihnen verfällt wird seine eigene Einsicht getrübt; er weiß selbst nicht mehr, was eigentlich im Gange ist, und indem er mit ungeheurer Energie das Sachlich Notwendige zu tun glaubt, zerstört er in Wahrheit das Haus, das er bauen möchte. Darum ist es völlig sinnlos, dämonische Erscheinungen mit moralischen Kategorien zu messen. Es sind nicht die Bösewichter, sondern die Menschen, die voll guten Willens, aber ohne geistliche Erkenntnis sind, die solchem Ansturm der Dämonen erliegen, und umgekehrt sind Menschen, die nur nach Gut und Böse im landläufigen Sinn zu unterscheiden gelernt haben, völlig unfähig, die Wirklichkeit eines dämonischen Reiches überhaupt zu sehen.

LeerDie Wirklichkeit dieser dämonischen Mächte müßte uns mit ständiger Angst erfüllen, wenn es nicht auch jene „guten Dämonen”, „die lieben Engel”, wie unsre Väter gesagt haben, gäbe. Sie sind Gottes Werkzeuge und Boten, durch die er seine Kinder, die die Seligkeit ererben sollen, vor dem Verderben bewahrt (Hebr. 1, 14). Gerade da, wo wir uns nicht wehren können, weil uns die wache Einsicht, weil uns Klugheit und Kraft gebricht, gerade da können uns zuströmen verborgene Kräfte, die uns eingeben, was wir reden und was wir tun sollen. Das Kind in Sonderheit hat einen „Schutzengel”, der es an Leib und Seele bewahrt vor den tausend Gefahren, denen es unversehens erliegen könnte und es ist kein Zufall, daß eben das Kind in ganz anderem Maß als der erwachsene Mensch unter der Hut der lieben Engel steht, gerade deswegen, weil es noch mehr aus „kindlichem” Ahnungsvermögen als aus bewußter Erkenntnis und kluger Überlegung handelt. Die Ratio vertreibt die Engel. In dem Maß, als der Mensch glaubt, mit bloßem Verstand und raffinierter Klugheit das Leben meistern zu können, umgibt er sich sozusagen mit einer Mauer, durch die er die Engel von seinem Leben absperrt; und er wird umso eher eine Beute der dämonischen Gewalten. Es gibt Menschen, aus deren Nähe die Engel geflohen sind und die nun erst in einem unheimlich tiefen Sinn schutzlos und wehrlos preisgegeben sind. Und es gibt andere Menschen, einfältig fromme Menschen, die spürbar von Engeln umgeben sind und die durch den Beistand dieser himmlischen Mächte durch die schwierigsten Lagen, Gefährdungen und Versuchungen unversehrt hindurchgehen. Eben dieser Erkenntnis erwacht schließlich das Gebet „Laß uns einfältig werden und vor dir hier auf Erden wie Kinder fromm und fröhlich sein.” „Dein heiliger Engel sei mit mir, daß der böse Feind keine Macht an mir finde.”


Anmerkung: Der Verfasser weiß wohl, daß Dämonen und Teufel, dämonisch und satanisch nicht das gleiche sind; aber er möchte nicht durch diese sehr schwierige Unterscheidung den einfachen Gedankengang dieser kurzen Unterweisung verwirren.

Jahresbriefe des Berneuchener Kreises 1934, S. 157-161

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-09-24
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