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Zum Tag der heiligen Barbara (4. Dezember) von Wilhelm Stählin |
Du hast Lust zu der Wahrheit, Laßt uns voll Ehrfurcht reden von dem Geheimnis der leiblichen Geburt! Aber laßt uns zugleich ganz nüchtern und ganz ehrlich reden von dem Leben, in das unsre Kinder hineingeboren werden! Denn auch dies gehört zu der Wahrheit, die im Verborgenen liegt, daß dieses liebe, herrliche, köstliche Leben ein Leben voll Wunden und Schmerzen ist, und daß alles, das geboren ist, seinem Tod entgegen lebt. Es ist kein Zufall, daß das Wort von der heimlichen Weisheit in jenem Psalm sich einfügt, der aus tiefer menschlicher Not, ans quälender Erfahrung eigener Schuld heraus gebetet ist. Wenn wir nicht romantisch die Wirklichkeit unsres Erdenlebens verfälschen, dann müssen wir standhalten, um unsret- und um unsrer Kinder willen, auch dieser heimlich offenbaren Wahrheit, daß wir ein notvolles Leben in einer argen Welt leben. „Du lässest mich wissen die heimliche Weisheit.” Gottes heimliche Weisheit ist die frohe Botschaft; die frohe Botschaft von unvergänglicher Freude, von unzerstörbarer Lebensmacht, die frohe Botschaft von dem Reich, in dem Friede und Freude regieren. „Euer und eurer Kinder ist diese Verheißung.” D a r u m tragen wir unsre Kinder zur Taufe und netzen sie mit Wasser; denn das Wasser ist das uralte Sinnbild des geheimnisvollen Urgrundes, aus dem das Leben geboren wird. Darum segnen wir unsre Kinder über dem Wasser der Taufe mit dem heiligen Zeichen des Kreuzes; denn das Kreuz ist das feierliche Zeichen der Wandlung, in der die Fluten des Todes von Gott gewandelt werden zur Stätte der neuen Geburt. Verborgen wie aller Beginn ist das Werk, das Gott an uns tut in der heiligen Taufe. Aber die Kirche darf reden und zeugen von der heimlichen Weisheit, daß Gott die Macht seiner Liebe erweisen will an uns und unsren Kindern; ja sie, die Kirche, ist selber die Stätte, da das Wunder einer neuen Geburt sich ereignet. Ihr habt eurem Kinde den Namen Barbara bestimmt, vielleicht nur um des schönen Klanges des Namens willen, vielleicht nur aus Liebe zu irgend einem alten Bild der schönen heiligen Barbara. Kennt ihr die Legende, die sich dem Gedächtnis der Kirche an den Namen Barbara knüpft? Die alten Bilder zeigen Barbara mit einer goldenen Krone auf dem anmutigen Haupt und neben ihr oder auch wohl in ihrem Arm ist ein Turm mit 3 Fenstern zu sehen. Denn Barbara war eine Königstochter, und sie ward von ihrem Vater in einen Turm verschlossen, weil um ihrer großen Schönheit willen die Werber mit allzu ungestümer Leidenschaft sie umdrängten und ihre Tugend bedrohten. Das Inwendige dieses Turmes aber war mit aller Schönheit und mit allem Schmuck gebildet, wie es edlen Königstöchtern gebührt. Wer die Bildersprache der alten Legenden zu lesen versteht, der ahnt wohl, was der Turm dieser Legende bedeutet. Die Menschenseele muß von dem Vater in den Turm der Bedrängnis geführt werden, der sie absperrt von dem glitzernden Schein, von den verlockenden Stimmen, von den verwirrenden Leidenschaften. Aber der edlen und wahrhaft königlichen Seele ist dann umso köstlicher das inwendige Reich bereitet. Was könnten wir einem Kind, einem Mägdlein zumal Innigeres und Größeres wünschen als dies, daß unter äußerem Druck und Zwang sein inwendiges Heiligtum mit all dem geziert werde, was den Adel und die Freude einer Seele ausmacht! Barbara aber machte in ihren Turm drei Fenster zur Ehre der heiligen Dreifaltigkeit, und eines Abends tat sich über ihr die Decke ihrer Kammer, das Dach ihres Turmes hinweg, und sie sah das Firmament Gottes. Da kamen alle Sterne zu ihr in ihren Turm und schenkten ihr ihren Glanz und ihre Seligkeit. Das ist das Geheimnis der heiligen Barbara, daß der edlen Seele, die - nach Meister Eckeharts Wort - jungfräulich verschlossen ist für die verwirrenden und verführerischen Bilder der Welt, der Blick nach oben sich öffnet, ja von den Sternen die Engel Gottes herabsteigen und unser enges armes Leben füllen mit dem Glanz der himmlischen Welt. Das tue Gott an uns und unsren Kindern, was die Kirche als ihr kostbarstes Geheimnis in dieser Legende andenket und verhüllt zugleich: „Du hast Lust zu der Wahrheit, die im Verborgenen liegt; Du lässest mich wissen die heimliche Weisheit.” Jahresbriefe des Berneuchener Kreises 1934/35, S. 20-22 |
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