|
1. Joh. 3, V. 5 von Karl Bernhard Ritter |
Die christliche Kirche bereitet ihre Glieder in einer 40tägigen „Passionszeit” auf das größte Fest vor, das in der Mitte alles ihres Lebens, ihres Zeugnisses, ihres Glaubens steht, auf die Feier der Auferstehung ihres Herrn. Könnte die Antwort des christlichen Glaubens auf die Fragen des Leidens und des Todes machtvoller und überzeugender gegeben werden? Hier werden das Leiden und der Tod ganz ernst genommen. Wir erleben in der Passionszeit ja das Leiden und den Todesweg des Gottessohnes. Gott selbst geht ein in das Leiden und das Sterben des Menschen. Aber darum führt hier auch der Leidensweg und das Sterben zum Sieg des ewigen Lebens. Das Leiden führt zur Pforte der Freiheit, das „Sterben wird zum Gewinn”. Es gibt eine Haltung, die sich selbst für Frömmigkeit, für den christlichen Glauben hält. Sie erhofft sich, daß es nach dem Tode in irgend einer Weise so weitergehen möchte wie vorher, nur schöner und leichter, nur sorgloser, nur so, daß es dann mit allem Lebenskampf ein Ende hat, nur so, daß dann der Tod und sein Grauen endgültig hinter einem liegt. Wer so denkt, soll wissen, daß er damit an dem Zeugnis der Hl. Schrift und dem christlichen Glauben vorbeidenkt. Der christliche Glaube weiß nicht von einem selbstverständlichen Weiterleben nach dem Tode. Die Hl. Schrift spricht vielmehr von dem Gericht des Todes und von der Überwindung des Todes durch Jesus Christus: „Der Tod ist der Sünde Sold. Aber die Gabe Gottes ist das ewige Leben in Jesus Christus, unserem Herrn.” Das ist etwas völlig anderes als jene etwas sentimentalen, optimistischen, freundlichen und harmlosen Gedanken der Selbstliebe, mit denen man sich über den Ernst des Todes hinwegzuhelfen versucht. Denen gegenüber der trotzige Mut eines Menschen geradezu befreiend zu wirken vermag, der zum Schicksal des Todes tapfer Ja sagt, der sich eingesteht: Ich habe nur diese Lebenszeit. In ihr gilt es, sich voll einzusetzen. Und wenn ich einmal nicht mehr bin, was kommt es auf mich an! Warum sollte ich mich mit meinem kleinen Leben wichtig nehmen? In der Tat, wenn unser Leben keinen anderen Inhalt hat, als Not und Freude, als Kampf und Sieg, Niederlage und Wiederauferstehen dieses irdischen Daseins - was hätte es für einen Sinn, auf Verlängerung dieses Lebens in irgend einer Form zu hoffen? Mag das tun, wer will! Kann er über das leere Spiel der Phantasie hinauskommen? Ist da nicht der Wunsch, ein verständlicher, aber unbegründeter Wunsch Vater des Gedankens? Und ist nicht ebenso berechtigt der andere Wunsch des Alten, Lebenssatten: Es ist genug; ich mag nicht mehr? Aber nun führt der Weg der Kirche Ostern entgegen. Es tritt ein in diese Welt und in unser Leben der Eine, der spricht: „Ich gebe ihnen das ewige Leben”. Und er spricht es nicht nur aus als Verheißung, er tut nach seinem Wort und gibt sein ewiges Leben hinein in diese Welt. Dies Ereignis verändert die Welt, dein und mein Leben, den Sinn alles Daseins von Grund auf. Im Angesicht seiner Sterbestunde betet Jesus: „Vater, die Stunde ist da, daß Du Deinen Sohn verherrlichst, auf daß Dich Dein Sohn auch verherrliche!” So geht Jesus dem Tode entgegen. Das ist eine Beurteilung des Todes, die uns durchaus fremd ist. Der Tod - eine neue, große, schwere, aber heilige Aufgabe, die Vollendung eines Werkes, nicht das Ende des Lebenswerkes! Wie er vom Vater gesandt wird in die Welt, Ihn zu offenbaren, seine Herrlichkeit hineinzustrahlen in diese irdische Welt, so geht er dem Ausgang zu, um im Tode, ja gerade durch seinen Tod dieses Werk der Offenbarung des göttlichen Lebens zu vollenden, im Tode Gott zu „verherrlichen”. „Wie viele ihn aber aufnahmen, denen gab er Macht, Gottes Kinder zu werden.” Daß er und seine Leser das an sich erfahren haben, daß sie diese Verbindung mit dem göttlichen Leben gefunden haben, ist Voraussetzung für Johannes, wenn er schreibt: „Meine Lieben, wir sind nun Gottes Kinder.” Die Hl. Schrift redet nicht in allgemeinen Behauptungen über Tod und Unsterblichkeit, sie spekuliert nicht, sie ergeht sich nicht in Vermutungen. Sie bezeugt eine Erfahrung. Sie redet aus dem Grunde eines Ereignisses und redet nur zu denen, für die dieses Ereignis Jesus Christus zum Anfang für ein grundsätzlich anderes, völlig und einzigartig verwandeltes Dasein geworden ist. Sein Weg führt vom Vater zum Vater. Aber wir müssen sterben. Damit wird unser Tod uns zum Gericht. „Der Tod ist der Sünde Sold”. Das ist eine Betrachtung, die dem heidnischen Denken völlig fern ist. Wo Menschen garnicht erweckt sind zum „Leben” in der Gottesgemeinschaft, wo sie vom ewigen Leben nicht ergriffen sind, da wissen sie nicht, was Sünde ist, so wie dies Wort im Neuen Testament gemeint ist und wissen darum auch nicht vom Tode als dem notwendigen Gericht, dem Ausgang eines Daseins, das sich dem Leben aus Gott verschlossen hat, das diesem Leben widersprochen hat. Sie können die ungeheuere Spannung nicht erfahren zwischen dem Leben, das sich dem Glaubenden erschlossen hat, und dem Dasein das er täglich mit Schmerzen in seiner Todverfallenheit spürt, weil es noch nicht in allen seinen Tiefen ergriffen und gewandelt ist, weil es von Gott gelöst dahintreibt, als es immer aufs neue sich im Widerspruch zu dem wahren Leben behaupten will. Es gibt genug Heiden in unserer Umgebung, an denen wir beobachten können, daß für sie der Tod ein sehr natürliches, selbstverständliches Geschehen ist, von dem wenig Aufhebens zu machen ist. Durch die Zeitungen ging vor einiger Zeit eine Notiz über Japanische Soldaten, die sich zu Hunderten gemeldet haben zur Ausbildung für ein Torpedo, das im Ernstfall mit seinem Lenker explodiert. Der Heide kennt das Grauen des Todes nicht. Das Heidentum bringt es allenfalls zu dem Gefühl der Tragik, wenn ein Leben unvollendet abbricht. Der Christ aber steht dem Tode so völlig anders gegenüber, weil er den Ruf zum Leben vernommen hat. Darum wird ihm der Tod zum Gericht und er muß in Erschütterung und in Demut und Selbsterkenntnis Ja sagen zu diesem Gericht. „Meine Lieben, wir sind Gottes Kinder. Und ist noch nicht erschienen, was wir sein werden” schreibt Johannes. Wo die Begegnung mit der Gottesoffenbarung stattgefunden hat, da hat ein Neues angefangen, und wir wissen, es ist erst ein Anfang. Es ist nun unser Leben ein Werden. Wir erfahren, wie in uns der Kampf anhebt mit dem Tode, wie das neue Leben Ketten sprengt, wie eine Verwandlung sich ankündigt, wie nun vieles dahinsinkt, was zuvor wichtig war. Unser Leben empfängt andere Maßstäbe, eine andere Liebe, eine andere Hoffnung. Alles gewinnt einen neuen Sinn. Wir sind Ergriffene, und wir erfahren mit Staunen und immer neuer, unaussprechlicher Freude, wie die Hand, die nach uns gegriffen hat, uns nicht läßt. Nun erhält unser Leben seine Aufgabe. Auch wir sollen Gott verherrlichen. Gewiß, wir tragen „solchen Schatz in irdenen Gefäßen”. Aber gerade darin spüren wir, es ist nicht unser Leben, das wir bezeugen dürfen: „Auf daß die überschwengliche Kraft sei Gottes und nicht von uns.” „Es ist noch nicht erschienen, was wir sein werden.” Noch sind wir die Werdenden, das heißt aber - die Sterbenden. „Wir wissen aber, wenn es erscheinen wird, daß wir ihm gleich sein werden, denn wir werden ihn sehen, wie er ist.” - „Das ist aber das ewige Leben, daß sie Dich, der Du allein wahrer Gott bist und den Du gesandt hast, Jesus Christus erkennen”, heißt es in dem hohenpriesterlichen Gebet Jesu am Abend des Abschiedes von seinen Jüngern. Das ist kein philosophisches, kein theologisches Erkennen, es ist ein Innewerden der Seele, ein Überwältigtwerden, ein Überstrahltsein von Licht. Da geschieht die Verwandlung. Hier wird ganz deutlich, wie fern solche Überwindung des Todes allem Willen zur Selbsterhaltung ist, daß die übliche Rede von dem Weiterleben nach dem Tode ein völliges Mißverständnis des christlichen Glaubens ist, wie wenig der Vorwurf vom „Seligkeitsegoismus” den christlichen Glauben trifft. Es gibt freilich eine Christlichkeit, die Schuld an diesem Mißverständnis trägt. Aber alle diese Vorwürfe treffen nicht die wahre christliche Hoffnung. In ihr ist der Mensch gerade nicht auf sich selbst gerichtet. Der Glaube hofft auf ein Ende, da „Gott sein wird alles in allen”. Darum noch einmal: Der christliche Glaube nimmt das Leiden und den Tod ganz ernst. Er hilft nicht darüber hinweg. Darum bereitet die christliche Kirche ihre Glieder auf Ostern vor durch die Passionszeit, das Mitleiden mit Christus, das Mitsterben mit Christus. Denn nur dort, wo das Ja zum Tode gesprochen wird, ein volles Ja der Anerkenntnis dieses Gerichts, öffnet sich die Pforte des wahren Lebens. Das Leben wird umso tiefer und mächtiger, je mehr es den Tod in sich aufgenommen hat. Darum ist für den Christen die Erinnerung an das Leiden und den Tod nicht lästig, nicht peinlich, nicht Schwäche und Sentimentalität, auch nicht Leidensseligkeit, sondern die große notwendige Hilfe zum Leben. Darum werden einem Joh. Seb. Bach die wunderbarsten und herrlichsten Weisen zur Ehre Gottes aus der Vergegenwärtigung der Todesstunde geboren. Die Kirche betet: Wir danken Dir, Herr,Jahresbriefe des Berneuchener Kreises 1934/35, S. 41-45 |
© Joachim Januschek Letzte Änderung: 16-02-03 Haftungsausschluss |