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Eine Hilfe zum Verständnis des heiligen Abendmahls von Wilhelm Stählin |
„Von allen Seiten umgibst Du mich...” Ps. 139 Kaum ein anderer Ausdruck ist für das Selbstverständnis des Urchristentums so bezeichnend wie die in den Briefen des Neuen Testamentes immer wiederkehrende Redeweise: in Christo sein. Der Apostel hat sein Leben und seine Kraft „in Christo”, seine Mahnung geschieht „in Christo”, und aller christliche Wandel ist der Wandel derer, die „in Christo” sind. Es ist das innere Anschauen eines räumlichen Bildes, das dieser Redeweise zugrunde liegt. Christus ist gleichsam der Raum, in den der Gläubige eingetreten ist, die Luft, in der er nun allein atmen kann; oder auch das Gewand, mit dem er überkleidet wird und das er immer von neuem anziehen darf. Auf diesen Christusraum richtet sich das Wachsen geistlicher Erkenntnis: „welches da sei die Breite und die Länge und die Tiefe und die Höhe” (Eph. 3, 18).Es ist aber ein überraschendes Stilgesetz der neutestamentlichen Sprache, daß sich gerade diese räumlichen Bilder des Christusverhältnisses umkehren lassen. Die unübersteiglichen Gesetze des physischen Raumes, daß immer nur ein Körper in dem anderen, aber niemals beide ineinander sein können, haben hier keinen Sinn und keine Bedeutung. Der Raum, in dem ich lebe, ist zugleich der innere Raum, der mich selber erfüllt. Eben weil ich Christum „angezogen” habe, lebt „Christus” in mir. Eben jene Erkenntnis des unvorstellbaren und herrlichen Christusraumes kann in uns nur reifen „nach der Kraft, die da in uns wirket”. Darum deutet es auf ein und denselben Sachverhalt, wenn der Apostel davon redet, daß wir Glieder an dem Leib Christi, Christo einverleibt werden, und wenn andererseits davon die Rede ist, daß wir das Fleisch des Menschensohnes essen und sein Blut trinken. Besonders die Abschiedsreden Jesu im Johannes-Evangelium machen die Doppelsinnigkeit dieses räumlichen Bildes anschaulich: „Bleibet in mir und ich in euch!” Indem wir „in der Liebe” bleiben, bleibt „Gott in uns”. Es wäre, eine Erkrankung der religiösen Sprache, wenn sie um eines gegenständlichen Verhältnisses willen das Geheimnis dieser mystischen Unio verlöre oder gar ausschließen wollte. Von hier aus ist auch das innere Verhältnis der beiden Sakramente, Taufe und Abendmahl, zu begreifen. Die Taufe ist eine Taufe in Christus hinein (Röm. 6, 3): Christus ist das Element, in das wir versenkt werden. Im Abendmahl aber empfangen wir Christus als die geistliche Speise, als das Element, das in uns eingeht, in unsere Seele und unseren Leib. Aber gerade darum dient es zugleich zum Verständnis des Abendmahls, wenn wir uns Christum vergegenwärtigen als den Raum, in den wir eingeordnet sind, der uns von allen Seiten umgibt, von allen Seiten auf uns eindringt und sich mit uns verbindet. Es sind sechs Richtungen, die es im dreidimensionalen Raum gibt. Das Gedächtnis Christi ist das Gedächtnis seines Todes und des Opfers, das in diesem Sterben vollbracht wird. Wir können aber nicht anders dieses Opfers gedenken und des Herren Tod verkündigen, als daß wir uns hinein nehmen lassen in diesen Opferweg der Liebe. Das Kreuz, mit dem wir Brot und Wein auf dem Altar segnen, und das Brechen des Brotes ist nicht nur das Zeichen einer hinter uns liegenden Geschichte, sondern es ist das Zeichen, in dem gleichsam diese Geschichte auf uns zukommt, um uns selber zu Trägern und Werkzeugen eben dieses Geschehens zu wandeln. Christus ist gegenwärtig als die Er-innerung seines Leidens. 2. Christus ist über uns. Er ist aufgefahren in die Höhe als der siegreiche Herr aller irdischen und überirdischen Mächte. Er ist das himmlische Haupt seiner auf Erden lebenden Gemeinde. In dem Christusraum sein, das heißt hineingestellt sein in das Reich seiner Macht und Herrlichkeit, das Erde und Himmel umspannt. Darum ruft uns die Liturgie der Sakramentsfeier auf, die Herzen zu erheben in die Höhe, und wenn die Gemeinde weiß, was sie mit ihrer Antwort sagt: „Wir erheben sie zum Herrn”, dann weiß sie eben dies, daß sie in dem Christusraum zugleich emporgehoben ist über alle Grenzen der irdischen Wirklichkeit. - Aber eben diese obere Welt, der Christus über uns, verbindet sich mit unserem Sein und Leben in Raum und Zeit. Eben darum schaut der Epheserbrief (4, 9. 10) die Erdenfahrt und die Himmelfahrt Christi in eins, weil sich Himmel und Erde in Christus vermählen. Der obere Raum, in den die Feier des Herrenmahls uns von neuem einführt, will als die himmlische Speise zugleich den Raum unseres eigenen Lebens erfüllen und durchdringen: „Der den Himmel kann verwalten, will jetzt Herberg in dir halten.” Darum ist das echte Sinnbild des Sakramentes der nach oben sich öffnende Kelch, der bereit ist zu empfangen, zu bewahren und weiter zu reichen den Trank, der von oben her sich in ihn ergießt. Es ist das Geheimnis des Brotes, daß die Frucht der Erde eingeht in unseren Menschenleib und gewandelt wird in die Baustoffe menschlichen Lebens. Wir empfangen, indem wir essen und trinken, die Gaben der Erde und heben, was unter uns ist, empor in unseren menschlichen Lebensbereich. Eben dies Geheimnis findet seine Erfüllung im Sakrament. Nicht nur von oben her, sondern auch von unten her durch die irdischen Elemente hindurch, will Christus in uns eingehen und durch leibliche Speise uns einfügen in den Lebenszusammenhang der neuen Schöpfung. Wir ahnen noch kaum, wie sehr von hier aus ein neues Licht fällt auf den ganzen irdischen Bereich, auf die vergänglichen Güter dieser Erde, auf die ganzen Bereiche der Arbeit und der Wirtschaft; welches weltweite Bekenntnis darin liegt, wenn wir Kirchen und Altäre schmücken mit den Zeichen der Ähre und der Weintraube; was es heißt, daß Christus auch unter uns ist und in dem leiblichen Essen und Trinken des Sakramentes in uns und durch uns den Kosmos hereinnehmen will in den Anbruch der neuen Schöpfung. 4. Christus ist neben uns. Er ist neben uns in den Menschen, die rechts und links von uns als unsere Nächsten leben. Er kommt zu uns und sucht uns heim in den Menschen, an die er uns weist. Wir begegnen ihm, indem wir dem Bruder begegnen, und was wir dem Bruder getan haben, das haben wir Ihm getan. - Ich kann nicht leben in dem Christusraum, wenn ich nicht in Liebe hingewendet bin zu den Menschen, die mit mir im gleichen Raum stehen. Luther hat in seinen frühen Abendmahlsschriften diese Seiten des Sakramentes besonders deutlich ins Licht gestellt und er schließt sein Abendmahlslied mit dem Vers: „Die Frucht soll auch nicht ausbleiben, deinen Nächsten sollst du lieben, daß er dein genießen kann, wie dein Gott an dir hat getan”. - Immer wieder müssen wir zum Trost vieler angefochtener Gewissen, aber zugleich zur Warnung vor aller frommen Selbstsucht daran erinnern, daß das erschreckende Wort vom unwürdigen Essen und Trinken (1. Kor. 11, 29) sich nicht auf die moralische Würdigkeit, sondern auf den Mangel an Liebe bezieht; eine unwürdige Feier des Herrenmahles ist nach der Meinung des Paulus eine solche, bei der die Einheit des Leibes Christi verleugnet und zerrissen wird. Gerade hier wird jene Umkehrung des räumlichen Bildes besonders deutlich: Eben damit und nur damit handele ich an meinem Bruder wie an Christus (Kol. 3, 23), daß ich selbst durch Christus als die Tür zu ihm gehe; als ein solcher, in dem Christus und seine Liebe wohnt und regiert. Aber in diesem Raum können wir erst recht nicht sein, ohne daß wir selbst an der Richtung dieses Raumes Anteil gewinnen: „Ihr müsset Ihm entgegen gehn”. Wir selber, unser Herz und unser Leben ist der inwendige Raum, der ausgerichtet werden muß auf das kommende Ziel. Daß Er auf uns wartet und daß wir Seiner harren, sind zwei Seiten der gleichen Bewegung. - Das Abendmahl ist die Vorwegnahme des himmlischen Hochzeitsmahles. Es ist das Freudenmahl der Danksagung und der Hoffnung. Die Vollendung aller Dinge kommt zu uns in der vorläufigen Gestalt dieses Mahles und wir können nicht anders eintreten in diesen festlichen Raum, als indem wir selbst aus der Finsternis unseres Lebens dem Licht entgegengehen: „Mache dich auf, werde Licht, denn dein Licht kommt.” Luther hat in der Auslegung des 5. Hauptstückes im kleinen Katechismus alles bezogen auf die Vergebung der Sünden. Wenn wir versuchten, das Abendmahl zu deuten als den Christusraum, dessen Breite und Länge und Tiefe und Höhe in uns eingehen will, so ist das nur eine Entfaltung des einen Wortes von der uns geschenkten Erlösung. Es ist alles unverdientes Geschenk. Es ist alles der Reichtum der den Unwürdigen überströmenden, Gnade. Freilich: es ist alles viel weiter, größer und herrlicher, als wenn wir, um unser kleines armes Ich kreisend, nur für unsere Seelennöte den Trost der Vergebung suchen wollten. Denn eben dies ist die Vergebung der Sünden, eben dies ist das unverdiente Geschenk der Gnade, daß wir mit Christo in die himmlischen Räume gesetzt sind (Eph. 2, 6); und daß zugleich wir armen, engen und sündigen Menschen zu der Stätte bereitet werden, in der Christus, der alles in allen Erfüllende, seine irdische Herberge und Werkstatt hat. Jahresbriefe des Berneuchener Kreises 1934/35, S. 45-49 |
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