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von Wilhelm Stählin |
Wer gründlich forscht in der heiligen Schrift, macht die überraschende Entdeckung, daß darin wiederholt, ernsthaft und nachdrücklich die Rede ist von Dingen, von denen wir nichts wissen und an die wir kaum denken, und daß umgekehrt von manchen Dingen nicht die Rede ist, von denen wir in unserer üblichen Redeund Denkweise sehr selbstverständlich zu reden gewohnt sind. Es ist ein Stück Hinführung zur wirklichen Bibel, wenn wir hier in einer Reihe von kleinen Aufsätzen darauf aufmerksam machen, wovon in der Bibel nicht die Rede ist. In dieser Passionszeit machen wir einen Anfang: Vom Heldentum Jesu, vom Heldentum der christlichen Märtyrer ist oft genug geredet worden, seit der sächsische Sänger den Heiland als den waltenden Fürst mit seinen Mannen besungen hatte. Wer es tut, der tut es aus dem Wunsch, Jesus und seine Jünger in die Reihe edlen und ehrwürdigen Menschentums zu stellen und solchen, denen die eigentliche christliche Heilsbotschaft fremd bleiben müßte, wenigstens den Zugang zu einer menschlich eindrucksvollen und bewunderungswürdigen Seite ihres Wesens zu erschließen. Es ist nicht schwer, die dem Heldentum verwandten Züge zu entdecken: Der Held sucht nicht sein eigenes Lebensglück, er verachtet das ruhige Behagen und den ungestörten Lebensgenuß; er geht den Weg der Gefahr und schreckt nicht zurück vor den Opfern und Leiden, die auf dem Weg des ihm aufgetragenen Dienstes ihn erwarten; er überwindet die Furcht und entzieht sich dem wohlgemeinten Rat, der ihn bittet, sich zu schonen; er weiß Schmerzen zu ertragen und erleidet eher den Tod, als daß er die Treue verriete. Mit jedem einzelnen dieser Sätze ist zugleich der Weg des kämpfenden, leidenden und sterbenden Christus beschrieben. Doch ist es kein Zufall, daß die Bibel nirgends den Versuch macht, Jesum als den Helden zu preisen, nirgends es unternimmt, die Nachfolge Christi als den heldischen Weg zu beschreiben. Es ist auch dies kein Zufall, sondern sehr tief in dem Wesen des Heldischen begründet, daß das Heldentum seinen Ort im Alten Bund hat; das Buch der Richter ist ein Buch der Heldengeschichten, und Gestalten wie Josua und Gideon und Simson, auch noch Saul und David, lassen sich wohl als die Gestalten der israelitischen Heldengeschichte und Heldensage begreifen. (Obwohl auch die Frage nicht überflüssig ist, ob das Heldentum, von dem das Alte Testament redet, genau das gleiche ist, das unser deutsches Work „Held” meint.) Aber das Neue Testament kennt nicht das Heldentum als Maßstab der Größe. Das Heldentum liegt nicht oberhalb, sondern unterhalb des Evangeliums; ein Held zu sein, ist nicht eine dem Christentum mangelnde Größe, sondern es ist eine Form menschlicher Größe, die durch das Evangelium überwunden und erlöst ist. Wer nur zu klein und schwach, zu selbstsüchtig oder zu feige wäre, ein Held zu sein, der kann gewiß auch nicht Jünger Jesu sein; wer aber auf der Stufe des Heldischen stehen bleiben wollte, von dem mag in gewissem Sinn gelten, was Jesus von Johannes gesagt hat: Der Kleinste im Himmelreich ist größer als er. Es sind, so viel ich sehe, mindestens 5 Punkte, an denen das Heldentum hinter der Gestalt Jesu zurückbleibt, sozusagen der Preis des Heldenliedes höchstens seine Füße umspülen, aber nicht bis zu seinem Herzen hinandringen kann. 2. Der Held, wie ihn die Heldenlieder preisen, ist furchtlos. So wie Siegfrieds Leib im Blut des erschlagenen Drachen unverwundbar geworden ist, so kann in die Seele des Helden nicht eindringen das Erschrecken, die lähmende Traurigkeit; er schlägt Wunden und empfängt Wunden, und gerade dies, daß auch der eigene Untergang seine Seele nicht zittern und zagen läßt, ist das eigentliche Kennzeichen des Helden. Der heroische Mensch, wie ihn uns wieder Ernst Jünger als den notwendigen und allein berechtigten künftigen Menschentypus geschildert hat, hat Schmerzen und Leiden, Wunden und Tod mit unpathetischer Sachlichkeit in die Rechnung des Lebens eingestellt. Aber eben dieses Heldentum, in dem sich der ritterliche Kampfeswille mit der stoischen Unbewegtheit des Gemüts vermählt, ist dem Neuen Testament gänzlich fremd. Die Bibel verbirgt bei ihren „Helden” keineswegs die Stunden ihrer Schwäche und Verzagtheit, und sie läßt uns auch bei Jesus selbst hineinschauen in eine Stunde des nächtlichen Kampfes, da seine Seele zitterte und zagte und er mit dem Tode „rang”. Der Hebräerbrief legt Werk darauf, daß Er gerade dadurch, daß er unsere Schwachheit getragen und überwunden hat, den Dienst an uns und aller Welt tun kann, zu dem ihn der Vater bestimmt hat; er hätte, so meint das Neue Testament, den Tod nicht wirklich überwunden, wenn er nicht durch alle Schrecken des Todes wirklich hindurch gegangen wäre. Die Freudigkeit und Zuversicht des christlichen Glaubens ist nicht heroische Sachlichkeit, sondern ist überwundene Angst, getroste Verzweiflung, verwandelte Traurigkeit. Gehört nicht die heroische Sachlichkeit zu jener die letzten Abgründe barmherzig ersparenden Betäubung, die der am Kreuz hängende Jesus verschmäht hat? 4. Allem Heldentum ist eine tragische Weltansicht zutiefst verwandt. Es ist nicht heldenhaft, dem „Wahn” zu verfallen, daß das Rechte und Edle siegen wird; gerade weil das Glück sich dem Unwürdigen verbindet, eben darum muß es Helden geben, die Erfolg und Glück verachten und „dennoch”, auch im eigenen Untergang bleiben, was sie sind. Der Held erfüllt sein Schicksal, und sein Schicksal ist eher der tragische Untergang als der Glanz des Sieges. Gerade dieses tragische Lebensgefühl ist dem „Heldentum” Jesu gänzlich fremd; auch er erfüllt sein „Schicksal”, aber indem er leidet, was er leiden „muß”, erfüllt er den Willen des Vaters und weiß, daß der Vater ans dem ausgestreuten Samenkorn Frucht und Ernte wachsen läßt. Vollends aber läßt der Glaube an den Christussieg über den Tod kein tragisches Heldentum in der christlichen Gemeinde aufkommen. Wenn Christus auferstanden ist, wenn Christus dem Tode die Macht genommen hat, wenn der Fürst dieser Welt gerichtet und gebunden ist, dann hat der Christ sozusagen keine Gelegenheit mehr, eine heroisch-tragische Haltung zu bewahren, sondern er hat nur die Botschaft des Sieges mit seiner eigenem Treue zu bezeugen. Die Kampflieder der Reformationszeit, auch die „Feste Burg”, sind alles andere eher als heroisch, gerade deswegen, weil sie christusgläubig sind. Es ist notwendig, sich klar zu machen, daß das Neue Testament in der Tat nicht von dem Helden Jesus und nicht von dem Heldentum der Nachfolge redet; sonst wird unversehens die Botschaft von Christus zu einem Heldensang umgeschmolzen, der im besten Fall neues Gesetz, aber nicht mehr Evangelium wäre. Das Auge des hassenden Feindes hat in diesem Punkt richtig gesehen. Nietzsche schreibt im „Antichristen”: Renan habe zur Erklärung Jesu „die zwei ungehörigsten Begriffe hinzugebracht, die es hierfür geben kann: den Begriff Genie und den Begriff Held.” „Aber wenn irgend etwas unevangelisch ist, so ist es der Begriff Held.” Aber es ist zugleich gefährlich, das auszusprechen. Denn die menschliche Erbärmlichkeit nimmt vielleicht auch diesen Abstand des Neuen Testamentes von allem Heldentum zu einer frommen Ausrede, hinter der sich erbärmliche Kleinheit, unersättlicher Lebenshunger, feige Todesfurcht verstecken; und gegenüber solcher Schwäche hat der Aufruf zur heroischen Lebenshaltung sein unveräußerliches Recht. Aber man kann auch nicht einfach sagen, das Christentum liege nun oberhalb des heldischen Lebensideals, so wie ein hoher Gipfel von einem noch höheren überragt wird. Denn das Kind, das weder fähig noch berufen ist zu heldenhaftem Einsatz, kann nach dem Zeugnis des Evangeliums mitten „drinnen” sein in dem Reich der Erfüllung; und wenn der Held Anteil gewinnt an diesem Reich der Erfüllung, so gewinnt er ihn doch nicht durch sein Heldentum, sondern durch den Gehorsam und durch die Liebe, die er in seinem Heldentum, oder trotz seines Heldentums bewährt. Jahresbriefe des Berneuchener Kreises 1934/35, S. 49-53 |
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