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von Georg Gudelius |
Es ist uns immer heilsam und trostbringend, wenn wir in unserm Bestreben nach Gestaltung unseres christlichen Lebens in Ordnung und Sitte, Feier und Brauch Kunde erhalten von Menschen und Gemeinden, die noch unter dem lebendigen Wirken solcher Ordnungen stehen. Und besonders gewinnbringend sind diese Erfahrungen, wenn sie uns bei solchen Menschen und Gruppen begegnen, denen gegenüber wir aus irgend einem Vorurteil heraus bisher in Reserve verharrten. Während einer Tätigkeit im östlichen Deutschland ist mir in einer Arbeit eines Studenten ein überaus warmer Bericht entgegengetreten über das religiöse und kirchliche Leben seines m a s u r i s c h e n Heimatdorfes. Ich gebe hier den von mir anders geordneten Inhalt dieses Berichtes wieder. Der Volksstamm der Masuren im südöstlichen Teil der Provinz Ostpreußen kannte bis etwa 1905 nur das Masurische als Muttersprache. Aber weil die Masuren sich immer als gute Deutsche gefühlt haben, so hatten die Bestrebungen, ihnen auch die deutsche Sprache als Umgangssprache zu bringen, großen Erfolg. Zwar ist auch heute noch das Masurische weit verbreitet, aber das Vordringen des Deutschen in Kirche und Schule hat auch aus dem täglichen Leben den alten polnischen Dialekt weithin verschwinden lassen. Nicht berührt aber durch den Sprachwechsel wurde die volkstümliche Substanz im Leben der Masuren, besonders auf religiösem Gebiet. Und in ihren heute deutsch gehaltenen Gottesdiensten und Andachten haben sich tiefe Einflüsse des auch heute noch in geringen Resten bestehenden masurischen gottesdienstlichen Lebens erhalten. Der Masure ist ein frommer Mensch. Was ihm der kärgliche Acker an Nahrung und die noch dürftigere Viehzucht an Gewinn bringt, das nimmt er dankbar aus der Hand seines Vaters im Himmel entgegen. Seinen Beistand erbittet er für Saat und Ernte, seiner Gnade vertraut er, wenn Unwetter drohend über dem Land steht. - Schwere Stürme sind über Masuren dahingebraust: um 1850 räumte die Cholera verheerend unter der Bevölkerung auf, und 1914 fielen die Russen in dieses deutsche Gebiet ein. Bitt- und Dankgottesdienste waren hier immer aus lebendigstem Erleben geboren. Vor allem aber ist es das kirchliche Leben im engeren Sinn, das im höchsten Maß unsere Achtung verdient. Der masurische Gottesdienst, der heute immer im Anschluß an den deutschen stattfindet, hat noch mehr als dieser altes Gut bewahrt. Nach dem Betreten des meist hölzernen Gotteshauses kniet der Masure nieder und verrichtet das Eingangsgebet still für sich. Solange sich die Gemeinde bis zum Läuten der Glocken sammelt - also vor dem eigentlichen Gottesdienst - werden Choräle gesungen, bis dann mit dem stehend gesungenen Eingangslied die Feier beginnt. Der Pfarrer verrichtet knieend ein Staffelgebet. Die Liturgie wird im Wechsel gesprochen und „gesungen”; auch in ihr spielt das Kniegebet von Pfarrer und Gemeinde eine große Rolle. So knien beide während des Verses nach der Predigt, beim Vater Unser und beim Schlußvers. - Im Anschluß an den Hauptgottesdienst finden die kirchlichen Handlungen statt. Es ist in Masuren selbstverständlich, daß die Gemeinde nach dem Gottesdienst auch noch bei den sakramentalen Feiern vollzählig versammelt bleibt, mag es sich nun um die Feier des Heiligen Abendmahls handeln oder um die Taufe eines Kindes; ja auch bei den Trauungen pflegt die Gemeinde dabei zu sein, und zwar stehend. Vor dem Taufgang haben sich die Angehörigen zu Hause um den auf dem Tisch liegenden Säugling im Kniegebet vereinigt; die Mutter muß mit zum Gotteshaus, und mit ihrem Kind auf dem Arm empfängt sie den Segen der Kirche. Die Paten haben nicht nur die „Tauffrage” bejaht, sondern gemeinsam das Glaubensbekenntnis gesprochen. Vor dem Abendmahlsgang verabschiedet sich der Masure von allen seinen Hausgenossen mit dem brüderlichen Kuss. - Und vor der Hochzeitsfahrt nimmt der Dorflehrer die „Ausführung” vor: es wird ein Choral gesungen, und in seiner kurzen Ansprache zeigt der Lehrer den jungen Leuten das eine, was ihnen in ihrer Ehe not ist: Gottes Segen. Das kirchliche Leben in Masuren hat nach mancherlei Einbußen in der Nachkriegszeit in unsern, Tagen unzweifelhaft einen großen Auftrieb erfahren. Viele Masuren waren infolge her großen wirtschaftlichen Enge in die Industriezentren des Westens abgewandert; dort waren sie entwurzelt und bewußt gegenkirchlich beeinflußt worden. Ihre Einwirkung bei einer Rückkehr in die Heimat hat oft verheerende Folgen für das kirchliche Leben gehabt. Aber nun gehen Kirche und Schule gemeinsam wieder den Weg bewußt kirchlicher Erziehung; schöne Ansätze sind schon jetzt zu spüren. Jahresbriefe des Berneuchener Kreises 1935, S. 79-81 |
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