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von Wilhelm Stählin |
Muß man uns mahnen, die Sonne zu lieben? Muß man uns erst dazu überreden, in das Lob der lieben Sonne mit einzustimmen? Sie ist immer schön, zu jeder Stunde und zu allen Zeiten des Jahres, ob sie am Margen gewaltig hervorspringt oder als glutroter Ball am Abendhimmel steht, ob sie sich im Meere spiegelt oder durch das Blattdickicht des Waldes durchbricht; aber am innigsten liebe ich sie in der vollen Glut des Sommertages, wenn die Zeit still zu stehen scheint von der überschweren Pracht alles Lebendigen, wenn nur die Mückenschwärme in der heißen Luft tanzen, und wenn dann unser Leib, hingestreckt auf die warme Erde, überflutet und durchglüht wird von der Sonne wie von gewaltigen Strömen: Sonne, Sonne, liebe Sonne! Dann muß man Christian Morgensterns geliebtes Sonnenlied leise vor sich hin summen in der köstlichen Weise, die ihm Walther Hensel geschenkt hat:Ich bin die Mutter Sonne und trageMenschen, die kein Verhältnis zur Sonne haben, Menschen, die solchen Sonnenhunger und solche Sonnentrunkenheit für eine törichte, eines Christen unwürdige Naturschwärmerei halten, sind mir im höchsten Grade verdächtig. Vor Jahren sagte mir ein junger Theologe, ein Christenmensch könne zur Sonne kein persönliches Verhältnis haben. Hu, was für eine Kellerluft, was für eine Winterkälte weht einen aus solcher Theologie an! Hat der heilige Franz, wenn er inbrünstig sang von dem großen Herrn Bruder Sonne, den noch herrlicheren Bruder Jesus allzuwenig geliebt oder die Bibel nicht recht gelesen? Meine Freunde, lest doch, wie die Heilige Schrift die Sonne ehrt als Gottes größtes und vornehmstes Geschöpf! „Sich der Sonne freuen”, das ist so viel als leben überhaupt. (Pred. 7, 12). Die Heilige Schrift singt auf ihre Weise das Lob der Sonne; sie ist ein herrliches und starkes Bild für die Größe und Majestät Gottes: Gott der Herr ist „Sonne” (Ps. 84). Und in den gewaltigen Bildern des Sehers auf Patmos stammelt die verzückte Zunge von den unsagbaren Geheimnissen einer jenseitigen und kommenden Welt in den Bildern von der Sonne: Das Angesicht des himmlischen Menschensohnes „leuchtete wie die Sonne” und das himmlische Gegenbild der Kirche erscheint als das Weib, „das mit der Sonne bekleidet ist”. Es hat wirklich keinen Sinn, von einer hochmütigen Geistigkeit aus die Sonne zu verachten. Welche Verderbnis unsres Denkens, daß wir von der Sonne nur reden als von einem glühenden Ball, ihre Größe und Schwere, ihre Hitze und ihre Stoffe messen und berechnen und so gar nichts spüren von den geistigen Kräften, die in der Sonne Gestalt und Sinnbild gefunden haben! Wie manches verkümmerte Gemüt, wie manches verkrüppelte Denken könnte genesen an den Kräften der Sonne, wenn sie nur ahnten, was die Sonne ist! Aber es heißt in der biblischen Gleichnisrede auch, daß in dem himmlischen Jerusalem die Sonne ihren Schein, Tag und Nacht ihren Sinn verloren haben. Die Sonne, die unsre Erde und uns, die wir darauf wohnen, anstrahlt, ist das Licht dieser Welt. Sie ist ein Gleichnis des Höchsten, aber eben doch „nur” ein Gleichnis. Sie meint etwas, das sie selber nicht ist und nicht sein kann. Sie spricht, wie die ganze Natur zu der suchenden und fragenden Seele Augustins: Ich bin es nicht. „Ich bin nicht Christus”. Sie ist das starke Zeichen großer und beglückender Kräfte - welche Entdeckung, daß man Krankheiten, vielleicht auch Krankheiten der Seele, durch die Sonne heilen kann! - Aber sie ist nicht das Zeichen des letzten Heils. Wer sich mit der Sonne einläßt, der erfährt, wie sehr auch die Sonne, die liebe, herrliche, schöne Sonne, teilhat an der Zwiespältigkeit aller Kraft und Macht. Wir Nordländer vergessen in unsrem Sonnenhunger nur allzu leicht und allzu gern, daß die Sonne auch die furchtbare Zerstörerin ist, die mit erbarmungslosen Strahlen das Leben ausdörrt und verbrennt! Die liebe Mutter Sonne kann auch der feindselige Drache sein, der alles Lebendige verschlingt. Es ist eine Erfahrung von tiefer sinnbildlicher Tragweite: Wenn ein Mensch zum ersten Mal, naiv der geliebten Sonne vertrauend, seinen Leib der vollen Kraft der Sonnenstrahlen preisgibt, dann läßt er sich nur allzu gern von dem trügerischen Wohlbehagen berücken und verspürt zu spät, daß nicht nur seine Haut verbrannt, sondern sein ganzer Organismus wie von einem starken Zauber ergriffen und verwirrt ist. Leib und Seele können krank werden von der unheimlichen Gewalt der Sonne. Es gibt nichts in dieser Welt, das nur wohltun könnte, das uns nicht auch mit Verderben bedrohte. Darum wollen wir wohl die Sonne lieben mit unaussprechlicher Dankbarkeit, wollen sie ehren als Gottes edles Geschöpf und Gleichnis; aber wenn wir sie anbeteten, so hätten wir unversehens vor einem tückischen Dämon unsre Knie gebeugt. Nirgends kommt dieses unheimliche Geheimnis stärker zum Ausdruck als darin, was die christliche Kirche aus dem Fest der Sommersonnenwende gemacht hat. Es ist nicht wahr, daß unsre Ahnen hier etwa auf der Höhe des Jahres sich nur in hemmungslosem Jubel den gewaltigen schöpferischen Kräften der Natur hingegeben hätten. Sie haben den Rausch des Lebens im Überschwang der Seinsfreude verspürt, aber es ist echt germanisch, daß dieser Lebensrausch unheimlich überschattet war von den Fittichen des Todes, von dem Schmerz des Vergehens, von dem Erahnen einer feindseligen, zerstörerischen Macht, und erst daraus empfing und empfängt der Enthusiasmus des Lebens, des Blutes und der Liebe und der Sonne seinen heimlichen und tödlichen Ernst. In den schwermütigen Lihgo-Liedern, die das lettische Volk heute noch in den Sonnwendnächten singt, dringt vielleicht bis heute noch die Stimme einer vorchristlichen Sonnenfeier an unser Ohr, so wie in dem benachbarten Litauen bis heute auf riesigen Kreuzen das Sonnenrad erhöht ist, vor dem ein winziger Christus sehr seltsam und fremd hängt. Wer gern auf feine und geringe Züge der kirchlichen Sitte achtet, der mag sich darüber besinnen, warum die christliche Kirche dem Johannistag statt der roten Märtyrerfarbe die weiße Farbe zugewiesen hat, die allein den Christusfesten gebührt. Der Johannistag ist ein Christusfest. Das Sonnenfest ist in ein Christusfest verwandelt worden. Die trunkene Glut des tragisch verströmenden Lebens ist verwandelt und geheiligt durch die Christusliebe, verwandelt in die Demut echten Opfers: Er muß wachsen, ich aber muß abnehmen. Es ist von einem ergreifenden Tiefsinn, wie der verhaltene Jubel des Weihnachtsliedes: „Freuet euch, ihr Christen alle” zuletzt aufbrandet und wie eine Entdeckung von überstrahlender Herrlichkeit hinausschleudert in den höchsten Freudentönen der Melodie: Jesus ist die Gnaden-S o n n e ! Was das Weihnachtslied besingt: Du wurdest meine Sonne, das nimmt die Sommersonnenwende am Johannistag ahnend vorweg: Alles vergeht; die Erde vergeht, die Sonne vergeht, Himmel und Erde werden vergehen. Aber was die liebe, herrliche, strahlende Sonne meint und verheißt und ahnend abbildet, das ist nun erfüllt: der Aufgang des neuen Lebens, das durch die Qualen des Sterbens hindurch wandelt zum Leben. Nenne wer da will solche Gedanken und Worte Schwärmerei. Tut sich hier nicht ein Blick auf in die letzten Abgründe und Geheimnisse aller Weltwirklichkeit? Haben wir nicht alles begriffen, wenn wir die Sonne begriffen haben? Sehen wir nicht alles in einem neuen Licht, wenn wir die Sonne sehen als das was sie ist: Hülle und Gleichnis Christi? W e r i s t e s , der zum Menschen sagt und sagen darf: Tu auf dein Herzlein, liebes Kind, Jahresbriefe des Berneuchener Kreises 1934/35, S. 100-103 |
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