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Die Jugendgestalt des deutschen Christentums
von Axel Werner Kühl

LeerDie Frömmigkeit des vorchristlichen Germanen war gebunden an die Heimat. Heimisch vertraut wirkte der Name des Gottes. Unter seinem Segen stand Feldflur und Hof, Jugend und Alter. Kampf und Frieden segnete er. Sein Heiligtum war die Kraftquelle, nach der sich der Wanderer heimsehnte. In der Völkerwanderungszeit lockerte sich die bindende Macht, schwand die segnende Wärme des heimatlichen Bodens. In fremdem Land herrschten andere Götter. Und wo diese lebendig blieben, wo diese vielleicht gar mit den Trägern ihres Kultes siegten - da erst recht unterlag nicht nur der eigene Stamm, da war zugleich Niederlage und Tod der göttlichen Geistesmacht, die so lange den eigenen Stamm geprägt hatte und sein Segen gewesen war. Im Mythos vom Weltenbrand mußten sich auch die Götter selber auf ihre Dämmerung rüsten.

LeerDie Bindung Gottes an den heimatlichen Boden war eine Schwäche: den Eintritt in die große Geschichte konnte das heimatgebundene Gottesbild nicht überstehen. Da mußte d e r Herr werden, von dem der Helianddichter sagt: „In seiner Gewalt steht alles, Himmel und Erde”.

LeerDie Bodenständigkeit Gottes war aber in der gesunden Zeit auch eine Kraft gewesen: je heimatlicher, desto näher; je verwandter, desto mehr das Leben durchwirkend und formend. Als Christus die formende Kraft im Leben unserer Vorfahren wurde, kam er als Herr und Himmelskind, als des Allwaltenden Sohn und Gewaltiger über diesen „Mittelgarten”. Aber seine Boten sprachen auch von dem Vaterhaus, in das der Sohn heimkehrte. Sie gaben auch das Apostelwort weiter: „So seid ihr nun nicht mehr Gäste oder Fremdlinge, sondern Bürger mit den Heiligen und Gottes Hausgenossen.” Gewiß, das war ein anderes Zuhause für Menschen, die den Zusammenbruch einer vertrauten Welt miterlebten, für Menschen, die damit das Fremdsein auf dieser Erde überkam. Und doch: wollte die Kunde von dem Zuhause beim Allmächtigen, die Kunde vom heimatlichen Gottesreich den Hörern recht deutlich werden, mußte sie sich in das Gleichnisgewand irdischer Heimat kleiden. Da mußten sich die Geschichten vom kommenden Herrn recht in diesen Boden einwurzeln, da mußte Sänger und Verkünder dem Himmelskönig das heimatlich vertraute Gewand der eigenen Denkweise umtun.

LeerKaum ein Menschenalter war seit der gewaltsamen Eingliederung der Sachsen in Reich und Kirche des Frankenkönigs vergangen, da ließ ein Sänger unter ihnen, der vielleicht selber von Hof zu Hof die Lieder der Stammeshelden getragen hatte, in der Sprache seines Stammes, in Rhythmus und Stabreim der alten Gesänge die Geschichten vom „Heliand” erklingen. Die Kraft seiner Worte und Bilder läßt erkennen, daß ihn und vielleicht auch manchen seiner Hörer nicht nur die rohe Gewalt der großen Politik für Christus gewonnen hatte. Dieses große Gedicht ist mit Herzblut geschrieben.

LeerWir wissen nicht, wer der sächsische Mönch und Sänger des „Heliand” war. Daß ihm Ludwig der Fromme den Auftrag zur Dichtung gegeben habe, meint ein offenbar späteres „Vorwort”, dessen Echtheit heute von Forschern angezweifelt wird. Mehr als Anregung würde solcher Auftrag ohnehin kaum gewesen sein. Denn hier hat ein Eigener in unmittelbarer Begnadung, wie Luther die Übersetzung der Bibel, eine Auswahl von Evangeliengeschichten in das Gewand heimischer Sprache und heimischer Bilder gekleidet.

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LeerWars mehr unbewußt, wie bei den frommen Bildschnitzern und Malern langer Jahrhunderte - wir versenken uns gern in die deutsche Landschaft und die Gesichtszüge deutscher Menschen um das Kreuz her, wir hören gern zur Predigt des Täufers deutsche Eichen und Buchen rauschen (Luc. Cranach). Trieb den Dichter wie den Gotenbischof Ulfilas der Wunsch des Gottesboten, das Geschenk recht greifbar in die Hände und Herzen zu legen?

LeerDort wo diese Vergegenwärtigung den biblischen Bericht weiterspinnt, sehen wir in das heimatgetragene Leben des Dichters hinein. Er weiß vom Rauschen der Bäume, in dem schon nach Tacitus unsere Vorfahren Einsamkeit mit Gott suchten: „Das Gotteskind weilte im großen Walde / eine lange Weile...” zur Versuchung durch Satan! Er kennt des „Wetters Kraft” nördlicher Breiten und kann den Sturm auf dem See Genezareth schildern als das Herniederschwingen der schwarzen Wolken, als das Toben der See, als den Kampf zwischen Wind und Wasser. Die Warften, die noch heute die Halligwohnungen aus der Sturmgefahr heben sollen, machen ihm Jesu Warnung deutlich, das Haus nicht auf Sand zu bauen, vielmehr „sicher vor westlichem Wind und der Wogen Strom”. Stand sein Vaterhaus oder das Kloster, dem er angehörte, im Holstenlande, nicht zu fern von der Nordseeküste?

LeerDie heimatlichen Farben geben den biblischen Szenen eine besondere Leuchtkraft. Die Hirten der Weihnachtsgeschichte sind die Wächter bei den Rossen, Archelaos trägt den Namen eines helmtragenden Herzogs, die „Burg” Bethlehem ragt auf, das Licht auf dem Leuchter scheint den „Helden in der Halle”. Unter den Jüngern Jesu, die „seine Degen” wurden, hat Petrus die ganze Liebe des Dichters, er, der schnell zuschlägt, er, der kühnen Mutes seinem Herrn folgt. Und Thomas, der im vierten Evangelium überwältigt den Auferstandenen als seinen „Herrn und Gott” begrüßt, darf hier auf die Leidensankündigung seines „Fürsten” hin die Worte eddischer Heldenethik sprechen: „Das ist des Degen Ruhm / daß er bei seinem Gebieter standhaft stehe / und mit ihm sterbe.”

LeerWer dieser Umdichtung das Recht bestreiten wollte, müßte es auch der bildenden Kunst aus unseres Volkes großer Zeit aberkennen. Sie bedeutet das Hereinnehmen der Geschichte Jesu in die eigene Gegenwart. Sie zeugt von dem Willen des Glaubens, die eigene Lebensgegenwart von dem Gestalt gewordenen Worte Gottes bestimmen zu lassen.

LeerDas gilt auch da, wo Gedanken und Bilder aus der vorchristlichen Frömmigkeit die biblischen Worte nahebringen und denken wollen. Wenn Gott der „Allwaltende” heißt, so gewinnt hier der späte Beiname Wotans erst seinen rechten Sinn. Wenn die Ewigkeit als grüne Gottesau aufleuchtet wie in der Vision der nordischen Völuspa, wenn in der Deutung des Unkrautgleichnisses Jesu die „Wende der Welt”, der „Weltenbrand” in Worten aufloht, die an die Götterdämmerung erinnern - Sänger und Hörer brachten altererbte Vorstellungen an die Evangelienworte heran und erlebten neu den Zusammenklang von Weissagung und Erfüllung. Vielleicht ist auch der Sinn für fromme Versenkung - Zacharias „dachte im Herzen innig an Gott”, dann erst wird ihm geschenkt, mit Schrift und Wort den Namen Johannes seinem Sohn zu bestimmen; die drei Männer ans dem Morgenland treibt ein Gesicht im Ergriffensein ihres Herzens zu der Bitte, an den „hehren Himmelskönig, für ihn auch ferner / wirken zu dürfen” - vielleicht ist auch dieser Sinn nicht erst Erziehung, sondern Stammeserbe aus alter Zeit, bereiter Boden, die Saat des Evangeliums tief aufzunehmen.

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LeerUmgekehrt wird die Wandlung, die das Evangelium bringt, in der Beantwortung zweier Lebensfragen des Germanentums sichtbar. Als in der Völkerwanderungszeit die Gottesvorstellungen verblassen, bleibt zunächst manchem im Glauben arm gewordenen nichts anderes übrig, als an seine eigene „Macht und Stärke” zu glauben. Der Trotz des Gottverlassenen, der sich auf sich selber stellt. Dennoch ist oft genug die Überzeugung, daß alles im Leben bestimmt sei, so stark, daß auch der Trotzigste sich unter der „Norne” weiß. Wo die fügende göttliche Macht zurücktritt, bleibt das unpersönliche Schicksal letzte Gestaltung der Lebenseinheit. Wo Schicksalswissen mit Trotz getragen wird, reckt sich die tragische Größe des Germanentums zu gewaltiger Höhe auf. Dennoch ist weder im - ethischen - Aufbäumen, noch in der in einer Art verblassender Religiosität festgehaltenen Schicksalsidee das Leben wirklich gemeistert. Beides wird im „Heliand” in Segen gewandelt. Im Gegensatz zum Trotz wird gerade an männlich starken Gestalten im Gedicht die „Demut” vor Gott zum adeligen Schimmer über ihrem Leben. Und Petrus, der „Fürst”, wird zu seinem Führeramt gereift durch den ihm von Gott bestimmten Fall, da er den Herzog verleugnet. Es wird ihm „klar, wie wenig Kraft / Des Menschen Gemüt hat ohne Gottes Macht.” Seine „Macht und Stärke” von Gott zu Lehen nehmen, da liegt die Lösung! Die Lösung des Schicksalsproblems aber ist damit gegeben, daß die festen Fäden der Bestimmung nun wieder in göttlichen Händen liegen, in den Händen nun nicht mehr begrenzter Macht, sondern dessen, der „Gewalt hat über alles!” Das sind die Worte Jesu in Gethsemane! Und den Jüngern gegenüber sagt ers noch einmal „Das Geschick ist entschieden”. Dabei mag zunächst die Eddaweisheit anklingen: „Niemand sieht den Abend, wenn die Norne sprach”. Doch „der Waltende” fährt fort: „So soll es ergehen, wie es Gott der Vater, der Mächtige, bestimmte”. Das kalte Schicksal geht aus in den Willen des „Vaters”!

LeerAlle Gedanken aber kreisen um den Einen, der das Wort selber ist. Im Blick auf ihn allein gestaltet der Dichter sein Werk. Die Verbindung mit ihm steht im Mittelpunkt seines Lebens: „Der Könige Kräftigster”, „das Friedenskind Gottes” wird zum Gefolgsherrn, dem sich der Sachse mit aller Inbrunst verschreibt. Die Treue gegen ihn wird zum Sinn des Lebens, „Glaube” dies dehnbare Wort, wird einzig und allein in der „Herzlichen Treue zum Himmelskönig” gesehen. Mochten die Griechen das Evangelium zur Gnosis machen, mochte der Römer im Kirchenrecht Christi Meinung am sichersten bewahrt glauben - im „Heliand” ist Luthers Erklärung zum zweiten Artikel vorweggenommen: „auf daß ich sein eigen sei”!

LeerUnd doch ist es noch ein weiter Weg bis zur Tiefe reformatorischer Theologie. Der „liebe Landeswart” wählt zwar die „Niedrigkeit” auf dieser Erde. Aber man sieht nicht ein, warum er seinen königlichen Glanz verbirgt. Er will wirklich „alle Welt / A m  K r e u z e  h a n g e n d  vom Höllenzwang / Die Leute erlösen zum Licht Gottes”. Aber er geht diesen Weg doch nur als der, der „alle Gewalt hat”. Satan weiß wohl, was da vor sich geht, und will durch des Pilatus Weib die Kreuzigung verhindern, aber kein Wort zeigt an, wie in dem Kreuz das Geheimnis von Gericht und Gnade greifbar wird. An „der Könige Kräftigstem” wird die „Theologie des Glanzes” deutlich. Ein stärkeres Ernstnehmen der Menschwerdung hätte tiefer in den Ernst des Karfreitags geführt, und damit auch die Auferstehung deutlicher gemacht als das Gottesgeschenk, das Wunder einer neuen Welt.

LeerIst es ungerecht, den Maßstab der späteren Reife an die Jugendgestalt zu legen? Unsere Liebe gehört doch auch dem Symbol jener ersten Schau: wir werden, wenn Er uns zu seinen Gefolgsleuten macht, teilhaft des Reichs, nach dem „auf diesem Erdkreis” die Leute zum ersten trachten sollen.

Jahresbriefe des Berneuchener Kreises 1934/35, S. 115-119

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 16-02-03
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