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Deutsche Gottschau und christlicher Glaube
von Otto Heinz von der Gablentz

LeerDas Wort vom Kreuz war immer den Griechen eine Torheit. Die „Griechen” unter uns sind ernste, weise, oft wirklich fromme Menschen mit weitem Herzen und weitem geistigen Horizont. Sie wissen etwas von Gott dem Schöpfer, sie spüren seinem Schritt in Natur und Geschichte ehrfürchtig nach, sie wissen etwas von Menschenschuld und Gericht und Gnade, ja auch vom Gott-Menschen. Sie fragen uns aus ihrer stolzen Weite heraus mitleidig: „Wie könnt Ihr so eng sein, all diese Erfahrungen, die wir überall machen, in der Natur, in der Geschichte, in unserer eigenen Seele, binden zu wollen an die eine historische Gestalt des Rabbi Jesus aus Galiläa?”. Ober wie Hauer es jetzt ausdrückt: „Nicht in fernen Jahrtausenden nur geschah Offenbarung. Wir stehen mitten in ihr”.(1) Das sind die Menschen, vor denen Paulus auf dem Athener Areopag gepredigt hat von dem Gott, „in dem wir leben, weben und sind”, „von dessen Geschlecht auch wir sind”, „der keinem von uns fern ist”. (Sie haben es ihm gedankt, indem sie eins der edelsten Werke christlicher Weisheit, die auf griechischem Boden gewachsen sind, aus dem die deutsche Mystik entscheidende Anregung bezogen hat, nach jenem Dionysius genannt haben, den er damals bekehrt hat.)

LeerKönnen wir uns denn wirklich nicht begnügen mit jener Erfahrung vom „Gott in uns”, den die Mystik aller Zeiten kündet? (2) Daß Gott „der Mensch im Menschen” ist, „die Freiheitskraft im Überwinder”, „der Starken drängende Stärke”, „die Liebe in den Wesen” - und wie es sonst noch in den herrlichen und tiefen Versen der Bhagavadgita heißt (3) - das leuchtet einem unbefangenen Menschen ein. Müssen wir da mit Paulus vom „Christus in mir” reden (Gal. 2, 20)? Das muß die Vorstellung erwecken, als ob die ganze Fülle der menschlichen Gestalten, die jede in ihrer Weise von Gott zeugt, ausgelöscht werden sollte zu Gunsten eines Typus, eines Vorbildes, eben des Jesus aus Nazareth.

LeerDieser Angriff trifft das Christentum an zwei verschiedenen Stellen. Einmal richtet er sich gegen jene Art der „Nachfolge Christi”, die sich sklavisch an das Erdenleben Jesu als menschliches Vorbild hält. Damit wird die moralistische Verharmlosung des Evangeliums, die limonadenhafte Predigt einer „Liebesethik” ohne Kreuz und Auferstehung zu Recht getroffen.

LeerViel wichtiger aber ist die andere Frage, die hier gestellt wird. Mit welchem Recht und aus welchem Grunde berufen wir uns auf die geschichtliche Einmaligkeit und Einzigkeit Christi? Wie können wir das Wirken des Gottmenschen an ein historisches Ereignis binden? Das ist das eigentliche Ärgernis. Die Antwort der Kirche lautet zunächst ganz nüchtern und fest: „Wir tun das nicht. Aber es hat Gott so gefallen, aus dem Schoße der Maria und im jüdischen Volk als Mensch geboren zu werden. Diese Wirklichkeit können wir auch der schönsten Metaphysik zu Liebe nicht verleugnen”. Sofort wird uns entgegnet „Woher wißt ihr das? Aus einem Buche! Wir aber haben die Schau der Offenbarung aus dem Leben der Geschichte, aus dem Leben der Natur, aus der göttlichen Führung des eigenen Lebens”. Es wäre verhängnisvoll, wenn die christliche Kirche sich auf diese Fragestellung wirklich festlegen ließe, wenn sie glaubte, man könne der Einzigkeit Christi nur dann gerecht werden, wenn man die „Offenbarung” auf die kanonischen Bücher der Bibel beschränkte, und jede Offenbarung in Natur und Geschichte oder gar in der Seele, jede Mystik und Prophetie als unvereinbar mit dem Christentum ablehnte. Dieser Haltung gegenüber kann Hauer triumphierend alle christliche Mystik, Dionysius Areopagita, Meister Eckehart, den jungen Luther und Jakob Böhme auf sein Konto buchen, als Menschen nordischen Glaubens, die in christlichen Formen das Christentum überwunden hätten.

LeerDie biblizistische Haltung hat in einem Punkt unbedingt recht: der Kern des Evangeliums ist nicht Ethik, ist nicht Metaphysik, sondern ist die Botschaft von der wirklichen Auferstehung des wirklichen Menschen Jesus vom wirklichen Tode. Davon aber würden wir nichts wissen, wenn wir nicht die Überlieferung der Christenheit hätten, die sich in den kanonischen Schriften der Bibel verdichtet hat. Alle andere Mystik und Prophetie bekommt erst von hier aus ihren klaren Sinn und Zusammenhang. Aber Mystik und Prophetie können trotzdem echte Gotteserfahrung sein. Und die Überlieferung der Kirche fällt nicht einfach zusammen mit dem Kanon der Bibel.

LeerDie Predigt vom Auferstandenen hat bei jedem Volke und bei jedem Menschen dort anzuknüpfen, wo die eigenen tiefsten Erfahrungen liegen. Wenn Paulus vor Griechen predigt, dann baut er auf jener Lehre der griechischen Mysterien vom „unbekannten Gott” ebenso unbefangen auf wie der Verfasser des Hebräerbriefes auf der jüdischen Opferlehre. Er zeigt den Griechen den Glauben an Christus als die Erfüllung ihrer „indogermanischen” Ahnungen, wie jener ihn den Juden verdeutlicht als die Erfüllung ihrer „vorderasiatischen” Gotteserfahrung. Aber weder den Predigern noch den Hörern kommt es auf diesen oder jenen Ausgangspunkt, auf diese oder jene Betrachtungsart an. Sondern wichtig ist ihnen allein dies: Hat die Wirklichkeit, die wirkende Kraft der Auferstehung jenen ganzen Erfahrungs- und Lebensbereich durchbrochen, von dem sowohl die Erfahrungen der Mysterien als diejenigen der Gesetzesreligion kündeten?

Linie

LeerAlle Offenbarung in Natur und Geschichte kann uns nur den Sinn zeigen, der hinter dem Gesetz des natürlichen und menschlichen Lebens steht, dem Gesetz vom steten Wechsel von Leben und Tod. Alle diese Offenbarung wird zugleich bestätigt und in die zweite Linie verwiesen, wenn sich herausstellt, daß dieses ganze Gesetz nur bedingt gilt. Das aber ist christliche Lehre: nicht die Liebe, nicht das Sündenbekenntnis, sondern die Auferstehung.

LeerAber die Auferstehung ist nicht herauszulösen ans der Fülle Gottes. Sie ist die Mitte, aber es gibt auch einen Anfang: die Schöpfung, und es gibt ein Ziel: die neue Schöpfung, die mit der Auferstehung Jesu Christi erst anhebt. Von da aus wird verständlich was Paulus meint: „Christus in mir”. Er spricht von der Wandlung aller natürlichen Anlagen, die sich vollzieht, wo ein Mensch sich und die ihm anvertraute Natur ausrichten läßt durch Gott. Dort ist, wie Karl Barth es so klar ausgedrückt hat „die Erscheinung einer völlig anders geordneten Leiblichkeit in unserer Leiblichkeit”. (4)

Leer(Von einer „Durchdringung” spricht Otto Julius Hartmann (5) und führt einleuchtend aus, daß dieser Begriff seit der Überwindung der naturalistischen Physik auch in den Naturwissenschaften eine neue wichtige Bedeutung gewonnen hat.) Alle Kräfte im Menschen und in der außermenschlichen Natur, die von der Wandlung erfaßt sind, gehören zusammen, sind ein Leib.

LeerWir sprechen hier von Christus, weil der Auferstandene eins ist mit dem menschlich Geborenen, menschlich Wandelnden, menschlich Gestorbenen. W i r  w i s s e n  v o m  A u f e r s t a n d e n e n , w e i l  e r  w i r k t . Hauer hat Recht: „Wir stehen mitten in der Offenbarung”. Nur vom lebendigen Christus, der sich in der Kirche seinen Leib baut, gibt es einen Zugang zum biblischen. Alle Zeugnisse gehören zusammen. Das Buch in der Kirche ist nichts ohne das Sakrament. Lehre und Kultus und Gemeindeleben sind nichts ohne die Erfahrung des einzelnen Christen, daß Gott ihn führt durch Natur und Geschichte.

LeerNun ist es heute eine Tatsache, daß viele und wesentliche Menschen in Deutschland von dieser göttlichen Führung im eigenen Leben und im Leben des Volkes etwas spüren, die nichts spüren von einer Kraft der christlichen Kirche. Wir müssen dankbar dafür sein, daß solche Erfahrungen gemacht werden. Sie liegen auf einem anderen Gebiet als jene Erfahrungen, auf die man in der lutherischen Orthodoxie der letzten Jahrhunderte geachtet hat. Sie mögen auch anderer Art sein, als Luthers eigene Erfahrungen. Sie fügen sich aber gut zusammen mit vielen anderen wichtigen Erscheinungen zu anderen Zeiten und an anderen Stellen der einen heiligen christlichen Kirche. Wir haben sie nicht zu entwerten, sondern sie klar und umfassend zu deuten, vom Mittelpunkt der Geschichte und der Natur her, von der Auferstehung Christi. Das ist der Dienst, den wir unseren heidnischen Volksgenossen zu erweisen haben.

Anmerkungen
1: „Deutsche Gottschau”, S. 65.
2: Vgl. für die indische Form dieser Erfahrung, die Lehre vom „Puruscha”, Hauers sehr wesentliches Buch „Der Yoga als Heilweg”, dessen zweiten systematischen Teil er hoffentlich bald dem historischen folgen lassen wird.
3: „Deutsche Gottschau”, S. 79.
4: „Der Christ in der Gesellschaft”, Patmos-Verlag 1920. S. 48.
5: S. den Hinweis im Johannisbrief, S. 128

Jahresbriefe des Berneuchener Kreises 1934/35, S. 149-152

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 16-02-03
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