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Ein Brief

LeerSehr geehrter Herr Pfarrer!

LeerUm der inneren Wahrhaftigkeit willen muß ich Ihnen zu unserem Gespräch über Nationalsozialismus und Christentum noch einiges sagen. Ich möchte nicht, daß Sie ein falsches Bild von meinem Nationalsozialismus und von meinem Christentum bekommen.

LeerIch habe mein Amt im ... nicht deshalb niedergelegt, weil ich an den jungen Leuten dort, nachdem sie sich zum Heidentum bekennen, kein Interesse mehr hätte, sondern weil ich als Mensch, der sein Leben dem lebendigen Christus verdankt, nicht an dem Kampf gegen ihn teilnehmen kann. Selbstverständlich bleibe ich von mir aus in Teilnahme und Fürbitte mit diesen jungen Menschen verbunden, die zu verurteilen ich kein Recht habe. Selbstverständlich weiß ich, daß manche unter ihnen das lebendige Wort Gottes ablehnen, weil das dem natürlichen Menschen bequemer ist, weil sie sich an ihm stoßen, wie es Jesus vorausgesagt hat. Aber solche Menschen gibt es ebenso in der Kirche, und hier ist es doch noch schlimmer. Ich weiß aber auch, gerade aus meiner ... Berufsarbeit, die mich in enge Verbindung mit den verschiedensten Gliedern unseres Volkes gebracht hat, daß es eine erschreckend große Zahl unter ihnen gibt, denen der lebendige Christus einfach nicht begegnet ist, auch in der kirchlichen Verkündigung nicht. Diese Tatsache ist mir eine der betrüblichsten Erfahrungen, seit ich als erwachsener Mensch für andere verantwortlich bin. Ich bin mir immer bewußt, daß auch mein Leben als Christ sicher täglich anderen zum Anstoß wird, weil Christus mit seiner Liebe zu wenig durch mich hindurchleuchtet. Deshalb habe ich auch keinen sehnlicheren Wunsch für unsere Kirche, als daß unser Gebet noch viel stärker durchdrungen sei von der Bitte: Hilf, daß wir Dich nicht verleugnen oder verdunkeln! Hilf, daß wir Dein Leib sind und nicht Dein Grab! Ich wage über keinen der Menschen, die mir ihr Heidentum bekannt haben, das Urteil zu sprechen: du hast nicht gewollt. Ist dieses Urteil nicht ganz allein Gottes Sache? Ich muß Ihnen das sagen nach unserem Gespräch. Es wäre mir unerträglich, von Ihnen als ein Mensch angesehen zu werden, der auf andere, die den Weg zum Christentum nicht gefunden haben, hochmütig herabsieht. Dazu habe ich zu sehr an mir selber erlebt, daß es nichts als Gnade ist wenn wir aus den tausenderlei Stimmen der Gegenwart den Ruf Christi heraushören dürfen. Ich kann es auch, wenn ich meinen eigenen Lebensgang überschaue, nicht anders als mit dem Wort Wunder bezeichnen, daß ich heute nicht bei Hauer oder sonstwo jenseits der Kirche stehe. Darum verstehe ich die Menschen, die meinen, um der Wahrhaftigkeit willen dort stehen zu müssen, vielleicht besser als andere, denen die Kirche nie eine Frage war. Ich spüre selten jene große, überlegene Liebe, die nicht aufhört, die frohe Botschaft des Evangeliums allen zu verkünden, die vergibt, weil ihr vergeben ist, und weil ja von allen Feinden Christi auch heute das Wort gilt: sie wissen nicht, was sie tun. Auch ich bin wie Sie der festen Überzeugung, daß Christus siegen wird, aber ebenso, daß er in der Kraft der Liebe siegt. Von dieser Liebe weiß ich mich in mein Volk so gut hineingestellt wie in seine Kirche ...

LeerVielleicht spüren Sie aus diesen Worten, daß ich all dies nicht sage, um anmaßende und dreiste Urteile zu fällen, sondern weil die Not mir das Herz verbrennt: daß Volk und Kirche sich auseinander reden statt zusammen und daß unser Volk daran zerbricht. Ich weiß natürlich, daß viel Unrecht geschieht; aber ist nicht das vielleicht noch das Einzige, woran die Welt spüren kann, daß unser Christentum lebendige Wirklichkeit ist, daß wir diese vergebende Liebe aufbringen, die bei aller Klarheit über den Platz, wo man zu stehen hat, den anderen noch spüren läßt, daß er als Bruder ernst genommen wird?

Jahresbriefe des Berneuchener Kreises 1934/35, S. 156-157

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 16-02-03
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